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Der Berg Tabor

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LXXXXVII. Gibraltar Meyer’s Universum, oder Abbildung und Beschreibung des Sehenswerthesten und Merkwürdigsten der Natur und Kunst auf der ganzen Erde. Dritter Band (1836) von Joseph Meyer
LXXXXVIII. Der Berg Tabor
LXXXXIX. Innsbruck
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DER BERG TABOR

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LXXXXVIII. Der Berg Tabor.




Diese gefeierte Höhe steigt 3000 Fuß hoch aus der Ebne von Esdraelon in der Landschaft Galiläa als ein isolirter Kalksteinfelsen empor, welcher die Form eines Zuckerhuts mit abgebrochener Spitze hat. Wälder von Eichen und wilden Pistazien bekleiden seinen Fuß; die steilen Wände aufwärts sind kahles Gestein, hie und da mit niedrigem Gesträuch bewachsen. Den Gipfel macht ein Plateau aus, etwa eine halbe Stunde im Umfange. Er ist mit den schönsten, blumenreichen Matten überzogen, und Ueberreste von Klöstern, Kapellen und Einsiedeleien liegen zerstreut umher. – Ehe das Land unter türkische Herrschaft kam, sollen auf dieser Höhe 3000 Ordensgeistliche gewohnt haben. Noch sieht man viele Cisternen und die Spuren von mehr als 20 tief in den Felsen gegrabenen Brunnen; aber keine Menschenseele ist mehr zu finden. Wo sonst religiöse Gesänge erschallten und täglich Prozessionen den heiligen Orten zuzogen, da weiden wilde Ziegen und menschenscheue Antilopen.

Die Aussicht von dem Gipfel ist bezaubernd und die schönste in ganz Palästina. – Ringsum überschaut man das klassische Land des Urchristenthums, jene stille, heilige Gegend, wo der Heiland des Menschengeschlechts am häufigsten und am liebsten wandelte, und, zurückgezogen von dem Tumult der Welt, seiner großen Sendung dachte. – Im Süden und Westen dehnt sich die breite Ebene von Esdraelon (oder Jesreel) aus, fruchtbar aber verödet und an historischen Erinnerungen reich. Hier siegte Gideon gegen die Philister; hier unterlag nach furchtbarer Schlacht Juda (unter König Josias, der in derselben fiel,) den Aegyptern; hier kämpfte mit den römischen Legionen des Vespasian das empörte Israel; hier schlug Saladin der Große das Kreuzfahrerheer auf’s Haupt, und auf derselben Stelle, 600 Jahre später, Bonaparte mit 3000 Franzosen 25000 Türken, die Elite des Halbmondes. Graue Ruinen auf der grünen Ebene hin zerstreut, oder armselige Dörfer, bezeichnen die Orte, wo früher berühmte Städte: Rabboth, Jebulloth, Megiddon, Ramoth, Jesreel, Janoah etc. prangten. Den Raum zwischen dieser weiten Fläche und dem Tabor füllt eine Gruppe malerisch geformter und bewaldeter Hügel aus, zwischen denen sich tiefe, abgeschiedene Thäler mit üppigem Pflanzenwuchse hinziehen, der höchsten Kultur fähig, aber fast ohne Bewohner. Mitten in dieser reizenden Wüste liegt Nazareth, in einem Bergkessel, dessen Höhen man deutlich unterscheidet. Nach Osten hin streckt sich die Galiläische Ebene, eine Fortsetzung der von Jesreel, aus. Viele Dörfer und Flecken auf derselben deuten auf eine reichere Bevölkerung und höhere Kultur hin. Nain mit [18] seinen weißen Mauern, durch das Wunder, das der Heiland hier verrichtete, berühmt, ist wohl zu erkennen. – Am Horizont wallen die blauen Berge von Gilboa, an derem Fuß Saul mit seinem Heer erschlagen ward. Weiter nach Norden blickt die glänzende Wasserfläche des Sees Tiberias (Genezareth) hinter niedrigen Hügeln hervor, und in derselben Richtung sieht man auf einer Höhe das Dorf Saphet, das alte Bethulia, wo Christus dem Volke predigte. Gegen Abend aber schweift der Blick über Berg und Thal, Wälder und Gauen dem Weltmeere zu, und da, wo die Höhen sich senken, schimmern, bei untergehender Sonne und reinem Himmel, die Wogen golden herüber. Den Schluß aber dieses herrlichen Panoramas macht die beschneiete Kette des Libanon, dessen Berghörner von seltsamer und grandioser Gestalt im weiten Halbkreise den nördlichen Horizont umsäumen. –

Der Tabor wird nur selten von Reisenden besucht. Nur das Verklärungsfest Christi führt jährlich eine mäßige Schaar frommer Pilger, unter der Anführung einiger Ordensgeistlichen, auf seinen Gipfel. – Ueber der Stelle, wo der Heiland zum letztenmale seinen Jüngern sichtbar war, wölbte sich früher ein prächtiger Tempel. Aber auch dieser ist längst zerstört bis auf die Crypta, eine unterirdische Felsenkapelle, und hierher wallfahrten die Pilger, um vor einem in Stein gehauenen Bilde des verklärt gen Himmel schwebenden Heilands ihre Gebete zu verrichten.[1]


  1. Für die Kunstgeschichte ist die Transfiguration Christi als Gegenstand zu dem letzten Werke Raphael’s, dem erhabensten und herrlichsten was in allen Zeiten die Malerei hervorgebracht hat, höchst merkwürdig geworden. Eine kurze Beschreibung dieses, in Rom aufbewahrten, wundervollen Gemäldes wird hier nicht am unrechten Orte seyn.
    Christus, mitten in den Ausflüssen eines himmlischen Lichts, mit ausgebreiteten Armen, die Augen mit dem innigsten Ausdruck gen Himmel aufgeschlagen, bekleidet mit einem majestätischen Gewande von blendender Weiße, erscheint emporgehoben, schwebend über dem Gipfel des Tabor, begleitet von Elias und Moses, die ihn, von Staunen, Ehrfurcht und Entzücken erfüllt, anblicken. Die drei Apostel, welche ihm bis auf die Höhe des Berges gefolgt waren, sind, von plötzlichem Erstaunen ergriffen, zur Erde gestürzt. – Ihre Stellungen drücken mit unnachahmlicher Wahrheit das Unerträgliche des Lichtglanzes aus, der sie umgibt und ihre Augen blendet. Diese erhabene Scene, die obere Hälfte des Bildes einnehmend[WS 1], entzückt die Einbildungskraft des Betrachtenden so sehr, daß er, von jeder irdischen Idee geschieden, sich in die seligen Wohnungen der Ruhe und des Friedens entrückt glaubt. Besonders ist es die Figur des Heilandes, was zur höchsten Bewunderung auffordert. Sie, ein Ideal der Majestät, scheint im Luftraume völlig schwebend zu seyn, und selbst die feurigste Einbildungskraft kann nicht mehr Täuschung verlangen. Sein Gewand, welches, weiß wie Schnee, ganz durchsichtig und von Aether gewebt ist, die entzückte Haltung der Arme und des Kopfes, der unbeschreiblich rührende Ausdruck voll Güte und Wohlwollen, welcher in den göttlichen Zügen glänzt, ein Helldunkel von bewundernswürdiger Kunst, und endlich der Kontrast so vieler Vollkommenheiten mit den ernsten Formen und ehrwürdigen Gesichtszügen der beiden Propheten und mit dem Ausdruck der Demüthigung und des Schreckens in den Gestalten der drei Apostel, der himmlische Ton endlich, der über das Ganze gehaucht ist, Alles das bringt in der Seele den tiefsten Eindruck hervor. – Entfernen wir aber unsere Blicke von dem Gipfel des Tabor, wenden wir sie der untern Hälfte des Bildes zu, – welche Gegeneinanderstellung der Scenen! Oben das Gemälde himmlischer Glückseligkeit und göttlicher Majestät: – unten das Elend der bedrückten Menschheit, die Agonie der Affekte, Hülflosigkeit und Verzweiflung. Ein Besessener, ein Knabe von 8 bis 9 Jahren, ist von seinen Verwandten den 9 Aposteln zugeführt worden, welche die Rückkunft des Erlösers vom Berggipfel erwarten. Ganz im Vorgrunde erblickt man ein Weib von hoher Schönheit (des Besessenen ältere Schwester), das, auf die Kniee gesunken, Hülfe für ihren Bruder von einem Apostel erfleht, welcher ihr gegenüber auf einem Baumstamme sitzt und, überrascht, von dem Buche aufblickt, das zu lesen er beschäftigt war. Die jüngere Schwester, schön wie Diana, von Schmerz und Trauer durchdrungen, spricht mit dem nächsten Apostel, und auf ihn hören 3 andere, unter denen sich der jüngste, Johannes, auszeichnet. Der Ausdruck des tiefsten Mitleids und des innigsten Bedauerns, die erbetene Hülfe nicht geben zu können, charakterisirt den letztern. Der Vater des Kranken, ein Alter, dem das Herzeleid die Stirn gefaltet hat, wendet sich flehentlich an einen der Jünger, einen Mann von hoher, würdevoller Gestalt. Vertrauen auf die göttliche Macht des Meisters erfüllt dessen Antlitz und, indem er mit der linken Hand nach der Höhe des Tabor zeigt, und der geöffnete Mund die Worte zu sprechen scheint: – „der Herr wird ihm helfen, sobald er herab kömmt“ – gießt er Hoffnung in des Vaters blutendes Herz. Die übrigen Jünger, sämmtlich in ausdrucksvoller Stellung, scheinen die Unmöglichkeit zu besprechen, der unglücklichen Familie in der Abwesenheit des Meisters die geforderte Hülfe zu geben. Schmerz über ihre Unfähigkeit drückt sich, als Hauptaffekt, in den Zügen Aller aus, und der mitleidvolle Blick haftet auf der Gruppe des Besessenen, den ein bejahrter, aber kräftiger Mann, in dessen Gesicht sich Anstrengung und Entsetzen malen, von hinten fest unter den Armen hält. – Der unglückliche, fast nakte Knabe renkt und windet sich, gefoltert von des Krampfes unsäglicher Qual; wüthend dehnt er sich aus, rasend schreit er auf, schaudererregend rollt er Blicke umher und strebt verzweiflungsvoll, sich auf die Erde zu werfen. Seine Gelenke sind gräßlich verdreht, als wollten die Knochen entweichen aus dem leichenartig gefärbten Körper. Aber dennoch, – indem der Maler dieses unglückliche Wesen in die Mitte seiner traurigen Familie versetzt; an die Seite der zarten, schönen Schwestern; des Vaters mit dem unbeschreiblichen Ausdruck der geängstigten Liebe; der Verwandten mit den verweinten Gesichtern und dem Ausdruck der lebhaftesten Theilnahme: versteht er in der Seele des Betrachtenden das Entsetzen dem Mitleid unterzuordnen und der Blick ruht ohne Widerstreben auf einer Figur, von der er sich, stände sie einzeln, mit Abscheu wegwenden würde. Die Kunst feiert in dieser Komposition ihren höchsten Triumph.
    Nachbildungen dieses unsterblichen Werkes sind, seit der Zeit seines Urhebers, von der Kupferstecherkunst vielfältig versucht worden. Morghen’s herrlicher, aber höchst kostbarer Stich ist weltberühmt. Bestimmt nicht weniger gelungen als dieser ist die in Stahl vor kurzem vollendete Nachbildung Kininger’s (Professors an der Wiener Akademie), ein Werk dreijährigen ununterbrochenen Fleißes. Es ist unbestreitbar das Herrlichste, was jemals in geschabter Manier hervorgebracht worden ist. Die Platte hat die ungewöhnliche Größe von 22 zu 34 Zoll. Sie ist jetzt in London zum Druck und wird (im Verlag des Bibliographischen Instituts) zu dem ungemein billigen Subskriptionspreise (20 und 10 Thlr. für Abdrücke vor und mit der Schrift) nächstens erscheinen.

Anmerkungen (Wikisource)

  1. Vorlage: einehmend