Der Befreier Kinkel’s in Amerika
Erst einmal seit dem Bestehen des amerikanischen Freistaates war es einem Ausländer gelungen, eine ähnliche Stellung unter den Staatsmännern der jenseitigen Republik einzunehmen, wie sie Karl Schurz, der kühne Befreier Gottfried Kinkel’s aus dem Zuchthause zu Spandau, sich erkämpft hat. Jener war ein Genfer, Albert Gallatin, welcher als neunzehnjähriger Jüngling nach Amerika ging, um an dem Unabhängigkeitskampfe der Colonien gegen das englische Mutterland Theil zu nehmen, und welcher dann unter der Präsidentschaft von Jefferson und jener von Madison mit der Leitung des Finanzministeriums beauftragt war, und zuletzt als einer der Bevollmächtigten seines Adoptivvaterlandes beim Abschluß des Friedensvertrages von Gent mitwirkte. Wir sagen, eine ähnliche Stellung, denn Karl Schurz hat eine höhere Stufe erklommen, die höchste, welche ein Ausländer erreichen kann, indem er Mitglied des Senates geworden ist, einer Körperschaft, welche mit dem Volks-Hause des Congresses die gesetzgebende, und mit dem Präsidenten wichtige Attribute der vollziehenden Gewalt theilt.
Karl Schurz war, wie Albert Gallatin, noch sehr jung, als er 1852 nach den Vereinigten Staaten kam, etwa dreiundzwanzig[WS 1] Jahre. Gallatin hatte der Freiheitsdrang getrieben; er wollte einem um seine Unabhängigkeit ringenden Volke Hülfe leisten; Karl Schurz hatte für die Freiheit und Einheit des eigenen Vaterlandes gekämpft und sein Lohn war Verbannung. Doch das Loos seines Freundes und Lehrers, des deutschen Dichters Gottfried Kinkel, war ein noch viel grausameres. Ihn umschlossen die düsteren Kerkermauern. In der Zuchthausjacke büßte der deutsche Dichter am Spinnrocken in einsamer Zelle zu Spandau das Verbrechen, sein Vaterland geliebt zu haben. Der Heimath Lebewohl zu sagen, in welcher der Freund und Kampfgenosse unwürdige Behandlung erduldete, dies vermochte Karl Schurz nicht; selbst durch eine kühne Flucht aus Rastatt den Standrechtskugeln entronnen, entwarf er den noch viel kühneren Plan zur Befreiung Kinkel’s und mit eigener Gefahr für Leben und Freiheit rettete er sich den Freund, der Welt den Sänger. Und als der Mann mit dem festen Charakter und der männlichen Entschlossenheit, mit den markirten Zügen, den klug blitzenden braunen Augen und dem dunkelblonden Haar, wie ihn Moritz Wiggers in der „Gartenlaube“ von 1863 (Nr. 7) gezeichnet hat, glücklich vollbracht, was zu vollbringen er sich vorgesetzt, schied er, bitteres Wehe im Herzen, von dem heimischen Boden, um sich nach kurzem Aufenthalt in London jenseits des Meeres ein neues Vaterland zu suchen.
Karl Schurz widmete die ersten Jahre seines Aufenthaltes in Amerika ernsten Studien. In einem kleinen Städtchen Wisconsin’s lebte er zurückgezogen. Dort machte er sich mit der Sprache, den Gesetzen und der Geschichte des Landes vertraut. Der im Jahre 1854 durch die Douglas’sche Truglehre von der Volkssouveränetät, vermittelst welcher die Negersclaverei in die noch nicht unter die Staaten aufgenommenen Gebietstheile eingeschmuggelt werden sollte, neu entzündete Kampf der freien Staaten des Nordens gegen die Negersclaverei rief Karl Schurz zum ersten Male auf die politische Bühne. Mit Erstaunen und Begeisterung berichteten anglo-amerikanische Blätter von einem jungen Deutschen, der in herrlicher Rede, in schönem und classischem Englisch die Sache der Freiheit zu vertheidigen gekommen sei. Der Name Karl Schurz flog zuerst im Nordwesten von Mund zu Munde, er sollte sich bald über alle Theile des Landes verbreiten, gefeiert werden unter den Republikanern, gefürchtet von den Demokraten, die bis dahin gewohnt waren, auf die Stimmen der eingewanderten Deutschen zu rechnen. Stephen Douglas, der berühmte Senator von Illinois, der Führer des nördlichen Flügels der Demokraten, fand in dem kühnen Fremdlinge einen ebenbürtigen – einen überlegenen Gegner. Schurz’ „Anklageact“, wie er seine Hauptrede gegen Douglas nannte, trug nicht wenig dazu bei, die Deutschen massenhaft aus dem demokratischen sclavereifreundlich gesinnten Lager in das freiheitliche der Republikaner zu führen und die Präsidentenwahl im Jahre 1860 zu Gunsten der Letzteren zu entscheiden.
Abraham Lincoln belohnte die Dienste, welche der deutsche Demosthenes der Sache der Freiheit geleistet, mit dem Gesandtschaftsposten in Spanien. Allein kaum war Karl Schurz an dem Hofe der tugendsamen Isabella erschienen, als auch schon die Kriegstrompete in den Vereinigten Staaten erschallte. Konnte er, während die von ihm mit den Waffen des Verstandes und aus vollem Herzen vertheidigte Sache die Bluttaufe erhielt, müßig an dem Hofe der steifen Etiquette in dem Dufte der Unschuldsrose rasten? Wer hätte dies von Karl Schurz denken dürfen? Er trat als Brigadegeneral in die Armee, wurde bald zum Generalmajor befördert und befehligte in der unglücklichen Schlacht von Chancellorsville eine aus lauter deutschen Regimentern bestehende Division des elften Armeecorps. Dem Ungestüm, der überlegenen Strategie Stonewall Jackson’s, der mit Uebermacht aus schützendem Walde hervorbrach, konnte er nicht Stand halten.
Nach beendigtem Kriege finden wir Karl Schurz als Redacteur einer in englischer Sprache gedruckten republikanischen Zeitung in Detroit, im Staate Michigan; allein die journalistische Laufbahn konnte ihn nicht befriedigen, und – offen gestanden, die Journalistik war auch kein Feld für ihn, außer zur Vorbereitung für die Carriere des Staatsmannes, in welcher Alle, die ihn mit Aufmerksamkeit und mit mehr als oberflächlichem Blicke beobachtet hatten, seinen wahren Beruf erkannten.
Aber in Amerika genügt Talent und staatsmännische Befähigung [262] nicht; es muß die Gelegenheit gefunden werden, die öffentliche Bühne zu betreten, und dazu gehört politischer Einfluß. Die Senatoren müssen aus den Einwohnern des betreffenden Staates gewählt werden, und so mußte Karl Schurz, wenn er Aussicht haben wollte, Mitglied dieser wichtigen Körperschaft zu werden, sich in einem Staate niederlassen, in welchem das deutsche Element seinen Einfluß geltend machen konnte. Nur in einem solchen Staate durfte man hoffen, daß die Amerikaner bewogen werden könnten, einen Deutschen, und wären seine Verdienste auch noch so groß und seine Talente auch noch so hervorragend, in die Versammlung zu wählen, in welcher Männer wie Daniel Webster, Henry Clay, Stephen Douglas, Thomas Benton und Andere unsterblichen Ruhm sich erworben hatten. Ein solcher Staat ist Missouri, mit seiner weit verzweigten deutschen Bevölkerung.
Die Stadt St. Louis, eine der bedeutendsten Städte, enthält ein deutsches Element, gewichtig nicht blos durch Zahl, sondern ebenso auch und vielleicht noch in höherem Grade durch seine Bildung und Intelligenz. Das Deutschthum von St. Louis nimmt wohl den ersten Rang unter allen Städten in den Vereinigten Staaten ein, in welchen eine namhafte deutsche Bevölkerung gefunden wird. Dort war der geeignete Platz für Karl Schurz, um unter seinen Landsleuten die ihm gebührende Anerkennung und dadurch unter den Amerikanern den erforderlichen Einfluß zu erlangen. Es bot sich ihm eine günstige Gelegenheit, einen Antheil an der „Westlichen Post“, einer bedeutenden und einflußreichen deutschen Zeitung in St. Louis, zu erwerben und in deren Redaction einzutreten, letzteres wohl nur nominell, denn er scheint nicht, daß Karl Schurz selbst viele journalistische Thätigkeit in dem Blatte entwickelt. Diese Stellung als Vertreter der Presse, welche in den Vereinigten Staaten von Amerika allerdings eine Großmacht ist, trug ohne Zweifel viel dazu bei, daß die gesetzgebende Versammlung des Staates Missouri bei erster Gelegenheit den ersten deutschen Senator erwählte.
So trat also Karl Schurz in jene Hallen, in welchen die größten Staatsmänner, welche der amerikanische Freistaat hervorgebracht, das Wohl des Vaterlandes berathen hatten, in jene Körperschaft, welche in früheren Zeiten unter einem Washington, Jefferson, Madison, Monroe, Jackson der Stolz des Landes gewesen, welche aber in neuester Zeit viel von ihrem Glanze verloren hatte. Immerhin zählt der Senat der Vereinigten Staaten auch heute noch Leute von staatsmännischer Bedeutung, einen Trumbull, Charles Sumner, General Logan, aber die Männer aus dem Süden, welche, was auch immer ihre Vorurtheile in Bezug auf das „besondere Institut“ der Negersclaverei gewesen sein mögen, doch immerhin durch große politische Befähigung hervorragten, sie sind heute ersetzt, oder vielmehr ihre Sitze sind eingenommen durch verdorbene nördliche Politiker, welche im Süden nach Aemtern jagen, die sie in ihren eigenen Staaten nicht erhalten konnten, oder durch Persönlichkeiten, welche ihrer schwarzen Hautfarbe, die sie früher zu Parias der Gesellschaft gestempelt hatte, heute den Eintritt in den Senat verdanken.
Man kann zugeben, daß Karl Schurz weder in seiner diplomatischen, noch in seiner kriegerischen, noch in seiner journalistischen Laufbahn besonders Ausgezeichnetes geleistet hat; in den Hallen des amerikanischen Senates aber hat er Gelegenheit gefunden, sich als einen bedeutenden Redner, als einen Staatsmann ersten Ranges und als einen ehrlichen Politiker von wahrhaft freisinnigen Grundsätzen zu bewähren. In dieser Beziehung ist er ein echter Deutscher, der die Freiheit um der Freiheit willen liebt, die Grundsätze, die er für richtig und wahr erkannt hat, muthig und furchtlos und unbekümmert um persönlich nachtheilige Folgen vertritt und politische Corruption aus tiefster Seele haßt und mit aller Kraft verfolgt. Daß ein solcher Mann unter seinen Landsleuten in Amerika Liebe und Verehrung und unter den Eingebornen Achtung und Bewunderung finden mußte, ist natürlich. Karl Schurz ist heute der populärste Mann unter den Deutschen in den Vereinigten Staaten, bewundert und geschätzt von den ehrlichen Amerikanern und gefürchtet und gehaßt von allen corrumpirten Politikern.
Es waren hauptsächlich vier Vorkommnisse, bei denen Karl Schurz sich als scharfblickender Staatsmann bewährt hat. Zuerst zog er die allgemeine Aufmerksamkeit auf sich, als er im Senate den von der Regierung abgeschlossenen Kaufvertrag über die Insel St. Domingo bekämpfte. Seiner Beredsamkeit und seinen scharfsinnigen Auseinandersetzungen hauptsächlich verdankte die Regierung die erlittene Niederlage, die ihm Präsident Grant auch nie vergessen hat. Die sofortige Absetzung eines Verwandten von Karl Schurz von einem einträglichen Staatsamte war die kleinliche Rache dafür. Ein Antrag auf Untersuchung großartiger Betrügereien im Zollhause in New-York, an dessen Spitze ein intimer Freund des Präsidenten stand, gab Karl Schurz Gelegenheit, seine Grundsätze über die in der Regierung und allen ihren Zweigen nothwendige Ehrlichkeit und Reinheit zu entwickeln, und sein Auftreten in der Frage über den Verkauf von Waffen aus den Regierungsarsenalen an das Gambetta’sche Frankreich, in der zweiten Periode des Krieges mit Deutschland, bewies, daß Karl Schurz, während er die Liebe zum Heimathlande treu im Herzen bewahrt, vor Allem für die Ehre der Nation einsteht, deren Glied er geworden ist. Wird diese Ehre durch freveln Bruch der Neutralitätspflichten gegenüber einem befreundeten Staate, oder durch niedrigen Schacher von Dienern des Volkes verletzt, so ist es die Pflicht des wahren Patrioten, durch offene Verdammung der schuldigen Einzelnen den gefährdeten Ruf des Ganzen zu retten. Karl Schurz hat diese Pflicht muthig erfüllt, und wohl konnte Präsident Grant ausrufen: „Das ist Tell’s Geschoß!“
Bei der Amnestiefrage trennte sich Karl Schurz von seinem Freunde, dem Senator Sumner von Massachusetts, und ging mit der Regierung. Die hochherzigen Gesinnungen des deutschen Senators gegenüber dem besiegten politischen Feinde waren in zu großem Abstande von dem engherzigen Fanatismus des Puritaners von Neu-England. Während dieser die Theilnehmer an dem Rebellionskriege immer noch von dem Vollgenusse der politischen Rechte ausschließen will, ist der deutsche Senator bereit, den Frieden zwischen Norden und Süden durch Versöhnung und Vergessen zu bekräftigen. Schon in Missouri hat er einer solchen Politik des Entgegenkommens zum Siege verholfen. Durch die dortige, noch während des Krieges zu Stande gekommene, nach dem Urheber der gehässigen, rechtsverkümmernden Bestimmungen die Drake-Verfassung genannte Constitution war Jeder von der Ausübung der politischen Rechte ausgeschlossen, der nicht beschwören konnte, nicht nur daß er keinen thätigen Antheil an der Rebellion der Sclavenhalter genommen, sondern daß er niemals auch nur für dieselbe Sympathie gehegt, so daß Mancher, der später für die Sache der Union geblutet, der aber vielleicht in der ersten Zeit des Bürgerkrieges auch nur ein günstiges Wort für die Südstaaten geäußert, seines Wahlrechts beraubt war.
Karl Schurz hat das Verdienst, in Verbindung mit Gratz Brown, dem jetzigen Gouverneur des Staates, und in Verbindung mit den deutschen Republikanern von St. Louis jene Drake’sche Verfassung zum Falle gebracht und durch die Abstimmung der Bürger dies unversöhnliche und gehässige, Tausende rechtlos machende Gesetz entfernt zu haben. Daß heute der ehemalige Sclavenstaat Missouri des inneren Friedens und der ruhigen Entwicklung seines Wohlstandes sich erfreut, während in Georgien und anderen südlichen Staaten noch die Wunden bluten, ist der hochherzigen von Karl Schurz vertretenen Versöhnungspolitik zu verdanken.
Daß die Deutschen in Amerika stolz sind auf ihren Landsmann, der muthig dem Unrechte gegenübertritt, wo immer und unter welcher Gestalt und Form es ihm begegnet, ist nicht zu verwundern. Seine Haltung ist so ganz dem deutschen Charakter, wie ihn Karl Schurz selbst in den Debatten über den Waffenverkauf geschildert hat, angemessen. „Die Deutschen in Amerika,“ sagte er, als ihm die Vertheidiger des Waffenschachers vorwarfen, er wolle die deutschen Stimmen in’s Lager der Demokraten führen, „die Deutschen sind Feinde der Corruption, wo immer sie sich zeigt. Sie haben dies in New-York bewiesen, als es sich darum handelte, der corrupten Stadtverwaltung ein Ende zu machen. Sie werden auf ihrem Posten sein, wenn auch in höheren Regionen die Reinigung nöthig werden sollte.“
Ja, die Deutschen sind Idealpolitiker; sie sehen und suchen im Freistaat die höchste Vervollkommnung der Rechtsidee und darum hassen sie Unehrlichkeit im öffentlichen Leben. Welch hohen Rang übrigens Karl Schurz auch bei den ehrlichen Amerikanern einnimmt, darüber wollen wir die anglo-amerikanische Presse sprechen lassen. „Karl Schurz,“ sagt eines der bedeutendsten Blätter, „hat durch seine Rede (über den Waffenverkauf) ein [263] Interesse erregt und eine Zuhörerschaft angezogen, wie dies in der neueren Geschichte der Senatsverhandlungen beinahe ohne Beispiel ist. Der Schwarm von Diplomaten, von Mitgliedern des anderen Hauses, von hohen Beamten und Würdeträgern, – die Damen nicht zu vergessen – welche die Galerien und die Halle des Senates während dieser meisterhaften Rede füllten, waren meist sowohl durch das Interesse an dem Gegenstande, als durch den Ruf herbeigezogen, den sich Karl Schurz als einer der tiefsten Denker, der kühnsten und vollendetsten Redner, dessen Stimme je in diesem Saale ertönte, erworben hat.“
Der Washingtoner Correspondent eines anderen Blattes beschreibt in anschaulichster Weise die Aufregung, die vor und während der Philippika im Saale geherrscht. Da sehen wir Kopf an Kopf in den Galerien gedrängt; wir sehen, wie der Saal sich füllt, bis auch der letzte freie Raum besetzt ist. Der Vicepräsident verläßt seinen Sessel und nimmt in der unmittelbarsten Nähe des Redners Platz; der Präsident sendet seinen Privatsecretär, den General Porter, um sofort den Inhalt der Rede und den von ihr gemachten Eindruck zu erfahren; die Gegner, welche heute ihre Antwort erhalten sollen, sind von nervöser Unruhe gepeinigt; und unterdessen sitzt der Held des Tages, ruhig in seinen Sessel zurückgelehnt, und wartet der Eröffnung der Sitzung. Es ist dasselbe Gesicht mit den markirten Zügen, mit den braunen, dunklen Augen, es ist dasselbe dunkelblonde Haar, welches uns Moritz Wiggers in der „Gartenlaube“ geschildert hat, und welches jetzt ein amerikanischer Berichterstatter zeichnet. Da sitzt er in einfachem blauen Rock und grauer Hose, eine schmale schwarze Halsbinde um den umgelegten Kragen geschlungen; doch jetzt erhebt er sich – der Vorsitzende hat dem Senator von Missouri das Wort gegeben und in tiefster Stille lauscht Jedermann den Körper vorgebeugt, dem klaren, eindringenden, scharf logisch geordneten Vortrag, der oft – eine seltene Erscheinung in den ehrwürdigen Hallen des Senates – von Beifallsbezeigungen unterbrochen wird.
„Beim Himmel!“ flüstert ein Zuhörer dem Correspondenten in das Ohr, „ist dies nicht das Ideal eines echten Mannes, der auf dem Wege zur Erreichung des höchsten Ruhms wandelt? Und wie sie ihn hassen, die Corrupten, und wie das Volk an ihm hängt! Und doch hat er auch nicht die Spur von einem Demagogen an sich!“
Nein! wenn er nur ein Demagoge wäre, würde er gewiß die Deutschen nicht täuschen. Bei diesen liegt seine Stärke nicht in seiner Beredsamkeit, sondern in seinem ehrlichen Charakter. Der feste Charakter und die männliche Entschlossenheit, welche Moritz Wiggers am Morgen des 8. November 1850 aus diesen Gesichtszügen herausgelesen, haben sich bewährt und ihn auch jetzt wieder auf die Seite des Rechtes gestellt. Möglich, daß ihm in der Zukunft der Dornenkranz des Märtyrerthums winkt. Karl Schurz weiß dies; denn er weiß, daß Republiken undankbar sind.[1]
- ↑ Pierce, der Washingtoner Correspondent der „New-Orleans-Times“, bringt eine enthusiastische Darstellung der obenerwähnten großen Rede von Karl Schurz und schließt mit folgendem Bericht über das Weib des großen Redners und Staatsmannes. Er sagt: „Ich war zufällig Zeuge einer kleinen Scene häuslichen Glücks, welche für mich äußerst rührend war. Frau Schurz, die Frau des Senators, ist eine der schönsten und gebildetsten Frauen von Washington. Ihre Erfahrungen im gesellschaftlichen Leben haben ihr liebliches deutsches Wesen, welches so zart und natürlich ist wie das eines Kindes, in keiner Weise beeinträchtigt. – Sie hatte, wie ich später erfuhr, den Angriff des Senator Conkling gegen ihren Mann gelesen, und nach Frauenart hielt sie denselben für sehr gefährlich und ganz unwiderlegbar. Am Dienstag, als der Senator Schurz seine Entgegnungsrede hielt, befand sie sich in der höchsten Aufregung und eilte endlich, unfähig sich noch länger zu beherrschen um drei Uhr nach dem Capitol. Sie glaubte, um diese Zeit würde er zu Ende und alles Gute oder Schlimme nun vorüber sein. Am ersten Eingange traf sie den Thürsteher, horchend den Kopf nach der Seite gewandt. Sie frug nach ihrem Gatten. ‚O Madame,‘ rief der Mann, ‚er hält eine so herrliche Rede! Kommen Sie herein, die Damen sind alle im Saal.‘ Sie zögerte; ein Page eilte hinein und rief den Senator Sumner heraus. ‚Bitte, treten Sie ein,‘ bat der Massachusetts-Redner, ‚und hören Sie Ihren Gemahl in dem größten Erfolg, den jemals menschliche Lippen hervorgebracht.‘ Der Einladung Folge leistend, ließ sie sich durch die Menge nach einem Winkel geleiten, wo sie ihr Gesicht in den Händen barg und der theuren Stimme lauschte – ihrer Vertheidigung und ihrem ernsten Aufrufe an das amerikanische Volk zur Gerechtigkeit gegen uns selbst und zur Reinhaltung unserer Institutionen, während das unermeßliche Auditorium durch tiefe Stille oder stürmischen Beifall antwortete. Als die Stimme schwieg und sie endlich aufblickte, waren ihre Augen feucht von Thränen. Nach Frauenart hatte sie ihr Herz durch Weinen erleichtert.“
Anmerkungen (Wikisource)
- ↑ Vorlage: dreiunddreißig, siehe Berichtigung in Heft 18