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Der Bardowiker und Zippelweiber Gerechtsame

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Textdaten
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Autor: Otto Beneke
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Titel: Der Bardowiker und Zippelweiber Gerechtsame
Untertitel:
aus: Hamburgische Geschichten und Sagen, S. 45–49
Herausgeber:
Auflage: 2. unveränderte Auflage
Entstehungsdatum:
Erscheinungsdatum: 1854
Verlag: Perthes-Besser & Mauke
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Erscheinungsort: Hamburg
Übersetzer:
Originaltitel:
Originalsubtitel:
Originalherkunft:
Quelle: Google, Commons
Kurzbeschreibung:
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[45]
18. Der Bardowiker und Zippelweiber Gerechtsame.
(1189.)

Als Ao. 1189 Heinrich der Löwe, Herzog von ganz Sachsen, die alte und große Stadt Bardowik lange Zeit erfolglos belagert und eben zwei Tage lang vergeblich gestürmt hatte, da verirrte sich ein Stier ins Lager, von dem erkundet wurde, daß er der Stadt-Bulle von Bardowik sei. Hierauf wurde nun ein Anschlag, in die wohlverwahrte Stadt zu kommen, gegründet; man ließ den Bullen frei gehen und folgte seiner Spur. Er sah sich auch kaum ungehindert, als er der Heimath zutrabte, die Wälle und Gräben umging, bis zu einer ihm wohlbekannten seichten Stelle, die er durchwatete, und dann durch zerbröckeltes Mauergestein einen schmalen Weg [46] in die Stadt fand. Da dies erkundschaftet war, ließ Herzog Heinrich zum Sturm blasen, erstieg an jener Stelle den Wall und eroberte also Bardowik; und da er einen grimmen Zorn gegen die so lange aufsätzige Stadt hatte, so zerstörte er sie völlig und ließ kaum einen Stein auf dem andern. Denn bis auf den Dom wurden die übrigen neun Kirchen der Stadt und alle Häuser niedergebrannt, und auf den Trümmerhaufen schrieb der Herzog die Worte „vestigia Leonis,“ des Löwen Spuren!

Es heißt aber, Herzog Heinrich wäre deshalb so ergrimmt auf die Stadt gewesen, weil die Bardowikerinnen ihm höchst despectirlich begegnet seien, als er vor den Thoren gestanden. Da sollen sie ihm nämlich nicht ihre beste Seite gezeigt haben, sondern den Rücken und was darunter sitzt, über welche unmanierliche und unehrbare Verspottung der Herzog sich denn so sehr entrüstet habe. Dies bezeugt ein alter Niedersächsischer Chronist, der auch Ehrbare Rathsherren an jener häßlichen Verunglimpfung theilnehmen läßt, und hinzufügt : „da dat de Hertog sach, da word he erst grimmig als en Leu.“

Die Bardowiker haben sich von diesem Unglück und einer nochmaligen Einäscherung 200 Jahre später nie wieder zur Höhe einer Stadt erheben können, und sind beim Dorf oder Flecken stehen geblieben; einen Dom und ein Stift giebt’s noch da und viele alte Erinnerungen, z. B. städtische Straßennamen da, wo’s jetzt nur Feldwege zwischen den Aeckern und Gemüsegärten giebt u. dergl. Und gleich nach der Zerstörung haben sie sich in die Zeit geschickt, Handel und städtische Nahrung aus dem Sinn geschlagen, und sich stark auf den Gemüsebau verlegt, Zwiebeln (Zippollen oder Zippeln, wie sie sagen), und „junge gehle Wörteln, gröne Petersilje und Kopp-Salat“ u. dergl., und dabei haben sie ihr Absehen auf das emporblühende Hamburg gehabt.

[47] Und vorerst haben sie die vielen großen Granit-Quadersteine ihrer Mauern und Häuser, die ihnen nun nichts mehr nützten, an die Hamburger verkauft, die ihrer bedurften, und damit ihre Felsen-Vorsetzen längs des Elbarmes oder Flethes vom Oberbaum, am Winserthor, Dovenfleth, bei St. Catharinen vorbei, längs der Stadtmauer (bei den Mühren), Kayen, bis zum Niederbaum am Scharthor aufgebaut haben, wie man noch jetzt deutlich wahrnehmen kann, wenn man darnach suchen will.

Die Bardowiker haben dafür erhalten 300 [M.][1] Silbers und ein Haus unweit der St. Catharinen-Kirche, zur Lagerung ihrer Gemüse, und das Recht, daß solches Haus zu ewigen Tagen ihnen gegen mäßige Miethe überlassen und von Hamburg in gutem Stande unterhalten werden müsse. Und das Haus bekam von den Zwiebeln und anderen Gemüsen bald den natürlichen Namen Zippelhaus, und die ganze Gasse nannte sich wieder darnach, und die schönen Bardowikerinnen, schlanke schüchterne Geschöpfe, mit rothen Tüchern um den Kopf, die ihr Gemüse so zierlich auf demselben zu tragen verstehen und dabei in gar melancholischer Melodei (als klänge eine Klage über Ilion’s Untergang darin nach) ihre Waaren ausrufen, die wurden natürlich Zippelweiber genannt.

Ao. 1604 schickte der Rath zu Bardowik Gesandte hieher, um wegen des Hauses einen neuen Vertrag mit der Kammer zu machen, wonach diese dafür 110 [M.] Crt. jährlich Miethzins bekommt; und schon 1535 war das älteste Zippelhaus durch ein anderes ersetzt, und 1674 baute man wieder ein neues, und vor etwa 30 Jahren ist es stark reparirt. Aber die Kämmerei bauet den armen Bardowikern jdesmal nur ein ganz schlechtes, scheunenartiges Haus, und das steht doch (am Fleth) auf den mächtigen Quadersteinen ihrer eigenen vormaligen Mauern, so daß sie daselbst auf ihren Trümmern [48] sitzen und immer der alten Herrlichkeit gedenken müssen. Nächstes Mal, wenn wieder ein neues Zippelhaus gebaut wird, dann möge die Kammer ein Uebriges thun und ein stattliches Gebäu hinsetzen, dessen Bauart an die Geschichte erinnert, mit allerhand Symbolen und Emblemen.

Aber einen Bullenkopf dürfte man dabei nicht anbringen, sonst ginge kein Zippelweib oder -Mädchen in das Haus. Denn dem Stadtbullen von 1189, der durch seine grenzenlose Dummheit die Stadt verrathen und alles Unheil seitdem verursacht hat, dem haben’s Enkel und Urenkel und alle Nachkommen bis auf den heutigen Tag nicht vergessen und tragen’s ihm nach, und wenn man sie an die alte Geschichte erinnert und neckweise sich nach des Bullen Befinden erkundigt, so werden die sonst so sanften stillen Frauen zornig und boshaft und ihr weißes Antlitz wird krebsroth und ihr gutmüthiger Mund schleudert arge Scheltworte.

Was wußten wir zehnjährigen Schuljungen von dieser Geschichte und ihrer Bewandtniß? Uns war nur zufällig zu Ohren gekommen das übliche Stichwort des Volkswitzes gegen die guten Bardowikerinnen; das mußten wir natürlich probiren! Ohne Ahnung von dem, was folgen würde, ganz freundlich und harmlos stellten wir uns vor die Frauen, die bei ihrer alten Scheuer saßen und fleißig das Suppenkraut pflückten und Sonstiges vorbereiteten zum morgigen Verkauf, und fagten leise: „Wat makt de Bull von Bardowik?“ Entweder hörten sie’s nicht, oder, weil wir guter Leute Kinder und nicht übel gekleidet schienen, so wollten sie’s nicht hören. Als wir dann aber, ganz dreist und keck, laut ausgerufen hatten den zündenden Spruch: „Wat makt de Bult von Bardowik?“ ach, welch einen Regen und Hagel von Krautstengeln, schlechten Zwiebeln, Kohlblättern und Salatköpfen warfen die erbos’ten zornrothen Frauen und Mädchen unter [49] einer Fluth von gerechten Schmähungen auf uns arme Jungen, die wir vor Schrecken wie erstarrt und versteinert vor ihnen standen, bis es uns in die Beine fuhr, daß wir ausrissen aus dem Bereich ihrer Wurfgeschosse.

Uebrigens geht noch immer die Sage: sobald im Zippelhause ein Kind geboren werde, das keinen Vater habe, dann falle das Haus an die Stadt zurück, und mit der ganzen Bardowiker Gerechtsame sei’s rein aus. Solch ein Unglück ist aber noch niemals vorgefallen.

Anmerkungen

[376] Schlüter, Tractat von den Erben 635. – Schlöpcke, Chronik von Bardowik 206. Hübbe, Hamb. Ausruf 33.

Anmerkungen (Wikisource)

  1. lübische Mark