Der Augur
Ein Augur begegnete einen andern Augur; des Einen Stirn war heiter; die Stirn des Andern lag in Falten und Runzeln.
„Warum runzelst du deine Stirn gegen mich? sprach der Eine; mich dünkt, wir kennen einander.“
Dörfen aber nicht, sprach der andre, von unsern Geheimnissen, wie wir sie kennen, hier sprechen: denn käme jemand dazu, wie bekäme ich sogleich mein Amtsgesicht wieder?
„Da thust du nicht unrecht, erwiederte jener; sonst aber weiß ich nicht, warum manchmal Amtsbrüder selbst gegen Amtsbrüder eine Geheimnißreiche, hohe Mine affectiren und damit auch die schrecken wollen, die doch eben so gut, wie sie wissen, was hinter dem Vorhange sei. So schwätzt der Antichrist vom Schreine des Herzens, der Despot von Allgewalt, der Sophist von seiner Allwissenheit, auch gegen Ihresgleichen, gegen Kunst- und Handwerksgenossen; wie wenn der Marionettenspieler seinen Mitgesellen hinter dem Vorhange, der die Dräte und Fäden seiner Maschiene sieht, bereden wollte, die hervorsprinden Puppen sprechen und leben.“
Freilich, sagte der andre, wüßte ich davon keine Ursache anzugeben, als die Gewohnheit; wir gewöhnen uns an den Betrug so gar bald, daß er uns in kurzem zur zweiten Natur wird.
Und euch zur Strafe dient, rief ein Dritter, der unversehends dazutrat. „Die andre hintergehen wollen, müssen zuletzt einander selbst schimpflich betrügen.“