Der Aetna und sein jüngster Ausbruch
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Der Aetna und sein jüngster Ausbruch.
Vesuv und Aetna sind jedem Schulkind als feuerspeiende Berge bekannt und jedermann weiß, was sie in ihrer Umgebung angerichtet haben oder noch anzurichten imstande sind, bis sie dahin kommen, wohin ihre zahlreichen italienischen Genossen bereits gekommen: zu verlöschen, zu erkalten.
Denn Vesuv und Aetna sind nicht die einzigen Vulkane Italiens, sie sind nur Glieder einer Kette, einer sehr langen Kette, die an der Südgrenze Toskanas beginnt und sich durch Mittelitalien, Unteritalien, Sicilien und die angrenzenden Meere bis nach Afrika hinüberzieht. Am toskanischen Subapennin, im Südwesten von Chiusi, erhebt sich zunächst der Drachytkegel des Monte Amiata, 1721 Meter hoch, somit der höchste Vulkan der italienischen Halbinsel, der, obschon erloschen, als Zeugen seiner in der Tiefe schlummernden Kräfte Gas- und warme Quellen um seinen Fuß her entspringen läßt. Vulkanisch auch ist das Gebiet von hier aus bis zu den Volskerbergen; als bedeutendstes vulkanisches Erhebungscentrum auf dieser Strecke ist der Ringwall zu nennen, welcher den See von Bolsena umschließt; der daran stoßende Montefiascone ist ein echter Krater.
Fortgesetzt wird die Kette dieser Vulkane unterhalb Roms im Albanergebirge, einem drei Stunden weiten Ringwall. Innerhalb dieses Walles steigt 954 Meter hoch der stattliche, geschichtlich berühmte Monte Cavo auf. Die Lavaströme, die von diesem Punkte ausgehen, übertreffen an Länge die aller anderen Vulkane: sie reichen bis fast vor die Thore Roms; einer davon fand sein Ende erst bei dem Grabmal der Cäcilia Metella auf der Via Appia, der andere vor der Porta S. Paolo. An das mittelitalienische Vulkangebiet schließt sich am Garigliano das campanische an: hier steht das Ringgebirge der Rocca Monfina, das einen Flächenraum von 56 Quadratkilometern bedeckt. Auch die der Rocca Monfina gegenüberliegenden Ponza-Inseln sind vulkanischen Ursprungs. Männiglich bekannt ist das vulkanisch-klassische Gebiet von Campanien, dessen Mittelpunkt der Vesuv bildet, vor dem als Hochwacht der berühmte Kraterberg des Monte Epomeo auf der Insel Ischia, 792 Meter hoch, steht, während in den phlegräischen Gefilden am Golfe von Bajä seine feurigen Vasallen sich scharen: 27 Krater, deren jüngster der erst vor 360 Jahren aus dem Boden gewachaene Monte Nuovo ist.
Das italienische Endglied unserer Vulkankette ist, über die Gruppe der im Feuer gebildeten Liparischen Inseln hinweg – kleine und kleinste Krater und unterseeische vulkanische Erhebungsversuche – der gewaltige Aetna, in dem die unterirdischen titanischen Mächte ihr hervorragendstes Werk vollbracht haben: er ist der höchste Berg Italiens, der größte Vulkan Europas und einer der höchste auf der ganzen Erde. Von allen Seiten frei, so daß ihn das Auge vom Schiffe aus mit einem Blicke erfassen kann, steigt er zu einer Höhe von 3313 Metern auf und zwar auf eigenen Füßen, auf einem Grunde stehend, den er sich durch Aufschüttung seiner eigenen Materialien erbaut hat; denn ein Vulkan ist nicht ein Berg, der Feuer, sondern ein Feuer, das einen Berg ausspeit, wie es bei der Aetnaeruption von 1886 und bei der jüngsten zu sehen war, wo wie von gigantischen Maulwürfen gehoben, neue Kraterberge aufstiegen. Zahllos sind schon die Erhebungen aus alten Zeiten: wie Ameisenhaufen erscheinen uns die Nebenkrater, welche die Seiten des Berges bedecken, darunter über 200 getaufte, d. h. mit Namen bezeichnete.
Der Aetna hat in seiner Riesenhaftigkeit nur einen Nebenbuhler: den Kljutschew auf der Halbinsel Kamtschatka, der 1500 Meter höher ragt als er, während der Vesuv, ein Pygmäe gegen den sicilianischen Genossen, mit seinen 1282 Metern nur wenig über ein Drittel des Aetnamaßes hinaussteigt. So thront auch das k. Observatorium des Aetna mit der „Casa Etnea“ hoch über allen Erdenwohnungen Europas: es liegt 2942 Meter über dem Meere, während das Hospiz des St. Gotthard schon bei 2075 Metern zurückbleibt; das k. Observatorium am Vesuv liegt nur 676 Meter hoch.
Aber die Hänge des Aetna haben eine sehr schwache Neigung, nur 7-8°, der steile, rasch aus dem Meere aufsteigende Vesuv imponiert darum manchem mehr. Die Lavaströme dieses Berges überschreiten nicht 13 Kilometer, die des Aetna erreichen eine Länge von 56 Kilometern und sind oft von gewaltiger Breite und Höhe. Und dann – das Aetnagebiet, wie gewaltig! Es faßt achtmal das Fürstenthnm Liechtenstein und deckt bequem den Boden von Reuß älterer und jüngerer Linie zusammengenommen.
Noch etwas anderes verleiht dem Aetna die Großartigkeit, seinem Wesen eine wirkliche Eigenart: es ist die große Zahl jener schon erwähnten Kegel zweiter und dritter Ordnung, die wir über seine Hänge ausgesäet finden und die nichts anderes sind als erloschene Vulkane, Neben- oder parasitische Krater, seine Kinder, die er in verschiedenen prähistorischen, historischen und allerjüngsten Zeiten und so auch jetzt wieder aus seinem Schoße geboren. Die Entstehung derselben ist ungefähr so zu denken, daß die im Innern des Berges aufsteigende Lava nicht mehr die Kraft hatte, die Höhe des Hauptkraters zu erreichen, und nunmehr einen gewaltigen Druck auf die Wände ihres Kamins, die Flanken des Berges, ausübte, bis diese barsten und um die derart entstandenen Sprenglöcher sich neue Auswurfkegel bildeten.
Verschiedee dieser Nebenkrater sind schon wieder bebaut, viele hat vorläufig der goldblühende Ginster bedeckt; andere liegen entweder oberhalb der kulturfähigen Zone oder sind noch zu neu und darum schwarz und nackt. Es giebt ganz bedeutende Höhen darunter; die bedeutendsten sind auf dem Gebiet von Belpasso und Nicolosi, auf dem sich auch der jüngste Ausbruch vollzog: der Monte Vituri, 1772 Meter über M.; Monte Nero 1778 Meter; Monte Serrapizzuta 1700 Meter, Monte Boccarelle di Fuoco 2033 Meter; Monte Castellazzo 2200 Meter; Monte Montagnola 2842 Meter; dann Monte Nocillo, Monte Nicolo, Monte Peluso, Monte S. Lea; alle finden sich auf der Linie, die vom Hauptkrater im Norden nach Nicolosi im Süden läuft, auf der denn auch die Hauptausbrüche stattgefunden haben.
Das ganze weite Land um den Aetna her, der Campus Aeataeus, dessen ungeheuere Obstfülle schon Ovid preist, ist die fruchtreichste Gegend nicht nur Siciliens, sondern ganz Italiens. Alle Gewächse, welche die gesammte südliche Mittelmeerzone charakterisieren, die köstlichen Südfrüchte in hundert Spielarten, Reben, die den feurigsten Wein liefern, Dattelpalmen, Opuntienkaktus und Agaven, japanische Mispeln, Mandeln, Oliven, Myrten, Feigen- und Johannisbrotbäume, alle gedeihen sie hier auf diesem vulkanischen Boden aufs herrlichste. Alles Land besteht aus Weinbergen und Obstgärten, Weizen- und Baumwollenfeldern.
Bis hoch hinan an den Berg, bis über 1300 Meter zieht sich die „Regione coltivata“, die bebaute Region, der noch alle Fruchtarteu angehören, die aber hauptsächlich von der Rebe [572] erobert ward. 36 000 Hektar des Aetnabodens gehören der Rebe, und immer höher dringt sie in die zerbröckelte Lava und in die Flugasche hinein.
Der Boden ist unerschöpflich, seine Bewohner aber sind zäh und von eisernem Fleiße. Die Aetnabevölkerung wird gegenwärtig auf etwa 330 000 Seelen berechnet, die sich auf neununddreißig Gemeinden in fünfundsechzig Wohnorten vertheilen. Und so giebt es denn in der Welt keinen Berg, um den, im Verhältniß zu seiner Oberfläche, eine so dichte Bevölkerung gefunden wird.
Und sie bleibt trotz der viele Jahrhunderte alten Erfahrungen, die sie mit dem Dämon der Tiefe, der länderfressenden Lava gemacht hat und noch viele Jahrhunderte machen wird.
Die Aetnaausbrüche!
Der erste geschichtlich nachweisbare fand 476 v. Chr., der letzte vom 20. Mai bis 2. Juni des Jahres 1886 statt. In jedem Jahrhundert werden mehrere verzeichnet, so beispielsweise im 14. aus den Jahren 1329, 1333, 1381, dann im 15. aus den Jahren 1408, 1444, 1446, 1447. Von 1447 bis 1536 machte er eine große Pause, um sich zu sammeln; dann öffnete sich die Mittagsseite des Berges, und er gebar zwölf neue Krater, zwölf Ungethüme gleich dem Vater. Der fürchterlichste Ausbruch aber war der vom Jahre 1669. Seine Schrecken sind durch mündliche Ueberlieferung auf das heutige Geschlecht überkommen, seine Spuren werden nach vielen Jahrhunderten noch unverwischt sein. Der vernichtende Lavastrom entsprang dem Boden, auf dem heute die Monti Rossi stehen, er drang in einer Breite von vier Kilometern über die Ortschaften Belpasso, Mascalucia, Gravina, Nicolosi, S. Giovanni di Galermo herein, bis hinab in die Felder und Gärten von Catania, dessen Südwestseite er gänzlich zerstörte.
Ein Frescobild aus demselben Jahre im Dome von Catania versucht, diesen schrecklichsten aller Ausbrüche darzustellen. Die Einwohnerschaft flüchtete.
Die Jahre 1702, 1727, 1732, 1735, 1747, 1755, 1766, 1780, 1783, 1787, 1792 sind wiederum Eruptionsjahre.
Und in unserem Jahrhundert fanden Ausbrüche statt 1811 und 1812, 1832, 1838, 1843, 1852 und 1865, welch letzterer mit sieben Thätigkeitsherden und einem vierzehn Kilometer langen Lavastrom, der fast zehn Millionen Kubikmeter Lavamasse absetzte, auftrat. 1866 bildeten sich sechzehn neue kleine Krater. Der Ausbruch von 1874 hatte nach der Meinung aller Aetnakenner nur den Boden für spätere Eruptionen vorbereitet, und da die von 1879 und die von 1883 auch nicht zur vollen Entwicklung kamen, so mußte Professor Silvestri, der Direktor des Aetnaobservatoriums, als Unglücksprophet auftreten und verkünden, daß die bedeutendere Explosion noch ausstehe.
Diese fand vom 20. Mai bis 2. Juni 1886 statt. Der Auswurf war beträchtlich: in zwei Tagen hatte die Lava 21/2 Quadratkilometer bedeckt, sie rückte gegen 18 Meter in der Stunde vor, überdeckte und zerstörte zahlreiche Wein- und Fruchtgärten; Nicolosi mußte geräumt werden … aber am 4. Juni nachts stand der Strom, kalt, starr, schwarz, mit hochgehobener Stirn, 300 Meter über dem Orte.
Der jetzige Ausbruch ward eingeleitet durch ziemlich heftige Erdstöße, die sich am 9. Juli in den Gemeinden Zaffarana, Nicolosi, Giarre, Mascali bemerkbar machten und die erschreckten Einwohner aus den Häusern trieben. Diese Erdstöße waren jedoch nicht die ersten Anzeichen vom Erwachen des Aetna. Heftige Erdbeben hatten das Vorgebirge Gargano auf der Ostküste der italienischen Halbinsel vom 20. April bis 22. Jubi d. J. heimgesucht und waren dann auf der von hier gerade nach dem Aetna führenden Linie durch Apulien gezogen, wo sie sämmtliche Seismographen (Erschütterungsmesser) der apulischen Observatorien in fortgesetzter Bewegung erhielten, bis sie am 7. Juli mit heftigen Erdstößen zu Canosa am alten Vulkan Vultur für die Halbinsel abschlossen, um auf Sicilien sich fortzusetzen.
[573] Am 9. Juli zählte man von Mitternacht bis 6 Uhr abends elf Erdstöße allein in Catania, und der Hauptkrater des Berges, von den Leuten hier Mongibello genannnt, sandte eine Riesenwolke von Rauch und Asche hoch in den klaren Himmel hinein, die sich blitzend und grollend über Catania herüberwälzte. Der Hauptkrater jedoch hatte wie der zürnende Jupiter nur die Locken geschüttelt, die eigentliche Zerstörungsarbeit überließ er den Titanen zu seinen Füßen. Unter entsetzlichem Donnern und Beben der Erdrinde öffneten sich hinter dem Monte Nero, am Südhange des Berges, nur wenig nördlich von der Ausgangsquelle der Lava von 1886, fünf neue Feuerschlünde, deren Lava in gabelförmig getheiltem Strome sich sofort heftig in der Richtung von Belpasso, Nicolosi und Pedara ergoß. Der westliche Arm überspringt das Thal von Rinazzo, der östliche erreicht bald die Höhe des Monte Albano; beide umgehen die Monti Nero, Gemmelli, Grosso und drohen unterhalb dieser sich zu vereinigen. Vom 9. auf den 10. hat der feurige Strom bereits zehn Kilometer zurückgelegt und befindet sich nur noch 6 Kilometer von Nicolosi. Glücklicherweise fließt dieser Oststrom bald bedeutend langsamer, denn er ist auf die Lavaberge von 1886 gerathen und muß dieses Hinderniß überwinden. Die Bevölkerung von Nicolosi, in höchster Aufregung, ruft in einem Hochamt alle Heiligen an, knieend auf dem Platze vor dem Dome, das Innere aus Furcht vor einem plötzlichen Erdbeben meidend. Das arme gläubige Volk steckt neben den von der Lava am meisten bedrohten Gärten und Weinbergen an langen Stangen Heiligenbilder aus. Schon aber sind die Kastanienwaldungen des Herzogs von Ferrandina niedergebrannt und mehrere Vignen, in denen die Trauben sich schon gefärbt hatten, verwüstet.
Die Feuerschlünde werfen indeß nicht bloß Lava, sondern unter fortgesetztem donnernden Gebrüll, das an das Dröhnen schweren Belagerungsgeschützes erinnert, auch gewaltige schwarze Blöcke, Lapilli, Sand und Asche aus, oft bis zur Höhe von mehreren hundert Metern. Zur Nacht ist das höllische Flammenspiel überwältigend, entsetzlich erhaben. Monte Nero und Monte Grosso erscheinen wie glühend, der Monte Gemmelli schwimmt inmitten eines Feuersees, der Himmel ist wie von blutigem Nordlichtschein bis in den Horizont hinein geröthet. Tausende von Zuschauern aus Catania und den umliegenden Ortschaften säumen die Hänge der ungefährdeten Höhen, erschüttert von der mächtigen Größe der entfesselten Gewalten, denen keine Macht der Erde einen Damm entgegensetzen kann. Die Erde bebt, neue Feuermassen schießen in die Nacht empor, dazwischen knattert’s und knistert’s wie Kleingewehr- und Mitrailleusenfeuer in den Wäldern und Weinbergen, und in den Dörfern fließen die Thränen und packen die so plötzlich Verarmten ihr Bündel. Aengstlich mißt man, meterweise, die Fortschritte der Lava. Heute verlangsamt sie ihren Lauf und die Hoffnung jubelt; morgen aber holt sie das Versäumte nach und die Verzweiflung packt die Herzen aufs neue. ...
Das war das schauerlich erhabene Schauspiel, welches der unheimliche Berg in den heißen Julitagen des Jahres 1892 darbot. Und noch in dem Augenblick, da diese Zeilen zum Drucke gehen, weiß man nicht sicher, welches das Ende sein wird. Wohl schien sich zu Ende des Monats die Kraft des Ausbruchs zu erschöpfen, aber immer noch warfen die Krater von Zeit zu Zeit Steine und Lava aus und vulkanischer Sand- und Aschenregen ging wiederholt bis Catania nieder. Hoffen wir, daß, bis diese Schilderung in die Hände der Leser gelangt, alle Gefahr verschwunden sei und die unglücklichen Bewohner wieder aufathmen können nach den schweren Wochen der Angst und des Schreckens! Woldemar Kaden.