Der 3. Glaubensartikel/Jer. 17, 5–8. Ich glaube die Gemeinde der Heiligen
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Ich glaube eine heilige christliche Kirche, die
Gemeinde der Heiligen.
Ich glaube, trotz aller Teilung, eine Kirche und glaube, daß meine Kirche zwar noch nicht die Kirche der Vollendung ist, aber die Kirche der Vollendung werden wird. Ich glaube nicht, daß einmal Rom alle um sich und seinen Hirtenstab versammeln wird, ich glaube vielmehr, daß meine Kirche, die nicht herrschen, sondern dienen, nicht befehlen, sondern trösten, nichts im Glanze darstellen, sondern im Glauben hoffen will, alle einmal zu sich ziehen wird, welche Jesu Christi Erscheinung lieb haben.“ (2. Tim. 4, 8.)
Ich glaube eine und ich glaube eine heilige Kirche. Diese glaube ich, obwohl ich weiß, daß es zwei Sätze gibt: Die Kirche kann nicht sündigen, die Kirche kann sündigen. Die Kirche kann nicht sündigen, soweit und sofern sie sich ganz von Jesu tragen läßt, wenn sie Sein Wort recht auslegt, Seine Sakramente recht gebraucht und Ihm nachfolgt bis in den Tod. Sie kann sündigen und irren, weil sie aus fehlsamen Menschen besteht; sie hat geirrt, als sie die Ketzer verfolgte und verbrannte, als sie die Glaubenssätze mit Gewalt und äußerlichem Zwang durchsetzen wollte; sie hat geirrt, als sie die Pflicht der äußeren Mission so lange vernachlässigte, und irrt jetzt, da sie, wie ich glaube, die Pflicht der Mission nicht recht erfüllt. Sie hat tausendmal geirrt; auf dem Stuhle Mosis saßen Pharisäer (Matth. 23, 2). Unser Amt hat| der Kirche viel Schaden gebracht, unser persönliches Leben hat die Kirche in große Not versetzt; es ist ein großes Leid, daß es so viele falsche Hirten gibt und so viele rechtgläubige Hirten ohne rechten Glauben.Aber, obwohl die Kirche geirrt hat, irrt und irren wird, glaube ich doch eine heilige Kirche. Seht, wenn in unserer Kirche irgendeine Versammlung zusammentritt, irgend eine, so ist dabei doch stets der erste Ton der Ton der Buße. Wie der erste der 95 Sätze mit den Worten anhebt: „Da unser Herr Christus spricht: ,Tut Buße‘, will Er, daß das ganze Leben der Gläubigen Buße sein soll,“ so geht durch unsere Kirche immer wieder der Bußton: „An Dir habe ich gesündigt und Dich habe ich beleidigt und an Dir habe ich gefehlt.“ ....
Und wo Buße ist, da tritt auch die Heiligung ein. Wenn unsere Kirche eine satte und sichere Kirche wäre, die nicht mehr sich richtet und verklagt, nur auf ihre eigene Ehre bedacht ist und nur von ihrem eigenen Ruhm trunken, dann wäre sie die Kirche und Gemeinde des Satans.
Aber so lange – wer weiß, wie lange noch – so lange noch der Bußton herrscht für alle Untreue und alle Versäumnis, so lange ein Geistlicher über die Seelen weint und klagt, die durch seine Schuld den rechten Weg verloren haben, und an die denkt, denen er nicht treulich nachgegangen ist, so lange ist die Kirche trotz ihrer Fehler und Gebrechen, ihrer Schatten und Schäden, eine heilige Kirche. Ihr dürft nur nicht heilig mit vollkommen verwechseln. Ich weiß wohl, es gibt eine Richtung in der Kirche – Gott bewahre uns davor – welche eine Vollkommenheit hier auf Erden lehrt und behauptet, daß man es schon auf dieser Welt zu einer solchen Heiligkeit bringen könne, daß man die fünfte Bitte des Vaterunsers nicht mehr zu beten braucht. Das ist nur ein Zeichen von Oberflächlichkeit; denn: „Wer kann merken, wie oft er fehlet?“ (Ps. 19, 13.) Und je mehr wir in uns| hineinblicken und nicht trunken an uns und auf uns das Auge heften, desto mehr werden wir unsere Fehler gewahren. Wenn du also eine Kirche ohne Flecken willst, eine Kirche, die keine Schatten und Schäden hat, eine Kirche von lauter Heiligen, so suche sie droben, wo man nicht mehr sündigen kann, in der Gemeinde der Vollendeten. Hier auf Erden aber ist es ein Fallen und Aufstehen, ein Ausgleiten und Sichanhalten, ein Wollen und Nichtvollbringen, ein Vollbringen des, was man nicht soll, ein Widerstreit zwischen Wollen, Können und Sollen; hier auf Erden ist die Kirche keine vollkommene. Wohl ihr, wenn sie nach Vollendung strebt!Ich glaube eine, heilige, apostolische, alles umfassende Kirche. So groß auch die Zersplitterung und Spaltung, das Mißverständnis, noch geht durch alle Kirchen eine Klage und diese eine Klage heißt: Kyrie eleison –; diese Klage hört ihr in den eisigen Gefilden des Nordens ebenso, wie in denen Spaniens; diese Klage vernehmt ihr im Osten Sibiriens, wie in den entlegensten Gegenden Amerikas. Sie ist eine allgemeine Kirche; denn sie ist eins in der Klage: Herr, erbarme Dich! und ist eins in der Bitte: Hosianna – hilf uns doch! Schau auf uns, wie wir kämpfen müssen! denke an uns, wie wir daniederliegen!
Dieses eine Wort! Denkt euch, ihr kommt in eine ganz fremde Kirche, alles ist euch so unbekannt; auf einmal hört ihr ein brausendes Hosianna vom Chor herunterschallen oder ihr vernehmt die Stimme des Priesters, der Hosianna betet, und in der Stunde trittst du völlig in die Allgemeinheit deiner Kirche ein und rufest in deinem Herzen: auch ich bete: Herr, gedenke an mich!
Und wenn nun das Halleluja erschallt: „Lobe den Herrn, meine Seele, und vergiß nicht, was Er dir Gutes getan hat!“ (Ps. 103, 2.) Seht, das ist Allgemeinheit meiner Kirche, die durch das gnadenvolle Amen: So soll es geschehen! bekräftigt wird. Und diese Kirche ist ewig bleibend; denn ich glaube, daß die eine, heilige, apostolische, allgemeine Kirche die Gewißheit hat, daß sie ewig ist. Denn die Kirche hat nach dem schönen Wort unserer Väter zwei große Chöre – den Chor der Wandersleute und den Chor der seligen Leute. In dem Chor der Wandersleute sagen wir: „Siehe, wir gehen hinauf nach Jerusalem!“ (Luc. 18, 31.) Wir stehen noch vor der Türe. – Noch vor wenigen Tagen weilten| noch unter uns solche, die nun schon hinter die Türe eingetreten sind und nun Freude und Wonne haben.Es ist nur eine Minute, die den Chor der Wanderer von dem Chor der seligen Bekenner trennt. Es ist nur eine kurze Stunde, und der Vorhang, welcher dort und hier, die Zeit des Werdens und die Zeit des Gewordenseins voneinander scheidet, ist gehoben, man ist daheim. Aber die Kirche, die mich hier auf Erden bis in die Todesstunde geleitet hat, werde ich auch droben wieder treffen, wenn der Tod vorüber ist, nur nicht mehr als eine Kirche der Hoffenden, sondern als eine Kirche der siegreich Triumphierenden, nicht mehr als eine Kirche der Glaubenden, sondern als eine Kirche der Schauenden, nicht mehr als eine Kirche der Wanderer, sondern der Heimatsleute. Diese Kirche wird ewig bleiben oder, daß ich’s genau sage: Während hier auf Erden die Kirche doch noch ein recht unzureichend Gefäß für das Reich Gottes ist, wird droben das Reich Gottes und die Kirche eins und ebenbürtig sein, das Gefäß wird vom Inhalt ganz erfüllt sein, und der Inhalt das Gefäß überklären und überglänzen, sie werden ganz eins sein. Hier auf Erden ist die Kirche im Streit und man spürt, wie sie den Reichsgottesgedanken nur mühsam beherbergt und darstellt. Droben aber wird es heißen: „Siehe da, die Hütte Gottes bei den Menschen!“ (Off. 21, 3.) „Und Sein Glanz wird auf ihren Stirnen und Sein Name auf ihren Lippen sein. (Off. 3, 12.)“
Es ist doch etwas Großes, daß ich mit allen Heimgegangenen in einer fortwährenden Fühlung stehe, nicht in einer Verbindung, wie der Trug sie herstellt und die Lüge sie hervorzaubert, nicht in einer solchen Verbindung; denn die Heilige Schrift sagt: „Wer solches tut, der ist dem Herrn ein Greuel.“ (5. Mos. 18, 12.)
Nein, eine solche Verbindung kennen wir nicht. Aber eine Verbindung kennen wir, die weit näher ist als hier auf Erden, wo sich oft Leute, die sich ein- oder zweimal gesehen haben, nimmer| begegnen. Es ist dies eine Verbindung, wo man eins ist in dem Einen, die Verbindung von Glauben und Schauen. Es wäre ja trostlos über die Maßen, wenn ein geliebter Mensch in dem Augenblick, in dem er stirbt, einfach aus meinen Gedanken herausgerissen wäre; alles das, was ich an ihm gehabt, von ihm gelernt, mit ihm gelitten, von ihm erbeten, wiederum an ihm gefehlt habe, alles das wäre durch eine einzige Minute einfach ausgetilgt, und mein Leben wäre, nachdem eine Menge von Gedanken und Eindrücken hineinkam, verarmt. Das tut Gott nicht; sondern die Beziehungen, die vor Ihm bestehen, bleiben auch dann noch weiter. Denn ich glaube: Die Kirche wird ewig bleiben. Siehe, wenn du in einem Buche eines deiner Väter liesest, in dem Buche des seligen Thomas von Kempis, in seiner Nachfolge Christi, die nicht immer rein evangelisch ist, manchmal einen nicht lutherischen Zug aufweist, aber doch wunderbar ist, oder wenn du eines unserer herrlichen Lieder singst, so: „Laß mich Dein sein und bleiben,“ trittst du in die Gemeinschaft mit dem Dichter. So oft wir in der Passionszeit Paul Gerhardts herrlichen Choral: „O Haupt, voll Blut und Wunden“, singen, so tritt dieser Mann vor unser Auge, wie Bernhard von Clairvaux mit seinem Psalter auf den leidenden Herrn. Das ist die Gemeinschaft der Kirche, das ist der Katechismus, den meine Mutter nicht gelehrt, sondern gelernt hat, wie sie es von ihrer Mutter lernte; das ist die Biblische Geschichte, die meine Ureltern einst lasen und lernten, und ihre Seele genas. Und nun lerne ich sie und lehre sie den Kindern und trete so in die Gemeinschaft der Kirche. Das sind die alten Lieder und Gebete, – darum bin ich ein Gegner der so beliebten freien Gebete –, die man 300 Jahre nach Christi am Schwarzen Meere zum erstenmal betete. So oft ich das Gebet spreche: „Ich sage Dir Dank, Du wahres, ewiges Licht“ (Samenkörner des Gebets. Ein Taschenbüchlein für ev. Christen von W. Löhe. Buchhandl. d. Diak.-Anst.),| dringen und klingen Töne der alten Kirche zu uns herüber, das sind Gebete des Chrysostomus. So, wie wir jetzt von den Gebeten und Liedern unserer Väter, von ihrer Weisheit und Liebe leben, wie wir unter dem Schatten der Bäume wandeln, die andere gepflanzt haben, so glauben wir eine ewig bleibende Kirche. Was wird das einst für eine Größe an Seligkeit werden! Wie viel Seligkeit glaubt ihr nun schon zu bedürfen, bis ihr mit eueren Lieben, die vor euch hingegangen sind, die Gedanken über das austauscht, was sie selig, froh und heilig gemacht hat! Ich meine, wenn nur jeder Einzelne einmal in der oberen Heimat seine Sterbestunde den andern erzählt, wird’s schon eine unermeßliche Freude sein. Das Finale, der Ausgang des Berichtes wird immer sein: Ehre sei Gott in der Höhe!Wenn mir, was einem auf der Reise noch begegnen mag, jemand gegenübersitzt, ein neues Testament herauszieht und liest, mich ansieht und in meinen Augen die Gemeinschaft des Glaubens erschaut, wenn ich mitten im Weltgetriebe Menschen finde, die mit mir denselben teuren Glauben und dasselbe Hoffen überkommen haben, ist es Gemeinschaft der Heiligen. Ihr seht, der dritte Glaubensartikel führt in die allerinnerlichsten Beziehungen von Mensch zu Mensch ein. Der Mensch stirbt und lebt an seiner Umgebung. Er stirbt an seiner Umgebung, wenn sie von ihm nimmt. Er stirbt an der Umwelt, die er nur für sich will, und er lebt von der Umwelt, für die er sich gibt. Je mehr ein Mensch den Mut hat, Kraft und Zeit, Leben und Lebensfreude denen zu geben, die mit ihm auf dem Wege sind, desto mehr lebt er, indem er gibt, und desto mehr empfängt er, indem er lebt. Gott schenke euch und uns die Gemeinschaft am Heiligen, eine kraftvolle, lebensstarke Hoffnung, die Grab und Tod überdauert, eine ernstliche Bereitung auf die Tage, die uns nicht gefallen, ein herzliches Verlangen nach ewigen und bleibenden Gütern und lasse uns nie allein im Kampfe, allein in der Siegesfreude erfunden werden. Denn „einer trage des andern Last, so werdet ihr das Gesetz Christi erfüllen“ (Gal. 6, 2), des Herrn, der durch Seinen heiligen Geist eine heilige, apostolische, allgemeine, alles überdauernde Kirche gestiftet und mich würdig gemacht hat, in dieser Kirche zu dienen.
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