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Der „Brutus“ der Mediceer

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Autor: Isolde Kurz
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Titel: Der „Brutus“ der Mediceer
Untertitel:
aus: Die Gartenlaube, Heft 13, 14, S. 392–396, 443–450
Herausgeber: Adolf Kröner
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Erscheinungsdatum: 1898
Verlag: Ernst Keil’s Nachfolger G. m. b. H. in Leipzig
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Erscheinungsort: Leipzig
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Der „Brutus“ der Mediceer.[1]

Von Isolde Kurz.

Das Geschlecht Giovannis di Bicci, des Stammvaters der Mediceischen Familie, teilte sich in zwei Linien: die eine hochbegabte, die von dem alten Cosimo abstammte und zuerst ihre Vaterstadt beherrschte, und die jüngere, von dessen Bruder Lorenzo gegründete, die mit Cosimo I die erbliche Großherzogswürde empfing. Zwischen dem Niedergang der ersten und dem Aufgang der zweiten Linie liegt die blutige Tragödie jener Dreikönigsnacht, wo der grausame Alessandro de’ Medici unter dem Dolch seines Vetters Lorenzino endigte. Dieser Fürstenmörder, der, ohne es zu wollen, seiner eigenen bis dahin zurückgesetzten Linie zum Thron verhalf, ist ein seltsames Naturspiel, das nur der Entartung einer genialen Rasse entspringen konnte; ein Mittelding zwischen dem Helden, dem Verbrecher und dem Narren, gehört er zu den fragwürdigsten Charakteren der Geschichte, die immer aufs neue die Phantasie der Dichter reizen, das Interesse der Psychologen fordern.

Die beiden Päpste aus dem Hause Medici hatten sich das Ziel gesteckt, ihrer republikanischen Vaterstadt eine mediceische Dynastie aufzuzwingen, sie wollten für ihre Nepoten nicht die unter bürgerliche Formen versteckte Autorität, wie sie der alte Cosimo und Lorenzo Magnifico besessen hatten, sondern einen erblichen Fürstenthron.

Jedoch der Tod hatte in ihrer Linie aufgeräumt; als Clemens VII den Stuhl Sankt Peters bestieg, waren von seiner engeren Familie nur noch zwei blutjunge Bastardsöhne, Ippolito und Alessandro, übrig, auf die der Papst mit Uebergehung der rechtmäßigen Seitenlinie seine ganze Fürsorge häufte.

Aber nicht der schöne und liebenswürdige Ippolito, des Herzogs Giuliano Sohn und somit in gerader Linie Enkel des Lorenzo Magnifico, sollte die Dynastie begründen; diesem glänzenden Jüngling mit den soldatischen Neigungen wurde mit achtzehn Jahren von dem päpstlichen Oheim der Kardinalshut aufgedrungen, damit der bessere Platz seinem Liebling, dem zwei Jahre jüngeren Alessandro, offen blieb. Die Schwäche des Papstes für diesen klugen, aber häßlichen und mit rohen Instinkten zur Welt gekommenen Mulatten war so auffallend, daß man nicht anstand, ihn für Clemens’ eigenen Sohn zu halten; offiziell wurde jedoch die Vaterschaft Lorenzo dem Jüngeren, Herzog von Urbino, zugeschrieben. Das einzige, was über Alessandros Abkunft wirklich feststand, war, daß ihm eine Schwarze, die in Collevecchio unweit Rom mit einem Stallknecht des Hauses Medici verheiratet war, das Leben gegeben hatte.

[394] Um diesen Bastard auf den Thron zu setzen, hielt Clemens zehn Monate lang das unglückliche Florenz belagert, und Karl V mit seinen Spaniern und Deutschen that ihm Schergendienste, bis die florentinische Freiheit aus der Brust des eisernen Ferrucci zu Gavinana ihren letzten Atem verhaucht hatte und der Verräter Malatesta die edle Stadt geknebelt und verblutend den ruhmlosen Siegern zu Füßen legen konnte. An jenem Tage starb Florenz, um niemals mehr im Lauf der Geschichte aufzuerstehen; aber es hat mit dem letzten heroischen Verzweiflungskampf die Sünden vieler Jahrhunderte, seine Uneinigkeit, Verweichlichung und Entartung gut gemacht und der Welt ein glorreiches Beispiel hinterlassen, wie das Große untergeht.

Jetzt noch einen Vertragsbruch, eine Massenproskription mit Bluturteilen und Verbannungen – dann konnte der Bastard Alessandro als Herzog von Florenz und künftiger Eidam des Kaisers im Juli 1531 seinen Einzug halten.

Der neue Herr kam mit reinen Händen, denn die Kreaturen des Papstes hatten das Rachewerk für ihn besorgt. Ueber dreihundert der besten Bürger waren aus der Heimat vertrieben, viele andere hatten unter dem Beil geendet, und die Stadt, die schon durch die lange Kriegsnot und durch die Pest verwüstet war, lag in Friedhofsruhe. Handel und Gewerbe hatten aufgehört, die Finanzen waren verblutet, denn was der Krieg noch übrig gelassen hatte, das fraß nun die Kontribution; die kleinen Leute waren ohne Brot, die Großen in Trauer um ihre hingerichteten Familienhäupter, Ernten und Viehstand vernichtet; die herrlichen Villen und Landgüter vor der Stadt, die „Krautgärtchen der Florentiner“, wie sie Clemens spöttisch nannte, der geglaubt hatte, um ihretwillen würden seine Landsleute sich nie auf einen ernstlichen Widerstand einlassen, waren von den Bürgern selbst unter der Leitung Michelangelos während der Belagerung zu militärischen Zwecken rasiert worden.

Es wäre gar nicht nötig gewesen, mit so drakonischer Strenge bei der Entwaffnung der Bürger vorzugehen, wie Alessandro that, denn niemand dachte mehr an Widerstand. Dennoch wurden, als alle Waffen längst abgeliefert waren, die Häuser noch nach schneidenden Küchenwerkzeugen durchsucht, und sogar die ex voto in den Kirchen aufgehängten Messer mußten entfernt werden.

Zögernd kam damals Michelangelo aus seinem Versteck im Glockenturm von San Niccolò hervor und begab sich mit Widerstreben an seine Arbeit in der Sakristei von San Lorenzo, die Vollendung der Mediceergräber, die der Papst ihm mit Erlassung seiner politischen Sünden auferlegt hatte. Aber der Zorn des Künstlers in diesen Tagen der Schmach hat sich wie glühendes Erz in einen Vierzeiler ergossen, der so unvergänglich ist wie seine monumentalen Werke. Als einer der Strozzi, die zu dem mediceischen Kreis gehörten, unter die wunderbare Statue der Nacht in der Grabnische des Herzogs Giuliano die Verse angeheftet hatte:

„Die Nacht, die hier so hold der Schlaf umflicht,
Ist Marmor, doch ein Engel[2] gab ihr Leben.
Sie schläft und also lebt sie – glaubst du’s nicht,
Weck’ sie nur auf, sie wird dir Antwort geben –“,

ließ der furchtlose Meister seine Statue erwidern:

„Gut, daß ich schlafe und von Marmor bin,
Weil Schmach und Unheil meine Heimat trafen.
Nicht seh’n noch hören ist mir Hochgewinn,
Drum stör’ mich nicht, sprich leis und laß mich schlafen!“[3]

Damit nichts mehr an die alte Freiheit erinnere, wurde auch die große Glocke, die viele Jahrhunderte lang in Zeiten der Gefahr das Volk zusammengerufen hatte, vom Turm des Palazzo Vecchio herabgeholt und in Stücke geschlagen, zur Strafe, daß sie vier Jahre früher beim letzten Aufstand gegen die Medici dem jetzigen Herrn und seinem Vetter Ippolito ins Exil geläutet hatte.

Der kaiserliche Kommissär Alessandro Vitelli terrorisierte mit seinen Söldnern die Stadt, und die waffenlosen Bürger wichen auf Straßenweite aus, wenn nur der Schritt der Patrouille durch die engen Gassen ertönte. Ein Polizeichef, Ser Maurizio, den man aus Mailand verschrieben hatte, weil man keinem Einheimischen traute, verwaltete sein Amt mit so barbarischer Grausamkeit, daß, wer ihn mit seinen Sbirren auf der Straße nur von weitem sah, für den ganzen Tag nicht mehr froh wurde. Die Leibwache, die den Herzog mit ihren neumodischen, aus der Rüstkammer der Landsknechte stammenden Spießen überall begleitete, war den Florentinern vollends ein ganz ungewohnter Anblick und vermehrte den Schrecken. Dazu war das Aeußere des jungen Herzogs abstoßend: negerartiges Kraushaar und aufgeworfene sinnliche Lippen, aus denen brutale und cynische Reden gingen, ein polterndes Betragen – der Typus eines Gewaltherrschers und Usurpators.

Zwar fehlte es ihm zu Anfang seiner Regierung nicht ganz am guten Willen, bald aber rissen ihn die wilden Gelüste seines Negerbluts und das schrankenlose Machtbewußtsein hin; die Geschäfte langweilten ihn und wurden summarisch abgethan, roher Genuß ward sein einziger Lebenszweck, und er stürzte sich in maßlose Ausschweifungen. Daß die schönsten Edeldamen bei seinen Gelagen erscheinen und sich sein Wohlgefallen zur Ehre schätzen mußten, genügte ihm nicht; er brauchte die Gewalt zur Würze seiner Vergnügungen, darum brach er bei Nacht mit seinen Schergen in verschlossene Privathäuser ein, und mit besonderer Vorliebe machte er die Klöster zum Schauplatz seiner Gewaltthaten, wie er auch bei seinen Festen selber gern als Nonne verkleidet erschien.

Seine Vertrauten suchte er sich in der Hefe des Volks: zwei Verworfene, Giomo da Carpi und einen gewissen Unghero, erhob er zu seinen Kämmerern, und mit ihnen zog er des Nachts auf Abenteuer, wobei es selten ohne Blutvergießen abging und mitunter des Herzogs eigenes Leben in Gefahr kam. Fand man des Morgens eine Leiche auf der Straße, so wußte man, daß der Herzog sich in der Nacht belustigt hatte, und es wurde kein Aufhebens darüber gemacht. Ser Maurizio, dem man nachsagte, er wäre im stande, Johannes den Täufer[4] foltern zu lassen, wußte, wie man die Leute zum Schweigen bringt.

Wenn der Herzog durch die Straßen ritt, so saß fast immer ein kleines, mageres, finster blickendes Männchen in schlechter Kleidung hinter ihm auf dem Pferd, wie die „schwarze Sorge“, von der die Horazische Ode singt. Es war sein Verwandter und Günstling Lorenzino de’ Medici – das Diminutiv führte er in der Familie wegen seines schwächlichen Wuchses und weil er der Jüngste dieses Namens war –, das Volk aber nannte ihn Lorenzaccio, durch welche Endung die italienische Sprache etwas Niedriges und Verabscheuungswürdiges ausdrückt. Ihm schrieb man den Hauptanteil an des Herzogs Missethaten zu; man erzählte sich, daß er den Despoten aufhetzte gegen sein Volk, daß er ihm zutrug, was in der Stadt über ihn geredet wurde, daß er unzüchtige Lieder und Komödien zu des Herzogs Vergnügen verfaßte und sich zu seinem Kuppler hergab. Man haßte und verachtete ihn zugleich, wie ein giftiges Gewürm, das man nicht zertreten darf.

Bei Hofe hieß er nur der „Philosoph“, denn er kleidete sich unscheinbar und altmodisch und ging gern einsam und melancholisch einher; auch wußte man, daß er ein Gelehrter war. Der Herzog konnte ohne ihn nicht leben. Lorenzino mußte ihm die Strickleiter halten, wenn er über fremde Mauern kletterte, und stand mit Giomo und dem Unghero Wache vor den Thüren, in die Alessandro gewaltsam eindrang. Lorenzino war unermüdlich, des Herzogs Liebeshändel zu vermitteln. Er belustigte ihn durch seine böse Zunge und seine zur Schau getragene Feigheit: beim Anblick einer bloßen Waffe erbleichte er und machte Miene davonzulaufen, nicht einmal nennen durfte man in seiner Gegenwart ein solches Mordgerät; der Herzog, der unerschrocken und stark war wie ein Goliath, lachte Thränen über die Furchtsamkeit seines Vetters und beschützte den Kleinen mit wegwerfender Herablassung.

Und dieses labyrinthische Gemüt brütete über einem Blutgedanken, der auch den Tapfersten erschrecken konnte: Lorenzino hatte sich das Ziel gesetzt, mit eigenen Händen den Tyrannen zu [395] töten und seiner Vaterstadt die Freiheit wiederzugeben! Um sein Opfer zu umgarnen, machte er sich selbst zum Werkzeug der Gewalt und zog den allgemeinen Abscheu auf sich. Eine dämonische Ruhmgier, die ihn von Kindheit an verzehrte, war ohne Zweifel sein oberster Beweggrund.

Lorenzino gehörte zu den Begabtesten unter den Medici; aber seine Familie, die einst sehr reich und angesehen gewesen, war durch schlechte Wirtschaft seines Vaters Pierfrancesco zur Armut herabgesunken; von klein auf sah er sich bei den Unterdrückten. Dann war er nach seines Vaters Tode eine Zeit lang zusammen mit seinem glücklicheren Vetter Cosimo de’ Medici, dem Sohn des berühmten Söldnerführers Giovanni delle Bande Nere,[5] erzogen worden, und durch die Zurücksetzung, die er damals erfuhr, hatte sich sein ehrgeiziges Gemüt verbittert. Als nun der Papst unter seinen Verwandten die Glücksgüter zu verteilen begann, wurde Lorenzino mit seinen Geschwistern übergangen, da er, ebenso wie Cosimo, der jüngeren Linie angehörte. Wohin er kam, mußte er hinter denen zurückstehen, die er geistig unter sich sah. Aber der Haß gegen die Mächtigen lag ihm auch schon von Hause aus im Blut, denn man war in seiner Familie von je her demokratisch und hatte sogar zu Savonarolas Zeiten in offener Opposition gegen die herrschende Linie gestanden.

Dazu kam, daß er körperlich schwächlich war, in einem Jahrhundert, wo Kraft und physischer Mut unendlich mehr galten als in unsern Tagen.

Arm und unansehnlich von Person, fand er den einzigen Weg zur Auszeichnung in den Studien, die er ohne Lehrer mit solchem Erfolg betrieb, daß er bald zu den feinsten Kennern der alten Litteratur gehörte. Aber auch unter den Büchern verfolgte ihn die Sucht nach Größe, seine überreizte Phantasie berauschte sich an den klassischen Großthaten, Brutus und Timoleon wurden sein täglicher Umgang, er mußte ihnen gleich werden, die niedergehaltene Leidenschaft drängte nach einem Ausweg, nach Bethätigung um jeden Preis.

Schon als Sechzehnjähriger hatte er sich in Rom eine traurige Berühmtheit erworben. Dort waren einmal in einer Nacht gegen Ende des Jahres 1530 den römischen Kaisern am Triumphbogen des Konstantin die Köpfe abgeschlagen, auch in San Pancrazio, auf dem Forum Romanum und in der Paulskirche antike Skulpturen in Menge verstümmelt und zerstört worden. Der Kultus der Antike stand dazumal auf seinem Gipfel, und ein vielfacher Mord wäre in den Augen der Römer ein leichtes Vergehen gewesen gegenüber einer solchen That. Papst Clemens schäumte vor Zorn, er gab Befehl, den Schuldigen, wo man seiner habhaft würde, auf der Stelle zu hängen; den einzigen Fall ausgenommen, fügte der päpstliche Erlaß mit Vorsicht hinzu, daß der Kardinal Medici selbst der Thäter wäre.

Aber der leichtlebige Ippolito war nicht an diesem Streich beteiligt. Ein Aufseher der Paulskirche hatte in einem Trupp junger Leute, der eingebrochen war, um an einem antiken Sarkophag die Köpfe der Musen abzuhauen, Lorenzino de’ Medici als Anführer erkannt. Die Empörung war ungeheuer, und wenn der Thäter mit knapper Not am Galgen vorüberkam, so hatte er es nur seinem Vetter Ippolito zu danken, der als Fürbitter zu Clemens eilte und ihm das Bubenstück als Ausfluß der in der Familie Medici herrschenden maßlosen Sucht nach dem Besitz solcher Antiquitäten darstellte.

Lorenzino entkam nach Florenz, doch wurde vom Magistrat ein Preis auf seinen Kopf gesetzt, und der Senator Molza schleuderte ihm in einer schwülstigen lateinischen Rede den Fluch der ganzen civilisierten Welt nach. Jahre später, als die Geschicke sich erfüllt hatten, erschien es wie ein prophetischer Zug, daß der Redner, auf die verstümmelten Musenbilder anspielend, die Muse der Tragödie aufgerufen hatte, dem Frevler in seinem eigenen Hause ein furchtbares Trauerspiel zu bereiten.

In Florenz zog Alessandro ihn an seinen Hof. Der Ton, den der Herzog dort angab, konnte nur ein brutaler sein. Geist und hohe Kultur, die sonst im Palaste Medici ihren Sitz hatten, galten nichts mehr, sein Zuname „der Philosoph“ wurde dem feingebildeten Lorenzino halb aus Spott angehängt; wollte er sich zur Geltung bringen, so mußte er sich der herrschenden Frivolität anpassen, was seiner aalglatten Natur nicht schwer fiel.

Schnell durchlief der Jüngling die Schule des Lasters, die er am herzoglichen Hofe fand, und that es an Cynismus allen zuvor. Tiefste Verderbnis und hochfliegende Exaltation vertrugen sich nebeneinander in seiner widerspruchsvollen Seele. Er kannte und liebte das Schöne, aber das Beispiel seiner Umgebung und ein eigener innerer Hang zogen ihn in den Schmutz. Er konnte in diesem Zwiespalt nicht fröhlich sein; was er redete, trug stets eine ironische Färbung, sein Lachen war ein Grinsen, das seinem wohlgebildeten dunkelblassen Gesicht einen satanischen Ausdruck gab. Auch sein starkes poetisches Talent neigte zur Parodie und Satire.

Alessandro fand Gefallen an diesen Eigenschaften und machte ihn zu seinem erklärten Günstling.

Es wird nicht möglich sein, alle Falten dieses verborgenen Charakters zu lüften, doch zweifellos spielte sein phantastischer Geist schon früh mit dem schrecklichen Gedanken, der später der Mittelpunkt seines Daseins wurde. In Alessandro sah er zum erstenmal einen Tyrannen in Fleisch und Blut vor sich, und für ihn, den echten Sprößling der Medici, war dieser Herzog mit der gequetschten Nase und dem Wollhaar nicht einmal ein Verwandter, sondern nur der Sohn der Schwarzen und eines Stallknechts aus dem mediceischen Hause. Dazu gesellte sich das Gefühl der persönlichen Beleidigung, denn trotz der herzoglichen Gunst genoß er auch bei Hofe kein Ansehen; ein Giomo durfte es wagen, bei ihm um die Hand seiner Schwester zu werben, als ob dieser Medici zu den Verworfensten der Verworfenen herabgesunken wäre.

Ein neuer Grund des Hasses kam hinzu, als der Herzog den Erbschaftsprozeß zwischen den Kindern Pierfrancescos und dem Sohn Giovannis delle Bande Nere, an dem Lorenzinos ganze pekuniäre Existenz hing, parteiischerweise zu Gunsten des schlauen Cosimo entschied.

Durch diesen Schlag wurde er mittellos und war nun ganz auf die Gnade des Tyrannen angewiesen, die er durch die schmählichsten Dienste bezahlen mußte. Er, der vom Kaiser zu Alessandros Nachfolger bestimmt war, falls jener kinderlos stürbe, stand als halber Hofnarr und als Kuppler am Throne seines Vetters. Fanatischer Haß durchglühte den Tiefentwürdigten, in dem trotz der Entsittlichung noch Funken moralischen Bewußtseins lebten. Mit der Freiheit der Vaterstadt hatte er zugleich die eigene Ehre zu rächen, die durch die Gnade des Herzogs über und über besudelt war, und die Last der Mißachtung, die auf ihm lag, wäre nicht zu tragen gewesen, hätte er sich nicht heimlich an der Vergeltung berauscht.

Diese Gefühle verbarg er hinter seiner undurchdringlichen ironischen Maske. Nur ab und zu machte er sich durch beißende Reden Luft.

„Haltet alle Florentiner für Eure Feinde – mich nicht ausgenommen,“ pflegte er dem Herzog in seiner mephistophelischen Weise zu sagen, und wenn Alessandro ihn wegen seiner Furchtsamkeit zum besten hatte, ging er auf die Neckereien ein und gab die doppelsinnige Antwort: „Wenn Euch Euer Leben lieb ist, so hütet Euch wohl, daß Ihr es niemals meiner Tapferkeit anvertraut.“ –

Neben dem herzoglichen Hofhalt gab es damals in Florenz einen zweiten, fast noch glänzenderen und luxuriöseren im Palast des Krösus von Italien, des kinderreichen Filippo Strozzi. Dieser herrschte im Kreis der Lebemänner durch geistreichen Sarkasmus, Eleganz und ausschweifende Sitten. Er besaß großen politischen Einfluß, war fein und vielseitig gebildet, der Freund der großen Herren und der schönen Frauen und selbst ein schöner Mann, dem die Jahre nichts von seiner unbändigen Lebenslust rauben konnten. Als Gatte der stolzen Clarice de’ Medici, der Tochter Pieros und Enkelin des Magnifico, hatte er die Geschicke des [396] mediceischen Hauses im Fallen und Steigen geteilt und dem Papst zulieb auch die Ernennung des Bastards, auf den er innerlich heruntersah, mit Eifer gefördert.

Gleich nach Alessandros Einzug war er nach Florenz geeilt, um sich die erste Rolle in seiner Heimat zu sichern. Als Ratgeber des jungen Herzogs genoß er fast mehr Ansehen als dieser selbst; er war es, der ihm den Plan jener Festung[6] eingab, durch die Florenz auf immer geknechtet werden sollte – Michelangelo wagte den Kopf, als er sich weigerte, für die Zwingburg seiner Vaterstadt nur einen Finger zu rühren. Sogar die Gelder für den Bau schoß Filippo aus der eigenen Kasse vor und ahnte nicht, daß eine grausame Ironie des Schicksals für ihn selbst ein schmähliches Ende innerhalb dieser Mauern bereit hielt.

Im Hause Strozzi fühlte man sich durch die legitime Herkunft, den ungeheueren Reichtum, die feine Bildung dem Usurpator überlegen und wollte es unvorsichtigerweise merken lassen. Der tollköpfige Piero, Filippos ältester Sohn, fiel zuerst in Ungnade, weil er den Herzog in der Oeffentlichkeit und bei schönen Frauen auszustechen suchte. Wie diese Familie, die so viel dazu beigetragen hatte, ihre Heimat unter das mediceische Joch zurückzuführen, allmählich mit den Medici in Todfeindschaft geriet, ist ein ganzer Roman für sich – es genügt, davon ein einziges Kapitel zu berühren, das tragische Ende der schönen, lebenslustigen Luisa Strozzi, Filippos Tochter, die weder die Geselligkeit des Hofes meiden, noch sich den Werbungen des Tyrannen ergeben wollte, sondern mit erhobenem Haupt und strahlend von Schönheit an dem Herzog, der ihre Abweisung erfahren hatte, vorüberging. Sie starb bei einem Festmahl an Gift – durch die Rachsucht Alessandros, wie gemeinhin angenommen wird; andere sagen, auf Anstiften ihrer eigenen Brüder, die sie den Nachstellungen des Herzogs entziehen wollten, um ihre Familienehre zu sichern.

Herzog Alessandro von Florenz.
Nach dem Gemälde von A. Bronzino in der Galerie der Uffizien in Florenz.

Zwischen den Söhnen Filippos und dem „Philosophen“ bestanden von alters her gute Beziehungen, und sie machten einander aus ihrem Haß gegen Alessandro kein Hehl. Ab und zu fielen Vorschläge, wie der Tyrann zu beseitigen wäre. Aber Lorenzino wollte keine Mitverschworenen – ob er von der Wagehalsigkeit der Strozzi das Fehlschlagen seines Unternehmens voraussah, ob er die Späher fürchtete, von denen er selbst umlauert war: er ging hin und überbrachte dem Herzog die Anschläge, die gegen ihn geschmiedet wurden.

Filippos Söhne, vielleicht von dem unergründlichen Lorenzino selber gewarnt, konnten rechtzeitig aus der Stadt entweichen, der Vater wurde vom Papste in diplomatischer Stellung verschickt, und solange Clemens lebte, blieb der Bruch in der Verwandtschaft verklebt; aber heimlich glühte die Feindschaft weiter. Und Lorenzino, der das Vertrauen beider Teile hatte, fuhr fort, mit unendlicher Kunstfertigkeit auf dem gefährlichen Seile zu balancieren.

Alessandros Regiment wurde nachgerade auch seinen Anhängern unleidlich, und viele sagten sich wie die Strozzi von ihm los. Erpressungen, Grausamkeiten und Gewaltthaten aller Art waren alltägliche Ereignisse.

Mit Zustimmung des Papstes fanden in kurzen Zwischenräumen immer neue Proskriptionen statt. Schon wimmelte es durch ganz Frankreich und Italien von vertriebenen Florentinern, die den Ruf von Alessandros Missethaten über die Welt verbreiteten. Man nannte diese Nation von Verbannten die „Ausgewanderten“, unter welcher Bezeichnung man sowohl die Flüchtigen, denen die Rückkehr verboten war, wie die auf Staatsbeschluß Ausgewiesenen und die zum Zwangsaufenthalt Verurteilten begriff. Auf den Verkehr mit ihnen stand die nämliche Strafe, von der sie selbst betroffen waren.

Unter den Ausgewanderten befand sich fast die ganze Blüte der florentinischen Nation. Noch glücklich die, deren Spruch auf einfache Verbannung lautete und die umherirrten, um Aufnahme zu finden; wen man ganz zu Grunde richten wollte, den verurteilte man zum Zwangsaufenthalt in einer unwirtlichen oder von Seuchen heimgesuchten Gegend, wo der Sträfling entweder sein Brot nicht erwerben konnte und im Elend verdarb, oder von Miasmen getötet wurde. Am liebsten wählte man solche Orte, die gerade von der Pest heimgesucht, oder solche, die durch tödliche Sumpfluft berüchtigt waren. Wer den Strafplatz ohne Erlaubnis verließ, verfiel der Acht und seine Güter wurden eingezogen. Es war das das einfachste Mittel für den Tyrannen, seine Kasse zu füllen; wenn er Geld brauchte, wanderte ein Schub Verdächtiger, die man unter den Reichsten und Angesehensten suchte, ins Exil. Die Klagen der Mißhandelten fanden bei dem Kaiser taube Ohren; in seinen ewigen Händeln mit Franz I von Frankreich brauchte er die Freundschaft oder wenigstens die wohlwollende Neutralität des Papstes, und außerdem sollte seine Tochter Margarete, gleichfalls eine Frucht ungesetzlicher Liebe, sobald sie erwachsen wäre, den Thron des Bastards teilen.

Der unerwartete Tod des Papstes veränderte plötzlich die ganze Lage. Filippo Strozzi fiel jetzt offen von Alessandro ab, er eilte nach Rom und entfaltete eine heftige Agitation gegen den Herzog. Von Florenz aus wurde er samt seinen Söhnen in die Acht erklärt. Vertreibung des Tyrannen, Herstellung der Republik, war seine Losung, auf die von allen Winkeln der Erde die vertriebenen Florentiner in Rom zusammenströmten.

An ihre Spitze trat jetzt eine Persönlichkeit, an der schon lange insgeheim alle Hoffnungen hingen, der junge Kardinal Medici.

Zwischen ihm und dem Sohn der Schwarzen herrschte Todfeindschaft, schon als Kinder hatten sie sich hinter dem Rücken des päpstlichen Oheims gerauft und geschlagen. Als Clemens die beiden noch unmündigen Neffen im Jahre 1525 unter der Regentschaft des Kardinals Passerini zu Herren ihrer Vaterstadt eingesetzt hatte, mußte er ihnen einen getrennten Hofhalt anweisen. Damals galt Ippolito für die Hauptperson, er führte den Titel „Magnifico“, der seit dem Tode des großen Lorenzo keinem Medici mehr so gut zu Gesicht gestanden hatte wie diesem glänzenden Epigonen. Alle Welt hielt damals ihn für den künftigen Gebieter, und Ippolito konnte diesen kurzen Traum der Herrschaft nie vergessen. Er war, wenn nicht von legitimer Geburt, so doch von edlem Blute, denn eine vornehme Dame aus Urbino hatte ihm das Leben gegeben, und durch seinen persönlichen Zauber, die feine Bildung und den Ruf einer unbegrenzten Freigebigkeit war er ganz dazu geschaffen, an die alten mediceischen Traditionen wieder anzuknüpfen. Wiederholt hatte er schon versucht, den verhaßten Vetter durch Ueberrumpelung vom Throne zu stoßen, aber Clemens und der Kaiser vereitelten seine Pläne. Zur Entschädigung wandte der Papst ihm die reichsten Pfründen zu, die er mit echt mediceischer Freigebigkeit verschwendete.

[443] Ippolito war das seltsamste Exemplar von einem Kardinal, das die verweltlichte Hauptstadt der Christenheit damals aufzuweisen hatte, denn er haßte das geistliche Gewand, ging stets in kriegerischer Tracht, und ein Trupp Soldaten mußte jeden Augenblick seines Winks gewärtig sein. In seinem Palast sah man nie gesehene Trachten und hörte nie gehörte barbarische Laute; ein Heer fremder abenteuerlicher Menschenbilder aus fernen Zonen: tatarische Schützen, indische Taucher, maurische Reiter, jeder in seiner Art unübertroffen, bildeten den Hofstaat des Kardinals. Wie seine Vorfahren, liebte er den Verkehr der Dichter und Gelehrten, und die florentinischen Künstler, die damals in Rom zusammenströmten, fanden bei ihm ein allzeit offenes Haus. So beschützte und beherbergte er Benvenuto Cellini, als der tolle Goldschmied wegen eines Totschlags von den Häschern des Papstes gesucht wurde, und selbst der stolze Michelangelo, der sonst den mediceischen Epigonen gern so weit wie möglich aus dem Wege ging, gehörte zu seinen Freunden.

Dieser glänzende Name gab der Sache der ausgewanderten Florentiner einen festen Kitt. Jetzt hatte Alessandro keine Stütze mehr im Vatikan: auf dem päpstlichen Stuhl saß ein Farnese, der wiederum nichts Eiligeres zu thun hatte, als für seine eigene Familie zu sorgen und die Einrichtungen seines Vorgängers aufzuheben. Dazu kam ihm der mediceische Familienzwist sehr gelegen, er schürte nach Kräften zwischen den Vettern und munterte die Ausgewanderten zur Befreiung ihrer Vaterstadt auf.

Man beschloß, vom Kaiser die Entfernung Alessandros und die Wiederherstellung der Republik mit Ippolito an der Spitze zu verlangen. Freilich möchte der Kardinal sich schwerlich damit begnügt haben, für die Ausgewanderten die Kastanien aus dem Feuer zu holen, er wollte den Purpur ablegen und selber Herzog sein, aber wenigstens hätte er die höchste Stelle würdiger ausgefüllt.

Doch Karl, der eben zu einem Kriegszug nach Tunis rüstete, hatte keine Zeit für die florentinischen Händel. Der Kardinal wurde ungeduldig. Zwischen den Vettern handelte sich’s jetzt darum, wer dem andern beim Kaiser den Rang abliefe. Der Herzog unterhielt geheime Agenten am kaiserlichen Hof; der Kardinal, der dies wußte, wollte durch persönliche Gegenwart Alessandros Einflüsse kreuzen. Er brach mit seinem prächtigen bunten Gefolge, dem sich viele der verbannten Florentiner anschlossen, nach Neapel auf, um sich dort nach Tunis einzuschiffen und unter den Fahnen des Kaisers mitzukämpfen; das Kriegshandwerk lag ihm ohnehin im Blute. Aber seine Laufbahn war zu Ende. Am 1. August kam er in Itri an, wo er ein paar Tage Rast machte, um seine schöne Freundin Giulia Gonzaga, die schönste Frau Italiens, die in Fondi wohnte, zu besuchen. Da erkrankte er jählings und starb nach wenigen Tagen am Gift, das sein Mundschenk ihm gereicht hatte, – auf wessen Antrieb, wollte der Mörder nie bekennen, doch daß er bei dem Herzog von Florenz eine Zuflucht fand, spricht laut genug für Alessandros Schuld. Der treulose Diener erhielt seinen Lohn, da er einige Monate später an der umbrischen Grenze von dem empörten Volk in Stücke gerissen wurde.

Die ganze Expedition löste sich voll Schreck und Trauer auf, die meisten ihrer Teilnehmer gingen auf der Rückreise elend zu Grunde. Ippolitos Leiche wurde von seinem farbigen Gefolge unter lautem Wehklagen auf den Schultern von Itri nach Rom getragen. Er war erst sechsundzwanzigjährig, als er starb; in dieser kühnen Jünglingsgestalt hatte noch einmal aller Glanz der niedergehenden Renaissance aufgeleuchtet, und sein früher Hingang ließ ein allgemeines Bedauern zurück.

Sein Bild, von Tizian gemalt, hängt im Palazzo Pitti zu Florenz: eine kriegerische Gestalt im braunen Sammetrock, über den das Schwert geschnallt ist, ein rotes Barett mit Pfauenfedern auf dem Kopf, in der Rechten den Kommandostab, in der Linken den Degengriff, der Ausdruck ernst, ja tragisch, als ob das frühe Verhängnis schon über ihm schwebte – nichts erinnert in dieser stolzen Erscheinung an einen Mann der Kirche.

Durch den Verlust ihres Hauptes ließen die Verbannten sich nicht entmutigen. Der Strozzi, der mit seinen Söhnen den Meuchelmördern Alessandros entgangen war, hielt die Partei zusammen. Sobald Karl aus Tunis zurück war, begab sich eine Deputation nach Neapel, ihm die Klagen der Verbannten vorzutragen. Von Florenz war auch Alessandro unterwegs mit fürstlichem Pomp, er und seine Edelleute um den Tod des Kardinals in frischer Trauer. Er kam, um sich von den ihm zur Last gelegten Verbrechen zu reinigen; aber das schwerste von allen beging er erst jetzt.

In Collevecchio lebte noch seine Mutter, die sich und ihre jüngeren Kinder kümmerlich mit Wollespinnen ernährte. Der herzogliche Sohn hatte sie im Elend gelassen, weil er sich ihrer schämte. Jetzt wußte er, daß die Verbannten damit umgingen, die alte Mulattin zu seiner Schmach an den Hof des Kaisers zu führen, und um dem Skandal vorzubeugen, räumte der Unmensch die arme Alte durch Gift aus dem Wege.

Danach zog er mit einer glänzenden Begleitung von mehr als dreihundert Berittenen in Neapel ein und stieg gleich in Castel Capuana ab, um seine Braut zu begrüßen. In der kaiserlichen Residenz kam es zwischen den Herren von seinem Gefolge und den ausgewanderten Florentinern zu bösen Worten und selbst zu Thätlichkeiten. Unter den Ankömmlingen befand sich auch Lorenzino. Er haßte den Herzog wenn möglich noch grimmiger als zuvor, denn in dem Kardinal hatte er eine der wenigen Personen, an die ihn ein aufrichtiges Wohlwollen band, verloren.

Jetzt stieß er am Hof des Kaisers mit seinem alten Freunde Piero Strozzi zusammen. Voll Verachtung warf ihm dieser in Gegenwart vieler Herren seine Verrätereien ins Gesicht.

„Ich glaubte einmal, Ihr wäret ein Mann,“ sagte er wegwerfend, „aber jetzt weiß ich es anders.“

Lorenzino hörte ihn mit unbeweglichem Gesichte an, dann antwortete er ruhig:

„Messer Piero, ich werde Euch bald beweisen, daß ich doch ein Mann bin.“ – Aber nach diesen Worten verließ er schleunig den Saal und suchte Alessandro auf, dem er die ganze Begegnung erzählte, so daß, als gleich darauf einer der Höflinge kam, den Herzog zu warnen, dieser schon durch Lorenzino selbst von allem unterrichtet war.

Der Herzog besaß ein wunderbar gearbeitetes Panzerhemd aus feinsten Stahlringen, auf das er große Stücke hielt, weil es leicht und elastisch wie ein Handschuh am Leibe saß. Er äußerte gelegentlich, wenn er nicht dieses Prachtstück von Schmiedearbeit besäße, das ihm nicht die mindeste Unbehaglichkeit verursachte, so würde er lieber gänzlich ungewappnet gehen; darum plante Lorenzino seit lange, ihm das Eisenhemd zu entwenden, um den Weg zu seiner bloßen Brust zu finden. In Neapel ließ es der Herzog eines Tages beim Umkleiden auf seinem Bette zurück. Lorenzino, der allein im Zimmer war, nahm es eilig an sich und warf es in einen Brunnen hinter dem Palast. Der Herzog vermißte es gleich und ließ das ganze Haus danach durchsuchen, und das rätselhafte Verschwinden des Eisenhemdes brachte großen Verdruß und Argwohn unter die Dienerschaft, doch wagte niemand den Thäter, den man wohl vermutete, anzuklagen. Das Gerücht von diesem Vorfall drang bis nach Florenz, und gleich bei der Rückkehr des Hofes ließ der berüchtigte Polizeidirektor sich bei dem Herrn melden und sagte ihm dringlich:

„Wenn Eure Excellenz mir die Erlaubnis giebt, den Philosophen zu befragen, so will ich schnell erfahren, wo Ihr Stahlwams geblieben ist.“

Der Herzog scheute sonst vor den Mitteln des Ser Maurizio nicht zurück, aber seinem Faktotum wollte er kein Härchen krümmen lassen.

„Was,“ antwortete er in seiner derben Art, „möchtest du dem Lorenzino zu Leibe? Geh, laß ihn in Frieden.“

Er war in gnädiger Laune aus Neapel zurückgekehrt, denn es war dort alles nach seinen Wünschen gegangen. Die Mission der Ausgewanderten hatte klägliches Fiasko gemacht. Es waren zwar langatmige Reden gehalten und umfangreiche Schriftstücke [444] eingereicht worden, aber Alessandros Sprecher, der berühmte Staatsmann und Geschichtschreiber Guicciardini, hatte dem Kaiser seine Verbrechen als kleine Jugendverirrungen darzustellen gewußt und Karl hatte den Herzog aufs neue in allen seinen Rechten bestätigt. Dann feierliches Ringewechseln zwischen dem Bastard und der Kaiserstochter, worauf Alessandro schleunigst vorausgereist war, um in Florenz für den Besuch des Schwiegervaters zu rüsten.

Dieser Einzug, für den die ganze Stadt in ein Feenschloß verwandelt werden mußte, diente erst recht dazu, die Florentiner zu belehren, daß fortan zwischen der kaiserlichen Majestät und seinem Schwiegersohne ein Wille herrschte und daß es nutzlos war, noch länger einem Gedanken an die Wiederkehr des Vergangenen nachzuhängen.

Kaum waren diese anspruchsvollen Gäste abgezogen, als die kaiserliche Braut mit ihrem Ehrengeleite aus Neapel eintraf. Abermals Triumphbogen, Festgeläute und Freudenfeuer; in San Lorenzo wurde das Volk auf Staatskosten bewirtet, und es gab viel zu gaffen, bis alle Ceremonien und Feste vorüber waren und der Herzog an der Spitze seiner Edelleute „Madama Margarita“, wie die Florentiner sie nannten, in sein eigenes Haus abholte.

Die spätere Geschichte kennt sie unter dem Namen Margarete von Parma als die Regentin der Niederlande, die kluge Freundin des Grafen Egmont, die durch ihre aus Italien mitgebrachte religiöse Toleranz den leidenden Provinzen ein Segen ward, bis der furchtbare Alba sie von ihrem Posten verdrängte. In Goethes „Egmont“ erscheint sie als majestätische Frau von männlichem Charakter mit einem „kleinen Bärtchen auf der Oberlippe“, und dieses strenge Bild will die Gestalt der jugendlichen Braut, die im Jahre 1536 unter dem blauen toskanischen Himmel im Palaste Medici ihren Einzug hielt, in der Phantasie nicht aufkommen lassen. Schön war sie auch damals nicht, wie die Denkmünzen beweisen. Sie wurde dem Herzog fast noch als ein Kind vermählt, mehr zur Sicherung der beiderseitigen Interessen als um so früh seine Gattin zu sein. Aber schon jetzt harrten ihrer die schwersten Prüfungen, denn die Katastrophe stand unmittelbar vor der Thüre.

Kardinal Ippolito.
Nach dem Gemälde von Tizian.

All seiner Feinde glaubte Alessandro sich entledigt zu haben; aber den einzigen, der wahrhaft zu fürchten war, hielt er als besten Freund an seiner Seite.

Die Verblendung des sonst so argwöhnischen Despoten, der in jedem Florentiner einen Verschwörer witterte, erschien seinen Getreuen wie ein Werk der Gestirne. An Warnungen fehlte es nicht. Schopenhauer stellt einmal den wunderlichen Satz auf, daß ein schweres Geheimnis, lange in der Brust eines Menschen verschlossen, sich am Ende von selbst der Außenwelt mitteilen müsse. An dieses mystische Wort wird man erinnert, wenn man sieht, wie Lorenzinos Umgebung ihm den Mordgedanken aus der schweigenden Seele las.

Schon bei der Grundsteinlegung der Citadelle war dem Herzog vom Astrologen, der dieser Handlung vorstand, der Tod durch die Hand seines Vetters prophezeit worden. Alessandro hatte nur gelacht; er war dem alles beherrschenden Aberglauben so unzugänglich, daß er als ein Ausnahmemensch in seiner Zeit erscheint. Zum Entsetzen der Florentiner hatte er sogar einen astronomischen Unglückstag (eine Sonnenfinsternis) und obendrein einen Dreizehnten zum Hochzeitstag gewählt.

Ein Soldat seiner Leibwache träumte, der Herzog sei von einem kleinen, schmächtigen Menschen, dessen Aeußeres er sich genau erinnerte, ermordet; er redete den Herrn des Morgens unter der Thüre an, um ihm den Traum zu erzählen, und da Lorenzino eben dazutrat, rief er: „Dieser ist’s!“ – aber der Herzog schickte ihn mit barschen Worten weg. Maria Salviati, die Mutter des jungen Cosimo, sagte ihm ins Gesicht, Lorenzino stehe ihm nach dem Leben. Von allen Seiten empfahl man ihm Vorsicht; „niemand könne seinem Schicksal entgehen“, war das einzige, was der Herzog darauf antwortete.

Selbst den gemeinsamen Spießgesellen war Lorenzinos Wesen unheimlich geworden, denn auf einem ihrer nächtlichen Abenteuer wollte der Kämmerer Giomo den Strick, an dem jener sich über eine Mauer hinabließ, abschneiden und seinem Herrn den verdächtigen Menschen vom Halse schaffen, aber der Herzog fiel ihm in den Arm.

Mit einer an Wahnsinn grenzenden Entschlossenheit lauerte Lorenzino auf den günstigen Augenblick. Wenn sie zusammen auf einem Pferd über den Mercato ritten, war er öfters versucht, den Herzog, der keinen Stahl mehr auf dem Leibe trug, rücklings niederzustoßen, aber die Nähe der Trabanten hielt ihn ab. Ein andermal hätte er ihn von einer hohen Mauer, die sie nachts zusammen überkletterten, hinabstürzen können, aber nun mußte er fürchten, daß entweder der Tyrann mit dem Leben davonkommen oder daß man seinen Tod einem Zufall zuschreiben könnte, und damit war ihm nicht gedient: er bedurfte des Ruhms; so tief man ihn jetzt verachtete, so hoch sollte man ihn später verehren.

Allmählich war es ein öffentliches Geheimnis geworden, daß der schweigsame Melancholikus etwas gegen den Herrn im Schilde führte. Ihm selbst entschlüpften gelegentlich Andeutungen, die der Herzog nicht ernst nahm.

Schon im Vorjahr, als er seine Komödie „Aridosia“ vor versammeltem Hofe aufführen ließ, sollte er geäußert haben, er werde bald ein blutiges Trauerspiel folgen lassen, das den Titel Fiorenza (Florenz) führen solle.

Ein anderes Beispiel dieser Art erzählt Benvenuto Cellini in seiner Lebensbeschreibung. Der Künstler hatte in seiner Eigenschaft als Münzmeister und Stempelschneider beim Herzog Zutritt und wunderte sich oft, wenn er nach Tisch den Herrn allein mit seinem unheimlichen Günstling schlummern fand. Eines Tages hatte er das Bildnis des Herzogs für eine Schaumünze in Wachs bossiert und wollte nun Urlaub nehmen, um sich in Rom für einen früher begangenen Totschlag den Ablaß zu holen. Der Herzog ward ärgerlich und suchte den geschickten Meister zum Bleiben zu bereden. Er war jenes Tages unpaß und lag zu Bette, niemand war um ihn als Lorenzino, der während des ganzen Gespräches einsilbig blieb; der „fatale Blick“, mit dem er [445] immerfort den Herzog ansah, fiel dem Künstler auf. – Cellini antwortete dem Herrn auf sein Drängen, er werde die Schaumünze in Rom vollenden, und sie solle schöner werden als alle seine früheren derartigen Arbeiten. Dann wandte er sich an den Günstling: „Ich hoffe, Herr Lorenzo giebt mir eine Kehrseite dazu, er ist gelehrt und von großem Geiste.“

Darauf antwortete Lorenzino schnell: „Ich denke an nichts anderes, als dir eine schöne Kehrseite zu geben, die Seiner Excellenz wert sei.“

„Der Herzog,“ so erzählt Benvenuto, „lächelte spöttisch und sagte: ‚Bring’ ihn auf die Kehrseite, so verreist er nicht.‘

Da sagte Lorenzo: ‚Ich will so schnell wie möglich fertig sein, es soll etwas werden, worüber die Welt erstaunt.‘

Der Herzog, der ihn zum besten hatte und überhaupt nicht achtete, drehte sich im Bett herum und lachte über diese Worte.“

Benvenuto erzählt nun, wie er nach diesem Gespräch Florenz ohne weitere Umstände verließ. In Siena holte ihn ein Diener des Herzogs ein, der ihm im Namen seines Herrn ein Geschenk von fünfzig Goldgulden überbrachte und hinzusetzte: „Herr Lorenzo läßt dir sagen, daß er zu der Denkmünze, die du machen willst, eine wundersame Kehrseite im Sinne habe.“

Dies war im Sommer gewesen; einige Monate vergingen, der Künstler lebte in Rom und hatte bereits zum Verdruß der Ausgewanderten den Kopf des Herzogs in Stahl gegraben; aber er konnte die Medaille nicht vollenden, weil ihm Bild und Schrift für die Rückseite fehlten. Da schrieb er an einen Freund in Florenz, man möchte Herrn Lorenzo an sein Versprechen erinnern. Der Freund antwortete, er habe den „närrischen, hypochondrischen Philosophen“, den Lorenzino, gesprochen, der ihn versichert habe, er denke Tag und Nacht an nichts anderes und wolle so bald wie möglich die Rückseite liefern. Doch riet der Freund, nicht weiter darauf zu hoffen, sondern die Medaille nach eigener Erfindung zu vollenden, was jener dann auch that.

Am Dreikönigsfest war Benvenuto Cellini nach seiner Gewohnheit mit einem Freunde auf die Jagd geritten. Bei der Heimkehr nach Rom, da es schon nachtete, will er von einer Anhöhe aus einen mächtigen, funkelnden Feuerbalken in der Gegend von Florenz am Himmel wahrgenommen haben. Auch der Freund soll gleichzeitig des Phänomens ansichtig geworden sein, und beide waren sofort überzeugt, daß dieses Himmelszeichen auf ungeheure Vorgänge in Florenz deute.

Am folgenden Abend spät kam die Nachricht von der Ermordung des Herzogs Alessandro, und jetzt verstanden Benvenuto und seine Freunde, welche Kehrseite der melancholische Sonderling im Sinne getragen hatte.

Herzog Cosimo I von Florenz.
Nach der Büste Benvenuto Cellinis im Nationalmuseum in Florenz.

Von der That und ihrer Vorbereitung giebt es die ausführlichsten Schilderungen, die aus Lorenzinos eigenem Munde stammen.

Der Herzog, den die Nähe der jungen Gattin nicht bändigte, hatte seine begehrlichen Augen auf die schöne Caterina Ginori, eine Frau von unantastbarem Ruf und nahe Verwandte Lorenzinos, eine jüngere Halbschwester seiner Mutter, geworfen. Sie lebte in bedrängten Verhältnissen und ging wenig in Gesellschaft, aber ihr Haus lag nicht weit von der Rückseite des Mediceerpalastes, und so mochte Alessandro ihr auf der Straße begegnet sein. Ohne Rücksicht auf die nahe Verwandtschaft vertraute er sich seinem gewohnten Helfershelfer an und hatte die Stirn, ihn um Vermittlung anzugehen.

Lorenzino frohlockte: auf eine solche Gelegenheit hatte er seit lange gewartet. Er übernahm es, cynisch wie immer, dem Herzog eine Zusammenkunft mit der Dame zu verschaffen, und ohne seiner Tante ein Wort zu sagen, hielt er ihn mit leeren Versprechungen hin, bis die Zeit seinem Vorhaben günstig wäre.

Darüber war der 5. Januar, der Vorabend des Epiphaniafestes, herangekommen, das in Florenz Befana heißt und bis auf den heutigen Tag durch ungeheuren Lärm gefeiert wird.

An jenem Tage, es war ein Sonnabend, hatte Lorenzinos Mutter sich zu ihrem jüngeren Sohn Giuliano begeben, der krank in Caffagguolo lag, ihre Töchter waren bei Verwandten untergebracht; Lorenzino blieb somit allein in der Wohnung. Unter seinen Dienern befand sich ein gewisser Scoronconcolo, dem Lorenzino einmal, da er wegen eines Totschlags verurteilt war, das Leben gerettet hatte. Gegen diesen, der ein verwegener Bursch und seinem Herrn mit Leib und Seele ergeben war, hatte Lorenzino sich schon des öftern beklagt, daß er von einem Feind bei Hofe gehänselt und beschimpft werde, worauf Scoronconcolo sich jedesmal dringend erbot, ihm den Gegner, wer er auch sei, vom Halse zu schaffen. Diesen Burschen holte Lorenzino, der Mutter Abwesenheit benutzend, sich jetzt zum Frühstück, wie er häufig zu thun pflegte, um sich seine Anhänglichkeit zu sichern, und bei Tische teilte er ihm mit, daß er für den Abend etwas Großes plane.

Man war bereits im Karneval und die doppelte Festlichkeit brachte einen Geist der Ausgelassenheit über die ganze Stadt. Am Morgen, da etwas Schnee gefallen war, belustigten Alessandro und sein Günstling die junge Herzogin durch Schneeballenwerfen im Hofe des Palastes. Am Nachmittag verkleideten sich die beiden als Rinderhirten aus den Apenninen, bestiegen zwei schlechte Esel und tollten durch die Stadt, indem sie vor den Fenstern gefeierter Schönheiten allerhand Späße aufführten. So hetzte Lorenzino den Herzog den ganzen Tag herum und brachte ihn am Abend abgemattet von Vergnügungen in den Palast zurück. Er selbst mit dem Fanatismus der fixen Idee, die in ihm glühte, spürte keine Müdigkeit. Nach Tische wollte der Herzog sich legen. Da schlich sein böser Geist hinter ihn und raunte ihm ein paar Worte zu, die jenem den Schlaf vertrieben. Alessandro erhob sich rasch, warf ein mit Zobel gefüttertes Atlasgewand über, wählte ein paar parfümierte Handschuhe und verließ mit wenigen Vertrauten den Palast.

Um nicht belauert zu werden, begab er sich zuerst nach dem Markusplatz und entließ dort seine Begleiter alle bis anf den Unghero. Mit diesem kehrte er nach der Wohnung Lorenzinos um, die zunächst an den Mediceerpalast stieß. Dorthin hatte ihn der Verräter bestellt unter dem Vorwand, daß die schöne Caterina endlich in eine Zusammenkunft gewilligt habe, nur verlange sie um ihres Rufes willen die größte Vorsicht und Heimlichkeit. Der Herzog ließ den Unghero gegenüber von Lorenzinos Hausthüre warten mit der Weisung, sich nicht zu rühren, wen er auch aus- oder eingehen sehe.

Darauf führte ihn Lorenzino in sein eigenes Zimmer, wo ein gutes Feuer im Kamin brannte. Alessandro warf sich, müde [446] wie er war, aufs Bett, nachdem er den Degen abgeschnallt hatte; flink umwickelte jener Griff und Scheide mit dem Gurt, um die Waffe unbrauchbar zu machen, und legte sie dem Herzog aufs Kissen. Dann entfernte er sich, scheinbar um die Dame herzubegleiten, in Wahrheit, um den Scoronconcolo aufzusuchen, dem er sagte, der Augenblick sei da, der Feind liege schlafend auf seiner Kammer; er solle sich brav halten und nicht darauf achten, daß es ein Freund des Herzogs sei.

Der Bursch verschwor sich, ihm sei alles gleich, und wenn es der Herzog selber wäre – und so erfuhr er erst im letzten Augenblick, wem das Attentat galt.

Lorenzino stieß die Thür auf, näherte sich dem Bett, und mit den Worten: „Herr, schlaft Ihr?“ hatte er dem Herzog schon sein kurzes Schwert durch den Leib gerannt.

Tödlich verwundet sprang Alessandro auf, und es entspann sich eine Scene, deren Einzelheiten zu grausig sind, um sie zu erzählen. Der unglückliche Herzog, der sich, ohne einen Laut auszustoßen, wie ein Löwe wehrte, wurde von den zweien überwältigt, Lorenzino sagte ihm noch mit satanischem Hohn: „Es wird nicht fehlen, Herr!“ – indem er ihn aufs Bett zurückdrückte und durch seinen Helfershelfer das schauerliche Werk vollenden ließ.

Dann hoben sie den Toten, der in einem See von Blut auf den Boden gerollt war, wieder aufs Lager und zogen die Bettvorhänge über ihm zu.

Als alles vorüber war, schleppte Lorenzino sich keuchend ans Fenster, um Luft zu schöpfen. Sein Daumen, den das Opfer ihm im letzten Verzweiflungskampf durch und durch gebissen hatte, ließ einen breiten Blutfleck auf dem Gesimse. Auf der Straße, die hell im Mondschein dalag, war alles still geblieben, der Unghero hatte längst seinen Posten verlassen und sich im Zimmer des Herzogs schlafen gelegt. Auch im Hause regte sich nichts. Frau Maria, die Witwe Giovannis delle Bande Nere, die den anderen Flügel bewohnte, hatte zwar Lärm und Tritte vernommen, aber nicht darauf geachtet, denn Lorenzo hatte absichtlich schon wiederholt des Abends junge Leute auf sein Zimmer gebracht und mit ihnen scherzweise Raufscenen aufgeführt, wobei er hin und her rannte und schrie, als ob ein Mord geschähe.

Kaum war die That vollbracht, als bei Lorenzino der Rückschlag eintrat. Mit der übermenschlichen Spannung seiner Kräfte verließ ihn die fanatische Entschlossenheit. Der Tyrann war tot; jetzt hätte es gegolten, in die Stadt zu eilen, den Tod des Herzogs zu verkündigen und das Volk zur Befreiung aufzurufen. Wenn je die Zeichen für eine Volksbewegung günstig standen, so war es an diesem Tag, denn der Kaiser focht fern im Norden und die Stadt selbst war von Truppen entblößt, weil der Vitelli mit seinen Leuten sich an die umbrische Grenze begeben hatte.

Aber wo waren jene tapfern Bürger, jene Freunde der Freiheit, auf die man in einem solchen Augenblick zählen konnte? Und wenn es deren noch gab, würden sie dem Günstling und Spion des Tyrannen Glauben schenken, mußten sie nicht vielmehr annehmen, er wolle sie im Einverständnis mit dem Herzog in eine Falle locken? Ein einziger Fehler war von Anfang an in seiner wohldurchdachten Rechnung gewesen, und der verdarb ihm jetzt das ganze Spiel. Die Flamme der Begeisterung anzublasen, ein verzagtes Volk um seine Fahne zu scharen, das war keine Aufgabe für einen Lorenzaccio.

Zu dieser Erkenntnis gesellte sich der rasende Schmerz an der gebissenen Hand und die Angst seines Spießgesellen, der nicht aufhörte, ihn zur Flucht zu drängen. Lorenzino verlor den Kopf, die tollsten Vorsätze gingen durch sein verstörtes Hirn: er wollte die Getreuen des Herzogs einzeln rufen und sie neben der Leiche ihres Herrn ermorden, ebenso dessen natürliches Söhnchen Don Giulio. Zunächst that er etwas ganz Sinnloses: er ließ seinen Diener Freccia rufen, zeigte ihm die Leiche und schlug über dessen Entsetzen ein wahnsinniges Gelächter auf. Dann kam er wieder zu sich und begann nun an seine und seines Mitschuldigen Sicherheit zu denken.

Der Erzbischof Marzi hatte als Vertrauensperson des Herzogs die Schlüssel der Stadt in Händen. Zu ihm begab sich Lorenzino und bat um Durchlaß, weil sein Bruder sterbend in Caffagguolo liege. Der Erzbischof hatte kein Arg, da er Lorenzos nahes Verhältnis zum Herzog kannte, und um dem Günstling gefällig zu sein, gab er ihm aus freien Stücken auch noch die Postpferde.

Lorenzo stieg mit den beiden Dienern zu Pferd und ritt in rasender Eile nach Bologna.

Dort führte der Zufall ihm gleich einen der ausgewanderten Florentiner, von denen die Stadt wimmelte, in den Weg. Diesem erzählte er noch fiebernd das Vorgefallene und zeigte ihm den durchbissenen Daumen, den er in Bologna frisch verbinden lassen mußte, und den Schlüssel seines Zimmers, in dem der Tote eingeschlossen lag.

Auf den Ausgewanderten stand seine ganze Hoffnung, in ihnen lebte, was vom Geist der echten Florentiner noch übrig war, und sie besaßen Waffen, woran es in der Stadt gänzlich gebrach. Schon seit längerer Zeit beunruhigten sie das Land durch kriegerische Anstalten, und Lorenzo zweifelte nicht, sie würden auf die Nachricht von dem Geschehenen hin sogleich mit Truppenmacht in der Toskana einrücken.

Aber auch hier wurde sein schlechter Leumund ihm hinderlich: man glaubte ihm nicht und ließ ihn mit seiner Erzählung ablaufen. Er verlor seine Zeit in nutzlosem Reden, bis er einsah, daß er in Bologna nichts erreichte. Da warf er sich aufs neue zu Pferd und ritt in Eile nach Venedig weiter.

Am Montag kam er gegen Mitternacht dort an und weckte mit seiner Nachricht Filippo Strozzi aus dem Schlaf. Bei diesem fand er endlich Glauben, Jubel und Begeisterung. Filippo umarmte ihn, nannte ihn den neuen Brutus, den Retter des Vaterlandes. Um die Unbill des Schicksals an ihm und den Seinigen wieder gutzumachen, warb er gleich für seine Söhne Piero und Roberto um Lorenzinos Schwestern, die beide bildschön und vortrefflich erzogen, aber ihrer Armut wegen von den Freiern nicht gesucht waren. Die Ausgewanderten, die in Venedig lebten, umringten den Ankömmling und feierten ihn als Helden und Befreier; endlich hatte er erreicht, wonach er seit lange dürstete.

Mit Blitzesschnelle lief die Kunde von seiner That durch die ganze Halbinsel und erregte einen Sturm der Begeisterung. Es regnete von Sonetten, die den „neuen Brutus“ in den Himmel erhoben, und jener Molza, der einst wegen der Verstümmelung der römischen Kaiserbilder die öffentliche Schmährede gegen ihn gehalten hatte, schlug jetzt ein umgekehrtes rhetorisches Rad, indem er als Widerruf ein berühmt gewordenes Epigramm schrieb:

Mit kühnem Stahl traf Laurens den Despoten,
Des Joch sein freigebornes Volk ertrug.
Wie, rief er, schickt’ ich dich nicht zu den Toten,
Der ich Roms marmorne Tyrannen schlug? –

Das herrliche Wetter, das in jenen Tagen durch ganz Italien herrschte, wurde als Beifall der Natur gedeutet, und allgemein hieß es, die Blumen blühten aus Freude über Alessandros Tod. Die Verbannten glaubten den Tag ihrer Rückkehr nahe, aber bevor sie zu einem gemeinsamen Schlag bereit waren, hatten sich innerhalb der Mauern die Geschicke ihrer Heimat vollzogen.

Des Herzogs Verschwinden war am Sonntag Morgen nicht sogleich aufgefallen. Später, als er vermißt wurde und auch im Lauf des Tages nicht zum Vorschein kam, begannen seine Getreuen sich zu beunruhigen.

Unterdessen flüsterte man sich schon in der Stadt ganz leise zu, der Herzog liege ermordet im Zimmer seines Vetters. Dieser hatte nämlich vor der Flucht seinem Hausmeister, der in Eile das wenige vorrätige Geld für ihn zusammenraffen mußte, den Auftrag hinterlassen, in aller Frühe sein Zimmer zu öffnen und einigen Bürgern, die er ihm bezeichnete, von dem, was er da finden würde, Meldung zu machen. Der Mann war seiner Weisung nachgekommen und hatte mit der Nachricht von dem schrecklichen Fund an verschiedene Häuser geklopft, aber es war ihm widerfahren, was Lorenzino für sich selbst vorausgesehen: man hatte ihm die Thür vor der Nase zugeschlagen, weil man seinen Bericht für einen Fallstrick hielt. Dennoch sickerte das Gerücht durch, aber niemand regte sich: Freund und Feind waren in Aengsten, der Herzog wolle ihre Gesinnung prüfen, und keiner mochte als der erste erscheinen, der dieser Nachricht Glauben geschenkt hätte.

[447] Am Hof war man in großer Aufregung, man sagte den Besuchern, der Herzog habe die ganze Nacht gespielt und schlafe noch; um das Volk zu beschäftigen, ließ man vor dem Palastthor Sand streuen und einen Faßreif, mit vielen Preisen behängt, aufstellen, als ob Wettspiele veranstaltet würden.

Durch den Erzbischof erfuhr jetzt Giomo, daß Lorenzino in der Nacht Postpferde erhalten habe und mit zwei Begleitern weggeritten sei. Die Hofleute klammerten sich noch an der Hoffnung fest, ihr Herr sei mit darunter. Man schickte nach Caffagguolo, ob sich Lorenzino bei den Seinigen befinde, und erst als man hörte, er sei ohne Aufenthalt dort vorbeigesprengt und habe eine Wunde an der Hand, die ihm auf der ersten Poststation verbunden worden sei, erkannte man den Sachverhalt. Aber jetzt befiel ein solcher Schreck die Anhänger der Medici, daß niemand das Schlafzimmer Lorenzinos zu erbrechen und sich Gewißheit zu verschaffen wagte, denn man glaubte, das Volk würde bei der Nachricht aufstehen und seine Bedrücker, waffenlos wie es war, mit Stöcken und Steinen niedermachen. Ganz geheim schickte man Boten aus und ließ von allen Seiten Mannschaft zusammenziehen, und erst als schon alles schlief, drang man in die blutüberschwemmte Kammer ein. Des Herzogs Leichnam, der mit Wunden besäet war, wurde rasch in einen Teppich gewickelt und in aller Stille nach der Sakristei von San Lorenzo getragen.

Am Montag Morgen war die Wahrheit nicht mehr zu verheimlichen. Ueberall standen die Bürger in Gruppen umher und besprachen das Vorgefallene. Man kramte die alten Prophezeiungen Savonarolas wieder hervor, wonach jetzt ein goldenes Zeitalter der Freiheit anbrechen müsse, aber niemand stellte sich an die Spitze, um zu handeln, denn die Tüchtigen und Entschlossenen waren alle in der Verbannung. Ganz allmählich füllte sich die Stadt mit Soldaten, von denen man nicht wußte woher sie kamen. Alessandro Vitelli besetzte die Festung, und während die Bürger müßig schwatzten, verstrich die Stunde zur Befreiung ungenützt.

Unterdessen saß auf seiner Villa im Mugello, fünfzehn Meilen von Florenz, der siebzehnjährige Cosimo de’ Medici, Cosimino, wie man ihn seiner Jugend wegen nannte, und vertrieb sich die Zeit mit Jagen und Fischen. Dieser kam, von seiner Mutter benachrichtigt, mit geringer Begleitung nach Florenz, wo die alten Soldaten seines Vaters ihm in Scharen zuliefen. Ganz bescheiden und ehrbar stellte er sich dem Rat der Achtundvierzig vor, der im Palast der Medici tagte, um Alessandros Nachfolger zu wählen. Cosimo war jetzt der nächste am Thron, denn von Lorenzino, dem rechtmäßigen Erben, konnte natürlich keine Rede sein, und Alessandros natürliches Söhnchen war erst fünf Jahre alt. Als Sohn des „unbesiegten“ Giovanni und einer Enkelin des Magnifico, besaß Cosimo das allgemeine Zutrauen, aber niemand wußte eigentlich, wes Geistes Kind er war. Am Hof Alessandros hatte er stets den unterwürfigen Diener gespielt, und bei den Freunden der Medici galt er für einen harmlosen, etwas beschränkten Jungen, der für nichts Sinn habe als für das Vergnügen. Dieser Ruf kam ihm jetzt zu statten, denn unter den Räten war keiner, der sich nicht geschmeichelt hätte, einen solchen Fürsten wie eine Drahtpuppe regieren zu können. Er selbst ließ sich nur schieben, aber seine Lauheit setzte die ehrgeizigen Freunde in Flammen, und den Ausschlag gab die Soldateska, die vor den Thüren lärmte. So ward der junge Cosimo Herzog von Florenz.

Die Glocken läuteten, Freudenfeuer wurden angezündet, und das Volk strömte nach dem Mediceerpalast, um den neuen Herrn zu sehen. Am ausgelassensten betrugen sich die Soldaten des Vitelli, die dem Gefeierten eine sonderbare Huldigung darbrachten. Sie stürzten sich, untermischt mit Pöbelhaufen, die Palle! Palle[7] schrieen, auf das neben dem großen Palast gelegene Stammhaus der Medici, das zur einen Hälfte dem Sohn Giovannis, zur andern den Erben Pierfrancescos gehörte, und plünderten, ohne daß Frau Maria oder die Freunde zu wehren vermochten, sowohl Cosimos wie des Verräters Lorenzo Wohnung, indem sie alles wegschleppten, was seit vielen Generationen an Kostbarkeiten, seltenen Büchern, antiken Statuen dort aufgehäuft war. Aus Rom, wo es üblich war die Wohnung neu gewählter Päpste dem Pöbel preiszugeben, hatten sie diesen Brauch herübergebracht.

Lorenzinos Haus wurde überdies in der ganzen Breite des Zimmers, in dem der Mord geschehen war, vom Dach bis zu den Grundmauern eingerissen,[8] er selbst als Staatsverbrecher mit dem Strick am Fuß, den Kopf nach unten, auf die Festungsmauer gemalt und ein Preis von achttausend Dukaten auf seinen Kopf gesetzt. Seine und seines Bruders Giuliano Habe, soweit sie nicht von den Soldaten Vitellis weggeschleppt war, fiel als „Rebellengut“ dem neuen Herzog zu.

Alessandros Reste sind in der „Neuen Sakristei“ von San Lorenzo im Grabmal des Herzogs von Urbino bestattet. Michelangelos Marmorkolosse decken die Gebeine des Vaters und des Sohnes, und darüber sitzt der finstre „Pensieroso“, die Kolossalgestalt des vorangegangenen Herzogs, wie in tiefem Brüten über die Geschicke seines Hauses.[9]

Niemand trauerte um den Toten als die junge Herzogin, die Tag und Nacht in ihren Gemächern weinte. War doch sein Leben der besseren Züge nicht völlig bar, wie er auch Anwandlungen von Großmut und Gerechtigkeit hatte. Alessandro hinterließ eine Reihe nützlicher und wahrhaft volksfreundlicher Einrichtungen und hätte ohne seine Laster wohl das Zeug zu einem tüchtigen Regenten gehabt. Es sind einige salomonische Urteile von ihm erhalten, die für die ungewöhnliche Klarheit und Schnelle seines Geistes zeugen. Er war eine derbe Natur, stark, gewaltsam und rachsüchtig, aber auch gerade heraus und wollte nicht besser scheinen, als er war. Die Schmeichler verachtete er und gab ihnen Fußtritte. Aber er war kein echter Medici: die Ehrfurcht vor Kunst und Wissenschaft kannte er nicht mehr, Florenz verödete unter ihm. Michelangelo hat es stets als seine Rettung betrachtet, daß er sich bei Clemens’ Tode auf Reisen befand, in Florenz wäre er vor der Rachsucht Alessandros nicht sicher gewesen.

Sein Nachfolger war ein völlig andrer Mensch. Die erstaunten Florentiner meinten später, Gott habe Cosimo zu seinem Herrscheramt erst nachträglich den Verstand gegeben, aber solche, die ihn von Kindheit an kannten, hatten dem stillen Wasser nie getraut. Mit einer unheimlichen Reife und Sicherheit trat er nun als ein völlig fertiger Charakter in den Vordergrund. Im Handumdrehen machte der Siebzehnjährige sich zum Herrn der Lage. Vor allem hatte er den Mut, undankbar zu sein; keinem der Räte gestattete er den geringsten Einfluß – die ihn groß gemacht hatten, stürzte er mit so unfehlbarer Sicherheit wie seine Gegner. Unverzüglich bestätigte der Kaiser seine Wahl, nur Cosimos Werbung um die Hand der verwitweten Herzogin wurde abgewiesen, denn ihr Vater hatte bereits in Ottavio Farnese, dem zwölfjährigen Enkel des Papstes, einen zweiten Gatten für sie gefunden.

Bevor die Bürger zur Besinnung kamen, lag ihnen ein neues Joch auf dem Nacken, das noch fester saß als das vorige. – Man hat viel darüber gestritten, ob Lorenzino de’ Medici den Namen des neuen Brutus, den die Ausgewanderten ihm beilegten, wirklich verdiente; das eine hatte er jedenfalls mit dem Mörder Cäsars gemein, daß seine Befreiungsthat in ihr völliges Gegenteil umschlug, indem sein Dolch einem weit schlimmeren Unterdrücker den Weg zum Throne bahnte. Eine gewisse Aehnlichkeit zwischen Augustus und Cosimo springt überhaupt in die Augen. Aber noch weiter ließe sich die Parallele verfolgen, denn nun sollten die Ausgewanderten, mit denen auch Lorenzino zurückzukehren hoffte, unweit der heimischen Mauern ihr Philippi finden.

Zwischen Prato und Pistoja, am Fuß des Apennin liegt [448] die ehemals befestigte Ortschaft Montemurlo. Dort floß im Sommer 1537 zum letztenmal florentinisches Blut im Kampfe für die Freiheit.

Filippo Strozzi hatte endlich die Ausgewanderten durch ganz Italien unter einen Hut gebracht, er selbst gab die Mittel für das ganze Unternehmen. Frankreich und der Papst bliesen heimlich in die Flammen. Aber Filippo Strozzi war kein Feldherr. Mit einer Handvoll Soldaten und etlichen sechzig Ausgewanderten zog er wohlgemut wie zu einer Lustpartie von Bologna herunter und setzte sich in der sichern Erwartung, daß sein Sohn Roberto mit der Hauptmacht von Mirandola her zu ihm stoßen werde, in dem halbzerfallenen Schlößchen von Montemurlo fest. Jedoch Roberto blieb mit den Seinen infolge heftiger anhaltender Regengüsse im Gebirge stecken, und der ältere Bruder Piero, der, die Gefahr des Vaters erkennend, ihm mit einem andern Truppenteil nachgezogen war, erlitt durch eigene Uebereilung zwischen Prato und Florenz eine schwere Niederlage. Bevor Entsatz zur Stelle war, mußte auch das schwach verteidigte Montemurlo sich ergeben. Die bezahlten Hauptleute streckten zuerst die Waffen, die Ausgewanderten, unter ihnen Filippo Strozzi, der an diesem Tage die Sünden seiner Vergangenheit gut machte, wurden mannhaft kämpfend gefangen genommen. Eine Viertelstunde später erschien die Hauptmacht mit wehenden Fahnen vor Montemurlo und stieß dort auf Pieros zersprengte Scharen, aber beide Brüder kamen zu spät, den Vater zu retten, und kehrten mit ihren Truppen, selber übel zugerichtet, über den Apennin zurück.

Der reichste Mann Italiens, der mit Königen und Päpsten als ihresgleichen verkehrt hatte und ein Liebling des Glücks gewesen, wurde nebst den andern auf einem elenden Klepper schmachvoll als Hochverräter nach Florenz geschleppt. Viele Tage hintereinander floß das Blut der Gefangenen im Hofe des Bargello,[10] bis die Haltung des Volkes so drohend ward, daß Cosimo von weiteren Hinrichtungen abstand und den Rest der Unglücklichen zum langsameren Tod in unterirdischen Verließen begnadigte.

Nur des Strozzi konnte er zu seinem Verdruß nicht habhaft werden, denn sein alter Freund Vitelli, dem Filippo sich persönlich ergeben hatte, hielt ihn in der Festung als Gefangenen des Kaisers verwahrt, um ihm Geld und kostbare Geschenke auszupressen. Jeden Einfall des habsüchtigen Kommandanten und seiner Frau befriedigten Filippos Söhne von Venedig aus, aber sie konnten die Lage ihres unglücklichen Vaters nicht erleichtern. Er wurde wiederholt gefoltert, weil man ihm das Geständnis entreißen wollte, daß er an Alessandros Ermordung mitschuldig gewesen, und eines Tages fand man ihn tot in dem Gefängnis, das er selbst gebaut hatte – es hieß, er habe selber Hand an sich gelegt, aber der Verdacht blieb an Cosimo haften, daß er ihn im Einverständnis mit dem Kommandanten heimlich habe töten lassen.

Jetzt lebte nur noch einer, nach dessen Blut Cosimo dürstete. Der „neue Brutus“ war nicht mit nach Montemurlo gezogen. Filippo Strozzi hatte ihn zu seiner Sicherheit nach Mirandola geschickt, das im Bund mit Frankreich stand; er sollte dort Truppen für die Ausgewanderten werben. Aber nach dem Tag von Montemurlo war auch in Mirandola seines Bleibens nicht mehr, und nun begann für den Geächteten ein unstetes Wanderleben. Mit Filippo Strozzi hatte er den einzig wahren Freund verloren, für die andern war die Person des Verräters und Fürstenmörders eine Verlegenheit.

Zuerst flüchtete er nach Frankreich zum König Franz, der ihn freundlich aufnahm und ihn gleich mit einer Gesandtschaft nach Konstantinopel weiterschickte. Vom Orient zurückgekehrt, hielt er sich längere Zeit in Paris im Haus eines florentinischen Ausgewanderten verborgen; dort sah ihn Benvenuto Cellini wieder, der damals für den König Franz arbeitete. Eine Zeit lang gab er sich auch für einen Studenten aus. Er mußte häufig Namen und Wohnung wechseln, weil Cosimo, der geschworen hatte, den Tod seines Vorgängers zu rächen, ihm überall nachspüren ließ. Sein Leben war eine beständige Furcht. Unter dem Druck der ewigen Verfolgung versiegte auch sein Talent. Nur einmal raffte sein erschöpfter Geist sich noch auf, als er ungefähr ein Jahr nach der That die berühmte Schutzschrift L’apologia di Lorenzo de’ Medici verfaßte, worin er die Gründe seines Handelns verteidigt. Es ist eine Schrift von so hinreißender Beredsamkeit und messerscharfer Logik, daß man zu sagen pflegte, Lorenzino habe mit der Feder den Herzog Alessandro zum zweitenmal getötet. Sonst schrieb er im Exil nichts weiter als ein paar schwermütige Sonette, um seiner Sehnsucht nach den Ufern des Arno Ausdruck zu geben.

Schnell verwelkte sein Ruhm. Die Freunde, die ihn ihren Brutus genannt, hatten teils unter dem Beil geendet, teils schmachteten sie noch in Cosimos Kerkern, die übriggebliebenen hatten mit dem Bestehenden ihren Frieden gemacht oder lebten da und dort zerstreut in der Verborgenheit. Nur die Strozzi standen treulich zu ihm. Filippos Söhne, die ihrem liebenswürdig leichtsinnigen Vater im Leben wenig Ehrfurcht bewiesen hatten, wollten nach seinem Tode pietätvoll sein gegebenes Wort einlösen und führten Lorenzos Schwestern Maddalena und Laudamia heim. Aber der blutige Glorienschein um das Haupt des Tyrannenmörders verbleichte, die Zeit ging unerbittlich über das Geschehene hinweg. Zehn Jahre nach seiner That war er ein Vergessener.

Nur Cosimo und der Kaiser vergaßen ihn nicht. Karl verlangte Sühne für das Blut seines Schwiegersohnes, und Cosimo fand seine Rechnung dabei, dem Kaiser gefällig zu sein: zwischen ihm und Lorenzino herrschte von Jugend auf bitterer Haß, der durch den langen Erbschaftsprozeß noch verschärft worden war, und überhaupt lag es in Cosimos Interesse, in der Verwandtschaft aufzuräumen. Seine besoldeten Mörder waren dem Unglücklichen überall auf den Fersen und sogar die offiziellen Gesandtschaften hatten den Auftrag, „die Pestbeule, den Verräter Lorenzo“ aus der Welt zu schaffen.

Nach dem Tode Franz’ I war Lorenzino wieder nach Venedig zurückgekehrt, wo noch ein Häuflein florentinischer Ausgewanderter zusammenhielt. Seit Catarina de’ Medici, Alessandros Schwester, den Thron mit Heinrich II teilte, war es ihm in Frankreich nicht mehr geheuer. Die Inselstadt beschützte politische Verbrecher, und der Gondelverkehr bot ihm dort eine verhältnismäßige Sicherheit. In Venedig führte er den Namen eines Herrn Marco und wohnte mit seiner Mutter und einem mütterlichen Oheim zusammen; Piero Strozzi versah den Schwager mit Geldmitteln und hielt ihm drei Bewaffnete zur persönlichen Sicherheit.

Aber der Roman seines Lebens neigte sich zum Ende. Ob er es müde geworden war, so ängstlich auf seiner Hut zu sein, ob ihn die Länge der Zeit unvorsichtig gemacht hatte: er ging häufig zu Fuß durch die engen Gassen und ließ sich unter den Fenstern einer schönen Dame blicken, zu der er ein leidenschaftliches Verhältnis unterhielt. Und doch wußte er, daß er keinen Augenblick seines Lebens sicher war. Verdächtige Persönlichkeiten hatten sich wiederholt in seine Nähe gedrängt, einmal war sogar die Gondel, in der Lorenzino sich befinden sollte, von unbekannten Strolchen, die sich für Zollwächter ausgaben, gewaltsam angehalten und durchsucht worden. Und noch ein andres Schwert hing schreckhaft über seinem Haupt: Cosimo hatte der venetianischen Regierung einen flüchtigen Verbrecher ausgeliefert und erwartete in der Person seines geächteten Vetters das Gegengeschenk. Zu seiner Sicherheit sprengten die Freunde aus, er sei nach Frankreich zurückgekehrt, aber schon hatten zwei Glücksritter, die von Cosimo gedungen waren, seine Spur gefunden, und am 26. Februar 1547 lief er endlich in sein Verhängnis.

An diesem Morgen sahen die zwei Mordgesellen Lorenzino mit seinem Oheim in die Kirche Sän Polo, die seiner Wohnung gegenüberlag, zur Messe gehen. Sie postierten sich unter der Kirchthüre, bis die beiden heraustraten, und fielen sie auf der menschenleeren Piazza an.

Lorenzino wurde mit gespaltenem Schädel zu Boden gestreckt und sein Oheim, der ihn verteidigen wollte, gleichfalls schwer verwundet. Beim ersten Lärm flog die Mutter Lorenzinos herbei, und die unglückliche Frau kam gerade recht, den letzten Seufzer ihres sterbenden Sohnes zu empfangen. Auch der Oheim erlag seinen Wunden; es hieß, die Waffen seien vergiftet gewesen.

Lorenzinos Name schwankt auf ewig in der Geschichte zwischen Schmach und Ruhm. Vieldeutig wie sein Charakter [450] sind die Motive seiner That. Das eine läßt sich mit Sicherheit behaupten, daß er es mit seinen Mitbürgern ehrlich gemeint hat; der Wunsch, seine Vaterstadt zu regieren, ist nie in Lorenzinos Kopf gekommen. Ein falscher Idealismus, der sich an der Lektüre der Alten bis zum Taumel erhitzte, vermischt mit krankhaftem Nachahmungstrieb, war der erste Hebel seiner Handlungen. So gewiß ihm bei der Verstümmelung der Antiken in Rom die berühmte Hermenschändung des Alcibiades vorschwebte, so gewiß glaubte er in jener furchtbaren Dreikönigsnacht sich zum Brutus oder Timoleon seines Vaterlandes gemacht zu haben.

Ein Bänkelsängerlied, das nach seinem Tode verfaßt und über ganz Italien verbreitet wurde, schildert, wie der Verräter zuerst vergebens an die Himmelspforte klopft und dann auch vom Höllenfürsten abgewiesen wird, weil dieser fürchtet, er möchte ihn gleichfalls verraten. Daher pflegte man lange Zeit von einem, der sich zwischen zwei Stühle niedergesetzt hatte, zu sagen: es geht ihm wie Lorenzino, den weder Gott noch der Teufel wollte.

Besser als bei den Geschichtschreibern ist Lorenzinos problematische Gestalt bei den Dichtern weggekommen. Alfieri, Niccolini, Leopardi haben vielleicht mit zuviel Naivetät ihn als Freiheitsmann verherrlicht, Musset suchte dagegen die Rätsel seines Wesens zu lösen, indem er ihn zu einem Hamlettypus umschuf. Sein „Lorenzaccio“, der lange halb verschollen war, ist in vergangenem Winter durch den neu erwachten Mussetkultus in Frankreich auf die Bühne gebracht worden, und Sarah Bernhardt hatte die Laune, auf dem Théatre de la Renaissance in der Titelrolle aufzutreten.

Es sind keine authentischen Bildnisse von Lorenzino erhalten, man kennt nur eine Denkmünze, die ihn im Brutuskostüm darstellt, mit einem mächtigen Kriegerkopf, der dem persönlichen Charakter des Dargestellten nicht entsprochen haben kann. Auffallend ist die Aehnlichkeit mit der herrlichen Brutusbüste des Michelangelo, die für den Kardinal Salviati, einen der Teilnehmer an der großen Verschwörung der Ausgewanderten gegen Alessandro, gearbeitet ist – ob aber dem Künstler die Züge Lorenzinos vorschwebten, oder ob man umgekehrt das Bildnis des „toskanischen Brutus“ diesem idealen Brutuskopf anzunähern gesucht hat, läßt sich nicht entscheiden. –

Nachdem alle Hindernisse beseitigt waren, regierte Cosimo glücklich und lange. Er hatte zwar noch schwere Kämpfe gegen den tapfern Piero Strozzi zu bestehen, der an der Spitze eines französischen Heeres den Tod des Vaters und die Unterdrückung der Heimat zu rächen suchte, aber Cosimo trug den Sieg und einen Zuwachs an Macht davon.

Cosimo I war ohne Frage ein bedeutender Mensch. Vom Vater hatte er die rasche Entschlossenheit und von der Mutter das leise Zuwarten und die tiefe Berechnung geerbt. Als er in den Windeln lag, ließ Giovanni delle Bande Nere sich einmal in einer wilden Laune das Söhnchen aus einem Fenster des hohen Palastes in den Hof herabwerfen und fing es in seinen Armen auf. Man wollte daraus schließen, daß das Kind zu großen Geschicken geboren sei. Und in der That, das Glück hat mehr für Cosimo gethan als für die Genialsten seines Geschlechts. Wie es ihn durch eine ganz unerwartete Verknüpfung äußerer Umstände zum Throne führte, so blieb es ihm bei allen seinen Regententhaten treu. Nur am häuslichen Herd verließ es ihn, sein Familienleben erschütterten blutige Tragödien, über die die höfische Geschichtschreibung ihren Schleier gezogen hat. Aber es gelang ihm, seine Dynastie für Jahrhunderte zu befestigen.

Von Pius V erhielt er den Titel eines Großherzogs von Toskana und umgab sich mit Ceremonien und Etikette. Die letzten Zuckungen der Freiheit erloschen unter ihm und ein Geist des Byzantinismus griff um sich, der das ganze Leben verwandelte. Die Nachkommen der großen Florentiner haschten nach Hofämtern, Titeln und Orden; sie pflanzten zum Zeichen ihrer loyalen Gesinnung die Büsten des Herrschers über ihren Hausthüren auf. Unter diesem Eiseshauch erstarrten die letzten späten Blüten der Renaissance, die Kunst verlor ihr inneres Leben. Bandinelli und Ammanati wetteiferten, Florenz durch ihre Werke zu verunzieren; subalterne Geister, wie Vasari und Cellini, paßten sich an, aber Michelangelo blieb gegen alle Lockungen Cosimos taub und wollte erst als Leiche in seine Vaterstadt zurückkehren. Die Platonische Akademie, die noch unter Clemens einen Macchiavelli zu ihren Mitgliedern zählte, wurde eine Schule hohler Redensarten, der Herrscher führte selbst das Protektorat und lenkte jede geistige Bewegung auf seichte Spielereien ab. Er schuf das lederne Institut der Crusca,[11] das nur seiner mumienhaften Beschaffenheit das Fortbestehen durch die Jahrhunderte dankt.

Unter den Mediceern, die, welches auch ihr politisches Wirken war, doch als Menschen immer unendlich anziehend bleiben, weckt Cosimo I die wenigste Sympathie; selbst der brutale Alessandro und der unselige Lorenzino stehen unserem Anteil näher. Widerwärtig sind auch die wohlgeformten Linien seines Gesichts, denen jede Größe mangelt. Der tragische Zug, der durch die ganze Familie geht und selbst die Schlimmeren unter ihnen adelt, ist verschwunden, und durch die Aehnlichkeit mit dem ernsten, an den ersten Napoleon erinnernden Kopf seines Vaters fällt das Kleinliche in Cosimos gemachter Majestät doppelt unangenehm auf.

Unter ihm und seinen Nachfolgern vollendete sich die friedliche Entartung seines Volks, die das bewußte Ziel seiner Politik war. Ein mildes Regiment tröstete die Florentiner später für die verlorene Freiheit; ihr Wahlspruch wurde: „Essen, trinken und guter Dinge sein“, und ein glückliches Schlaraffenleben lullte alle tieferen Fähigkeiten ein. – Wer die heutigen Florentiner betrachtet, dem scheint es unfaßbar, daß sie von dem Titanengeschlecht der alten Republik abstammen sollen. Der Uebergang, an den man sich sträubt zu glauben, ist das Werk des ersten Großherzogs.



  1. Wir erinnern unsere Leser, daß Isolde Kurz bereits im Jahrgang 1895 (S. 847) der „Gartenlaube“ einen Artikel über Lorenzo Magnifico veröffentlicht hat. Der heutige Artikel berichtet über die späteren Schicksale des Hauses Medici. Beide zusammen bieten in großen Zügen die Geschichte der Mediceer und damit die der Stadt Florenz im 15. und 16. Jahrhundert. D. Red. 
  2. Engel = angelo – eine beliebte Anspielung auf den Namen des Meisters.
  3. Die Übersetzung kann nur den Sinn wiedergeben; der gewaltige einfache Guß der Verse läßt sich im Deutschen nicht nachahmen.
  4. In Florenz besonders verehrt als Schutzpatron der Stadt.
  5. „Johannes von den schwarzen Scharen“ – so genannt von der Tracht, die seine Söldner nach dem frühen Tod dieses berühmten Feldherrn zum Zeichen ewiger Trauer anlegten. Bei Lebzeiten führte er den Beinamen L’invitto, der Unbesiegte.
  6. Die heutige Fortezza di San Giovanni.
  7. Feldgeschrei der mediceischen Partei, das sich auf die Kugeln in dem Mediceerwappen bezieht.
  8. Durch die Bresche sollte ein Durchgang gelegt werden, dem der Name Chiasso del Traditore (Verrätergasse) bestimmt war. Aber diese Gasse, die in der Phantasie der Florentiner eine große Rolle spielt, hat nach den neueren Forschungen nie in Wirklichkeit bestanden, nur der Trümmerhaufe zwischen den Häuserreihen blieb als Wahrzeichen liegen. Erst 1737, also genau zweihundert Jahre nach der That, durfte an der Stelle, wo Lorenzinos Dolch den Herzog traf, wieder gebaut werden. Das Haus, das auf den Trümmern des alten Stammhauses der Medici entstand, diente später dem Tondichter Rossini als Wohnsitz.
  9. In den sechziger Jahren unsres Jahrhunderts wurde die Gruft geöffnet, wobei man die Gebeine der beiden Herzöge noch so wohl erhalten fand, daß man die Schädel in Gips abgießen konnte. Derjenige Alessandros war an den Spuren der Mordwaffen leicht zu erkennen.
  10. Bargello, das damalige Justizgebäude, jetzt Nationalmuseum.
  11. Die noch heute bestehende Gesellschaft für Reinhaltung der italienischen Sprache.