Zum Inhalt springen

Dem Andenken Mendelssohns

aus Wikisource, der freien Quellensammlung
Textdaten
<<< >>>
Autor: Bernhard Vogel
Illustrator: {{{ILLUSTRATOR}}}
Titel: Dem Andenken Mendelsons
Untertitel:
aus: Die Gartenlaube, Heft 47, S. 732
Herausgeber: Adolf Kröner
Auflage:
Entstehungsdatum:
Erscheinungsdatum: 1897
Verlag: Ernst Keil’s Nachfolger in Leipzig
Drucker: {{{DRUCKER}}}
Erscheinungsort: Leipzig
Übersetzer:
Originaltitel:
Originalsubtitel:
Originalherkunft:
Quelle: Scans bei Commons
Kurzbeschreibung:
Eintrag in der GND: {{{GND}}}
Bild
[[Bild:|250px]]
Bearbeitungsstand
fertig
Fertig! Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle Korrektur gelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
Um eine Seite zu bearbeiten, brauchst du nur auf die entsprechende [Seitenzahl] zu klicken. Weitere Informationen findest du hier: Hilfe
Indexseite


[725]

Felix Mendelssohn-Bartholdy.
Nach einer Radierung von L. Michalek.

[732]
Dem Andenken Mendelssohns.
Gestorben am 4. November 1847.
(Mit dem Porträt S. 725.)

Ein halbes Jahrhundert ist dahingerauscht, seit Felix Mendelssohn-Bartholdy am 4. November 1847 in Leipzig seine Augen geschlossen zum ewigen Schlummer; von den nächsten Freunden, die Tag und Nacht sein Leidenslager umstanden und beklommen die Katastrophe erwarteten, lebt allerdings keiner mehr. Aber noch wandeln unter uns Zeitgenossen, die von der überwältigenden Schwere des Schmerzes, wie er bei der Kunde vom Hinscheiden des allverehrten Meisters ganz Pleißathen belastet, anschaulich zu berichten wissen. Und nicht bloß die Stadt, die ihm seit 1835 den blütenreichsten Aufschwung ihres musikalischen Kunstlebens für immer zu danken hat und einen großen Teil seiner bedeutendsten Werke entstehen sah, trauerte bei seinem Scheiden; an vielen Orten, im In- und Auslande, wohin nur jemals seine Muse den Weg gefunden, beklagte man in würdigen Gedächtnisfeiern seinen frühzeitigen Tod. In tiefergreifenden Tönen sang kein Geringerer als Emanuel Geibel dem heimgegangenen Freund, zu dem ihn die „Lorelei“ in nähere Beziehung gebracht, die Totenklage, und wer hätte ihm nicht beigestimmt in dem Zuruf:

      „Fast noch in Jugendtagen.
In deines Schaffens reichstem Sommerflor
standst du, der Zukunft Weisen schon im Ohr,
Da wurdest du vom jähen Blitz erschlagen …
Du fielst, ein Baum, der Frucht und Blume wies,
Der Großes gab und Großes uns verhieß.“

Nur ein kurzer Lebenslauf war Felix Mendelssohn-Bartholdy beschieden, aber das Schicksal hat ihm keine Dornen auf den Weg gestreut. Er brauchte nicht wie so viele große Talente mit der bitteren Lebensnot zu ringen, und ein glückliches Los war ihm auch darin bereitet, daß in seinem Elternhause Kunst und Wissenschaft eifrig gepflegt wurden. Als Enkel des Philosophen Moses Mendelssohn und Sohn des Bankiers Abraham Mendelssohn erblickte er am 3. Februar 1809 in Hamburg das Licht der Welt. Seine Mutter war eine Schwester des Legationsrates Salomon Bartholdy. Im Jahre 1811 siedelten seine Eltern nach Berlin über, und hier im Kreise kunstsinniger Freunde zeitigte die musikalische Begabung des Knaben frühzeitig vielversprechende Blüten. Im Klavierspiel war Ludwig Berger sein Lehrmeister und in der Komposition erhielt er von Kelter Unterricht.

Auf seinen Kunstreisen, die er im Jahre 1829 begann, besuchte Mendelssohn auch London und Paris, dann übernahm er 1833 das Amt des städtischen Musikdirektors in Düsseldorf. Zwei Jahre später folgte er dem Rufe nach Leipzig, wo er die Gewandhauskonzerte dirigierte. Hier gründete er sein eigenes Heim, indem er Cäcilie Jeanrenard, die Tochter eines reformierten Predigers in Frankfurt a. M., heiratete. Sein Ruf war bereits so groß, daß der König von Preußen ihn wiederholt nach Berlin berief, aber die Thätigkeit in der Hauptstadt Preußens sagte Mendelssohn nicht zu, und er kehrte nach Leipzig zurück, wo er an der Gründung des Konservatoriums der Musik den regsten Anteil nahm. Als er im Herbst des Jahres 1847 von einer Schweizerreise heimkehrte, traf ihn ein Nervenschlag, dessen Folgen er am 4. November in seiner Wohnung (Königsstraße 23) erlag.

Wie alle hervorragenden Meister hatte auch Mendelssohn seine glühenden Verehrer und seine Gegner. Die Zeit hat inzwischen das Urteil über seine Werke geläutert.

Wohl haben sich im Laufe der letzten fünfzig Jahre auch auf dem Gebiete der Tonkunst tiefgreifende Wandlungen vollzogen. Es lag nun in der Natur der Dinge, wenn sich gegen die Abgötterei, die von gewisser Seite aus mit der Muse Mendelssohns getrieben wurde, mit der Zeit eine Gegnerschaft erhob, die in Theorie wie Praxis den Schwerpunkt der Kunst und ihre letzten Ziele anderswo suchte und zu finden hoffte als auf den Pfaden des Vielbewunderten und Vielbeneideten. Aber auch sie, wenn sie nicht den Vorwurf der Ungerechtigkeit sich zuziehen wollte, mußte zugestehen, daß seit Mozart die Tonkunst keinen zweiten Musiker hervorgebracht, der sich in der Formbeherrschung und in der harmonischen Durchbildung Mendelssohn vergleichen ließe. Mag ihm die Kühnheit eines Genius, der neue Bahnen bricht, versagt geblieben sein, so ist die Anmut und das sonnige Element seines Schaffens im engsten Anschluß an große Vorbilder der Vergangenheit erquickend und anheimelnd genug.

Was immer auch, bald mit Recht, bald mit Unrecht, gegen seine Oratorien „Paulus“, „Elias“, viele seiner Psalmen vorgebracht worden ist, sie sind doch die bevorzugten Lieblinge weitester Konzertkreise geblieben, und keinem der Späteren und Neuesten ist es gelungen, ihre Volkstümlichkeit zu beeinträchtigen. Und in welcher Blütenpracht stehen noch immer jene Orchesterwerke, auf welche der Geist jugendfroher Romantik sein breites Siegel gedrückt, wie in den Ouverturen zum „Sommernachtstraum“, „Schöne Melusinen“, „Meeresstille und glückliche Fahrt“ etc.! So wichtige Errungenschaften die modernste Orchestrationstechnik auch aufzuweisen hat, so hob sie doch alle die Schöpfungen nicht aus dem Sattel, die wie viele Mendelssohn’sche Meisterwerke mit verhältnismäßig einfachem Apparat das entzückendste Kolorit erzielten, einen Klangreiz auswiesen, der bis zur Stunde noch nicht das Mindeste an Unmittelbarkeit eingebüßt hat.

Nach wie vor sind Mendelssohns „gemischte Chöre unübertroffene Meisterwerke der betreffenden Litteraturgattung. Wer hätte nicht beim „Abschied vom Wald“ („O Thäler weit'“ dem „Ruhethal“, der „Nachtigall“, „Morgengebet“ (O wunderbares, tiefes Schweigen), „Tage der Wonne“, und vielen andern die beglückendsten Eindrücke empfangen, und wer hätte ihnen, die sich in ihrer erfinderischen Frische bei musterhafter, von sprühendem Leben erfüllter Stimmführung für immer unserem inneren Menschen eingeprägt, jemals die Treue brechen mögen. In der That bildet gerade die Bethätigung auf diesem Kunstgebiete, das vor ihm nur dürftig bestellt gewesen, eine der festesten, unantastbaren Säulen von Mendelssohns Ruhm. Und was er zur Veredelung des Männergesanges gethan mit den Chören zu „Antigone“, „Oedipus auf Kolonos“, in einer Anzahl noch heute hochgeschätzter Quartette („Wer hat dich, du schöner Wald“, „Komitat“, „Ständchen“ etc.), muß ihm stets als hohes Verdienst angerechnet werden, denn die Gefahr der Versandung, völliger Verseichtung lag für diese Kunstgattung nur allzu nahe.

Welches Entzücken bereitete er einst der klavierspielenden Welt, den Freunden einer sinnigen Hausmusik mit den „Liedern ohne Worte“! Die Begeisterung für sie hat sich zwar erheblich abgekühlt, aber immerhin bereiten sie, wenn man eine glückliche Auswahl unter dem in mehreren Heften vorliegenden, sehr ungleichwertigen Material zu treffen weiß, freundlichen Genuß für Ohr und Herz. Mit Recht kehren die form- und gehaltedlen „Variations sérieuses“ neuerdings häufiger im Konzertsaal ein, wo Mendelssohns G-moll Klavierkonzert Jahrzehnte hindurch bis zum Ueberdruß oft zu hören gewesen. Mit der edlen Sinnigkeit seiner einstimmigen Lieder („Auf Flügeln des Gesanges“, „Es ist bestimmt in Gottes Rat“, „Leise zieht durch mein Gemüt“) erwarb er sich dauernde Sympathien im Palast wie in der Hütte.

Wie leicht und lustig fixiert er Eindrücke aus dem italienischen Volks- und Naturleben in seiner A-dur-Symphonie! Und wie aufmerksam hat er dem Musikgeist Schottlands gelauscht und seine Eigenart festgehalten in der A-moll-Symphonie, der „Schottischen“, die der Königin Viktoria von England, einer seiner ältesten und treuesten Verehrerinnen, gewidmet ist.

Nicht dankbar genug können Violinvirtuosen ihm sein für das E-moll- Violinkonzert, das, vom zwölfjährigen Wunderknaben Jos. Joachim einst in die Oeffentlichkeit eingeführt, seit fast fünfzig Jahren sich auf dem Repertoire aller Künstler des In- und Auslandes erhält und immer willkommen ist, mag nun ein Sarasate oder ein Isaye, ein Petschnikoff oder ein Serato, ein Thompson oder Burmester mit ihm sich beschäftigen, so fesselt es trotz der verschiedensten Auffassungen und Behandlungsweisen immer von neuem durch den Reichtum und die Grazie seiner meisterhaft ausgestalteten musikalischen Ideen.

Fürwahr, die Summe seines künstlerischen Erdenwallens ist ergebnisreich und nachwirkend! Und wie recht behält der Dichter, der ihm nachgerufen

      „Du hast gelebt
An Jahren jung, an Werken wie ein Greis,
Als Knabe Meister, hast das Lorbeerreis
In ungebleichte Laken du verwebt.“

Das Edle, Harmonische seines Fühlens und Sinnens, die Fülle seines regsamen, auf allen Gebieten der Kunst und Wissenschaft heimischen Geistes, die Liebenswürdigkeit im Verkehr mit jedem, der es als Kunstgenosse ernst nahm wie er in allen Fragen der Musik stellen ihn auch spätere Geschlechter noch als eine auserlesene Erscheinung hin. Der Sendung, die er zu erfüllen hatte, widmete er sich mit allen seinen Kräften, und so hat er in der kurzen Lebensspanne von 38 Jahren eine kaum übersehbare Fülle von herrlichen Werken geschaffen, die sicherlich auch vor dem Richterspruch einer späteren Zeit mit Ehren bestehen werden.

Bernhard Vogel.