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De vulgari eloquentia/II. Buch – Zweites Kapitel

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Zweites Kapitel.
In welchem Stoffe sich die geschmückte Volksberedsamkeit gezieme.


Nachdem wir gezeigt haben, daß nicht alle Versemacher, sondern nur die ausgezeichnetsten, sich der erlauchten Volkssprache bedienen dürfen, folgt nun zu zeigen, ob Alles darin zu behandeln sei oder nicht; und wenn nicht Alles, zu zeigen, was derselben gesonderterweise würdig sei. Hiebei ist zuerst ausfindig zu machen, was wir darunter verstehen, wenn wir sagen, daß diejenige Sache würdig sei, welche Würdigkeit hat, sowie Das edel ist, was Adel hat, und so, wenn man das Gewöhnende erkannt hat, erkennt man das Gewohnte, soweit es dessen ist; daher, wenn wir die Würdigkeit erkannt haben, werden wir auch das Würdige erkennen. Nun ist Würdigkeit der Verdienste Wirkung oder Ziel; wie wenn sich Jemand gut verdient gemacht hat, so sagen wir, daß er zur Würdigkeit des Guten gekommen sei; wenn aber übel, zur Würdigkeit des Uebeln, nämlich Einer, der gut gekämpft hat, zur Würdigkeit des Sieges; Einer, der wohl regiert hat, zur Würdigkeit der Regierung; eben so der Lügenhafte zur Würdigkeit der Scham, und der Räuber zur Würdigkeit des Todes. Aber da bei den Wohlverdienten Vergleichungen stattfinden, sowie in andern Dingen, sodaß Einige wohl, Einige besser, Einige am besten, Einige schlecht, Einige schlechter, Einige am schlechtesten sich verdient machen, und dergleichen Vergleichungen nicht stattfinden als mit Hinsicht auf das Ziel der Verdienste, welches wir Würdigkeit nennen, wie gesagt ist, so ist offenbar, daß die Würdigkeiten unter sich verglichen werden nach dem mehr oder weniger, sodaß einige groß, einige größer, einige am größten sind, und folglich ein [132] anderes würdig, ein anderes würdiger, ein anderes am würdigsten ist. Und da die Vergleichung der Würdigkeiten nicht denselben Gegenstand betrifft, sondern verschiedene, sodaß wir Den würdiger nennen, der größerer, und am würdigsten, der der größten Dinge würdig ist, weil nichts einer und derselben Sache würdig sein kann; so ist offenbar, daß die besten Dinge nach Erforderniß der Dinge der Besten würdig sind. Daher wenn die Sprache, welche wir die erlauchte nennen, die beste von allen Volkssprachen ist, so folgt, daß nur die besten Dinge würdig sind, in derselben behandelt zu werden, welche wir der Behandlung am würdigsten nennen. Welche nun diese sind, wollen wir jetzt nachforschen. Um dieselben ins Licht zu setzen, muß man wissen, daß, wie der Mensch ein dreifaches Leben hat, nämlich das Pflanzen-, Thier- und Vernunftleben, er eine dreifache Bahn wandelt. Denn dem Pflanzenleben zufolge sucht er das Nützliche, was er mit den Pflanzen theilt; dem Thierleben nach das Angenehme, was er mit den vernunftlosen Thieren theilt; dem Vernunftleben nach sucht er das Ehrenvolle, was er allein hat oder mit der Engelsnatur theilt. Auf diese dreifache Art scheinen wir zu thun, was wir thun, und weil in jeder von diesen dreien Einiges größer, Einiges am größten ist, scheint hienach Das, was das größte ist, am meisten behandelt werden zu müssen, und folglich in der bedeutendsten Volkssprache. Aber es ist zu untersuchen, was das Größte ist, und zwar zuerst in Dem, was nützlich ist, und wenn wir hiebei scharfsinnig die Absicht aller Derjenigen erwägen, welche den Nutzen suchen, werden wir nichts Anderes finden als das Wohlergehen; zum zweiten in Dem, was angenehm ist, wo wir sagen, daß Dasjenige am angenehmsten ist, was uns als köstlichster Gegenstand der Begehrung erfreut: dies ist aber die Liebe; zum dritten in Dem, was ehrenvoll ist, wo Niemand zweifelt, daß dies die Tugend sei. Daher scheinen jene drei, nämlich Wohlergehen, Liebe und Tugend, [133] jene großen Stoffe zu sein, welche zu behandeln am würdigsten sind, das heißt, diejenigen, welche in dieser Rücksicht die würdigsten sind, nämlich Tüchtigkeit in den Waffen, Liebesglut und rechter Wille. Diese allein, wenn wir wohl nachfragen, finden wir, daß erlauchte Männer in der Volkssprache besungen haben, nämlich Bertram von Bornio die Waffen, Arnald Daniel die Liebe, Gerhard von Bornello die Rechtschaffenheit; Cino von Pistoja die Liebe; dessen Freund die Rechtschaffenheit.

     Bertram nämlich sagt:

Non pos nul dat con cantar no exparia.

     Arnald:

Laura amara fal bruol brancum danur.

     Gerhard:

Più solaz reveillar, que per trop endormir.

     Cino:

Degno son io che mora.

     Sein Freund:

Doglia mi reca nella cuore ardire.[WS 1]

Die Waffen aber finde ich, daß kein Italer besungen habe. Nachdem dies eingesehen ist, wird klar werden, was in der erhabensten Volkssprache zu besingen sei.



Anmerkungen (Wikisource)