De vulgari eloquentia/II. Buch – Dreizehntes Kapitel
Auch dem Verhältniß der Reime wollen wir uns widmen, nichts jedoch von dem Reim an sich gegenwärtig abhandelnd; denn eine eigene Betrachtung derselben versparen wir auf die Zukunft, wenn wir von dem mittleren Gedichte handeln. Im Anfange dieses Kapitels scheint Einiges erschlossen werden zu müssen. Das Eine ist die Stanze oder der Reim[1], in welcher keine Reime erfordert werden, und Stanzen dieser Art gebrauchte am häufigsten Arnaldo Daniello, wie dort:
Sem fos Amor de gioi donar.
Und wir:
Al poco giorno ed al gran cerchio d’ombra.
Etwas Anderes ist die Stanze, deren sämmtliche Verse denselben Reim haben, worin es natürlich überflüssig ist, eine Regel zu suchen. So bleibt noch übrig, daß wir nur bei den gemischten Reimen anhalten müssen; und zuerst ist zu wissen, daß fast Alle hierin sich die weiteste Freiheit nehmen, und hieraus entsteht hauptsächlich die Lieblichkeit des ganzen Zusammenklangs. Denn es gibt Einige, welche nicht alle Ausgänge der Verse in derselben Stanze reimen, sondern dieselben wiederholen oder reimen in den andern, wie der Mantuaner Gotto, der seine vielen und guten Kanzonen uns wörtlich bekannt gemacht hat. Dieser mischte in der Stanze immer einen Vers ohne Begleitung ein und nannte diesen den Schlüssel, [156] und wie dies mit Einem erlaubt ist, ist es auch mit zweien erlaubt, und vielleicht mit mehreren. Einige Andere gibt es, und fast alle Erfinder von Kanzonen, welche keinen Vers in der Stanze unbegleitet lassen, sodaß sie ihm nicht den Mitklang eines Reimes geben, entweder Eines oder mehrerer, und zwar machen sie die Reime derjenigen Verse, welche nach der Theilung stehen, verschieden von den Reimen derjenigen, welche vor derselben sind; Einige aber machen es nicht so, sondern weben die Ausgänge der vordern Stanze unter die spätern Verse zurückbringend ein. Am häufigsten geschieht dies im Ausgange des ersten der spätern Verse, welchen die Meisten reimen mit dem Ausgange des letztern von den ersteren, was nichts Anderes zu sein scheint, als eine gewisse schöne Verkettung der Stanze selbst. In Rücksicht der Beschaffenheit der Reime, wie sie in der Stirn oder im Schweif stehen, scheint jede gewünschte Freiheit gewährt werden zu müssen; am schönsten aber sind die Ausgänge der letzten Verse, wenn sie mit dem Reime schweigen; bei den Füßen ist dies aber zu verhüten, und wir werden finden, daß eine gewisse Regel beobachtet sei, und wir sagen dies, indem wir eine Sonderung machen, daß der Fuß entweder in einem gleichen oder ungleichen Maß besteht, und in beiden Fällen kann der Ausgang begleitet oder unbegleitet sein; denn bei einem gleichen Maße zweifelt Niemand; wenn aber bei dem andern Jemand zweifelhaft ist, so möge er sich an Das erinnern, was wir in einem obigen Kapitel von dem Trisyllabus gesagt haben, wenn er als Theil des elfsylbigen Verses wie ein Nachhall antwortet. Und wenn in einem der beiden Füße der Ausgang reimlos bleibt, so muß er durchaus in dem andern Fuß erneuert werden; wenn aber in dem einen Fuß jeder Ausgang seine Reimgenossenschaft hat, so ist es erlaubt, nach Belieben in dem andern die Ausgänge zu wiederholen oder neue zu bringen, entweder durchaus oder theilweise, wenn nur die [157] Ordnung der vorangegangenen im Ganzen beobachtet wird, zum Beispiel, wenn die äußersten Ausgänge eines Dreimaßes, das heißt, der erste und letzte im ersten Fuße zusammenklingen, so müssen auch die äußersten Ausgänge im zweiten zusammenklingen, und wie der mittlere Ausgang im ersten Fuß sich darstellt als begleitet oder unbegleitet, so muß er im zweiten wiedererstehen; und dasselbe ist bei andern Füßen zu beobachten. Auch in den Volten haben wir fast immer dies Gesetz, und wir sagen fast, weil es sich ereignet, daß wegen der vorherbemerkten Verkettung und wegen der Verdoppelung der letzten Ausgänge bisweilen die eben besagte Ordnung verändert wird. Ueberdies scheint es uns sehr angemessen zu sein, Dasjenige, was man hinsichtlich der Reime verhüten muß, diesem Kapitel anzufügen, da wir in diesem Buche nichts weiter von der Reimlehre zu berühren denken. Drei Dinge sind es also, welche in Absicht der Stellung der Reime Demjenigen, welcher höfisch dichtet, zu thun misziemt, nämlich ein zu häufiger Wiederhall desselben Reims, wenn er nicht etwa dadurch etwas Neues und Unversuchtes von Kunst sich herausnimmt, wie der Tag des entstehenden Kriegsdienstes, welcher ohne einen Verzug seine Tageszeit vorübergehen zu lassen verschmäht; denn dies scheinen wir zu thun dort:
Das zweite aber ist die unnütze Zweideutigkeit selbst, welche immer dem Sinne etwas zu entziehen scheint, und das dritte die Rauhheit der Reime, wenn sie nicht etwa mit Weichheit gemischt ist; denn durch eine Mischung von weichen und harten Reimen wird selbst die Tragödie [158] geschmückt. Und dies möge von der Kunst, soweit sie die Beschaffenheit betrifft, genügen. Nachdem wir nun Dasjenige, was die Kunst in der Kanzone betrifft, hinlänglich abgehandelt haben, scheint jetzt das Dritte abgehandelt werden zu müssen, nämlich die Zahl der Verse und der Sylben. Und zuerst müssen wir etwas bemerken über die ganze Stanze und etwas theilen, was wir nachher über die Theile derselben bemerken werden. So ist es denn unser erstes Geschäft, eine Sonderung zu machen zwischen Dem, was zu singen vorkommt, weil einige Stanzen scheinen eine Gedehntheit zu begehren, einige nicht: sofern Alles, was wir sagen, entweder rechts oder links zu singen ist, wie es sich ereignet, bisweilen zuredend, bisweilen abmahnend, bisweilen glückwünschend, bisweilen spottend, bisweilen lobend, bisweilen tadelnd zu singen. Die Worte nun, welche nach links gehören, mögen immer zum Ende sich beeilen, und andere mit zierender Gedehntheit allmälig zum Schlusse gelangen.
Anmerkungen (Wikisource)
- ↑ Dante: Amor, tu vedi ben che questa donna.