De oll plattdütsch Modersprak
[104] „De oll plattdütsch Modersprak!“ In unserer Alles nivellirenden Zeit droht auch die Volkssprache Norddeutschlands auszusterben, das Plattdeutsche. Es ist ein unausbleiblicher Proceß, bedingt durch die allgemeine Wehrpflicht, durch die bessere Erziehung des kleinen Mannes, durch die fortschreitende Bildung und durch die immer mehr sich ausbreitenden Verkehrswege. Da ist es nur zeitgemäß, wenigstens literarisch die alte Sassensprache vor dem Untergange zu retten und, da sie keine Zukunft hat, doch ihre Vergangenheit zu prüfen und zu schildern. Und welch eine reiche, große, merkwürdige Vergangenheit besitzt gerade „de oll Modersprak“! Anschaulich tritt uns dies entgegen aus der jüngst erschienenen „Geschichte des niederdeutschen Schauspiels“ von Karl Theodor Gaedertz (Berlin, A. Hofmann u. Comp. 1884). Die Schaubühne ist ja der beste Spiegel für das gesammte Volksleben, und vornehmlich die plattdeutsche. Der Fleiß des Forschers verbindet sich mit dem Talente des Dichters, um ein Stück altsächsischer Kultur- und Litteraturgeschichte zu bieten, dem der Reiz poetischer Gestaltung nicht fehlt. Bei Karl dem Großen beginnend durchschreiten wir ein Jahrtausend bis in die neueste Zeit, und in jedem Säculum tritt uns eigenartig, voll urwüchsiger Kraft, in rührender Naivetät, mit unwiderstehlichem Humor das plattdeutsche Theater entgegen. „Von den Anfängen bis zur Franzosenzeit“ handelt der erste Band, der zweite befaßt sich mit dem 19. Jahrhundert. Gut gewählte Proben voll Scherz und Ernst illustriren den Text.
Zum zehnjährigen Todestage Fritz Reuter’s gab ferner Gaedertz aus dessen Nachlaß „Reuter-Reliquien“ (Hinstorff’sche Hofbuchhandlung in Wismar) heraus. Die Papiere des Studenten Reuter, neue Mittheilungen aus seinem Leben, die vielbesprochene Urgestalt der Stromtid auszüglich, eine mecklenburgische Luftballonfahrt, Lieder, Sprüche, Briefe: aus all diesem werden wir den unvergleichlichen Humoristen noch mehr lieb gewinnen.