David der Prediger und Spinner
Er ward im Jahre 1739 zu Strasen, unweit Strelitz einem armen Einlanger geboren, zeigte schon in seinem achten Jahre einen so heftigen Trieb zum Predigen, daß er sich oft eine blaue Schürze um nahm und den Leuten wider ihren Willen alles was er in Kirche und Schule vernommen vorpredigte. Darüber wurde er von dem damaligen Prediger des Orts, der Tangatz hieß, nachdrücklich bestrafet und abgemahnet, auch von seinem Vater gescholten und geschlagen, auch in der Stube angebunden, weil er um bey den Nachbarn herumzupredigen, das Haus gegen dessen Befehl verlassen hatte. Wegen dieser Behandlung entlief er nach Vorpommern und wurde an mehreren Orten, weil er nach seinen Jahren nur klein und unansehnlich war, als Hirte gebraucht. Einige hielten ihn für sinnig und nachdenkend, die meisten für dumm und einfältig und zu keiner andern Arbeit als zum Viehhüten geschickt. Da er mehrmals seinen Wohnort und seinen Herren wechselte, so machte das unerwartete Hervortreten seines Predigerantriebs zu Grossen-Brüntzer bey dem Pachter Engelbrechten einmal großes Aufsehen, als er sich im Alter von 20 Jahren befand. Er war lange tiefsinnig und still, da redete ihn sein Herr an: Was ist dir David, du gehst so tiefsinnig und niedergeschlagen einher? – Ich soll predigen! antwortete David. Dagegen ermahnte ihn der Pachter: Laß das bleiben, dazu haben wir ganz andre Leute! – Aber David ließ sich nicht zurück weisen, sondern predigte zum Erstaunen und zur Erbauung des ganzen Hauses, predigte bald öfter, zuweilen sogar dreimal an einem Tage. Es war aber dieses Predigen zugleich mit einer Art Krankheit des Leibes und Gemüthes verbunden, indem er in großen Tiefsinn versunken an seinem Körper schwach und mager wurde, ja er hat niemals anders, als in einer Art der Entzündung und gleichsam nach einer Art Ohnmacht gepredigt. Ein Augenzeuge berichtet davon, daß er zur Anhörung dieser Predigt zu Herrn Engelbrecht gereist sey, daß dieser ihm aber angezeigt, es sey ungewiß ob David predige. Er habe den ganzen Tag darauf gewartet und erst am Abend um 5 Uhr habe sich David eine Bibel gefordert, welches von den Hausgenossen für ein sicheres Zeichen einer nahen Predigt ausgegeben worden. Diese Bibel legte er aufgeschlagen seitwärts auf einen Tisch, auf welchen er sich mit dem Ellenbogen eines Arms stützte und mit der aufgelegten holen Hand die Augen zuhielt, wie einer, der einer Sache scharf nachdenkt, wobey er denn zuweilen dazwischen in der Bibel hin und wieder blätterte, als wenn er etwas aufschlüge. Endlich wurde das Nachdenken bey ihm noch anhaltender und die Bibel hatte völlig Ruhe, wobey er sich mit dem Kopfe zurücklegte und die Augen, die er noch mit der Hand etwas bedeckte, meist zu verschließen und dergestalt zu verdrehen anfing, daß man von dem Augapfel wenig oder nichts mehr sehen konnte. Nunmehr stürzte alles, was von Leuten im Hause war, begierig ins Zimmer und der Augenzeuge, ein Geistlicher, setzte sich gleich vor ihm an die andre Seite des Tisches, ohne daß jener es gewahr wurde, wie er denn auch keinen Menschen ansah. Bald fing er mit gefaltenen Händen ein ziemlich langes recht inbrünstiges und rührendes Gebet an, nach dessen Ende verlas er aus der Bibel seinen
[198] Text aus Jes. 1 v. 19, 20. Wollet ihr mir gehorchen, so sollt ihr des Landes Gut geniessen, weigert ihr euch aber und seid ungehorsam, so sollt ihr vom Schwerdt gefressen werden, denn der Mund des Herrn sagts. Hierauf fing er darüber einen untadelhaften, von dem besten Prediger in Absicht der Erbaulichkeit nicht zu verbessernden Vortrag an, wobey er nach Maaßgabe der damaligen in seiner Gegend herrschenden kriegerischen Umstände die Worte: des Landes Gut geniessen, imgleichen: vom Schwerdt gefressen werden, sehr erbaulich und rührend erklärte. Er beschloß seinen Vortrag mit einem eben so rührenden und inbrünstigen Gebete für den König und dessen Waffen, daß Gott dieselben mit Glück und Segen krönen wolle. Nach dem Ende des Gebets stand er vom Tische auf wie einer, der aus tiefem Schlaf erwacht und seiner selbst noch nicht mächtig ist und war dabey sehr erschöpft und kraftlos, verlangte auch etwas zu essen. Im Weggehen, sagte der erwähnte Geistliche zu ihm: Nun, das ist wahr, David, ihr habt uns itzund eine recht schöne und erbauliche Rede gebalten. – Hab ich eine schöne Rede gehalten? erwiederte er plattdeutsch, davon weiß ich nichts. – Wißt ihr denn nicht, fragte jener weiter, wovon und was ihr geredet habt? Nein! war seine Antwort, auch davon weiß ich nichts. Uebrigens war er so matt, daß er diesen Abend gar nicht mehr reden wollte, sondern, nachdem er etwas gegessen hatte, so ging er gleich fort nach der Gesindestube. Man hat an dem David bemerkt, daß er das, was er an Sonn- und Festtagen in der Kirche gehört, meist wieder in seinen Reden angebracht hat, doch in veränderter Ordnung. Er mußte bald in viele Privathäuser der Gegend kommen, um dort zu predigen.
[203] So dauerte es bis in sein fünf und zwanzigstes Jahr, wo er sich zu Th****, einem Malzahnischen Gute aufhielt und der Paroxismus so wie seine Gabe zu predigen sich allmälig verlor, so daß er nur auf großes Verlangen, aber bey weitem nicht mehr so gründlich, geschicklich, erbaulich und rührend seine Vorträge halten konnte. Der Pfarrer Müller zu Hohen Moker examinirte ihn um diese Zeit und fand ihn sehr gründlich über geistliche Dinge unterrichtet, so daß er ihn mit Verwunderung anhörte. Obgleich er nun schwarz gekleidet war zu besserem Anstande, so hat er doch seinen vorigen Herrn, den Engelbrecht gebeten, ihn wieder in seinen vorigen Dienst zu nehmen, weil ihm sein Vortrag nicht mehr fliessen wolle und er sich selbst zur Last lebe. Wahrscheinlich in der Zeit dieses Ueberdrusses kam er auf die Erfindung ein in der Gegend niegesehenes seines Garn zu spinnen. Viele hielten dies für eine Eingebung des heiligen Geistes, seine Methode bestand aber darin, ausländischen Flachs zu kaufen, diesen, nachdem er wohl geschwungen, auf der Scheundiele derb zu dreschen, ihn nachher wohl noch dreymal durch immer feinere Hecheln laufen zu lassen, bis er so klar und feinhaarig wie Seide zubereitet war. Diese Erfindung machte ihm in der Gegend fast noch mehr Ruf, als seine Predigten.
[204] Ich glaubte diesen ungeschmückten Bericht nicht unwichtig zur Vergleichung mit Berichten über ähnliche Erscheinungen in unsern Tagen. Der arme Hirte wurde geschont und geachtet von dem Kreise, in welchem sein Predigerberuf Aufsehen machte, die Zeitgenossen verschmähten nicht die Gaben seines Geistes, die sie nicht kannten. Wie ging es in unsern Tagen einer Frau, die durch Güte und Geist gleich ausgezeichnet, einen seltsamen Beruf zum Predigen in sich fühlte. Mit welchem Hohne sprachen von ihr die Zeitungen! Und für diese Niederträchtigkeiten gab es überall Preßfreiheit, während die wahren Bedürfnisse der Zeit zu selten zu Wort kommen dürfen.