Das wiederauferstandene Wikingerschiff
Das wiederauferstandene Wikingerschiff.
Ungefähr ein halbes Jahrtausend, ehe die Karavellen des Kolumbus den Atlantischen Ocean durchfurchten und statt der gesuchten Gestade Indiens die eines unbekannten Landes fanden, hat, wie bekannt, ein kühnes Seefahrervolk auf anderem Wege bereits den Boden desselben Kontinents erreicht. Es waren die skandinavischen Normannen, die, wie sie die Küsten Mitteleuropas und seiner Inseln auf schweifenden Raubzügen heimsuchten, so auch nach dem nordischen Meere ihre Fahrten ausdehnten, die Orkney- und Shetlandinseln, die Faröer besetzten, Island und Grönland in ihren Machtbereich zogen und von hier aus schließlich auch an der Ostküste des heutigen Amerikas hinabsegelten.
Bjarne Herjulfson war nach alten Berichten der erste, der,
als er seinen Vater in Grönland aufsuchen wollte, durch heftigen
Nordwind nach Süden verschlagen wurde und in die Gegend
von Neu-Fundland und Neu-Schottland gerieth, ohne doch dort
zu landen. Seine Erzählung von dem neuen unbekannten
Lande reizte Leif, den Sohn Eriks des Rothen, die Fahrt ihm
nachzuthun. Mit 35 Genossen machte er sich auf seine kühne
Entdeckungsreise, berührte Neu-Fundland und Neu-Schottland
und ging schließlich an einer Stelle vor Anker, die man in
dem heutigen Massachusetts suchen zu dürfen glaubt. Er
errichtete daselbst eine Ansiedlung, in der er mit seiner Schar den
Winter verbrachte. Die Gegend erwies sich als äußerst fruchtbar,
und als besondere Merkwürdigkeit fanden die Seefahrer
Weintrauben in Hülle und Fülle.
Mit dieser Entdeckung der Trauben verknüpft sich eine hübsche Geschichte, aus der wir zugleich – die Glaubwürdigkeit der alten von Rudolf Cronau in seinem Werke über Amerika benutzten Berichterstatter vorausgesetzt – entnehmen können, daß auch unsere engere germanische Heimath bei dieser Wikingerfahrt nach Amerika nicht ganz unbetheiligt war. Um nämlich eine genauere Untersuchung des Landes zu bewerkstelligen, hatte Leif Erikson seine Mannen in zwei Abtheilungen getheilt, von denen die eine zur Bewachung der „Leifsbudir“ getauften Ansiedlung zurückblieb, während die andere Streifzüge in die Umgegend zu unternehmen hatte. Eines Tages ereignete es sich nun, daß einer der zur Kundschaft ausgesandten Männer fehlte, und dieser Vermißte war ein Deutscher Namens Tyrkir (Dietrich), ein unansehnliches Männchen, aber sehr geschickt in allerlei Handwerk. Derselbe hatte schon in den Diensten von Leifs Vater gestanden und hatte Leif von dessen Kindheit an sehr geliebt. Um den Vermißten zu suchen brach Leif selbst sofort mit zwölf Männern auf, doch war man noch nicht weit gekommen, als Tyrkir ihnen entgegeneilte, augenscheinlich in einem ganz aufgeregten Zustande. Die Fragen Leifs beantwortete er in der Erregung zuerst in deutscher Sprache, zugleich lachte er vor sich hin. Erst nach einer Weile fing er an, isländisch zu reden, und berichtete, daß er Weintrauben und Reben in Fülle gefunden habe, welche er von seinem deutschen Heimathland aus sehr wohl kenne.
So kam es, das man dem neu entdeckten Lande den Namen „Winland“, Weinland, gab.
Andere Normannen folgten, und bald kam es auch zu Kämpfen mit den Eingeborenen. Es waren Gestalten von dunkler Hautfarbe, mit bösartigem Aussehen, struppigen Haaren, großen Augen und breiten Backenknochen – eine Beschreibung, aus der man auf ihre Zugehörigkeit zu einem Eskimostamme schließt. Sie waren im Besitz von Fellbooten und erwiesen sich als gewandte Bogenschützen. Thorwald Erikson fiel unter den Pfeilen der Skrälinger – „Schwächlinge“, so hießen die nordischen Helden die unscheinbaren Bewohner – ein anderer, Thorfinn Karlsefni, hatte bereits eine regelrechte Schlacht gegen sie zu bestehen. Nichtsdestoweniger setzten sich die Wikingerzüge nach der verführerisch schönen und reichen Küste noch jahrelang fort, bis nach Karolina sollen sie sich ausgedehnt haben. Endlich aber wurden sie durch eine Reihe ungünstiger Umstände unterbrochen, die Ansiedlungen auf amerikanischem Boden gingen wie die auf Grönland ein, und immer dunkler und verschwommener wurde die Kunde von dem Vinland im fernen Westen. Ein dauernder Verkehr zwischen der Alten und der Neuen Welt hat sich an die Fahrten eines Leif Erikson nicht angeknüpft; einen solchen zu eröffnen und damit die Neue Welt wirklich mit der Alten zu verbinden, das ist erst dem kühnen Genuesen Christoforo Colombo beschieden gewesen.
Wenn somit die Fahrzeuge der nordischen Seehelden sich an geschichtlicher Bedeutung nicht mit den Karavellen des Kolumbus messen können, so ist ihr Antheil an der Vorgeschichte Amerikas doch immer noch groß genug, um sie den Reliquien an die Seite zu stellen, welche uns an jene alten Zeiten erinnern. Es war darum ein ganz folgerichtiger Gedanke, wenn man auf der Wellausstellung zu Chicago der Flotte des Kolumbus, d. h. ihrer naturgetreuen Nachbildung, auch eine solche der „schaumhalsigen Wellenrosse“ jener nordischen Seekönige beigesellen wollte.
Dieser Gedanke ging aus von einem norwegischen Seemann Namens Magnus Andersen, und in Norwegens Hauptstadt stand ja auch die beste Vorlage für diesen Zweck zur Verfügung. Im Archäologischen Museum der Universität Christiania sind nämlich die Reste eines Wikingerschiffs aufbewahrt, das im Jahre 1880 in einem Grabhügel bei Gokstad in der Nähe des Seebadeortes Sandefjord am westlichen Ufer des Christianiafjords gefunden wurde und nach zuverlässigen Annahmen etwa aus dem Jahre 900 n. Chr. stammt.
Es war eine in dieser Zeit – die Gelehrten bezeichnen sie als das „jüngere Eisenzeitalter“ – nicht selten geübte Sitte, daß man die Toten auf und mit dem Schiff begrub, das sie im Leben getragen. Man zog das Fahrzeug auf den Strand, zimmerte darin eine Grabkammer, welche die mit vollem Waffenschmuck bekleidete Leiche aufnahm, und wölbte darüber die Erde. Einer solchen Bestattung verdanken wir auch den Fund von [397] Gokstad; der Hügel, in welchem er ruhte, hieß im Volksmunde der „Königshügel“, und es ging von ihm die Sage, daß darin ein König mit allen seinen Schätzen begraben liege. Als nun die Bewohner der Umgegend, von jener Sage gereizt, auf eigene Faust nachzugraben begannen, da legte sich die Antiquarische Gesellschaft zu Christiania ins Mittel und unternahm, um alles weitere abzuschneiden, selbst eine planmäßige Ausgrabung des Hügels. Da kam jenes alte Schiff zu Tage, vorzüglich erhalten, dank einer Schicht blauen Thons, welche es umgab. Ueber 20 Meter lang war sein Kiel, seine Breite betrug in der Mitte 5 Meter; es führte einen Mast und 32 Ruder. Man fand darin Menschenknochen, Schiffsgeräthe, kupferne und eiserne Gebrauchsgegenstände und Waffen, sowie vergoldete, silberne und bronzene Beschläge, die offenbar für Gürtel und Reitzeug bestimmt waren und theilweise schöne Gravierungen trugen. Eine ganz besonders merkwürdige Erscheinung bilden für unser Auge die runden Schilde an der Seite des Schiffes. Dort war der Platz, wo die Bemannung während der Fahrt ihre Schilde aufhing, und da diese, wie gerade auch aus den Gokstader Resten hervorgeht, in verschiedenen Farben, z. B. in unserem Falle gelb und schwarz, bemalt waren, so trugen sie nicht wenig zum Schmuck des Ganzen bei.
In und bei dem Fahrzeuge lagen die Reste von drei kleineren Booten sowie Gerippe von Pferden und Hunden. Unsere obenstehende Abbildung zeigt uns den tausend Jahre alten Zeugen der nordischen Heldenzeit an seiner Fundstätte, von der er dann alsbald nach Christiania übergeführt wurde.
Nach diesem Muster nun wurde auf Betreiben Andersens mit Hilfe von Beiträgen aus ganz Norwegen das Wikingerschiff für Chicago gebaut und es befindet sich nunmehr bereits unterwegs nach seinem Bestimmungsort. Die Fahrt über den Ocean, welche das im Verhältniß zu den neuzeitlichen Meerdurchfurchern doch gar bescheidene Fahrzeug – unser Bild S. 396 giebt ungefähr eine Vorstellung von dem Unterschied der Maße – ganz allein und selbständig durchführen will, ist kein kleines Wagniß; aber die heutigen Norweger wollen offenbar an Kühnheit und Entschlossenheit hinter ihren Altvordern nicht zurückstehen. Von New-York soll es dann den Hudson hinauf gehen bis Albany, von da durch den Eriekanal in den Eriesee, und weiter durch die kanadischen Seen bis nach Chicago. Hoffen wir, daß es, bis diese Zeilen in die Hände unserer Leser gelangen, das Ziel seiner Reise glücklich erreicht habe!
Eines aber möchten wir nicht unterlassen hier anzufügen. Auch in Kiel befindet sich der wohlerhaltene Rumpf eines Wikingerschiffs, das am 18. August 1863 im Nydamer Moor in Schleswig gefunden wurde. Es stammt aus dem vierten Jahrhundert n. Chr., ist also um ein volles halbes Jahrtausend älter als das norwegische. Wenn es bisher nicht dieselbe Berühmtheit erlangte wie jenes, so mag dies von seinem etwas ungünstigen Aufbewahrungsort herrühren. Es diente offenbar ausschließlich als Ruderboot, und während es an Länge dem Gokstader Schiffe gleich kommt, ist es bedeutend schmäler (3,30 Meter). Von jenem Schiffe aber, das in Chicago die Aufmerksamkeit der halben Welt auf sich zu ziehen berufen ist, soll ein ganz genau gleichgestalteter Bruder angefertigt werden, der dann zum Trost und zur Entschädigung solcher, welche nicht nach Chicago dürfen, diesen Sommer unter anderem auch in der Reichshauptstadt Berlin sich sehen lassen wird. H. E.