Zum Inhalt springen

Das neue Wien

aus Wikisource, der freien Quellensammlung
Textdaten
<<< >>>
Autor: Balduin Groller
Illustrator: {{{ILLUSTRATOR}}}
Titel: Das neue Wien
Untertitel:
aus: Die Gartenlaube, Heft 2, S. 29-34
Herausgeber: Ernst Ziel
Auflage:
Entstehungsdatum:
Erscheinungsdatum: 1882
Verlag: Verlag von Ernst Keil
Drucker: {{{DRUCKER}}}
Erscheinungsort: Leipzig
Übersetzer:
Originaltitel:
Originalsubtitel:
Originalherkunft:
Quelle: Scans bei Commons
Kurzbeschreibung:
Eintrag in der GND: {{{GND}}}
Bild
[[Bild:|250px]]
Bearbeitungsstand
korrigiert
Dieser Text wurde anhand der angegebenen Quelle einmal Korrektur gelesen. Die Schreibweise sollte dem Originaltext folgen. Es ist noch ein weiterer Korrekturdurchgang nötig.
Um eine Seite zu bearbeiten, brauchst du nur auf die entsprechende [Seitenzahl] zu klicken. Weitere Informationen findest du hier: Hilfe
Indexseite
[29]

Das neue Wien.

Bei der Erwähnung der herrlichen Metropole an der Donau überkommt heute Jeden ein Gefühl der Trauer und der Wehmuth, wie wir es wohl empfinden, wenn wir ein Haus betreten, in dem noch die letzten Hauche eines eben Verstorbenen wehen. Seit der grauenhaften Ringtheater-Katastrophe ist Wien ein Haus der Trauer geworden. Aber man soll, wenn der Zoll des Schmerzes gezahlt worden, sich allmählich den Lebenden wieder zuwenden; es ist eine Forderung der Humanität, der Barmherzigkeit, daß man nicht endlos an den Bildern der Trauer hängt: den Schwerbetroffenen ist es ein Trost, die Gedanken von der eigenen Trauer wohlthätig ab- und heiteren Bildern freundlich zugelenkt zu sehen.

Versuchen wir daher heute auf einen Moment die traurige Katastrophe vom 8. December vorigen Jahres zu vergessen, und wenden wir den noch umflorten Blick fort von den Schrecken der jüngsten Vergangenheit und dem in seinen ersten Anfängen schon herrlich strahlenden Wien der Zukunft zu!

Blühender als je zuvor steht auf ihre alten Tage die prangende Vindobona da. Es war und ist ihr vergönnt, eine förmliche Auferstehung zu feiern, und das unter Umständen, wie sie sich gleich günstig kaum noch jemals für eine Großstadt ergeben haben. Aus den Bedrängnissen und Unbequemlichkeiten früherer Generationen ist für die jetzige ein wahrer Segen geworden; so konnte das Unglück Pompejis eine Quelle freudigsten Genusses für unsere Tage werden. Doch vielleicht ist unser Vergleich nicht ganz zutreffend; dafür ist’s ja auch ein Vergleich, und der hat das Recht, zu hinken.

Man stelle sich einmal den Situationsplan von Wien vor! Den Mittelpunkt der Stadt bildet eines der edelsten Baudenkmäler aller Zeiten, der erhabene, in majestätischer Glorie himmelaufragende Stephansthurm; ihm zu Füßen breitet sich die innere Stadt, die eigentliche City aus. Es sind noch keine fünfundzwanzig Jahre her, daß die innere Stadt mit einem steinernen Gürtel umschnürt war, daß ihr schier der Athem verging, und diesen Gürtel bildeten die Stadtwälle, welche im Kreise um die Stadt herum aufgeführt waren. Zu den Wällen gehörten naturgemäß die Gräben; um diese dehnten sich in weitem Bogen die Glacis, und erst dann kamen die nach Dutzenden zählenden Vorstädte, aber auch diese wurden wieder durch einen kolossalen Ring eingeschlossen. Wieder gab es Wälle und Gräben, die bei dem ersten dieser beiden concentrischen Kreise aus militärischen Rücksichten aufgeführt worden waren, während sie hier bei dem zweiten lediglich der lieben Verzehrungssteuer wegen aufrecht erhalten wurden und noch werden. Außerhalb des zweiten Kreises erfreuen sich die Vororte – nicht zu verwechseln mit den Vorstädten, obschon einige derselben recht respectable volkreiche Städte abgeben würden – ihres idyllischen verzehrungssteuerlosen Daseins. Diese Vororte bilden selbstständige Gemeinden, wenn auch kein Fremder, wenn er die gerade Straße fortwandelt, je in seinem Leben bemerken würde, daß er, die Mariahilfer oder Hernalser Linie überschreitend, aus der Stadt Wien hinausgekommen sei. Es wird auch kein Fünfhauser oder Hernalser jemals zugeben, daß er kein Wiener sei; allein gegen die formelle Einverleibung seiner Commune in die Großcommune Wien sträubt er sich doch. Denn wenn er auch nur fünfzig Schritte von der Stadt entfernt wohnt, so bezahlt er doch das Kilo Rindfleisch, Mehl, Zucker, Kaffee, Petroleum, Obst, Gemüse, ja selbst den Wein und das Bier um so und so viel Kreuzer billiger, als der Wiener.

Der Situationsplan von Wien ist im Ganzen und Großen auch heute noch, wie er vor einem Vierteljahrhundert war. Der Stephansthurm bildet noch immer das Centrum, und die beiden concentrischen Kreise existiren nach wie vor, der kleinere derselben allerdings in außerordentlich vortheilhaft veränderter Form. Am 1. Januar 1858 sprach Kaiser Franz Joseph der Erste das Machtwort, daß die die innere Stadt umgebenden Stadtwälle zu fallen hätten. Es war das ein großes, bedeutungsvolles, entscheidendes Wort, und hatte es auch nicht das Gewicht einer Weltkugel, wie eine beliebte journalistische Phrase lautet, so war es doch gewichtig genug, um die alte, ehrwürdige Kaiserstadt förmlich aus den Angeln [30] zu heben, sie sofort zu verjüngen und einer früher nicht geahnten Pracht und Blüthe entgegenzuführen. Die Thore der Stadt thaten sich weit auf, und durch dieselben hielt seinen triumphirenden Einzug der Geist der neuen Zeit.

Die erste Folge des kaiserlichen Machtwortes war natürlich ein ganzer Rattenkönig von Processen, die zum Glück abermals durch ein Wort des Kaisers rasch niederschlagen wurden. Es hatten sich nämlich zum Antritt des Besitzes sofort mehrere Erben gemeldet. Die Commune vertrat die Ansicht, daß die nun frei gewordenen Gründe städtischer Boden seien. Der Kriegsminister wieder fand es für selbstverständlich, daß nicht nur Wälle und Gräben, sondern auch die Glacis in sein Ressort gehörten. War es doch von jeher sein Recht gewesen, auch mehrere hundert Klafter über die Wälle hinaus keinen Bau zu dulden; folglich mußte jetzt auch ihm allein das Verfügungsrecht zustehen. Endlich machte auch das Oberhofmeisteramt ein Recht an das Terrain geltend.

Durch einen Machtspruch des jetzigen Kaisers wurde jedoch die ganze complicirte Angelegenheit sehr bald zum Segen der Stadt Wien geordnet. Der Staat bemächtigte sich der Gründe; die concurrirenden Parteien bekamen, was sie nothwendig brauchten: die Stadt den Grund für den wundervollen Stadtpark und für andere Gartenanlagen, für das Rathhaus, für Schulen und Markthallen, der Kriegsminister für sein General-Commando und für Casernenbauten, das Hofärar für die Hofmuseen und Mittel für den projectirten Umbau der Burg. Der Rest sollte der Verwaltung des Ministeriums des Innern untergestellt werden; dieses sollte die Gründe parcelliren, veräußern und aus dem Erlöse selbst gemeinnützige Prachtbauten aufführen lassen. So die Anordnungen des Kaisers! Es war ein Machtspruch, den er gethan hatte, und es giebt heute noch Viele, die einen Rechtsspruch des Richters vorgezogen hätten. Das Volk im Ganzen und Großen segnet seinen Kaiser ob dieses weisen Machtspruches; denn wenn es wirklich zu jenem Monstreprocesse gekommen wäre, wer weiß, wann er ein Ende genommen hätte!

Ueber den Gesammtwerth der nach der oben erwähnten Vertheilung erübrigten Gründe liegen mir keine authentischen Daten vor. Bisher soll der Stadterweiterungsfonds 42 Millionen Gulden, also 84 Millionen Mark aus dem Verkaufe der Gründe erzielt haben, die ausschließlich für die Verschönerung Wiens zu verwenden sind. Man kann sich nun denken, wie unter so bewandten Umständen die Bauthätigkeit in Wien sich entwickeln mußte. Anstatt der Stadtgräben schlingt sich nun die Ringstraße um die innere Stadt, ein Ring, der reich besetzt ist mit architektonischen Perlen und Edelsteinen, und wo früher wüste und öde Glacis sich ausdehnten, erheben sich jetzt glanzvolle, stattliche neue Stadttheile. Die Vorstädte, nun mit der inneren Stadt in innige Verbindung gebracht, hörten auf, Vorstädte zu sein und zu heißen. Wien wurde in zehn Bezirke eingetheilt, und die innere Stadt ist der erste Bezirk, ein Bezirk wie die übrigen – primus inter pares – der Erste unter Gleichen. Das ist die Geschichte des inneren der beiden concentrischen Kreise, und gerade jetzt ist wieder einmal die Bewegung so recht im Zuge, dieselbe Geschichte in noch vergrößertem Maßstabe bei dem äußeren durchzuführen

Die noch disponiblen Gründe des Stadterweiterungsfonds werden in nächster Zeit ganz verbaut sein, und wenn auch die Linienwälle nicht so bald fallen sollten, wie es jetzt den Anschein hat, so wird deshalb die Bauthätigkeit in Wien doch nicht ins Stocken gerathen. Im Gegentheil, es hat heute ganz den Anschein, als sollte sie jetzt sich erst recht heben. Denn nunmehr geht es an den Umbau der inneren Stadt, der durch die Neubauten zu einer fast unvermeidlichen Nothwendigkeit geworden ist. Es ist von ganz eigenthümlichem Interesse, zu beobachten, wie ein neues Haus neben den alten Häusern wirkt. Man glaubt zu sehen, wie die letzteren förmlich krank werden und alle Lebenslust verlieren neben den neuen; sie machen es gewöhnlich auch nicht mehr lange. Die Straßenzüge, die bis an die Stadterweiterungsgründe reichen, werden zuerst inficirt. Dem Hausherrn des alten Eckhauses wird’s ungemüthlich; er fängt an, sich zu schämen, und er hat nicht eher Ruhe, bis auch sein Besitz so stattlich dasteht. Nun ist einmal Bresche gelegt. Der Eingang der Straße ist erweitert; das alte Nachbarhaus zeigt nun sogar ein Stück Feuermauer; es bietet einen abscheulichen Anblick; zudem ist es ein Verkehrshinderniß und ein Aergerniß für die ganze Stadt – es muß fallen, und es fällt förmlich von selber. So geht das fort. Das Neue dringt immer mehr nach dem Centrum vor, und neben dem Neuen vermag sich das Alte nicht mehr zu halten. So kommt es, daß in Wien seit zwei Decennien mehr und glänzender gebaut wird, als sonst in einer Stadt der Welt.

Die größte Beachtung verdienen zunächst natürlich die öffentlichen Monumentalbauten, und eine Reihe derselben stellt heute die „Gartenlaube“ ihren Lesern in sorgsam ausgeführten Bildern vor die Augen. Auf Vollständigkeit macht das Bild keinen Anspruch.

Zum Beweise dessen sei hier nur die Liste der wichtigsten dieser Bauten hergestellt: Museum für Kunst und Industrie, Gewerbeschule, Akademisches Gymnasium, Musikvereinsgebäude, Künstlerhaus, Opernhaus, Akademie der bildenden Künste, kunstwissenschaftliches Museum, naturhistorisches Museum, Parlament, Justizpalast, Rathhaus, Burgtheater, Universität, Telegraphengebäude, Generalcommando, Votivkirche, chemisches Laboratorium, Börse. Zu diesen Bauten kommen außer dem leider in Trümmern liegenden Ringtheater noch der Cursalon im Stadtpark, das Stadttheater, verschiedene Schulhäuser, Markthallen und eine unübersehbare Reihe von glanzvollen Privatpalästen, das adlige Casino, einige erzherzogliche Palais, Paläste von Eisenbahn-Gesellschaften und solche von den vornehmsten Mitgliedern der Geburts- oder Finanzaristokratie, großartige Hôtels, das städtische Pädagogium – doch geben wir es auf, die Liste zu Ende zu führen.

Was wir da angeführt, reicht wahrlich aus, um einen Begriff von der imposanten Bauthätigkeit Wiens während der letzten Jahre zu vermitteln. Als Schlußeffect wird nun der Umbau der kaiserlichen Burg in Angriff genommen. Es war der ausdrückliche Wunsch des Kaisers, daß sein Haus zuletzt an die Reihe komme. Das Neu-Wien des inneren Kreises wird also bald fertig dastehen. Jemehr sich aber Wien zu einer modernen Weltstadt entwickelt, desto dringlicher wird auch das Bedürfniß nach Verkehrsmitteln großartigen Stiles, und die Stadtbahnen werden nunmehr als unmittelbare Nothwendigkeiten betrachtet. Der Betrieb der Stadtbahnen hat aber die Auflassung der Linienwälle zur nothwendigen Voraussetzung, wodurch Wien wieder tausende von überaus günstig gelegenen Baustellen gewinnen wird.

Unsere Architekten sahen sich plötzlich vor große Aufgaben gestellt, und mit jeder neuen Aufgabe wuchsen ihre Kräfte sichtlich. Es schoß ein junger Nachwuchs in die Halme, der sehr bald reif wurde unter dem Sonnenstrahle der günstigen Gelegenheit, und heute ist Wien in der That eine wahre Hochschule der Architektur und wird weit und breit als solche anerkannt. Die Gelegenheit macht nicht nur Diebe, sie macht auch große Künstler. Das lehrt uns eine Promenade über die Ringstraße. Die dort zuerst gebauten Häuser sind auch die nüchternsten und geschmacklosesten. Das Schönheitsgefühl erwachte nur nach und nach, und nicht nur bei den Künstlern, sondern auch beim Publicum.

Das früher der Architektur gegenüber so gleichgültige Publicum Wiens verfolgt jetzt die Bauten mit warmer Theilnahme, mit geschultem Blick und verständnißvollem Interesse, und eine öffentliche Geschmackswidrigkeit erregt unfehlbar die öffentliche, allgemeine Entrüstung – es ließen sich dafür Beispiele anführen. Freilich giebt es auch Fälle, wo das Publicum sich nicht zu rathen weiß. Vor dem Rathhause beispielsweise zieht sich ein hübscher Park hin, der den Kindern der Umgebung prächtige schattige Spielplätze bietet. Nun kommen die Gartenarchitekten und sagen: der Park muß fallen; denn ein Haus, das jetzt schon, da es noch lange nicht fertig ist, mehr als zehn Millionen Gulden kostet, baut man nicht, um es hinter Bäumen und Sträuchern zu verstecken. Der Stil des Gebäudes erfordert auch seinen besonderen Stil für die Gartenanlagen; es muß daher an Stelle des Parkes ein schönes, geometrisch abgezirkeltes Gartenparterre kommen.

„Was aber,“ wendet eine Mutter ein, „sind zehn Millionen und alle Kunststile der Welt gegen die Gesundheit meines Kindes!“ Und auch sie hat Recht. Das einzige Glück bei der Sache ist nur das, daß man erstlich den herrlichen Bau auch so sehr gut sieht und daß die grünen, lebendigen Coulissen dieses Parkes auch in künstlerischer Hinsicht geradezu eine Wohlthat sind. Denn gerade hier ist auf einer relativ sehr kleinen Fläche eine ganze Musterkarte aller erdenklichen Baustile ausgebreitet: Früh- und Hochrenaissance, Gothik, deutsche Renaissance, griechische Antike. Alle diese verschiedenartigen [31] Bauwerke müssen aus einander gehalten werden, wenn sie sich nicht gegenseitig beeinträchtigen und den Beschauer schließlich ganz confus machen sollen. Da sind die grünen Scheidewände gerade recht gut angebracht.

Die Architekten, welche Neu-Wien geschaffen, haben sich einen unvergänglichen Ruhm erworben. Gedenken wir zuerst pietätvoll der beiden dahingegangenen Meister Van der Nüll und Siccardsburg, der Erbauer des neuen Opernhauses! Gleichzeitig mit ihnen, wenn auch meist bei Privatbauten, wirkte Architekt Romano, der, als er für seine künstlerischen Verdienste auf der Ringstraße geadelt wurde, sich das hübsche, selbstbewußte Prädicat erwählte „Ritter vom Ring“. Wer hat nicht von dem weltbekannten Meister F. Schmid gehört, dem wackeren Dombaumeister, der durch die Bauhütte des Kölner Domes gegangen ist, ehe er das große Werk der Restauration des Stephansthurmes unternahm, um dann mit seinem neuen Rathhaus sich selbst und der kunstsinnigen Wiener Bürgerschaft ein gigantisches Denkmal zu setzen?

Anfänglich war man durchaus nicht allgemein damit einverstanden, daß die Burg unserer Bürgerschaft in gothischem Stil ausgeführt werde. Die Gothik taugt nicht für Profanbauten, und sie entspricht durchaus nicht unseren modernen bürgerlichen Baubedürfnissen – das waren die wichtigsten und die am häufigsten vorgebrachten Einwendungen, aber in dem Maße, wie der wuchtige und dabei doch zierliche Kolossalbau aus der Erde herauswuchs, wurden auch die Einwendungen und Nörgeleien seltener. Schmid hat sich seine Wiener erobert. Früher waren allerhand Scherze an der Tagesordnung; man machte Witze über den strengen Stil und schilderte, malte und zeichnete die Wiener Rathsherren und Rathsdiener in altdeutschen Gewändern, da sie doch unmöglich das Stilgefühl so verletzen könnten, um in diesem Gebäude in moderner bürgerlicher Tracht zu erscheinen. Aus dem Scherze wurde Ernst – ernste Bewunderung.

Wie die Italiener sich die strenge, nordische Gothik für ihren heitern Himmel zurecht zu legen, wie sie für ihre malerisch-decorativen Zwecke die nöthigen Wandflächen zu schaffen wußten, so hat es speciell Meister Schmid verstanden, die imposante Kirchengothik für einen monumentalen Profanbau umzugestalten. Das Rathhaus hat nichts Kirchliches an sich, trotz seines, allerdings noch nicht fertigen, den Mittelbau krönenden mächtigen Thurmes. Es repräsentirt vielmehr in außerordentlich prägnanter und stolzer Weise die Baufreudigkeit, den ganzen edlen, selbstbewußten Sinn einer deutschen Stadtväter-Genossenschaft. In fröhlicher, recht weltlicher Art wird der große Thurm auf beiden Seiten von je zwei bewimpelten, schlanken Thürmchen flankirt werden. Und der Bürger, dem auch diese Thürmchen keine genügende Aufheiterung bieten werden, der wird sich, ist er ja einmal von der Sorge der Berathung oder des Steuerzahlens im neuen schönen Hause gepackt, sicherlich in dem großartig angelegten Rathhauskeller seine schlechte Laune vom Halse schaffen können.

Der plastische Schmuck des Hauses ist echt deutsch; alle erdenklichen bürgerlichen Gewerbe sind durch charakteristische Statuen vertreten. Da ist nichts allegorisirt und nichts idealisirt; der Schuster ist ein wirklicher Schuster und der Maschinenbauer ein wirklicher Maschinenbauer. Der große Festsaal, so groß, daß in demselben beinahe eine Reiterschlacht geschlagen werden könnte, wird mit Deckengemälden von Makart geschmückt werden. Schmid hat versprochen, daß zu dem Jubelfeste Wiens im Jahre 1883 – zweihundert Jahre nach der letzten Türkenbelagerung – der Bau seiner Bestimmung wird übergeben werden, und was Schmid verspricht, das hält er.

Wer kennt ferner Meister Theophilus Hansen nicht, den nordischen Mann, der nicht nur Wien, sondern Hellas selbst mit seinen aus hellenischem Geiste geborenen Werken beschenkt? Wie Wien hat er auch Athen mit Monumentalbauten geschmückt, die seinen Namen auf die spätesten Geschlechter bringen werden. Um nur einige seiner Wiener Bauten zu nennen, seien die reizvolle protestantische Schule, das Musikvereinsgebäude, die Börse, der imposante Heinrichshof gegenüber der Oper und das Parlament genannt.

Wie Schmid die kirchliche Gothik, so hat Hansen bei dem letzterwähnten Baue den griechischen Tempelstil für unsere modernen Bedürfnisse umgewandelt. Ueber einer kühn geschwungenen Rampe thront ein mächtiger, säulengetragener griechischer Tempel als dominirender Mittelbau; an beiden Seiten, ihm untergeordnet, erblicken wir zwei kleinere Tempel, welchen ein rusticirtes Erdgeschoß gleichsam zum Sockel dient. Die Giebelfelder der Tempel zeigen reichen plastischen Schmuck, und die Rückseite des Baues entspricht bis auf die Rampe genau der Vorderseite. Die beiden anderen Seiten des großen Quadrats zeigen erst den griechischen Stil in seiner Anwendung für den modernen Palastbau.

Sie sind, so gut es eben thunlich war, organisch mit den Tempeln verbunden und ragen doch als zwei ziemlich selbstständige Bauten in die Höhe. Ihre Bedachung ist flach und läßt an den Ecken freien Spielraum für je eine Quadriga (Viergespann), deren Ausführung dem reichbegabten Bildhauer Pilz anvertraut ist. Im Ganzen werden acht von Siegesgöttinnen gelenkte Viergespanne, also zweiunddreißig monumentale Rosse das Gebäude krönen. Eine Quadriga ist bereits probeweise aufgestellt und läßt ahnen, wie wirkungsvoll dieser reiche Schmuck sich ausnehmen wird.

Hansen beabsichtigt, aus seinem Parlament ein wahrhaftiges goldenes Haus zu machen. Neben reicher vielfarbiger Verzierung will er auch Vergoldungen in großem Stile vornehmen. Es sollen die Giebelfelder, Friese, die Säulenfüße und Capitäler, Zahnschnitte und dergleichen mehr vergoldet, andere Bauglieder wieder mit prangendem Farbenschmuck versehen werden. Die parlamentarische Baucommission ist freilich für diese Pläne noch nicht gewonnen. Sie neigt vorläufig noch mehr zur „edlen Einfachheit“, wohl zumeist darum, weil diese entschieden billiger ist. Es würde in der That auch eine schwere Menge Goldes aufgehen, bis dieses gewaltige Gebäude seinen ausreichenden Goldschmuck angelegt hätte. Einstweilen hat es der große Baukünstler, dem der Schalk im Nacken sitzt, damit versucht, der Commission den Mund wässerig zu machen, indem er einen kleinen Theil des Gebäudes mit Farbe und Gold geschmückt hat. Vielleicht nützt es.

Glänzende Verdienste um Neu-Wien hat sich auch Ferstel mit seiner Votivkirche, der Universität und zahlreichen anderen Bauten erworben. Die Votivkirche darf wohl ohne Uebertreibung als der zierlichste gothische Riesenbau unseres Jahrhunderts bezeichnet werden. Den Anlaß zu dem Bau gab das verbrecherische Attentat jenes ungarischen Schneiders auf Kaiser Franz Josef den Ersten, und Erzherzog Max, der nachmalige unglückliche Kaiser von Mexico, war der erste Begründer des Baues. Fast ein Jüngling noch hat ihn Ferstel begonnen, und er hat die Freude, nun im kräftigsten Mannesalter sein Auge an dem fertigen Werke weiden zu können. Seine Universität ist in dem edlen, vornehmen Stile der toscanischen Frührenaissance gehalten. In glücklicher Weise wurde hier der Palaststil den speciellen Zwecken einer Hochschule dienstbar gemacht. Der Hof der Universität und ihre Bibliothek sind jetzt schon, bevor sie noch dem Publicum zugänglich sind, für Fachkreise wahre Berühmtheiten. Es giebt keinen Bau in Wien, der mit sympathischeren Blicken betrachtet würde, als gerade dieser.

Hufenauer, der Baumeister des neuen Burgtheaters und der designirte Leiter des Umbaues der Hofburg, hat sich mit seinen Museen den Wienern in’s Herz hineingebaut. Das Initialbildchen dieses Artikels zeigt uns eines der beiden Museen, die sich gegenüberstehen und sich vollkommen gleichen. Sie weisen die Spuren der formenfreudigen Hochrenaissance auf und werden, wenn erst die Hofburg aufgebaut sein wird, in schöner architektonischer Beziehung zu dieser stehen. Stolz ragen ihre mächtigen Kuppeln in die Höhe, auf ihnen die Kolossalstatuen des lichtspendenden Helios und der die Häupter erleuchtenden Minerva. Ein Kranz von Standbildern von Künstlern und Gelehrten aller Zeiten blickt von der Dachhöhe auf das Treiben der Menschlein da unten herab.

Wiedemans, eine jugendlich aufstrebende Kraft, hat sich mit seinem Justizpalaste, den er sich mit glücklichem Wurfe auf dem Concurrenzwege errungen, in die vorderste Reihe der Wiener Architekten gestellt. Er zeigt sich hier als geschmackvoller Eklektiker; die deutsche Renaissance waltet jedoch vor und drückt dem Ganzen ihr malerisches, reich gegliedertes Gepräge auf. Besonders erwähnt zu werden verdient es, daß dem Baumeister hier auch nicht annähernd so bedeutende Mittel zu Gebote standen, wie den übrigen Künstlern bei ihren Monumentalbauten. Um so anerkennenswerther ist die dennoch unleugbar vorhandene monumentale Wirkung, die der Künstler mit so geringen Mitteln zu erzielen gewußt hat.

[32]

NEUE WIENER MONUMENTAL-BAUTEN. UNIVERSITÄT. PARLAMENT. VOTIV-KIRCHE. RATHAUS. JUSTIZPALAST.

Neue Wiener Monumentalbauten.
Originalzeichnung von A. Kronstein in Wien.

[32] Noch viele Andere aus der illustren Schaar der Wiener Baukünstler haben sich rühmlich hervorgethan; denn zu der langen Reihe der schönen Bauten von Neu-Wien gehört auch eine lange Reihe guter Namen. Es ist erfreulich, zu berichten, daß es all diesen Talenten an Anerkennung nicht gefehlt hat. Die Wiener Baukünstler haben sich eine Stellung in der Welt errungen, auf welche stolz zu sein sie ein gutes Recht haben. Wien ist auch stolz auf sie und auf ihr Werk, auf Neu-Wien. Balduin Groller.