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Das neue Empfangsgebäude der Berliner-Anhaltischen Eisenbahn in Berlin

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Titel: Das neue Empfangsgebäude der Berliner-Anhaltischen Eisenbahn in Berlin
Untertitel:
aus: Die Gartenlaube, Heft 18, S. 295–298
Herausgeber: Ernst Ziel
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Erscheinungsdatum: 1880
Verlag: Verlag von Ernst Keil
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Erscheinungsort: Leipzig
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Quelle: Scans bei Commons
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Das neue Empfangsgebäude der Berlin-Anhaltischen Eisenbahn in Berlin.

Von dem rastlosen Streben und Wachsen der Industrie und dem hierdurch veranlaßten Aufschwunge der modernen Verkehrsmittel legt kaum etwas ein so glänzendes Zeugniß ab, wie die gewaltigen Bauwerke unserer Zeit. Ein solch mächtiges Monument der Betriebsamkeit wurde neuerdings in dem Empfangsgebäude der Berlin-Anhaltischen Eisenbahn in Berlin aufgerichtet, um demnächst seiner Bestimmung übergeben zu werden.

Die ursprünglich zum Betrieb einer Berlin-Sächsischen Eisenbahn von Potsdam über Riesa nach Leipzig im Jahre 1836 gegründete Privatgesellschaft verwandelte sich zwei Jahre später mangels Erlangung dieser Concession in die Berlin-Anhaltische Gesellschaft zum Bau einer Bahn von Berlin nach Cöthen. Bereits im Jahre 1841 wurde diese ganze Strecke eröffnet. Im Jahre 1848 wurde die Verbindung mit Dresden durch die Strecke Jüterbogk-Röderau hergestellt, und elf Jahre später wurden Bitterfeld, Halle und Leipzig in das Verkehrsnetz gezogen. Erst nach dem deutsch-französischen Kriege ließ sich die directe Verbindung zwischen Magdeburg und Leipzig durch Ausbau der [296] Strecke Zerbst-Leipzig bewirken, während durch die neue Route Wittenberg-Falkenberg ein Anschluß nach Kohlfurt ermöglicht wurde.

Die wirthschaftliche Bedeutung der Bahn wuchs stetig im Verhältniß zu dieser Ausdehnung: aus Oesterreich, Ungarn und Italien, aus Sachsen, Süddeutschland und Frankreich werden auf ihren Achsen Kohlen, Rohstoffe für die Industrie sowie Lebens- und Genußmittel verschiedener Art dem Consum der deutschen Reichshauptstadt zugeführt. Der Getreideverkehr wird durch mächtige Lieferungen aus Oesterreich und durch den Transport der ostpreußischen und russischen Waare nach Sachsen, Baiern und Thüringen repräsentirt. Eine nicht geringere Bedeutung hat die Anhaltische Bahn für den Personenverkehr. Und dieser glücklichen Conjunctur entsprechend, wuchs die Dividende der Actionäre zwischen 1842 und 1871 von viereinhalb auf achtzehneinhalb Procent, wogegen sie für das Jahr 1878 wieder nur fünf Procent ergab.


Der neue Anhalter Bahnhof in Berlin: Außenansicht.
Originalzeichnung von Neubauer.[WS 1]


Wie die Verwaltung der Anhaltischen Bahn seit über fünfundzwanzig Jahren mit der Geschäftsführung des großen, alle deutschen, österreichischen, ungarischen und holländischen, sowie viele belgische und russische Bahnen umfassenden „Vereins deutscher Eisenbahnverwaltungen“ betraut ist, so führt der an ihrer Spitze stehende Geheime Regierungsrath Fournier in dessen Generalversammlungen seit der gleichen Zeit in allgemein anerkannter Weise den Vorsitz. Da eine Verstaatlichung der Anhaltischen Bahn gegen eine vierprocentige Rente Ende 1879 abgelehnt und der Bahnerwerb seitens des Reiches überhaupt inzwischen vorläufig sistirt worden ist, so wird die bisherige Leitung noch auf längere Zeit in Thätigkeit verbleiben.

Nach dem Jahre 1870 waren die Einrichtungen der Anhaltischen Bahn dem ungeheuren Verkehrsaufschwung nicht gewachsen. Der Berliner Spott fiel mit seiner ganzen ätzenden Schärfe über die Betriebsstockungen, vor Allem aber über die klägliche Räumlichkeit des Empfangsgebäudes her. Die Praxis des Dividendensparens mußte endlich für eine Weile aufgegeben werden, und die Bahn hat ihren Ruf in glänzender Weise wiederhergestellt. Nachdem die Betriebs-Einrichtungen den Anforderungen entsprechend hergestellt waren, sollte die Vortrefflichkeit der inneren Ausstattung sich in der äußeren Pracht der Verkehrsräume spiegeln. Am Askanischen Platz, im südwestlichen Theile Berlins, nahe dem Hafen des Schifffahrtscanals, wo das verhöhnte arme und winklige Bahnhofsgebäude sich verschämt in der Ecke barg, steigt nunmehr in monumentalen Linien der mächtige Ziegelbau empor, erhebt sich stolz das neue Empfangsgebäude in seiner warmen tiefgelben Tönung.

Es war ein seltenes Glück, daß die Verwaltung einen hochbegabten Architekten, der seine junge, volle Kraft mit dem edelsten Eifer an die große Aufgabe setzte, in der Person des Baumeisters Franz Schwechten für ihre Zwecke zu gewinnen vermochte. Unter seiner künstlerischen Oberleitung, unter der Mitarbeiterschaft der Baumeister Sillich und Lantzendorf, sowie des Ingenieurs Seidel wurde ein Werk vollendet, das, trotz strenger baulicher Kennzeichnung des Zweckes, allen Anforderungen der Schönheit in bewundernswürdiger Weise gerecht geworden ist.

Die gegen Norden gewendete und dem Askanischen Platze zugekehrte Hauptfront des Bauwerkes ist, wie die übrigen Façaden, aus den gelben Verblendsteinen und Terracotten der Greppiner Werke hergestellt, welche nur an den Theilen, die dem Schlagregen ausgesetzt sind, durch Sandsteine, meist aus den Velpker Brüchen, ersetzt werden. Die Façade des mit einem flachbogigen Dach geschlossenen Hallenbaues, gekrönt von einer Statuengruppe „Der Weltverkehr“ des Bildhauers Hundtriefer, überragt die übrigen Baumassen dieser Front, und zwar gliedern diese Hallenfaçade neun schmale, nach den Seiten zu in ihrer Höhe regelmäßig abnehmende Rundbogenfenster, von zwei niedrigen Eckthürmen eingeschlossen, an denen je ein kreisrundes Relief des Bildhauers Litke, eines den Mercur, das andere die Ceres darstellend, die Façade ziert. Unter ihr aber lagert, vor der riesigen Halle, der eigentliche Frontbau des Bahnhofes mit einer Höhe von sechszehn Meter bei hundert Meter Breite. Auf granitenem Sockel lastet das Erdgeschoß in 4,6 Meter Höhe, über welchem sich das Hauptgeschoß, von vierzehn Rundbogenfenstern durchbrochen, erhebt. Die

[297] Mitte nimmt der bis zu einer Höhe von zwanzig Meter aufsteigende Vestibülbau ein, welcher durch beide Geschosse hindurchgeht; ihn krönt die mächtige Uhr, deren Seiten die vom Bildhauer Brunow modellirten Figuren des Tags und der Nacht, in Kupferniederschlag von Riedinger in Augsburg ausgeführt, einnehmen; drei kreisrunde Fensteröffnungen und die beiden Sandsteinreliefs des Bildhauers Geier „Ingenieurwissenschaft“ und „Architektur“ beleben ihn. Am Vestibül tritt wiederum die niedrigere Unterfahrt in einer Höhe von 11 Meter vor, welche sich gegen den Askanischen Platz mit drei Rundbogen öffnet. Von hier aus findet der Zutritt zu dem Bahnhofe statt, und zwar ist Raum für die gleichzeitige Vorfahrt von drei Droschken genommen.

Die Langseiten des Bahnhofes sind, wenn auch natürlich nicht mit so prächtiger Façade, wie die der Hauptfront, geschmückt, dennoch durch die mächtigen Bogenfenster der Halle, sowie durch die gemusterten Füllungen der breiten Pfeiler in anziehender Weise belebt.


Der neue Anhalter Bahnhof in Berlin: Die Verkehrshalle.
Originalzeichnung von Neubauer.[WS 2]


Nachdem wir die äußere Schönheit des Werkes in Augenschein genommen, betreten wir vom Askanischen Platze aus durch die Unterfahrt das Innere des Bahnhofs. Drei Thüren vermitteln den Eingang in das mächtige Empfangsvestibül, dessen Umfang 390 Quadratmeter beträgt. Die Großartigkeit in der Anordnung des ganzen Gebäudes offenbart sich hier sofort dem Beschauer, indem unmittelbar ein freier Einblick bis weit in die große Bahnhofshalle beziehentlich das Dachwerk derselben gewährt wird. Im Vestibül befinden sich links die sechs Billetschalter, während sich rechts der Raum für die Gepäckannahme anschließt. Das hier abgegebene Gepäck gelangt durch die überwölbten Schachte des Erdgeschosses auf Karren bis zu hydraulischen Aufzügen. Mittelst derselben werden die Güter zur Perronhöhe emporgehoben und sodann auf besonderen, zwischen den Abfahrtsgeleisen liegenden Gepäckperrons bis zu den für ihre Verladung bestimmten Wagen gekarrt. Durch zwei entsprechende Versenkungen an der linken Seite des Bahnhofs gelangt das von den Gepäckperrons der Ankunftsgeleise gekarrte Personengut der ankommenden Reisenden nach dem Tunnel und von dort zur Gepäckausgabe. Dieser sinnreichen Einrichtung zufolge wird die Belästigung der Reisenden durch das sonst übliche Hin- und Herstoßen der Gepäckkarren auf die glücklichste Weise vermieden.

Wir verlassen das Vestibül und dringen auf einem breiten, oben in zwei Arme sich spaltenden Treppenaufstieg zu der großen Corridorhalle, dem Vorraum zur eigentlichen Bahnhofshalle, empor. Dieses Foyer, welches eine Länge von 87 Meter erhielt, entfaltet, im Osten und Westen durch Kuppelräume mit Oberlicht abgeschlossen, eine ungemein imposante architektonische Wirkung. Es übertrifft die berühmte Vorhalle der Peterskirche zu Rom in der Länge um 15 Meter.

Von der Corridorhalle führen rechts wie links vier Thüren in den eigentlichen Kopfperron der Bahnhofshalle. Der ungeheure Raum, dessen Grundfläche fast derjenigen des Marcus-Platzes von Venedig gleich ist, liegt voll vor unseren erstaunten Blicken. Ueber uns wölbt sich die mächtige Rundung der Halle in ihrer bisher von keinem ähnlichen Baue erreichte Höhe von 34,25 Meter. Die 60,72 Meter betragende Breite des Raumes wird nur von der Sanct-Pancrasstation zu London und der Centralstation zu Birmingham übertroffen. Vor uns liegen in gerader Richtung die Schienenstränge für die einlaufenden und abgehenden Züge und an denselben die zwei Seiten- und zwei Mittelperrons für die ein- und aussteigenden Reisenden. Es ist ermöglicht, daß hier zu gleicher Zeit sechs verschiedene Personenzüge, und zwar vier abgehende und zwei einlaufende, Aufstellung finden können.

Auf der rechten Seite des Kopfbaues befinden sich für das abreisende Publicum Wartesäle von mächtiger Ausdehnung, an welche sich die Räume für die Telegraphie, für die Stationsbeamten, sowie die Empfangssäle für den kaiserlichen Hof anschließen. Auf der linken Seite öffnet sich mit drei Thüren das 300 Quadratmeter große Ausgangsvestibül für die angekommenen Reisenden. Neben demselben ist durch Einrichtung eines Wartesaals für das auf die Ankommenden wartende Publicum einer sonst selten berücksichtigten Forderung Rechnung getragen. Hier [298] schließen sich, außer kleineren Räumlichkeiten für die Benutzung des kaiserlichen Hofes bei seiner Ankunft, noch Säle, welche vorläufig für Verwaltungszwecke bestimmt sind, an. Der Kopfperron quer vor den Schienen selbst, welcher uns zuerst aufnahm, soll für den Sommerverkehr als Aufenthaltsraum für das abreisende Publicum benutzt und dementsprechend mit Sitzplätzen und Tischen ausgestattet werden. Sogar einen in unglaublicher Weise gesteigerten Verkehr würde dieser riesige Raum mit seinem Umfange von 900 Quadratmeter – nur 270 Meter weniger, als der weltberühmte große Gürzenichsaal in Köln – bewältigen können.

Auch die Längswände der inneren Bahnhofshalle bieten, vom Kopfperron aus betrachtet, ein ebenso eigenartiges wie eindrucksvolles Bild. Dieselben werden in Zwischenräumen von je 14 Meter (Achsweite) – statt der meist üblichen einzelnen Wandpfeiler – durch eine Anzahl von Doppelpfeilern unterbrochen, auf welchen die eisernen Gewölbeträger, zu zweien gekuppelt, aufsetzen; inmitten je zweier Doppelpfeiler, deren Lücke durch Terracottaplatten verkleidet ist, erheben sich die hohen, sieben Meter breiten Hallenfenster. Diese Anordnung giebt ein unterscheidendes Merkmal von derjenigen der übrigen Berliner Hallen ab, bei welchen die Entfernung der einzelnen Bänder höchstens 7,5 Meter beträgt, und steigert durch ihren mächtigen Maßstab den großartigen und edlen Eindruck der Halle. Ebenso erhöht ein sehr eigenartiger Raum über der großen Corridorhalle den monumentalen Charakter des Bahnhofes: eine Loggia von riesigen Dimensionen, welche, nach innen geöffnet, auf den Kopfperron herabblickt.

Ueber die innere Einrichtung der Räumlichkeiten zu berichten, ist vor deren Fertigstellung unmöglich: daß dieselbe der großartigen Anlage des Werkes entsprechen wird, verbürgt unzweifelhaft der vornehme Sinn und vollendete Kunstgeschmack des Baumeisters.

Es erübrigt noch, einige Daten über die Kosten des Baues anzugeben: für den Innenbahnhof ist ein Aufwand von 6,300,000 Mark erforderlich gewesen. Hierzu treten weitere 7,200,000 Mark für den Güterbahnhof, während die Kosten des Rangirbahnhofes und der Werkstatt 1,500,000 beziehungsweise 3,000,000 Mark betrugen. Die letzteren beiden Anlagen befinden sich auf der Tempelhofer Feldmark, im Süden der Stadt. Sobald der Personenbahnhof zur Benutzung gelangt, werden auch die bisher gesperrten Strecken der großen äußeren Ringstraße von Berlin – der Bülow- und York-Straße, dem Verkehr übergeben werden. Dieselben sind unter der Anhaltischen, Potsdamer und Dresdener Bahn hindurchgeführt. Zwei andere Straßen, Monumenten- und Colonnen-Straße, sind auf mächtigen Brücken über die Anhaltische Bahn herübergeleitet.

So ist mit einem allerdings ansehnlichen Kostenaufwand ein Werk geschaffen worden, welches in gleicher Weise den Meister, der es vollendet, wie die Männer, die ihn erwählten, ehrt.

Anmerkungen (Wikisource)