Zum Inhalt springen

Das neue Ehepaar

aus Wikisource, der freien Quellensammlung
Textdaten
<<< >>>
Autor: Christian Fürchtegott Gellert
Illustrator: {{{ILLUSTRATOR}}}
Titel: Das neue Ehepaar
Untertitel:
aus: Sämmtliche Schriften. 1. Theil: Fabeln und Erzählungen, Zweytes Buch. S. 188–193
Herausgeber:
Auflage: 1. Auflage
Entstehungsdatum:
Erscheinungsdatum: 1769
Verlag: M. G. Weidmanns Erben und Reich und Caspar Fritsch
Drucker: {{{DRUCKER}}}
Erscheinungsort: Leipzig
Übersetzer:
Originaltitel:
Originalsubtitel:
Originalherkunft:
Quelle: Commons
Kurzbeschreibung:
Erstdruck 1746/48
Eintrag in der GND: {{{GND}}}
Bild
[[Bild:|250px]]
Bearbeitungsstand
fertig
Fertig! Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle Korrektur gelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
Um eine Seite zu bearbeiten, brauchst du nur auf die entsprechende [Seitenzahl] zu klicken. Weitere Informationen findest du hier: Hilfe
[[index:|Indexseite]]


[188]
Das neue Ehepaar.


Nach so viel bittern Hindernissen,
Nach so viel ängstlicher Gefahr,
Als jemals noch ein zärtlich Paar
Hat dulden und beweinen müssen,

5
Ließ endlich doch die Zeit mein Paar das Glück geniessen,

Das, wenns ein Lohn der Tugend ist,
Sie durch Beständigkeit zehnfach verdienet hatten.

     Sie, die sich, hart bedroht, als Liebende, geküßt,
Die küßten sich nunmehr erlaubt als Ehegatten,

10
Nachdem sie neidscher Freunde List

Und strenger Aeltern Zorn liebreich besänftigt hatten.
Wer war, nach langer Jahre Müh,
Nun glücklicher als Er, und Sie?
Denn, was man liebt, geliebt besitzen können,

15
In einem treuen Arm sich seines Lebens freun;

Ist, Menschen, dieß kein Glück zu nennen:
So muß gar keins auf Erden seyn.
Hier wett ich wohl, daß mancher heimlich spricht,
Der gute Mensch versteht es nicht.

20
Denn wär die Lieb ein Glück, was könnte mir denn fehlen,

Da ein erlesnes Weib in meinen Armen liegt?
Ist sie nicht reich und schön? doch bin ich nicht vergnügt.
Ich glaub es, lieber Freund; allein sich so vermählen,

[189]
Wie viele thun, das heißt nicht lieben, nein:
25
Das heißt, mit weit getrennten Seelen

Ein Leib in einem Hause seyn.

     Ein unverhofftes Glück begegnet unsern Beiden.
Wie weinen sie vor Zärtlichkeit!
Der arme Mann soll itzt auf kurze Zeit

30
Von seiner theuren Gattinn scheiden,

Weil ihn ein naher Freund in einer fernen Stadt
Zum Erben eingesetzet hat.

     Von heissen Lippen losgerissen,
Und doch entbrannt, sich länger noch zu küssen,

35
Sprach eines, was das andre sprach,

Dem andern immer stammelnd nach,
Ein Lebewohl, ein seufzend Ach!

     Er stieg nunmehr ins Schiff (wie oft sah er zurücke!)
Und Doris blieb am Ufer stehn,

40
Um ihrem Damon, ihrem Glücke,

Noch lange schmachtend nachzusehn.
O Himmel! hört ich sie noch an dem Ufer flehn,
Bring meinen Mann gesund zurücke.

     Das Schiff bringt ihn an seinen Ort.

45
Er schreibt mit jeder Post: Bald, Doris, werd ich kommen.

Kaum hat er auch sein Gut noch in Besitz genommen:
So eilt er schon zu Schiffe wieder fort,

[190]
Und schreibt, damit sie nichts von seiner Ankunft wüßte,

Daß, wider sein gegebnes Wort,

50
Er noch acht Tage warten müßte,

Eh er sie wiedersäh und küßte.

     Die junge Frau, die, wenn die Sonn entwich,
Aus ihrem von der See nicht fernen Hause schlich,
Und gern am Ufer sich verweilte,

55
Gieng itzund an der Freundinn Hand,

Mit der sie stets ihr Herze theilte,
An den ihr angenehmen Strand.

     Sie redten. Und wovon? Erräthst du dieß noch nicht,
Wovon ein treues Weib, die schmachtend wartet, spricht:

60
So bist du auch nicht werth, den Innhalt zu erfahren.

Nein, nein, verschweig es mein Gedicht,
Wie zärtlich Doris Wünsche waren!
Das Herz wird dem, der liebt, sie selber offenbaren,
Und für die andern schreib ich nicht.

65
     Indem daß Doris noch mit manchem frohen Ach!

Von ihres Gatten Ankunft redte,
Und von dem Gastgebote sprach,
Das sie sich ausgesonnen hätte;
Indem sie noch von ihrer Erbschaft redte,

70
Und, wenn sie den Entwurf von ihrem Glück gemacht,

Sich oft in dem Entwurfe störte,
Und den, der sie im Testament bedacht,

[191]
Mit dankerfüllten Thränen ehrte;

Indem sie zum voraus die Armen speisen ließ,

75
Und mütterlich den Waisen sich erwies,

Der Kranken Herz mit Stärkungen erquickte,
Und den Gefangnen Hülfe schickte;
Indem sie dieß im Geist von ihrer Erbschaft that,
Und, in ihr Glück vertieft, ans Ufer näher trat:

80
Fieng ihre Freundinn an: Was schwimmt dort auf dem Meere?

Ein Kästchen? Wie? wenns voll Juwelen wäre?
Ach Doris! wäre das nicht schön?
Allein ich sag es dir, ich habs zuerst gesehn,
Und kömmt es an den Strand geschwommen:

85
So ist das Glück des Schiffbruchs mein;

Doch du wirst ja bald nieder kommen,
Und das versteht sich schon, ich muß Gevatter seyn,
Dann bind ich dir drey Schnuren Perlen ein.

     Die junge Frau belohnte Scherz mit Scherze.

90
Es nähert sich, fieng jene wieder an;

Doch wie erschracken sie, als sie zu ihrem Schmerze
Fern einen Leichnam schwimmen sahn.
Wer weis, sprach Doris, welcher schon
Die Thränen in den Augen stunden,

95
Wer weis, ist der, der hier sein Grab gefunden,

Nicht grauer Aeltern einzger Sohn?
Wer weis, mit welcher trunknen Freude
Itzt die verlebten alten Beide,

[192]
Ihn zu empfangen, fertig stehn,
100
Und sich im Geist erfreun, die Braut ihm anzubieten,

Die sie für ihn erwählt, und treulich für ihn hüten?
Gott geb es nicht, daß sie den Anblick sehn!
Wer weis, ward nicht durch seinen Tod
Der treusten Frau ein lieber Mann entrissen,

105
Die bald ihr eignes Weh, bald ihrer Kinder Noth

In Armuth wird beweinen müssen?
Wer weis, wie vielmal er bethränt,
Eh er noch starb, das arme Weib erwähnt!
Doch, Freundin, komm von der betrübten Stelle,

110
Damit mein Herz nicht länger zittern darf.

Dieß sagte sie und gieng, als eben eine Welle
Den Todten an das Ufer warf.
Die Freundinn sah ihn an, und schrie mit Ungestüm:
Mein Vetter! und fiel neben ihm.

115
     Auf dieß Geschrey kam Doris wieder,

Der lieben Freundinn beizustehn.
Ach, Doris, ach! was wirst du sehn?
Sie sieht, und fällt auf ihren Gatten nieder,
Und stirbt an seiner starren Brust.

120
Indeß erwacht die Freundinn wieder,

Und zeigt der Nachbarschaft den doppelten Verlust.
Hier bebte der, den man nie zittern sehn,
Und dem, der nie geweint, floß Wehmuth vom Gesichte,
Und niemand fragte, was geschehn.

125
Der Anblick selbst erzählte die Geschichte.


 ----

[193]
     Beweint, ihr mitleidsvollen Seelen,

Die traurigste Begebenheit,
Elend gewordner Zärtlichkeit,
Und schmeckt das Glück, um andre sich zu quälen.

130
Laßt uns die Unschuld oft im größten Unglück sehn,

Und leidet mit bey fremden Schmerzen;
Dieß Mitleid heiligt unsre Herzen,
Und heißt die Menschenlieb in uns ihr Haupt erhöhn.
Die Tugend bleibt uns noch im Unglück selber schön.