Zum Inhalt springen

Das erkaltende Herz

aus Wikisource, der freien Quellensammlung
Textdaten
<<< >>>
Autor: Franz Werfel
Illustrator: {{{ILLUSTRATOR}}}
Titel: Das erkaltende Herz
Untertitel:
aus: Wir sind, S. 63–64
Herausgeber:
Auflage: 1. Auflage
Entstehungsdatum:
Erscheinungsdatum: 1913
Verlag: Kurt Wolff Verlag
Drucker: {{{DRUCKER}}}
Erscheinungsort: Leipzig
Übersetzer:
Originaltitel:
Originalsubtitel:
Originalherkunft:
Quelle: Commons
Kurzbeschreibung:
Eintrag in der GND: {{{GND}}}
Bild
[[Bild:|250px]]
Bearbeitungsstand
fertig
Fertig! Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle Korrektur gelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
Um eine Seite zu bearbeiten, brauchst du nur auf die entsprechende [Seitenzahl] zu klicken. Weitere Informationen findest du hier: Hilfe
Indexseite


[63]

Das erkaltende Herz

Geschwisterliebe war einst.
Ich lief mit dem Mädi über die Wege
Und die Himmel, die vielen waren rege,
Die unergründlichen Berge standen weit –

5
Und im Zimmer die stündliche Zeit.


     Die Wagen und Reisen,
     Vergangene Speisen,
     Die Schmerzen und Strafen,
     Am Abend das Licht

10
     Und unser Gesicht

     War ganz von Seele verschlafen.

Und tiefe Furcht war da, daß man einander stürbe
Und manchmal weinte man wild in die Finsternis,
Bis treu der andre Atem kam.

15
Da war man so gewiß,

Daß Gott sei und man niemals lahm
Und niemals anders würde.

Das waren Tränen und Brisen der Treue....
Geschwisterliebe war einst.

20
Jetzt lieg ich oft auf meinem Kanapee.

Am Abend werden die Fenster groß.
Da läßt mich mein Atem los,
Und der Tod ist ganz in der Näh’.

[64]

Und muß ich vor meinem Spiegel stehn,

25
Da hat sich etwas gerächt.

Ich weiß, wie mir die Haare ausgehn –
Und die Zähne sind worden schlecht.

Und der Mund, der nichts ließ,
Jetzt kann er euch alle lassen

30
Und das Herz kann nicht fassen,

Wie es einst hieß!

Und wo hängen in den erstarrten Zimmern,
Hinter welkendem Glas,
Die ewigen Photographien?