Das alte Christkindchen
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Nr. 49. | 1896. | |
Illustriertes Familienblatt. – Begründet von Ernst Keil 1853.
Das alte Christkindchen.
Seht her, was ich euch mitgebracht!
Ich weiß, daß es euch Freude macht.
Ihr habt geschmückt den Weihnachtsbaum
Bis zu der Zweige fernstem Saum.
Die Krippe und das Elternpaar,
Die Engelschar und Hirtenschar
Im Moose prangt – eins aber doch,
Ihr lieben Kinder, fehlt euch noch!
Hoch oben, auf der höchsten Spitz’
Der Tanne ist des Christkinds Sitz –
Und daran hab’ ich heut’ gedacht,
Und euch ein Christkind mitgebracht
In Gold und Flitter! Schaut’s euch an!“ –
„Mama, das war sehr wohlgethan!“ – –
Das war vor vierunddreißig Jahren,
Da wir blutjunge Eh’leut’ waren.
Das war die Mutter, die beglückt
Den Weihnachtsbaum erst recht geschmückt
Uns Kindern, die zum erstenmal
Den Weihnachtsbaum geziert im Saal.
Mir ist, als ob’s seit gestern kaum,
Daß ich geschmückt den Tannenbaum,
Hoch oben auf der Treppe stand,
Das Christkind in den Wipfel band.
Nun hat schon vierunddreißigmal
Das Christkind angeschaut im Saal
Sich die Bescherung, hat gesehen
Im Kreise Alt’ und Junge stehen,
Vernahm vom Turm das Festgeläut’,
Hat sich am Elternglück erbaut,
Sah, wie die Mädel sich gefreut
Und wie ein Jung’ den andern haut’!
Ach, immer war in unserm Nest
Weihnachten ein vergnügtes Fest!
Und, wie wir auch gesorgt, gelitten,
Wenn Weihnacht kam ins Land geschritten,
Lebendig war in jeder Brust
Die echte, rechte Christtagslust –
Und war einmal zu wüst ein Kind,
Dann sprach die Mutter, ernst gesinnt:
„Du, Du! Ja, schämst Du Dich denn nicht
Hier vor des Christkinds Angesicht?“
Und stille ward’s im Kreis der Kleinen,
Ein Ende nahm das Schrei’n und Weinen,
Und zu dem Kindlein im Geäst’
Sah man empor am Weihnachtsfest
Und war gehorsam, lieb und gut. –
Von Kerzendampf, von Lichterglut
Ist nun geschwärzt das Weihnachtskind,
Verblichen Gold und Silber sind,
Ein Wachsfleck hat beschmutzt das Kleid;
Doch alle Puppenherrlichkeit
Wiegt uns nicht auf, was zum Geschenk
Einst Mutter gab, und eingedenk
Sind wir der schönsten Tage immer,
Wenn in der Weihnachtslichter Schimmer
Das „alte Christkind“ niederblickt. – –
Nun hat Gott tiefes Leid geschickt;
Mein liebes Weib ist heimgegangen –
Heut’ wird kein Christkind aufgehangen,
Kein Weihnachtsbaum streut Flammen aus
Jetzt in des alten Witwers Haus –
Der aber hat in diesen Stunden
Bei Kind und Enkeln Heim gefunden!
Mit seinen Lieben, nah’ und fern,
Weiß er im Glanz vom Weihnachtsstern
Sich eins, und keine Trauer soll
Verdunkeln Herzen, freudevoll.
Und, wenn uns Gott das Leben schenkt,
Der Großpapa im stillen denkt,
Sei in des eignen Hauses Welt
Für alt und jung das Fest bestellt
Wenn erst ein Jahr vorbeigegangen –
Dann wird das Christkind aufgehangen,
Das volle vierunddreißig Jahr’
Der Weihnachtsfreuden Zeuge war.
Emil Rittershaus.