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Das Wildschützenthum

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Textdaten
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Autor: Adolf Müller
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Titel: Das Wildschützenthum
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aus: Die Gartenlaube, Heft 20, S. 364–366
Herausgeber: Ernst Keil
Auflage:
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Erscheinungsdatum: 1869
Verlag: Verlag von Ernst Keil
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Erscheinungsort: Leipzig
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Quelle: Scans bei Commons
Kurzbeschreibung:
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Das Wildschützenthum.

Von Adolf Müller.

Wenn ich, der Forst- und Waidmann, mit der Besprechung vorstehenden Gegenstandes betraut werde, so sehe ich darin gewissermaßen die Aufforderung und die Verpflichtung, vor der gebildeten Welt des neunzehnten Jahrhunderts mein Thema in dem Lichte moderner Auffassung zu behandeln. Ich lege also hier den mir so liebwerthen „Grünrock“, der mich hin und wieder in eine gewisse Sonderstellung meiner Aufgabe gegenüber bringen möchte, ab und erscheine außerhalb der engeren Fachschranken auf dem literarischen Forum im weltbürgerlichen Kleide. Der kosmopolitische Strom des Jahrhunderts geht seine Bahnen und berührt auch die Zelle des einsiedlerischen Denkers, die abgeschlossenste Stube des Actenbeflissenen und Beamten.

Die Wilderei bedarf nicht der künstlerischen Beihülfe, um ihr etwas von einem wilden abenteuerlichen Reiz zu verleihen. Wenn ihr fremdes Eigenthum stets beeinträchtigender Wandel auch vor den Gesetzen mit Recht verpönt ist und sie gegenüber den Beziehungen und Einrichtungen der menschlichen Gesellschaft strafbar erscheint, so hängt ihr doch einestheils eine gewisse Romantik an, anderntheils vindicirt ihr die naturrechtliche Anschauung gleichsam eine Berechtigung, was Alles sie von Vergehen gemeiner Art wenigstens unterscheidet.

Wild und Wald betrachtet der naturrechtliche Volkssinn mehr oder weniger als ein Gemeingut und die Aneignung von Wild- und Walderzeugnissen höchstens als einen gelinden Frevel, eine lustige Freibeuterei. „Wild und Wald sind frei wie die Luft“ – so denkt das Volk. Und es streift in gewissem Sinne hinsichtlich des ersten Gegenstandes an die Wahrheit. Wenn einer höheren landwirthschaftlichen Betriebsamkeit eine übertriebene Wildhege, noch gar auf fremdem Gelände, schroff gegenüber trat, so folgte der ungehörten Forderung um Wildschadenersatz nicht selten die Selbsthülfe durch Wegschießen des Wildes und endlich durch völlige Wilderei auf dem Fuße, und dazu hat der humane Strom unserer modernen Gesetzgebung die Bestrafung der Wilderei unter den Gesichtspunkt der Vorurtheilslosigkeit gebracht, und wir sehen die Wilddiebei an sich ebenmäßig den übrigen Jagdvergehen bestraft.

Die Wilderei hat sogar ihre harmlosen Seiten. Trägt nicht gar mancher Jäger und Jagdliebhaber das geheime Bewußtsein im Herzen, an bestimmten ominösen Jagdgrenzen her hin und wieder gewildert zu haben, indem er Hühner einer „abgestrichenen“ Kette oder einen Hasen oder ein sonstiges Wild über des Nachbars Grenze mit heimlicher Freude „wegputzte“? Das sind gegenseitig gehandhabte und stillschweigend geduldete Jagdpraktiken, durch nimrodischen Eifer und Neid aus den Fugen der Jagdordnung getretene Privatwilddiebereien, sogenannte kleine Jagdsünden, die vor dem waidmännischen Forum frei ausgehen und mehr die Physiognomie der Schalkhaftigkeit und des Humors tragen, als das Gemeine gewinnsüchtiger Wilddieberei.

In einem ganz anderen, gefährlichen Charakter hingegen erscheint die gewerbsmäßig betriebene Wilderei. Mit dem Augenblicke, wo die unbändige Leidenschaft dem Jäger das Feuergewehr und den Genickfänger zur geflissentlichen, handwerksmäßigen Wilddieberei in die Hand drückt, tritt er wie von selbst aus der Harmlosigkeit oder der Hochlaunigkeit des menschlichen Sports, des Waidwerks, in das gefährliche Stadium eines heimlich Bewaffneten, den bestehenden Gesetzen gegenüber. Vornehmlich aber demjenigen Stande, welchem die Aufrechthaltung jener Gesetze obliegt, dem Wald und Wild schützenden Forstpersonale, ist mit diesem Schritte des Wildschützen der Krieg erklärt. Dieser nimmt einen besonders ernsten, ja erbitterten Charakter an in ausgedehnten Wildbahnen, in welchen Hochwild, wie Hirsche, Sauen und Rehe, gehegt werden. In der gehässigsten und gemeinsten Gestalt, wenn auch nicht mit der gefährlichen Ausprägung des eigentlichen Wildschützenthums, erscheint hingegen die Wilddieberei, wenn sie sich des Schlingenlegens hedient. Es ist dies ein wilderndes Henkerthum und mit einer feigen Waldschleicherei verbunden, der selbst das wachsamste Auge des Försters oder Wildhegers meist nichts Erhebliches anhaben kann. Der „niederen Jagd“ ist diese Gaunerei höchst gefährlich, und der Schlingenleger von Seiten des Aufsichtspersonals auch schwer auf der That zu betreten. Denn nur der in seinem frevlerischen Beginnen Ertappte – sei es in dem Augenblicke, wo er die Drahtschlinge auf dem Wechsel des Wildes anbringt, sei es, daß er ein im verhängnißvollen Messingdrahte erdrosseltes Opfer auf seinen Schleichwegen abnimmt – ist vor Gericht als überführt und straffällig zu betrachten. Sehr natürlich ist wohl darum der Haß des Forstschutzpersonals und des Waidmannes gegen diese gemeinste und heimlichste Art der Wilddieberei. Mit freudiger Genugthuung gedenke ich immer noch der unvergeßlichen Thaten meines alten „Bruno“. Dieser vortreffliche Hühnerhund fing sich einst im Walde, woselbst die Pest des Schlingenlegens besonders eingerissen war, in einer Hasenschlinge, aus der ich den Winselnden glücklich noch befreite. Von dem Augenblicke an war das geneckte Thier der beste Schlingenfinder, indem er die bei der Suche von ihm aufgefundenen verhaßten Drähte zu Dutzenden „verbellte“. Durch seine ausgezeichnete Nase kam ich so in kurzer Zeit wiederholt in den Besitz der Schlingen, und den Schlingenlegern war das Handwerk in diesem Bezirke alsbald gelegt. Merkwürdig ist in solchen Waldgegenden die Beobachtung an Füchsen. Reinecke gerät bei dem Schleichen auf den Hasenpfädchen oder „Steigen“ nicht selten in eine oder die andere Schlinge, weiß sich jedoch, seiner Zählebigkeit und Gewandtheit gemäß, meist von der unverhofften Fessel zu befreien; der festzugezogene Draht bleibt ihm aber entweder im Fleische des Halses oder der Weichen sitzen, das Thier erscheint in letzterem Falle mit einer wahren Wespentaille, in welcher Gestalt ich es einst mit höchlichem Erstaunen, daß es so leben konnte, erlegte.

Doch zum eigentlichen Wildschützenthum zurück. Es ist in der Geschichte der Jägerei ebenso berühmt als berüchtigt. Das Mönchthum zählt viele Wilderer und in manchem Romane sehen wir ihr Treiben verherrlicht. Der Pater schleicht aus der Zelle, die Büchse unter der Kutte, dem schwarzen Walde zu, um dem Pater Küchenmeister den Zehnten aus einem Nachbargehege in Nacht und Nebel zum Hinterpförtchen einzuführen.

Wer gedächte wohl noch des englischen adligen Gutsbesitzers, wenn nicht einstens in dessen Park der große Shakespeare gewildert hätte und von den Jägern vor die patriarchalischen Gerichtsschranken des Edelmannes geführt worden wäre?

In guten Wildbahnen nimmt die Wilderei so zu sagen einen größeren Schnitt und, wie erwähnt, einen gefährlicheren Charakter an. Dem bewaffneten Freibeuter des Waldes tritt der ebenfalls bewehrte Aufseher ernst und auf das Schlimmste gefaßt gegenüber. Stets muß dieser gewärtig sein, daß aus dem ertappten Wildschützen sofort ein Verbrecher erwächst. Meist hat der Aufseher der Wildhege bei solcher Begegnung den schlimmeren Stand, denn gewöhnlich ist er der vordringende Theil, derjenige, welchem sein Amt gebietet, des Wilderers habhaft zu werden, ihn „handfest zu machen“, d. h. ihn zu ergreifen und entwaffnet der nächsten Polizeibehörde zu überliefern. Das ist aber keine geringe Aufgabe und in den weitaus meisten Fällen ohne die größte Gefahr für den Beamten gar nicht möglich. Dem den Wilderer anrufenden Förster wird sich sogleich die Mündung der Büchse aus dem Hinterhalte zukehren und bei schlechter Deckung oder weiterem Vordringen das verhängnißvolle Blei entgegensausen. Nur in dem Falle, wenn der im Hinterhalte stehende Aufseher den Wilderer auf seinen wohl ausgekundschafteten Schleichwegen erwarten kann, verschafft sich der Erstere den Vortheil im zu erwartenden Kampfe. Aber dieser Kampf ist keineswegs ein ersehnter, erwünschter, er ist in allen Fällen ein trauriger für das Forstschutzpersonal: denn dies muß sich einerseits wohl hüten, dem allfällig auf den Mahnruf flüchtenden Wildschützen nachzuschießen und ihn so zu tödten, weil das Gesetz dem Forstschützen nur bei unabänderlicher Gefahr, in der Notwehr, die Tödtung des Wilderers erlaubt; andererseits muß der Anrufende aber auch jederzeit bereit sein, dem etwa beim Zurufe die Büchse anschlagenden Wilderer mit einem wohlgezielten Schusse zuvorzukommen. Wie oft steht dem Ersteren nur ein Augenblick der Vertheidigung zu Gebote, und, wenn er diesen versäumt, der Tod bevor! Die Criminalgeschichte über Wilderei hat wohl mehr Fälle der Tödtung von Förstern und Wildhütern als von Wilderern aufzuzählen. Jagdleidenschaft und Haß auf der einen, Verwilderung und Rache auf der andern Seite führen oft zu solchen tragischen Begebenheiten.

[365] 

Des Wilderers Tochter.
Originalzeichnung von Professor Thon in Weimar.

[366] Wir kehren dieser schwärzesten Seite des Wildschützenthums gern den Rücken und bestätigen nur die erfahrungsmäßige Wahrheit, daß dies Naturgewerbe – wie wir es nennen wollen – sich beständig auf der Grenze zwischen Vergehen und Verbrechen bewegt, mithin als ein sehr gefährliches und verwerfliches anzusehen ist. Ach nannte den sich so leicht entspinnenden Kampf zwischen Wildhütern und Wildschützen einen traurigen, und gewiß mit Recht. Denn immerhin ist der Sieg mit dem bitteren Bewußtsein verbunden, einen Menschen getödtet zu haben. Jeder fühlenden Brust ist aber das Letztere nichts weniger als ein Triumph.

Ein mit großer Intelligenz und Herzensgüte begabter hochgestellter Beamter in der mit D. bezeichneten Stadt Mitteldeutschlands war einst im Sommer im Walde auf dem Pürschgange begriffen. Mit einem Male hört er deutlich „blaten“, d. i. den Ruf des weiblichen Rehs, welchen der Jäger auf einem Pfeifchen oder Birnblatte nachahmt, um damit den „brunftigen“ Rehbock herbeizulocken. Der Pürschende, in diesem Rufe sogleich die Handlung eines Jagdfrevlers vermuthend, schleicht nah und näher und entdeckt zuletzt in einem Hochwalde auf einem Baumstumpf den berüchtigtsten Wilddieb der Umgegend, der, im Blaten begriffen, seine Büchse seitwärts an den nächsten Stamm gelehnt hatte. Dem vorsichtig mit gespannter Büchsflinte Heranschleichen- den gelingt es, den Wilddieb handfest zu machen. Dieser, durch die Ueberrumpelung körperlich und geistig entwaffnet, folgt geduldig der Aufforderung des Waidmannes, vor ihm her zum nächsten Orte zu gehen, bis auf einen Waldweg. Hier aber setzt sich der Wilderer nun in Schnellschritt und, trotz der Mahnrufe lauter sich, in Lauf; aber in einer Entfernung von fünfzig Schritten giebt der Verfolger jetzt aus dem Schrotlaufe seiner Büchsflinte Feuer auf dem Flüchtling. Ein hoher Sprung desselben mit entsprechenden Bewegungen der Arme zeigen dem Waidmanne die Wirkung der Rehschrote in der Gegend seines Zieles. Im nächsten Augenblicke ist der Wilderer im Dickicht verschwunden.

Jetzt erst überdachte der sonst so klare Kopf des Juristen (der Waidmann war richterlicher Beamter!) die ganze mögliche Tragweite seiner leidenschaftlichen, unberufenen That, jetzt erst empfand sein vortreffliches, aus dem Taumel der Leidenschaft erwachtes Herz das Unmenschliche seiner Handlungsweise. Wochenlang folterte den Guten das Gewissen – bis ihm die erste sichere Kunde, daß das „Haidchen“ (so hieß der Wilderer) in einer andern Gegend aufgetreten und weidlich fortwildere, wieder Ruhe und – gründliche Heilung von jeder Regung unberufenen Eingriffs in die Jagdpolizei verschaffte.

Und der Wilderer auf unserem Bilde im Schauer der Waldeinsamkeit? Er war eben im Begriff, einen vor Kurzem erlegten Rehbock „auszuweiden“, da entdeckten seine stets wachsamen Indianersinne auf dem vorbeiziehenden Pfade unter den Buchenhallen im Abenddämmerlicht ein daher wandelndes Paar: – es ist der verhaßte und zugleich gefürchtete Förster im innigen Einverständnisse mit des Wilderers eigener Tochter. Einen der schlimmsten Streiche scheint dem stämmigen Thüringer Natursohn der kleine Gott Amor gespielt zu haben, dessen schelmisches Werk, die so sichtbare Vereinigung der Tochter mit dem Förster, dem Vater hier der hämische Zufall vor Augen führt. In höchlicher Ueberraschung zurückgebeugt, vor Grimm das Waidmesser wie zum rächenden Stoß gezückt, gehen über das verwitterte Gesicht die Züge wilder Leidenschaften. Was wird der Wildschütz beginnen? fragt sich wohl der Beschauer des Bildes, dessen Blick bald auf dem liebenden Paare, bald auf dem Wilderer hinter der Buchengruppe haftet. Wird die Wuth des Wilddiebes, getragen und vielleicht auf die höchste Spitze getrieben durch die Verwilderung seiner abenteuerlichen gefährlichen Lebensweise, ihn zu einer Handlung der Rache, zu einem Morde hinreiße? – oder erwacht beim Anblick seiner Tochter – vielleicht seines einzigen geliebte Kindes – die Vaterliebe und wandelt die kochenden Wellen des feindseligen Herzens in friedlichere Schläge der Versöhnung? Wir hoffen unwillkürlich das Letztere, und der nur den Moment andeutende Griffel des Künstlers hat unserer Phantasie ja hier das Recht des freien Ausmalens gegeben.