Zum Inhalt springen

Das Wiener Handschriften-Archiv

aus Wikisource, der freien Quellensammlung
Textdaten
<<< >>>
Autor: M. R.
Illustrator: {{{ILLUSTRATOR}}}
Titel: Das Wiener Handschriften-Archiv
Untertitel:
aus: Die Gartenlaube, Heft 33, S. 555–557
Herausgeber: Adolf Kröner
Auflage:
Entstehungsdatum:
Erscheinungsdatum: 1897
Verlag: Ernst Keil’s Nachfolger in Leipzig
Drucker: {{{DRUCKER}}}
Erscheinungsort: Leipzig
Übersetzer:
Originaltitel:
Originalsubtitel:
Originalherkunft:
Quelle: Scans bei Commons
Kurzbeschreibung:
Eintrag in der GND: {{{GND}}}
Bild
[[Bild:|250px]]
Bearbeitungsstand
fertig
Fertig! Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle Korrektur gelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
Um eine Seite zu bearbeiten, brauchst du nur auf die entsprechende [Seitenzahl] zu klicken. Weitere Informationen findest du hier: Hilfe
Indexseite


[555]
Das Wiener Handschriften-Archiv.

Heutzutage, wo sich der Sammeleifer auf alles Sicht- und Greifbare erstreckt, ja selbst die bescheidensten Werkzeuge und Erzeugnisse menschlicher Kultur vom Standpunkt der Entwicklungsgeschichte der Sammlung und Aufbewahrung in prächtigen Museen würdig erachtet werden, da ist auch die Liebhaberei für Autographen in weite Kreise gedrungen. Unsere berühmten Männer und Frauen wissen ein Lied davon zu singen! Und dieser Eifer ist begreiflich genug. Die Freude am Autograph (richtiger wäre „Autogramm“ zu sagen.) hat wirklich ihren tieferen Sinn. Wer zu einem Schriftsteller oder zu sonst einer bedeutenden Persönlichkeit ein inneres Verhältnis gewann, hat das natürliche Bedürfnis, ein Stück von ihr sich physisch greifbar zu erwerben, und die Handschrift ist so ein greifbares Stück der Persönlichkeit. Goethe, der im Alter selbst eine Autographensammlung pflegte, nannte sie mit bezeichnendem Lob einen „Zauberkreis“, abgeschiedene oder entfernte Geister heranzuziehen. Eine allgemeine Betrachtung über den heutigen Autographenmarkt und die Entwicklung dieses ganzen Zweigs modernen Sammlerwesens hat die „Gartenlaube“ erst vor kurzem – Jahrgang 1896, S. 852 – unter dem Titel „Aus der Autographenwelt“ von Hans H. Busse gebracht.

Auf eine der merkwürdigsten Autographensammlungen, die vielleicht jemals ein Privatmann aus Liebhaberei, ohne irgendwelche geschäftliche Zwecke zu verfolgen, zustande brachte, lenken die hier beigedruckten Abbildungen die Aufmerksamkeit unserer Leser. Es ist dies das sogenannte Wiener Handschriften-Archiv von Herrn Alexander Posonyi. Sie ist nach der Zahl und dem Wert der Stücke, die sie vereinigt, die größte Privatsammlung, welche bekannt wurde. Als die Autographensammlung des Grafen Ludwig Paar, österreichischen Botschafters beim römischen Stuhl, nach seinem Tode (1893) zur Auktion gelangte, wurde sie sehr bewundert, denn sie zählte 12 000 Stücke. Die Sammlung Posonyis, der übrigens viele der wertvollsten Handschriften aus Graf Paars Nachlaß erworben hat, zählt 30 000 Stücke in runder Ziffer. [556] Der Mann, der diese Sammlung anlegte, ist seiner Gesinnung nach Kosmopolit. „Populus mundi – den Völkern der Welt“ – hat Alexander Posonyi über die Eingangsthüre seines Archivs geschrieben und es ist ihm voller Ernst damit. Sein Interesse hat sich ebensowenig auf eine einzelne Nation als auf einzelne Stände oder Rassen beschränkt. Was ihm an schriftlichen Denkmälern von historischem Werte erreichbar war, dessen trachtete er habhaft zu werden. er hat das eigene Sammelgenie und die spezifische Sammlerleidenschaft dabei entwickelt, und kein noch so schweres Geld ließ er sich reuen, um eine alte Stadturkunde,

A. Posonyis Handschriften-Archiv: Mozart-Zimmer.

ein päpstliches Breve, eine Handschrift von Luther, einen Brief Goethes, ein Notenblättchen Beethovens oder ein ungedrucktes Gedicht von irgend einem der bekannten Dichter zu erwerben. Gering gerechnet ist in seine Sammlung eine Summe von zweihunderttausend Mark aufgegangen.

Posonyi sammelte schlechtweg alles, was käuflich war. Autographen von Kaisern und Päpsten, Heiligen und Ketzern, Feldherren und Philosophen, Dichtern und Künstlern, Musikern und Malern. Und in dieser Universalität besteht das Eigentümliche seines Archivs. Wenn wir seine geschmackvoll ausgestatteten Räume durchwandern, dann überfällt es uns wie ein Rausch, in den uns die scheinbar lebendige Gegenwart aller Geister der Weltgeschichte versetzt.

Das ganze Deutschland soll es sein!
O Gott vom Himmel sieh darein!
Und gib uns rechten deutschen Muth,
Das wir es lieben treu und gut.
Das soll es sein!
Das ganze Deutschland soll es sein!

Ernst Moritz Arndt.

Aber bei näherem Einblick erkennt man, daß Plan und Methode in dieser Sammlung und ihrem eifrigen Urheber bestehen. Vor allem durch die rasch überschaubare Ordnung selbst, in der die Autographen in Schränken und Fächern eingereiht und aufgeschichtet sind. Jedes Dokument ist sofort erreichbar. Die kostbarsten Stücke sind unter Glas und Rahmen an den Wänden aufgehängt. Da sieht man im ersten Zimmer (wo wir über der Thür Historia lesen) eine Urkunde von Graf Egmont neben einem höchst wertvollen Pergamentblatte des Domkapitels von St. Stephan in Wien aus dem Jahre 1376; dort hängt ein Armeebefehl Wallensteins neben einem Brief des Schwedenkönigs Gustav Adolf; ein Horoskop Keplers neben den Schriftzügen von Tycho de Brahe. In einem Rahmen vereinigt sind Handschriften berühmter Humanisten: Erasmus von Rotterdam, Comenius, Pestalozzi, Kaiser Josef. Von letzterem sind nicht weniger als hundert Briefe (eigenhändige Unterschriften unter Diktaten) vorhanden. In einer anderen Ecke sieht man die seltene bäurisch unbeholfene Handschrift Andreas Hofers, der irgend eine militärische Verfügung trifft …. In den Schränken liegen die Kostbarkeiten systematisch geordnet beieinander: über hundert Urkunden aus dem 13. und 14. Jahrhundert; Briefe und Schriftstücke aus der Reformationszeit; ja sogar hebräische Manuskripte aus dem Mittelalter fehlen nicht. Im daranstoßenden mit „Poesie“ überschriebenen Zimmer sind die deutschen Poeten von Opitz bis zur Gegenwart alle vereinigt. Von Goethe allein nicht weniger als 80 Schriftstücke, darunter freilich viele diktierte und schon gedruckte Briefe, aber auch viele originelle Handschriften, so das Gedicht „Ergo bibamus“, die Rede auf Shakespeare in Straßburg 1770, ein Streifen mit einigen Verszeilen aus dem „Faust“. Eine ganze Reihe von Briefen Schillers, dem bisher ungedruckten Entwurf zu einem „Seedrama“, eine philosophische Abhandlung über den Begriff Schönheit und die Musik. Briefe und Verse von Grillparzer, Theodor Körner, Uhland, Rückert, Freiligrath, Heine – dessen Testament, in französischer Sprache, ganz eigenhändig – Lenau, Anastasius Grün, Hebbel usw. Auch die Originalhandschrift von Arndts so wirkungsmächtigem Lied „Des Deutschen Vaterland“ befindet sich unter diesen Schätzen. Der Besitzer hat die „Gartenlaube“ in die Lage versetzt, die letzte Strophe in treuer Nachbildung wiederzugeben. Daneben ruhen auch unbekannte Briefe von Kant („Gedanken von der wahren Schätzung der Lebenskraft“), Schopenhauer, Herbart, Schelling, Fichte, Hegel. Ein besonderer Schrank vereinigt Briefe berühmter Frauen, angefangen bei Katharina von Medici bis auf Louise Michels Briefe aus dem Gefängnis, darunter rührende Zettel, hastig mit Bleistift hingeworfen in stürmischen Zeiten. Einer der größten Schätze Posonyis dürfte aber wohl seine Kollektion von Briefen und Gedichten an Michel Angelo Buonarotti und Briefentwürfen von seiner eigenen Hand sein: alles noch nie gedruckt!

Mit einer besonderen Vorliebe hat Herr Posonyi die Handschriften berühmter Komponisten gesammelt. In seiner Begeisterung für Mozart hat er diesem ein ganzes Zimmer gewidmet, dessen Wände mit Mozartreliquien bedeckt sind. Porträts von ihm und seiner Familie, Briefe von Freunden an Mozart oder über Mozart. Aber es fehlen auch die anderen großen Musiker nicht: Haydn, Beethoven, Schubert, Mendelssohn, Weber, Schumann, Liszt, Wagner. Die erste Korrektur der Tannhäuser-Partitur mit Wagners eigenhändigen Verbesserungen liegt hier auf. In einem Schranke, der auf unserem Bilde sichtbar ist, sind sämtliche Handschriften der Wiener Tänze von Lanner verewigt … .

Wir brechen ab. Es kann hier nicht entfernt ein vollkommener Begriff der Posonyischen Sammlung gegeben werden, an die sich noch eine reiche Porträtsammlung anschließt. Aber schon das Gesagte wird genügen, sie als eine Merkwürdigkeit erkennen zu lassen, die um so wertvoller ist, als ihr Eigentümer seinen Besitz in uneigennütziger Weise verwaltet und berufenen Männern so viel als möglich Einsicht in seine Sammlungen gewährt, damit sie wissenschaftliche Verwertung finden. Manches wertvolle historische Werk ist schon durch dieses Entgegenkommen gefördert worden, und das Archiv wird noch lange eine wertvolle Fundgrube für die geschichtliche Forschung bleiben.
M.R.