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Das Viktoriahaus für Krankenpflege in Berlin

aus Wikisource, der freien Quellensammlung
Textdaten
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Autor: R. A.
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Titel: Das Viktoriahaus für Krankenpflege in Berlin
Untertitel:
aus: Die Gartenlaube, Heft 17, S. 292
Herausgeber: Adolf Kröner
Auflage:
Entstehungsdatum:
Erscheinungsdatum: 1889
Verlag: Ernst Keil’s Nachfolger in Leipzig
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Erscheinungsort: Leipzig
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Originalherkunft:
Quelle: Scans bei Commons
Kurzbeschreibung:
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[292] Das Viktoriahaus für Krankenpflege in Berlin. Weit ab von dem eleganten Westend, dessen Glanz den Besitz und die Macht des neuen Reiches versinnbildlicht, erhebt sich in dem bescheidenen, gewerbfleißigen Osten eine Anstalt, die ihrerseits von den großartigen Leistungen der Reichshauptstadt auf dem Gebiete der Humanität Zeugniß ablegt: das städtische Krankenhaus im Friedrichshain. Erbaut nach dem neuen Grundsatze getrennter Einzelhäuser, umfaßt es mit seiner Mauer eine eigene kleine Welt, außerhalb deren der große Verkehr brandet, während innerhalb friedliche Stille herrscht und nur die Interessen der Kranken und der Wissenschaft gepflegt werden. Ein blühender Garten, der Aufenthalt der Genesenden, ist rings umgeben von hellen prachtvoll eingerichteten Krankensälen und Operationszimmern, jedes wissenschaftliche Hilfsmittel der Neuzeit steht den leitenden Aerzten, Sanitätsrath Hahn und Professor Fürbringer, zu Gebote. Was aber diese Anstalt vor vielen ihresgleichen voraus hat, das ist ein Pflegepersonal ersten Ranges, der Stab von „Viktoriaschwestern“, welche die Opferfreudigkeit der Diakonissin und barmherzigen Schwester mit einer von den genannten Aerzten geleiteten gründlichen wissenschaftlichen Ausbildung vereinigen.

Es gehört zu den größten Verdiensten der Kaiserin Friedrich, das segensreiche Viktoriahaus gestiftet und ausgestattet zu haben, welches diese Schwestern ausbildet und zur Pflege überallhin entsendet. Nicht nur das Krankenhaus im Friedrichshain, sondern zahlreiche andere Stationen sind den Viktoriaschwestern anvertraut, vor allem das Seehospiz für kränkliche Kinder in Norderney, von dessen ausgezeichneter Wirksamkeit wir in Nr. 29 des Jahrgangs 1888 der „Gartenlaube“ berichtet haben. Das Viktoriahaus zählt gegenwärtig 86 Schwestern, die meisten davon wirken im Friedrichshain, wo sowohl in den Räumen der chirurgisch Schwerkranken, als in den Frauen- und Kindersälen ihre geräuschlose, hilfreiche Gegenwart für Aerzte und Kranke unentbehrlich ist. Man muß es sehen, wie dankbar sich in den letzteren die blonden und braunen Köpfchen an die Brust der geduldigen Pflegerin schmiegen, und man wird einen unauslöschlichen Eindruck mit hinwegnehmen.

Außerhalb des Dienstes, der Tag oder Nacht über dauert, genießen die Viktoriaschwestern einer viel größeren persönlichen Freiheit als die religiösen Orden. Sie kehren zum Ausruhen in das freundliche schöne Viktoriahaus zurück, wo sie im Anschluß an eine pflichteifrige, vortreffliche Oberin ein familienhaftes beglückendes Heim finden; sie tragen dort ihre Privatkleidung und haben an ihrem wöchentlichen Ausgangsnachmittag die volle Freiheit, die jedes gesittete und gebildete Mädchen genießt, sie können in guter Begleitung Konzerte, Theater und Gesellschaften besuchen. Kein religiöser Zwang wird ausgeübt, die Anstalt trägt keinen konfessionellen Charakter, sondern beherbergt friedlich die verschiedenen Bekenntnisse. Die Gehaltsbedingungen bei völlig freier Station sind günstig, die Verpflichtung dauert immer nur zwei Jahre, nach Ablauf deren der Austritt erfolgen kann; der letztere ist indessen infolge besonderer Verhältnisse auch in der Zwischenzeit möglich. Der Beruf ist selbstverständlich kein leichter; Gesundheit, physische und moralische Kraft sind dazu nöthig, aber er lohnt mit reichem Segen den Muthigen und Thatkräftigen, die mit frohem Entschluß ihn ergreifen. Die Arbeit ist so ernst, so nothwendig, die Erfolge sind so groß und beglückend, daß die Schwestern darüber alles erlebte Schwere, oft sogar frühere Herzenswünsche vergessen und nur noch das eine Ziel vor Augen sehen: Menschenleben zu erhalten, zu retten.

Wollten doch recht viele ältere Mädchen, die innerhalb ihrer Familie über verfehlte Existenz nachdenken, diesem Beispiel folgen! Man macht heute im Suchen nach „Berufen“ so viel Anstrengungen, Pforten zu sprengen, die den Frauen noch verschlossen sind – hier aber steht eine weit offen, die noch nicht hinlänglich benutzt wird. Im kommenden Herbst übernehmen die Viktoriaschwestern ein neues großes Krankenhaus; der erste Lehrkurs hierfür begann mit dem 1. April, ein zweiter folgt am 1. Oktober. Gern würde die Vorsteherin noch eine Anzahl von Mädchen aus gebildeten Ständen aufnehmen, da es an Kräften fehlt. Wir wollen hiermit die Anregung dazu geben; möchte sie viele zu dem Entschluß bringen, ein bisher unbefriedigtes Dasein mit einem thätigen und dadurch zufriedenen und segensreichen zu vertauschen! R. A.