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Das Ufer der Thränen

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Textdaten
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Autor: Franz Engel
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Titel: Das Ufer der Thränen. Eine Erzählung aus Brasilien
Untertitel:
aus: Die Gartenlaube, Heft 39, S. 625–628, 630
Herausgeber: Ernst Ziel
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Entstehungsdatum:
Erscheinungsdatum: 1880
Verlag: Verlag von Ernst Keil
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Erscheinungsort: Leipzig
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Quelle: Scans bei Commons
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Das Ufer der Thränen.

Eine Erzählung aus Brasilien.
Von Franz Engel.

Nach langer, beschwerdevoller Wanderung ist der ersehnte Lagerplatz erreicht. Freundlich dehnt sich ein luftiger Uferrain zwischen Strom und Wald, im Hintergrunde von dem herrlichsten, mannigfaltigsten Laubwurfe umrahmt und im Vordergrunde von dem gefüllten Wasserbecken umspült, in dessen durchsichtigen Spiegel die heiße Sonne Brasiliens ihre letzten roth-goldenen Abendstrahlen taucht. Angebrannte Holzscheiter und umhergestreutes Reisig lassen die Lagerspuren vorüberziehender Jäger und Fischer erkennen; rasch ist Reisig und Holz zusammengetragen, Wasser geschöpft, der Ochse seiner Last enthoben und auf grüner Weide angepflockt – kurz, das Lager gerüstet; ein Schuß aus dem Walde verheißt einen frischen, schmackhaften Braten für die Küche, und unter des Kochs geschäftigen Händen wirbelt alsbald die Flamme in den dämmernden Abend auf. Würzige Düfte steigen vielversprechend und begehrlich eingesogen über das bewegliche Lager, und bald schließt sich die Runde ruhend, schmausend und plaudernd um die trauliche, gesellige Herdflamme; die Nacht sinkt still herab; der Leuchtkäfer zieht seine feurigen Fäden; raunend liegt die dunkle Ferne, und aus des Himmels ewigen Tiefen leuchten die Sterne der Tropen in wunderbarem Glanze nieder über Strom und Wald.

„Compadre, das war ein saurer Gang heute,“ läßt sich eine Stimme halb seufzend, halb behaglich gähnend im Lagerkreise vernehmen; „ah, ich fühle meine Knochen! Solchen Trott macht meiner Mutter Sohn nicht alle Tage!“

„Ein saurer Gang?“ wiederholte José Maria spöttisch fragend, indem er Fleisch und Knochen mit kräftigem Gebisse zermalmte; „ich sollte meinen, auf gebahnten Wegen läuft sich auch ein lahmer Esel nicht todt; ja, als wir uns zuerst hier durchwühlten, ohne Weg und Steg – Sie hätten dabei sein sollen, als wir den ersten Durchhau machten! Es war noch vor dem traurigen Ereignisse, bei welchem wir dieses Ufer der Thränen entdeckten.“

„Trauriges Ereigniß? Erzählt doch, José Maria! Eure Kinnbacken sehnen sich überdies nach Ruhe.“

„Ja,“ sagte José, „dieses Thal, wo es sich so bequem wie in einem Herrensaale lagert, hat seinen Namen von diesem Ereignisse, und Sie sollen auch hören, was es heißt, ohne Weg und Steg die Wasserschlucht von Santa Barbara und ihr Waldgebirge zu durchlaufen.“

José Maria schiebt ein großes Stück Zucker in den Mund, gießt ein ansehnliches Gefälle von Wasser nach und beginnt, nachdem unter knirschender Arbeit der Zähne das Werk der Auflösung beendet ist und Jeder in der Runde nach seiner Art sich behaglich um das neu aufgeschürte Feuer ausgestreckt oder niedergekauert hat, die Erzählung eines seiner Erlebnisse.

„Sehen Sie,“ wendet er sich mit seinem Vortrage zunächst an den Chef der Expedition, den einzigen weißen Mann und Fremdling unter den einheimischen dunkelhäutigen Gesichtern, „wir Leute von Santa Barbara zogen schon lange auf Jagd und Fischfang aus, weit bis in’s Herz von Torcoróma hinab, bevor noch ein Landsmann von Ihnen oder sonst eine delicate Person seinen Fuß auf diesen Boden gesetzt hatte. Es war ein Jagdrevier, das uns keine Ruhe ließ; waren die Felder bestellt, so überließen wir sie den Weibern und Kindern und zogen davon; wochenlang blieben wir wohl da unten, dann aber schleppten wir Beute an’s Haus für lange Zeit.

Eines, Herr, verdroß uns lange: wir konnten keinen Uebergang für die Lastochsen über die Wasserschlucht finden; jeder Mann trug seine zwei Arrobas (eine Arroba = 25 Pfund) auf dem Rücken, aber so ein Ochse hätte vier bis sechs Arrobas getragen; wir waren immer vor dem Felsenloche abgebogen, ohne zu ahnen, daß weiter unten ein bequemer Paß sich aufthun würde, und hatten den Alto de las Palmas immer in langen, unbequemen Windungen überschritten.

Unter uns war der alte Ignacio; wir nannten ihn den ‚grimmen Wolf‘, da er immer grimmig neben uns herlief, immer verwegen voran war, niemals lachte, kaum ein Wort sprach und immer that, als ob er ganz allein auf der Welt sei. Wir Anderen trieben doch auch keine Kinderspiele, aber er rümpfte über all unser Thun spöttisch die Nase. Oft genug verschwand er und kam wieder mit einem Puma- oder Jaguarfell, oder ihm war auch selbst das Fell geschunden. Wir sammelten Vorräthe ein und bereiteten sie zu; er verübte nichts, als derartige Vagabondenstreiche – das verdroß uns.

Weit unten in Torcoróma schlugen wir unser Standlager an einer Stelle auf, wo viele Mandel- und Táguapalmen und dichte Haufen von Wijádo (Pisanggewächse) wuchsen, deren Blätter uns zum Decken unserer Ranchos, zum Aufschütten unseres Nachtlagers, zum Einpacken unserer Vorräthe, kurzum zu allen unseren Verrichtungen unentbehrlich waren; dort ließen wir uns nieder, weideten das Wildpret aus, wuschen und salzten das Fleisch ein, trockneten es an der Sonne und spannten daneben die Felle und Häute aus; auch hatten wir eine Bananen-, Zuckerrohr- und Maispflanzung angelegt, die nothdürftig in Stand gehalten wurde und [626] uns mit Zubrod und Zucker versah. An Fleisch fehlte es nicht; Salz, Kaffee, Cacao, Pulver und Blei und was sonst zu unserem Unterhalte und Jagdzuge nöthig war, schleppten wir auf unserem Rücken mit. Wir waren Tag aus, Tag ein thätig – nur der ‚grimme Wolf‘ starrte müßig in’s Feuer; wir murrten darüber – er ging.

Wir glaubten, er würde schon wiederkommen; denn seine Launen und Einfälle waren uns ja bekannt. Aber das Nachtmahl war längst verzehrt, das Feuer zusammengesunken – der ‚grimme Wolf‘ blieb aus. Wir legten uns schlafen, standen wieder auf, sahen die Silberdämpfe des Morgens wallen, die Mittagssonne in ihrer Gluth schwimmen, das Kreuz wieder auf- und untergehen – Ignacio blieb aus. Nun ließ es uns keine Ruhe mehr; wir schürten die Feuer die ganze Nacht hindurch, stießen in’s Horn, schossen – der ‚grimme Wolf‘ blieb aus.

Herr, so vergingen drei Tage und drei Nächte; Ignacio schien verloren; wir glaubten, diesmal habe der Jaguar ihm das Fell über die Ohren gezogen. Da saß ich eines Nachts am Feuer; das Fieber hatte mich gebissen, und Frost schüttelte alle meine Glieder. Ich wärmte mich und kochte mir einen Trank, während die Cameraden schliefen. Vor meinen Augen stiegen allerlei Gesichte auf; nach dem Froste kam die Hitze über mich, und ich sah unklar und dachte falsch.

Da knackte es im Busch; ich schrak zusammen; die Zweige bogen sich aus einander – ich hörte schleichen. Schon griff ich nach meiner Lanze und glaubte ein Thier zu sehen, das auf mich zukam. Plötzlich aber stand im grellen Feuerscheine vor mir der ‚grimme Wolf‘. Wild und zerzaust hingen ihm die Haare über’s Gesicht; seine Augen lagen tief; sein hageres Gesicht glich einem Todtenkopfe. Schmutz und Blut klebte ihm an, und blutige Felle hingen über seiner Schulter; kaum noch einen Hemdfetzen am Leibe, an allen Gliedern zitternd, in die Flamme stierend – so stand er vor mir. Ich wollte rufen; denn ich wußte nicht, ob mein Geist klar sei oder nicht, aber die Gurgel war mir wie zugeschnürt; ich schlug das Kreuz und betete zur heiligen Jungfrau.

Endlich stieß er mich an und redete mit heiserer Stimme: ‚Hasenfuß, was träumst Du? Gieb mir zu essen! Mich hungert. Ich kann Euch Euern Bettel bezahlen.‘ Dabei starrte er in den Topf; die Flamme leckte ihm förmlich in die hohlen Augen hinein, und ich glaubte seine hageren Glieder klappern zu hören. ‚Hörst Du nicht? Ich kann bezahlen. Aber schnell; der Hunger zerfrißt mir die Eingeweide.‘

‚Ave Maria!‘ stammelte ich. ‚Ignacio, bist Du’s in Fleisch und Blut?‘

‚Hasenfuß!‘ rief er heiser, ‚mich hungert; hungern die Geister auch?‘

Nun erwachten Alle; sie sprangen hinzu, und schnell war Speise und Trank herbeigeschafft. Er schlang gierig, wie ein Wolf; keine Frage beantwortete er.

‚Laßt mich in Ruh’, mich hungert!‘ krächzte er den Fragenden entgegen.

Nachdem er sich satt gegessen, stand er auf, sprach kein Wort, schüttete sein Lager auf, legte sich hin und schlief bis in den hellen Tag hinein. Keiner störte ihn aus seinem todesähnlichen Schlafe auf.

Ich lag frierend in der Sonne auf dem brennenden Sande; im Walde krachten die Schüsse, und über dem Feuer brodelte der Maistopf. Nun trat der ‚grimme Wolf‘ an den Fluß, beugte sich unweit von mir nieder und spülte und wusch etwas in einem alten Lappen.

‚Ignacio, was machst Du da?‘ fragte ich.

‚Ich wasche Gold,‘ antwortete er gleichgültig, als ob er sich die Hände wüsche.

‚Gold?!‘ fragte ich.

‚Ja, Gold!‘ erwiderte er trocken und spülte weiter; dann trat er zu mir und hielt mir die Hände unter die Augen; ich sah das Gold in Staub und Körnern blinken.

Alle Fragen und Vorwürfe fertigte er spöttisch ab.

‚Das könnte Euch gefallen. Euch das Gold suchen und mich von Euern armseligen Töpfen wegjagen! Behaltet Euer Futter und sucht Euch das Gold allein!‘

Umsonst die Versicherung, daß unser Groll so böse nicht gemeint sei – umsonst die Vorstellung, daß wir gemeinschaftlich viel mehr Gewinn aus der Goldgrube ziehen würden – umsonst der Vorwurf, daß zwischen uns der Vertrag bestehe, alle Beute zu theilen. Wir brachten nichts aus ihm heraus, und unser eigenes Suchen war vergeblich.

Die Zeit des Aufbruches und des Rückmarsches kam heran. Das Lager wurde aufgegeben, die Beute getheilt und verpackt und der Reiseproviant hergerichtet. Der ‚grimme Wolf‘ ließ Alles ruhig geschehen, als gehe ihn das nichts an; wir achteten auch seiner weiter nicht, da wir seine Art ja kannten. Doch als wir unseren Rückweg antraten, schob er uns den Lappen mit Gold zu und sagte:

‚Ich will Euch Euer Salz, Pulver, Blei und was ich sonst gebrauche, abkaufen; da habt Ihr reichliche Bezahlung; sagt Miguela, sie soll nicht auf mich warten; ich hätte noch lange hier im Walde zu thun.‘

Als wir sein Gold zurückschoben, weil wir meinten, er rede in den Tag hinein, erwiderte er kurz und trotzig:

‚Nun, ich werde auch ohne Euch fertig werden; lebt wohl!‘

Damit steckte er sein Gold zu sich und ging.

Wir hielten ihn zurück und drangen nachdrücklich in ihn; auf alle unsere Vorstellungen, daß er umkehren müsse, da Miguela vor Schreck und Sorgen sterben werde, grunzte er vor sich hin und fragte kurz:

‚Wollt Ihr mir verkaufen, was ich gebrauche, oder nicht?‘

Was half es? Wir nahmen sein Gold, mehr als ein Zeugniß für uns, als uns bezahlt zu machen, und gaben ihm, was er begehrte. Wir gingen, und er blieb; er stand am Ufer und sah den Strom hinab, den wir hinaufgingen.

Der alte Ignacio hatte schon früh Weib und Kind verloren; seines Bruders Tochter, welche er mit deren jüngerem Bruder zu sich genommen, führte seinen Haushalt. Miguela war ein gutes, redliches Mädchen, das dem Alten treu diente und alle Pflege anthat, und ob er auch kaum ein Wort sprach, seiner Wege ging wie ein grimmer Wolf und wenig zart umging mit den Seinen, so waren Unfriede und Mißmuth doch unbekannt unter seinem Dache. Die beiden Kinder liebten den Alten ebenso sehr, wie sie vor ihm zitterten, und für ihn gab’s nur ein Wesen auf der ganzen Welt, auf das er hörte und sah und das er als Seinesgleichen achtete, ja, mit rauher Zärtlichkeit hütete wie seinen Augapfel und höher hielt, als sein Leben – das war Miguela.

Zu unserer Verwunderung hörte Miguela uns, die schnell Zurückgekehrten, ruhig an.

‚Ist Alles so wahr, wie Ihr sagt?‘ fragte sie, und als wir die Wahrheit unserer Aussage bekräftigten und unsere Mißbilligung über des Alten Beginnen aussprachen, wies sie allen Tadel kurz mit den Worten zurück:

‚Er wird wissen, was er zu thun hat, und es geht Keinen weiter etwas an.‘

Uns aber jammerte die Arme doch; denn so gleichgültig sie auch that, wir merkten doch, daß sie innerlich litt. Als Woche auf Woche schwand und der Alte immer noch nicht, wie wir glaubten, durch die Noth gezwungen, zurückkehrte, konnten wir’s nicht länger mit ansehen, wie Miguela immer mehr in sich versank; auch die Ungewißheit über unseren alten Gefährten ließ uns keine Ruhe mehr. Zwei von uns machten sich also auf den Weg, um den alten ‚Wolf‘ aufzusuchen.

Wir fanden seine Fährte und endlich ihn selbst. Er hatte sich einen festen Rancho aus Rohr und Palmen aufgeschlagen und war eben dabei, eine kleine Lichtung aufzuräumen und Bananen- und Rohrsetzlinge aus unserer Pflanzung einzusetzen. Der Alte aber sah aus, als wäre er der leibhaftige Waldmensch.

‚Oho!‘ empfing er uns, ‚Ihr kommt früh. Das Gold macht Euch wohl läufig? Kehrt um! Ich habe kein Gold.‘

‚Ignacio, wir wollen Dein Gold nicht. Wir beschwören Dich bei Allem, was Dir heilig ist, um Miguela’s willen, kehre mit uns zurück!‘

Er hörte uns höhnisch an, als ob wir leere Worte sagten.

‚Schon gut. Miguela braucht mich nicht, sie ist alt und gesund genug, sich mit ihrem Bruder selbst zu helfen; ich habe ihnen das größte Feld zu eigen gegeben, das in Santa Barbara zu sehen ist; das ernährt sie Beide, wenn sie wollen. Nun laßt mich und sie in Ruhe, schwatzt ihr nichts vor! Ich werde leben und wohnen, wie mir’s beliebt, und es beliebt mir, hier zu bleiben – adios!‘

[627] Was war zu thun? Wir konnten doch den alten ‚Wolf‘ nicht binden und wie eine Bestie nach Hause schleppen. Er würde uns das Binden auch gut eingesalzen haben. Wir mußten also abziehen, wie wir gekommen waren, und erschienen ohne ihn vor Miguela, die auch diesmal ruhig und gelassen that; sie fragte, wie das erste Mal, doch viel bestimmter:

‚Ihr schwört mir, daß es wahr ist, was Ihr sagt?‘

Und als wir schwuren, sagte sie wie damals, doch mit müder Stimme und müden Augen:

‚Nun gut, er wird wissen, was er zu thun hat, und Niemand hat darnach zu fragen.‘

Allmählich lebte sich auch Miguela immer mehr in ihre eigenen Gedanken ein und sah wieder frischer und freier um sich. Die Ernte kam; sie trug vom Morgen bis zum Abend den Mais und anderes Getreide ein, welches der Alte bergauf, bergab gepflanzt hatte; drei, vier Männer arbeiteten den ganzen Tag in ihrem Dienste. Sie aber regierte und schaffte wie die Herrin des Hauses, und doch rührte sie kein Stück Geld als ihr eigen an. Es fehlte nicht an guten Rathgebern für dies und das; ‚wartet, bis Ignacio, mein Oheim, kommt!‘ antwortete sie. Es fehlte nicht an Freiern, welche ihre Hand begehrten; ‚meine Hand dient meinem Oheim Ignacio, und der Hof gehört ihm,‘ rief sie und warf die Thür zu.

So verging die Zeit. Da – der Teufel kann nun einmal keinen Frieden unter den Christen leiden – wird von verruchten Zungen das Gerücht herumgetragen, der Alte hätte einen Schatz gefunden, welchen die alten Indios dort vergraben, und wir Leute von Santa Barbara hätten ihn kalt gemacht und seinen Schatz geraubt. Kann man den Teufel sehen, wenn er umgeht? Das Gerücht hatten wir da, ohne das verdammte Hirn zu kennen, das dieses Gift ausgegohren.

Anfänglich hörte Miguela nicht auf das Geschwätz; aber immer wieder ausgestreute Saat geht endlich doch auf; so krallte sich Satan in ihre Seele ein, und der Argwohn faßte Wurzel; die Goldprobe, die für uns zeugen sollte, wurde nun als Zeuge gegen uns angerufen, und als die Zeit unseres Jagdzuges herangekommen war, erklärte Miguela:

‚Wenn Ihr diesmal wieder ohne meinen Oheim Ignacio zurückkommt, so werde ich das Gericht gegen Euch aufbieten.‘

Verdrießlich über das Gerede und Miguela’s offene Anklage und Drohung, riefen ihr Etliche von uns zu:

‚So geh doch selbst und hole Dir den Alten! Sind wir etwa zu Euern Hütern und Wächtern bestellt?‘

Miguela sah den Sprechenden scharf in’s Auge, und trotzige Entschlossenheit lag in ihrem Gesichte – der Pfeil war abgeschossen und saß. Miguela wies jede Beschwichtigung zurück und entgegnete heftig:

‚Gut, wenn Ihr von heute ab (es war Sonntag) bis zum Samstag nicht zurückgekehrt seid mit Ignacio, so werde ich selbst gehen und nach ihm suchen, und finde ich ihn nicht, so melde ich’s dem Gericht!‘

Ich redete ihr in’s Gewissen, mir zu glauben, da ich ihr doch nie eine Lüge gesagt, erinnerte sie, daß ich von jeher Ignacio’s Freund gewesen, aber sie schüttelte abwehrend den Kopf und blieb dabei:

‚Euch, Compadre, trau ich nichts Schlechtes zu, aber was ich gesagt habe, habe ich gesagt.‘

Ich rüstete sofort zum Aufbruche; denn es war keine Zeit zu verlieren, um die von Miguela gestellte Frist einhalten zu können; daß sie aber nach Ablauf derselben ihren Vorsatz ausführen werde, stand so fest, wie Petri Fels. Ich suchte unsere zuverlässigsten Leute zusammen und ging mit ihnen voraus; die anderen folgten uns in verschiedenen Abtheilungen nach; einen jungen Freund aber, auf welchen ich wie auf mein eigen Auge vertrauen konnte, hatte ich zurückgelassen und ihm auf die Seele gebunden, Miguela nicht aus Hand und Augen zu lassen, sobald sie den wahnsinnigen Gang unternehmen sollte.

Diese Weisung, Herr, war überflüssig; denn mein armer junger Freund trug das Mädchen mehr auf dem Herzen, als Vater und Mutter; auch Miguela war ihm nicht böse, aber in der Treue zu dem Alten nahm sie keinen Freier an.

Wir zogen davon – still, freudlos; wie so ganz anders, als wohl sonst! Es war, als ob auf Jedem die Ahnung eines Unglücks lastete. Der ‚grimme Wolf‘ empfing uns mürrisch und knurrte uns an: ‚wir sollten ihm vom Halse bleiben, uns das Gold allein suchen.‘ Sonst hatte sich der alte Bursche ganz leidlich eingerichtet.

Alle Ueberredung scheiterte an seinem trotzigen Eigensinne; wir kramten Lüge auf Lüge aus: Haus und Hof gehe dem Verfalle entgegen; Miguela härme und arbeite sich zu Tode; sie sei schon so weit herunter, daß sie die Wirthschaft nicht mehr überwachen könne; sie werde bestohlen und betrogen, leide Noth und Kummer und bringe Tag und Nacht in Thränen zu. Er zuckte über Alles gleichgültig die Achseln; sein Gewissen schien so ausgetrocknet, wie sein Fleisch und Blut. ‚Es möge geschehen, was geschehe!‘ autwortete er trocken und eigenthümlich grinsend, ‚Miguela werde bald aus der alten Hütte herausfliegen, wie der Schmetterling aus der Puppe.‘

‚Ignacio,‘ rufe ich, ‚welch ein Dämon ist in Dich gefahren! Du hieltest doch sonst nicht so an Geld und Gut. Wenn Du’s so weiter treibst, geht Miguela zu Grunde.‘

‚Zu Grunde, Narr, zu Grunde?‘ krächzt er grinsend. ‚Leben soll sie, sag’ ich Dir, leben, erst recht leben.‘

‚Vom Teufel bist Du besessen, daß Du mich nicht hörst!‘ fahre ich ihn endlich zornig an. ‚Du ließest Dir doch sonst wenigstens von mir noch ein Wort sagen. So höre denn: Miguela glaubt, daß wir Dich todt geschlagen haben, und wenn Du jetzt nicht mit uns zurückkommst, so macht sie sich selbst auf den Weg, Dich zu suchen, sich von Deinem Leben oder Tode zu überzeugen, und daß sie nicht lebendig bis hierher kommt, weißt Du selber.‘

Einen Augenblick zuckte der Alte zusammen; sein aschgraues, vertrocknetes Gesicht zittert, aber nur ein kurzer Ruck war’s, wie etwa ein Zittern durch den Stamm geht, wenn die Axt an seine Wurzel gelegt wird; dann grinst er uns wieder höhnisch an und poltert die Worte stoßweise hervor:

‚Possen, Possen! Mit Speck fängt man Mäuse. Spart Euch die Mühe! Und Euer Spüren nützt Euch auch nichts; ich habe meine Löcher gut verstopft.‘

‚Ignacio, ich sage Dir bei Allem, was uns heilig ist, wenn Du nicht mit uns kommst, so geht Miguela in den Tod. – Nun denn,‘ fahre ich ungeduldig und zornig fort, als alle Reden nichts fruchten, ‚so laß sie hinfahren, ewig verdammt, ohne Absolution!‘

Das wirkt. Der Alte steht wie eine Steinsäule da; er starrt mich an mit Augen, mit Augen, sage ich, welche wie die eines Raubvogels durch die Nacht glühen; dann geht ein fliegendes Zittern durch seine dürren Glieder.

‚José Maria – bei den Gebeinen Deiner Mutter sage mir, daß Du nicht lügst! Hier hast Du Gold, aber sprich ehrlich!‘ Krampfhaft packt er meinen Arm.

Ich wiederhole, was ich gesagt.

‚Miguela’s Seele verdammt?‘ ruft er aus rauher Brust heraus. ‚Verflucht, wer das sagt! Leben soll sie, sag’ ich, leben, glücklich hier und selig da! Zurück! Packt auf! Eilt Euch, geht voran – ich, ich will nur noch ein Paternoster beten.‘

Wir treten frohlockend aus seiner Hütte heraus; zwei Leute von uns aber sehen durch die Wandspalten, daß der Alte, während er sein Paternoster oder was sonst murmelt, einen Topf aus der Erde holt; er schüttet den Inhalt in einen Beutel und schlägt um den Beutel ein Fell. Wir sehen einander an und legen den Finger auf den Mund; was der Alte aus dem Topf schüttete, war Gold, vieles, gutes Gold gewesen.

Inzwischen war auch die zweite, größere Abtheilung unserer Leute herangekommen; sie hatten bald heraus, was wir gesehen, denn gieriger, als wir, nach des Alten Geheimniß, witterten sie gleichsam, wie Raubvögel, in der Luft, was wir mit unseren Augen sahen. Sie waren mit der Absicht gekommen, dem Alten nachzuspüren, mit ihm zu theilen oder ihm das Handwerk zu legen; darum blieben sie, als wir abzogen, und auch uns trauten sie nicht mehr. Aber der Alte hatte ‚die Löcher gut verstopft‘; so viel sie auch suchten, wühlten, spürten und Zeit vergeudeten, sie entdeckten keine Leitspuren; der Alte hatte jedes Merkmal verwischt, ja, um sich vor jeder Ueberrumpelung zu sichern und uns von der rechten Fährte abzuleiten, schlau und täuschend falsche Spuren augelegt.

Wir aber ließen uns nicht länger weder durch Ueberredungen, noch durch Drohungen zurückhalten; es war uns schon zu viel Zeit durch den Trotz des Alten verloren. Der sprach kein Wort weiter, kaum aber vermochten wir ihm zu folgen, so eilig schritt er aus.

Bald jedoch fanden wir den Weg verlegt; eine Stromfluth [628] hatte den alten Pfad neben dem Ufer theils weggerissen, theils ungangbar gemacht; wir mußten auf weite Strecken hin einen neuen Pfad bahnen, stießen immer wieder auf neue Hindernisse, suchten hin und her, vorwärts und zurück, verloren und suchten wieder die rechte Richtung, arbeiteten uns matt und müde und doch nur langsam weiter – es war, als habe Wald und Strom sich gegen uns verschworen. Die Kost ging aus; kein Wild kam zu Schuß, selbst die Thiere schienen verscheucht. Kein Nachtlager bot Ruhe und Schlaf, und die Kräfte wollten uns fast verlassen.

‚Am Samstag,‘ hatte Miguela gesagt, ‚erwarte ich Euch.‘

Der Sonntag war herangekommen; unser Kampf um’s Leben hatte uns Tag und Stundenschlag vergessen lassen, und der Gedanke an meinen jungen Freund, welchem ich Miguela auf die Seele gebunden, schläferte mich vollends ein.

Miguela aber gedachte des Tages besser; sie führte mit dem bestimmten Stundenschlage ihre Drohung aus und machte sich, von ihrem kleinen Bruder und meinem jungen Freunde, der sich unabweisbar an ihre Sohle heftete, begleitet, auf den Weg, den Weg, der uns gestählten Männern zum Grabe zu werden drohte.

Die Morgendämmerung lag über Santa Barbara; alle Menschen schliefen; die ersten Stimmen im Walde regten sich, und freundlich blaute der Himmel aus der grauen Dämmerung auf, aber der dunstige, sengende Glanz der Sonne und der flimmernde, schwefelige Dunst, der sich über die Erde lagerte, kündete alsbald einen heißen, schwülen Gewittertag an.

Rüstig schritten die drei Wanderer auf unserer, noch erhaltenen Pfadspur fort. Miguela schrak vor nichts zurück, nicht vor den angeschwollenen Stromwellen noch vor den über den Grund hinrollenden Steinen; bald blutete sie aus der zerrissenen Haut und die Kleider sogen sich schwer voll Wasser; Felsen- und Baumtrümmer sperrten den Weg. Umsonst baten und riethen die beiden Burschen vor den Schrecken der Wildniß zur Umkehr; Miguela spornte nur noch entschiedener zum rastlosen Gange an und mahnte, vorsichtig nach unserer Spur zu spähen. Das Alles hat ihr Bruder uns nachher erzählt.

So kamen sie in das Felsenloch. Mein junger Freund sah den schmalen Schluchtpaß oben durch einen gestürzten Baum gesperrt; er kletterte schnell voraus, um einen Durchhau mit der Axt zu machen, während Miguela so lange unten auf einem Stein ruhte. Zwischen den lichtlosen, schmalen Felsenufern sahen sie nicht, daß der sengende Gluthdunst anfing zu rauchen, daß das Auge der Sonne trübe und blind ward, der Himmel sich aschgrau umzog, und an den Bergen dicke Wolken niederrollten.

‚Bruder – es donnert auf den Bergen!‘ ruft der Bube da unten dem Anderen oben ängstlich zu, der unter den Schlägen der Axt nichts sieht und hört.

‚Eile Dich, Knabe, und hilf ihm oben bei der Arbeit!‘ treibt Miguela den Bruder mit aufmunterndem Zurufe an.

Kaum hat der Knabe den halben Weg hinter sich, da stürzen sich donnernd die Wasser herab; erschreckt wendet er das Gesicht; Miguela steht auf einem Felsblocke mitten in der Schlucht.

‚Schwester – die Fluth! Bruder – die Fluth!‘ ruft er voll Todesangst hinunter und hinauf.

Kaum stößt er den Schreckensruf aus, da rast auch schon donnernd die Fluth herbei. Schlammigen, rothen Schaum aufwerfend, drängt sich die Sturzwelle in das Felsenloch ein. Dumpf rollt das Gerölle über den Grund; Bäume brechen und zersplittern an den Felsen; die schweren Quadern wanken, und die Erdfeste scheint zusammenzubrechen.

‚Bruder, mein Bruder, hilf!‘ ruft es mitten aus dem kochenden Gischt heraus. Miguela steht auf einem wankenden Felsblocke, von der rothschäumenden Brandung umtost. Sturmschnell wächst die Fluth, und in rasender Eile spannt sie die wilden Flügel aus; gleich brüllenden Geschossen rollt Gestein gegen Gestein. Da prallt, vom wilden Wirbel gepackt, ein Baumstamm gegen den Felsblock, über welchen die Wellen die gierigen Arme nach Miguela zusammenschlagen. Der Stein wankt – kippt; ein markerschütternder Schrei: Miguela sinkt, von der Fluth erfaßt. Der Bursche aber sieht die heranwälzenden Wasser, sieht Miguela von den Wogen umbrandet, sieht den Felsblock wanken, Miguela untersinken; in einem Augenblick ist alles Das geschehen. Zwei Arme noch heben sich aus dem rothen Gischt – da stürzt auch er in das grause Grab. Noch einmal hebt die Welle Miguela empor – Arm streckt sich gegen Arm; und wieder schnellt ein Sturmbalken heran – und mit umschlungenen Armen liege Beide in den Grund gebohrt.

Den, der das Alles sieht, den hülflosen Knaben, faßt dieselbe Welle – doch sie schleudert ihn an das steile Ufer, ihn im Gebüsche zurücklassend, als sie wieder hinabfällt und weiter rollt. Betäubt, wund und zerschlagen, bleibt er liegen; vor seinen dunkelnden Augen taucht unten noch einmal das Haar, das Haupt, das Kleid aus der Fluth; dann schwindet Alles vor seinen Blicken, und dunkle Nacht umfängt seine Sinne. –

‚Auch hier ging das Wasser hoch,‘ sprechen wir, als wir zu dem Felsenloche der Schlucht von Santa Barbara hinabsteigen.

‚Still, Cameraden,‘ rufe ich, hinaushorchend; ‚mir ist’s, als hörte ich jammern.‘

Wir gehen weiter; die Rufe treffen deutlicher unser Ohr; vernehmlicher wird das Stöhnen und Wehklagen. Noch einige Schritte – und vor uns liegt der Knabe, blutig und zerschlagen, in’s Gestrüpp eingeklemmt. Winselnd ruft er uns entgegen:

‚Die Fluth hat sie Beide hinweggerissen.‘

Der ‚grimme Wolf‘ stiert versteinert auf den wunden, jammernden Knaben; dann plötzlich sprüht ein düsteres, wildes Feuer aus seinen verglasten Augen; er blickt in die Runde und brüllt auf, wie eine angeschossene Bestie:

‚Das habt Ihr gethan. Ihr habt sie hinausgetrieben.‘

‚Mann,‘ rufe ich ihn an, ‚weshalb beschuldigst Du uns? Das ist Dein Werk – habe ich es Dir nicht immer gesagt?‘

Wüthend schleudert er meinen Arm zurück und stürzt hinab, dem Strome nach, in das Felsenloch.

Wir Anderen legen den Knaben ruhig nieder; die Einen bleiben bei ihm zurück, die Anderen – unter ihnen ich – eilen dem Alten nach.

Wir laufen, klettern, steigen und keuchen lautlos neben einander her – immer weiter die Quebrada hinab; wer uns durch das Felsenloch geführt und wie wir hindurchgekommen, weiß ich bis heute nicht; es wird ein Wunder der heiligen Barbara gewesen sein. Bäume liegen umgerissen, Ufer eingestürzt, neue Ufer angeschwemmt; endlich sehen wir den Strom quer gesperrt durch eine mächtige Palissade; vor einem Zackenjoch von Steinen liegt der Länge nach ein dicker Baum, einen festen Damm durch das Wasser treibend; murrend beugt sich der Strom dem zwingenden Joche, seinen Nacken unterhalb hindurchzwängend. Wir bahnen uns den Weg mit Fäusten und Messern durch das verschlammte Wurzel- und Zweiggestrüpp, treten das Reisig nieder und zerreißen die Schlingruthen, welche sich um Brust und Füße wickeln. Da plötzlich steht der Alte vor uns – ein Anblick des Entsetzens. Er rührt sich nicht und bohrt den Blick in das trübe Wasser. Ich folge seinem Auge; es haftet auf einem Streifen blauen Zeuges, das, von dem Zacken eines gebrochenen Astes aufgefangen, ein wenig aus dem Wasser taucht; mir stockt fast das Blut – auch ich wage nicht, mich zu rühren. Da beugt sich der Alte, von uns aus seiner Erstarrung gerissen, langsam nieder, reißt das Gezweige aus einander – und, wie der Jaguar über sein Junges brüllt, so schreit er seine Wuth, seinen Schmerz, seine Verzweiflung aus:

Dios, misericordia! Ich hab’ sie gemordet; sie ist ohne Absolution hinabgefahren.‘

Zum ersten Mal höre ich den ‚grimmen Wolf‘ Gott um Erbarmen anrufen, und während er sich ausschreit und die Zweige auseinander zerrt, taucht das untergesunkene Haupt Miguela’s mit dem langen, aufgelösten Haare aus der trüben Tiefe auf, und als wir sie aus dem Wasser ziehen, finden wir sie welk zusammengeknickt, die Rückenwirbel wie Glas zersplittert. Wir lösen sie aus dem Gestrüppe – da scheint sich eine Hand, ein Arm nach ihr auszustrecken; wir fassen auch diesen Arm und ziehen mit zerschmetterter Brust meinen armen, jungen Freund herauf. Er hatte sein Wort gehalten – und nun hielt er im Tode, was ihm das Leben versagt.

Der Alte wirft sich auf den Stein vor Miguela nieder, stützt das Kinn in beide Hände und vergräbt sein Auge, wie ein Wahnsinniger, lautlos, bewegungslos in das Antlitz der Todten. Endlich erwacht er aus seiner dumpfen Verzweiflung; er sieht mich im Sande knieen, die Hände falten und beten; als ob ein Erz aus einander schmilzt, so überkommt es ihn weich und weh, vielleicht zum ersten Male in seinem Leben. Er gleitet von dem Steine, kniet, wie ich, in den Sand nieder und ruft mit bebender Stimme und die gefalteten Hände gegen Miguela’s Leiche ausgestreckt:

[630] ‚Miguela, nur für Dich suchte ich Gold und Herrlichkeit – und gab Dir den Tod! – José Maria,‘ wandte er sich dann gegen mich, ‚reich sollte sie sein, glücklich, stattlich, prächtig und herrlich, wie die vornehmen Leute – und das hab’ ich aus ihr gemacht!‘

Doch bald fiel er in seinen alten grimmen Trotz zurück; heftig sprang er auf und schrie uns wild an:

‚Ich sag’ Euch, Miguela ist nicht verdammt. Gold hab’ ich, Gold für ihre Seele.‘

Sonst kündeten wir, wenn wir, mit Beute beladen, heimzogen, laut jubelnd in Santa Barbara unsere Heimkehr an; jetzt zogen wir in Trauerprocession vor Miguela’s Haus und legten, von den Weibern und Kindern heulend umstanden, unsere Todten und unsern Kranken nieder.

Der ‚grimme Wolf‘ ward noch stummer als bisher; man hörte kein Wort mehr von ihm, aber er sah nicht grimmig und trotzig mehr in die Welt, knurrte nicht mehr, ging jedem Kinde aus dem Wege, und seine Flinte stand unberührt im Rauch. Sein Kopf hing gesenkt; seine Augen sahen nicht mehr von der Erde; auf seinem Gange murmelte er viel zwischen den Zähnen, und seine Hände griffen oft in die Luft. Ganz hager und mager trocknete der Alte aus; die Leute steckten die Köpfe zusammen und zischelten: ‚Er ist verrückt geworden.‘

Er ging zum Pfarrer und sagte: ‚Da ist Gold für Miguela’s Seele; ich bringe mehr Gold, so viel Ihr braucht und wollt für ihre Seligkeit.‘

Und so ging er von einem Pfarrer zum anderen und ließ Messen lesen und trug sein Gold in alle Kirchen für Miguela’s Seele – die Arme! Auf Erden durfte sie nicht herrlich leben, so sollte sie nun selig leben im Himmel.

An jedem Morgen, bevor der Tag sich noch regte, war Ignacio aus dem Dorfe verschwunden; seinen Knaben ließ er als Haushalter zurück; an jedem Abend kehrte er wieder; er trug einen groben Sack als Hemde, das er mit dem Messergurt um die Hüften zusammenschnürte, darunter kurze, kaum über’s Knie fallende Hosen. So ging er tagein, tagaus; so schlief er des Nachts auf einer Kuhhaut.

Niemand wußte, wo er sich den Tag über aufhielt; sein Junge wagte nicht und hatte keine Zeit, ihm nachzuspüren. Von den Nachbarn aber hörten wir, daß der ‚grimme Wolf‘ heute hier, morgen dort gewesen, überall habe Messen lesen lassen, überall, wo eine Procession stattgefunden, derselben gefolgt sei. Ob noch so weit, noch so beschwerlich, er folgte jedem Glockenstoße, jedem Rosenkranze und sank des Abends wieder auf sein hartes Lager hin, aber er gab keinen Laut von sich.

So sah und kannte Jedermann in Nähe und Ferne den ‚grimmen Wolf‘; die Kinder flohen vor ihm; die Erwachsenen ließen ihn gehen, und wo er sich in den Schatten eines Baumes oder einer Veranda setzte, gab man ihm Speise und Trank.

Eines Morgens endlich stand der Alte nicht mehr auf; er lag steif, kraftlos und von einem hitzigen Fieber befallen auf seiner Kuhhaut. Erschöpft war er am Abend vorher zusammengesunken und hatte tief aufgeseufzt; der Knabe ahnte, was das zu bedeuten habe; er eilte hinaus und rief den Nachbarn; ‚der Alte hat geseufzt,‘ sagte er, ‚er wird sterben; bleibt diese Nacht bei mir!‘

Als der Alte sich nicht aufzurichten vermochte, rief er den Knaben zu sich; seine tiefliegenden Augen brannten heiß und trocken.

‚Muchacho,‘ stotterte er mühsam, ‚Muchacho, ich sterbe – am Sonntag, um dieselbe Zeit, als Miguela in der Fluth umkam, saß ich und ruhte unter dem großen Higuerote;[1] da saß über mir im dichten Laube die Todtentaube und klagte; drei Abende hinter einander saß ich dort, und immer klagte über mir die Todtentaube; gestern Abend blieb sie aus – und der Tod kam und schüttelte meine Knochen. Nun lauf und hole den Pfarrer, schnell!‘

Der Pfarrer kam.

‚Ich sterbe,‘ murmelte der Alte. ‚Ich will keine Absolution; begrabt mich, wo Ihr wollt! Ich gebe meine Seele für Miguela’s Seele,‘ röchelte er laut mit letzter Anstrengung, ‚und hier ist Gold; schnell, Padre, sagt mir, daß ihre Seele gerettet ist!‘

‚Ignacio, beichtet!‘

‚Schnell, Padre, antwortet: Miguela ist –‘

‚Der Heiligen Fürbitte wird nicht ausbleiben, und Gottes Barmherzigkeit ist groß,‘ sagte der Geistliche.

‚Gewißheit – Padre. Ich will – Gewißheit.‘

Der Pfarrer senkte sein Haupt:

‚Ignacio, beichtet!‘

Ein ersticktes Wuthgeschrei entrang sich röchelnd des Alten Brust; sein Gesicht verzerrte sich; das erlöschende Auge blitzte noch einmal in wildem Feuer auf; dann griff er mit Zusammenraffung der letzten Kraft hinter sich, zerrte aus der Wand-Ecke einen Beutel mit Gold hervor und stieß keuchend die nur halb verständlichen Laute aus:

‚Nimm – Kirche – Miguela – Miguela’s Seele!‘

Der Alte sank zurück; sein Auge brach. Der ‚grimme Wolf‘ war todt.

Das Geheimniß von Torcoróma’s Gold nahm er mit in sein Grab; Niemand hat es wieder entdeckt; von seinem Vermächtnisse an die Kirche aber werden noch heute für die Seelen der in der Fluth Verunglückten Messen gelesen.“ –

„Das ist die Geschichte vom ‚grimmen Wolf‘“ sagte José Maria und erhob sich; er stieß schweigend die Gluth zusammen, kauerte auf sein Lager nieder und sprach flüsternd sein Gebet; dann schlug er über Stirn, Mund und Brust das Kreuz und lag bald in tiefem Schlafe.

„José Maria,“ sprach am anderen Morgen der weiße Mann zu dem braunen Manne, als Wald und Strom unter dem feurigen Sonnenpurpur erglühten und die Morgenröthe mit rosigen Lippen das Thränenufer küßte, „kommt, laßt uns ein Kreuz für Miguela und ihren getreuen Gefährten setzen!“

„Herr,“ erwiderte der Sohn der Wildniß, „die Männer des deutschen Landes sind zwar keine Christen, und ich beklage ihre Seelen, doch immer fand ich Euch als gute Menschen.“

„Seid ohne Sorge, José Maria, auch die Männer Deutschlands sind Christen – und alle Menschen sind Gottes Kinder.“

José Maria segnete das Kreuz und schlug das Zeichen seiner Kirche; er bewegte dabei flüsternd die Lippen, und bald lag wieder still hinter den Wanderern im duftigen Morgenschimmer die Vega de las Lagrimas, das Ufer der Thränen.


  1. Higuerote ist ein Baum aus dem Geschlechte Ficus, in dessen hohlem Riesenstamme der Verfasser einst vor einem Gewitter mit seinem Führer und zwei Pferden Schutz fand und, ohne aus dem Sattel zu steigen, bequem wendete und wieder hinausritt.