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Das Totenhemd

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Textdaten
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Autor: Frau Adler sen.
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Titel: Das Totenhemd
Untertitel:
aus: Sagen aus der Provinz Sachsen V, in: Zeitschrift für Volkskunde, 1. Jahrgang, S. 312
Herausgeber: Edmund Veckenstedt
Auflage:
Entstehungsdatum:
Erscheinungsdatum: 1889
Verlag: Alfred Dörffel
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Erscheinungsort: Leipzig
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Quelle: Google-USA*, Commons
Kurzbeschreibung:
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4. Das Totenhemd.

In einem Dorfe bei Leitzkau lebten einst zwei Schwestern. Es ging ihnen kümmerlich, denn sie spannen um Lohn für andere Leute. Das hatten sie viele Jahre hindurch gethan und waren dabei alt und grau geworden. Aber ganz ehrlich waren sie nicht gewesen, denn wenn sie von dem Flachse, welcher ihnen zum Spinnen gegeben war, etwas hatten bei Seite bringen können, so war das geschehen. Aus diesem so gewonnenen Flachs hatten sie das feinste Garn gesponnen und sich daraus Leinewand weben lassen die so fein war, wie Niemand solche im Dorfe hatte.

Eines Tages war eine von diesen Schwestern gestorben. Ihr Sterbehemd wurde aus dieser feinen Leinewand gefertigt. Am dritten Tage wurde sie begraben. Allein die Tote fand keine Ruhe im Grabe. Jeden Tag um die Zeit, wo es schummerig ward, öffnete sich leise die Thür zu dem Zimmer, in welchem ihre Schwester sass und spann, und dann sah dieselbe deutlich, wie ihre verstorbene Schwester im weissen Totenhemde in das Zimmer trat und in demselben unruhig auf- und abging. Nach einem Weilchen verschwand sie dann wieder. Zuletzt vermochte die noch lebende Schwester das nicht mehr zu ertragen. Sie ging zum Pastor und klagte diesem ihre Not. Der Pastor sagte, er wolle versuchen, der Toten die ewige Ruhe zu verschaffen.

Um die Dämmerungstunde stellte sich der Pastor bei der alten Spinnerin auch richtig ein. Er hatte die Bibel mitgebracht. Es währte auch nicht lange, so ging die Thüre leise auf, und die Verstorbene trat ein in ihrem weissen Totenhemde. Aber der Pfarrer schritt auf dieselbe zu, die Bibel in der Hand und redete sie mit den Worten an: „Irrer Geist, was willst Du?“

Darauf antwortete die Tote mit leiser Stimme: „Ich will mein ehrliches Hemd haben.“

Der Pastor stellte dreimal dieselbe Frage, und dreimal antwortete ihm die Tote mit denselben Worten, darauf ging sie schweigend zur Thür hinaus.

Nun aber gestand die Schwester dem Pastor alles, wie sie von dem Flachs etwas beiseite gebracht hätten und dass auch das Totenhemd aus dem Garn gewebt sei, welches sie aus diesem Flachs gesponnen hätten. Da blieb denn nichts übrig, als dass man das Grab öffnen und die Tote mit einem ehrlichen Hemde bekleiden musste. Sobald das geschehen war, hatte die Tote ihre Ruhe im Grabe.

Frau Adler sen.