Das Testament
Philemon, der bei großen Schätzen
Ein edelmüthig Herz besaß,
Und, andrer Mangel zu ersetzen,
Den eignen Vortheil gern vergaß;
So willig er auch war, den Neidern beyzustehen.
Zween Nachbarn haßten ihn, zween Nachbarn ruhten nie,
Aufs schimpflichste von ihm zu sprechen.
Warum? Er war beglückt, und glücklicher, als sie;
Die Freunde riethen ihm, sich für den Schimpf zu rächen.
Nein, sprach er, laßt sie neidisch schmähn,
Sie werden schon nach meinem Tode sehn,
Wie viel sie Recht gehabt, ein Glück mir nicht zu gönnen,
Er stirbt. Man findt sein Testament,
Und liest: Ich will, daß einst, nach meinem Sterben,
Mein hinterlaßnes Gut die beiden Nachbarn erben,
Weil sie dieß Gut mir nicht gegönnt.
„Wie? konnt ich ihn nicht auch beneiden?
„Mir giebt er nichts, und alles diesen beiden?
Den Sinn des Testaments vollführen.
Sonst hätten beide nichts gekriegt.
So aber kriegten sie das völlige Vermögen.
Wie rühmten sie den Selgen nicht!
Er war die Großmuth selbst, er war der Zeiten Licht,
Denn eh er starb, war ers noch nicht.
Sind unsre Nachbarn nun beglückt?
Vielleicht. Wir wollen Achtung geben.
Der Eine Nachbar weiht entzückt
Er hütet ihn mit karger Hand,
Und wacht, wenn andre schnarchend liegen,
Und wünscht mit Thränen sich Verstand,
Die schlauen Diebe zu betrügen;
Als ob man ihn bestohlen hätte,
Mit schnellen Füßen aus dem Bette,
Und sucht den Ort, wo er den Schatz versteckt.
Er martert sich mit tausend Sorgen,
Und nimmt aus Geiz sich vor, die Hälfte zu verborgen,
Und läßt den, den er rief, doch leer zurücke gehn.
Arm hatt er sich noch satt gegessen;
Reich hungert er, bey halbem Essen,
Mit Klagen über Gott, und über Theurung, ab,
Der Seinen Last und seine Plage.
Der andre Nachbar lachte sein.
Was ich geerbt, will ich verzehren,
Und mich des Segens recht erfreun.
Er hielt sein Wort, und sah, in wenig Jahren,
Sein vieles Geld in fremder Hand;
Schlich itzt sein Fuß ganz unbekannt.
Ach! sprach er zu dem andern Erben,
Philemon hat es wohl gedacht,
Daß uns der Reichthum wird verderben,
Du hungerst karg, ich hab es durchgebracht.
Wir waren werth, den Reichthum zu besitzen;
Denn keiner wußt ihn recht zu nützen.