Das Stundenbuch/Das Buch von der Pilgerschaft
« Das Buch vom mönchischen Leben | Rainer Maria Rilke Das Stundenbuch |
Das Buch von der Armut und vom Tode » | |||
Fertig! Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle Korrektur gelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
| |||||
Für eine seitenweise Ansicht und den Vergleich mit den zugrundegelegten Scans, klicke bitte auf die entsprechende Seitenzahl (in eckigen Klammern).
|
[50]
Dich wundert nicht des Sturmes Wucht, –
du hast ihn wachsen sehn; –
die Bäume flüchten. Ihre Flucht
schafft schreitende Alleen.
ist der, zu dem du gehst,
und deine Sinne singen ihn,
wenn du am Fenster stehst.
Des Sommers Wochen standen still,
jetzt fühlst du, daß es fallen will
in den, der alles tut.
Du glaubtest schon erkannt die Kraft,
als du die Frucht erfaßt,
und du bist wieder Gast.
Der Sommer war so wie dein Haus,
drin weißt du alles stehn –
jetzt mußt du in dein Herz hinaus
Die große Einsamkeit beginnt,
die Tage werden taub,
aus deinen Sinnen nimmt der Wind
die Welt wie welkes Laub.
der Himmel, den du hast;
sei Erde jetzt und Abendlied
und Land, darauf er paßt.
Demütig sei jetzt wie ein Ding,
daß Der, von dem die Kunde ging,
dich fühlt, wenn er dich greift.
Ich bete wieder, du Erlauchter,
du hörst mich wieder durch den Wind,
weil meine Tiefen nie gebrauchter
rauschender Worte mächtig sind.
in Stücken war verteilt mein Ich.
O Gott, mich lachten alle Lacher,
und alle Trinker tranken mich.
In Höfen hab ich mich gesammelt
mit halbem Mund dich angestammelt,
dich, Ewiger aus Ebenmaß.
Wie hob ich meine halben Hände
zu dir in namenlosem Flehn,
mit denen ich dich angesehn.
Ich war ein Haus nach einem Brand,
darin nur Mörder manchmal schlafen,
eh ihre hungerigen Strafen
ich war wie eine Stadt am Meer,
wenn eine Seuche sie bedrängte,
die sich wie eine Leiche schwer
den Kindern an die Hände hängte.
und wußte nur von ihm, daß er
einst meine junge Mutter kränkte,
als sie mich trug,
und daß ihr Herz, das eingeengte,
Jetzt bin ich wieder aufgebaut
aus allen Stücken meiner Schande
und sehne mich nach einem Bande,
nach einem einigen Verstande,
nach deines Herzens großen Händen –
(o kämen sie doch auf mich zu)
ich zähle mich, mein Gott, und du,
du hast das Recht, mich zu verschwenden.
Ich bin derselbe noch, der kniete
vor dir in mönchischem Gewand:
der tiefe, dienende Levite,
den du erfüllt, der dich erfand.
an der die Welt vorüberweht, –
und du bist immer noch die Welle,
die über alle Dinge geht.
Es ist nichts andres. Nur ein Meer,
Es ist nichts andres denn ein Schweigen
von schönen Engeln und von Geigen,
und der Verschwiegene ist der,
zu dem sich alle Dinge neigen
Bist du denn alles, – ich der Eine,
der sich ergibt und sich empört?
Bin ich denn nicht das Allgemeine,
bin ich nicht Alles, wenn ich weine,
Hörst du denn etwas neben mir?
Sind da noch Stimmen außer meiner?
Ist da ein Sturm? Auch ich bin einer,
und meine Wälder winken dir.
das dich am Micherhören stört, –
auch ich bin eines, höre meines,
das einsam ist und unerhört.
Ich bin derselbe noch, der bange
Nach jedem Sonnenuntergange
bin ich verwundet und verwaist,
ein blasser allem Abgelöster
und ein Verschmähter jeder Schar,
in denen ich gefangen war.
Dann brauch ich dich, du Eingeweihter,
du sanfter Nachbar jeder Not,
du meines Leidens leiser Zweiter,
Du weißt vielleicht nicht, wie die Nächte
für Menschen, die nicht schlafen, sind:
da sind sie alle Ungerechte,
der Greis, die Jungfrau und das Kind.
von schwarzen Dingen nah umgeben,
und ihre weißen Hände beben,
verwoben in ein wildes Leben,
wie Hunde in ein Bild der Jagd.
und in der Zukunft liegen Leichen,
ein Mann im Mantel pocht am Tor,
und mit dem Auge und dem Ohr
ist noch kein erstes Morgenzeichen,
Die Nacht ist wie ein großes Haus.
Und mit der Angst der wunden Hände
reißen sie Türen in die Wände, –
dann kommen Gänge ohne Ende,
Und so, mein Gott, ist jede Nacht;
immer sind welche aufgewacht,
die gehn und gehn und dich nicht finden.
Hörst du sie mit dem Schritt von Blinden
Auf Treppen, die sich niederwinden,
hörst du sie beten?
Hörst du sie fallen auf den schwarzen Steinen?
Du mußt sie weinen hören; denn sie weinen.
an meiner Tür. Ich kann sie beinah sehn.
Wen soll ich rufen, wenn nicht den,
der dunkel ist und nächtiger als Nacht,
den Einzigen, der ohne Lampe wacht
noch nicht verwöhnt hat und von dem ich weiß,
weil er mit Bäumen aus der Erde bricht
und weil er leis
als Duft in mein gesenktes Angesicht
Du Ewiger, du hast dich mir gezeigt.
Ich liebe dich wie einen lieben Sohn,
der mich einmal verlassen hat als Kind,
weil ihn das Schicksal rief auf einen Thron,
Ich bin zurückgeblieben wie ein Greis,
der seinen großen Sohn nicht mehr versteht
und wenig von den neuen Dingen weiß,
zu welchen seines Samens Wille geht.
das auf so vielen fremden Schiffen fährt,
ich wünsche manchmal dich in mich zurück,
in dieses Dunkel, das dich großgenährt.
Ich bange manchmal, daß du nicht mehr bist,
Dann les ich von dir: Der Evangelist
schreibt überall von deiner Ewigkeit.
Ich bin der Vater; doch der Sohn ist mehr,
ist alles, was der Vater war, und der,
er ist die Zukunft und die Wiederkehr,
er ist der Schoß, er ist das Meer ...
Dir ist mein Beten keine Blasphemie:
als schlüge ich in alten Büchern nach,
daß ich dir sehr verwandt bin – tausendfach.
Ich will dir Liebe geben. Die und die ....
wie du von mir gingst, Härte im Gesicht,
von seinen hülflos leeren Händen fort?
Legt man nicht leise sein verwelktes Wort
in alte Bücher, die man selten liest?
von seinem Herzen ab zu Lust und Leide?
Ist uns der Vater denn nicht das, was war;
vergangne Jahre, welche fremd gedacht,
veraltete Gebärde, tote Tracht,
Und war er selbst für seine Zeit ein Held,
er ist das Blatt, das, wenn wir wachsen, fällt.
Und seine Sorgfalt ist uns wie ein Alp,
und seine Stimme ist uns wie ein Stein, –
wir möchten seiner Rede hörig sein,
aber wir hören seine Worte halb.
lärmt viel zu laut, einander zu verstehn,
wir sehen nur die Formen seines Munds,
aus denen Silben fallen, die vergehn.
So sind wir noch viel ferner ihm als fern,
erst wenn er sterben muß auf diesem Stern,
sehn wir, daß er auf diesem Stern gelebt.
Das ist der Vater uns. Und ich – ich soll
dich Vater nennen?
Du bist mein Sohn. Ich werde dich erkennen,
wie man sein einzigliebes Kind erkennt, auch dann,
wenn es ein Mann geworden ist, ein alter Mann.
Lösch mir die Augen aus: ich kann dich sehn,
wirf mir die Ohren zu: ich kann dich hören,
und ohne Füße kann ich zu dir gehn,
und ohne Mund noch kann ich dich beschwören.
mit meinem Herzen wie mit einer Hand,
halt mir das Herz zu, und mein Hirn wird schlagen,
und wirfst du in mein Hirn den Brand,
so werd ich dich auf meinem Blute tragen.
Und meine Seele ist ein Weib vor dir.
Und ist wie der Naëmi Schnur, wie Ruth.
Sie geht bei Tag um deiner Garben Hauf
wie eine Magd, die tiefe Dienste tut.
und badet sich und kleidet sich sehr gut
und kommt zu dir, wenn alles um dich ruht,
und kommt und deckt zu deinen Füßen auf.
Und fragst du sie um Mitternacht, sie sagt
Spann deine Flügel über deine Magd.
Du bist der Erbe ...
Und meine Seele schläft dann, bis es tagt,
bei deinen Füßen, warm von deinem Blut.
Du bist der Erbe.
Söhne sind die Erben,
denn Väter sterben.
Söhne stehn und blühn.
Und du erbst das Grün
vergangner Gärten und das stille Blau
zerfallner Himmel.
Tau aus tausend Tagen,
und lauter Frühlinge mit Glanz und Klagen,
wie viele Briefe einer jungen Frau.
Du erbst die Herbste, die wie Prunkgewänder
in der Erinnerung von Dichtern liegen,
scheinen sich leise an dich anzuschmiegen.
Du erbst Venedig und Kasan und Rom,
Florenz wird dein sein, der Pisaner Dom,
die Troïtzka Lawra und das Monastir,
von Gängen bildet, dunkel und verschlungen, –
Moskau mit Glocken wie Erinnerungen, –
und Klang wird dein sein: Geigen, Hörner, Zungen,
und jedes Lied, das tief genug erklungen,
Für dich nur schließen sich die Dichter ein
und sammeln Bilder, rauschende und reiche,
und gehn hinaus und reifen durch Vergleiche
und sind ihr ganzes Leben so allein ...
damit du unvergänglich die Natur,
die du vergänglich schufst, zurückempfängst:
alles wird ewig. Sieh, das Weib ist längst
in der Madonna Lisa reif wie Wein;
denn Neues bringt kein neues Weib hinzu.
Die, welche bilden, sind wie du.
Sie wollen Ewigkeit. Sie sagen: Stein,
sei ewig. Und das heißt: sei dein!
Sie sind die Dichter einer kurzen Stunde,
sie küssen einem ausdruckslosen Munde
ein Lächeln auf, als formten sie ihn schöner,
und bringen Lust und sind die Angewöhner
Sie bringen Leiden mit in ihrem Lachen,
Sehnsüchte, welche schlafen, und erwachen,
um aufzuweinen in der fremden Brust.
Sie häufen Rätselhaftes an und sterben,
aber sie werden vielleicht Enkel haben,
in denen ihre grünen Leben reifen;
durch diese wirst du jene Liebe erben,
die sie sich blind und wie im Schlafe gaben.
Und wie die obern Becken von Fontänen
beständig überströmen, wie von Strähnen
gelösten Haares, in die tiefste Schale, –
so fällt die Fülle dir in deine Tale,
Ich bin nur einer deiner Ganzgeringen,
der in das Leben aus der Zelle sieht
und der, den Menschen ferner als den Dingen,
nicht wagt zu wägen, was geschieht.
aus dem sich dunkel deine Augen heben,
dann halte es für meine Hoffahrt nicht,
wenn ich dir sage: Keiner lebt sein Leben.
Zufälle sind die Menschen, Stimmen, Stücke,
verkleidet schon als Kinder, eingemummt,
als Masken mündig, als Gesicht verstummt.
Ich denke oft: Schatzhäuser müssen sein,
wo alle diese vielen Leben liegen
in welche nie ein Wirklicher gestiegen,
und wie Gewänder, welche ganz allein
nicht stehen können und sich sinkend schmiegen
an starke Wände aus gewölbtem Stein.
aus meinem Garten, drin ich müde bin, –
ich weiß: Dann führen alle Wege hin
zum Arsenal der ungelebten Dinge.
Dort ist kein Baum, als legte sich das Land,
ganz fensterlos in siebenfachem Ringe.
Und ihre Tore mit den Eisenspangen,
die denen wehren, welche hinverlangen,
und ihre Gitter sind von Menschenhand.
Und doch, obwohl ein jeder von sich strebt
wie aus dem Kerker, der ihn haßt und hält, –
es ist ein großes Wunder in der Welt:
ich fühle: alles Leben wird gelebt.
wie eine ungespielte Melodie
im Abend wie in einer Harfe stehn?
Sind das die Winde, die von Wassern wehn,
sind das die Zweige, die sich Zeichen geben,
sind das die langen alternden Alleen?
Sind das die warmen Tiere, welche gehn,
sind das die Vögel, die sich fremd erheben?
Wer lebt es denn? Lebst du es, Gott, – das Leben?
Du bist der Alte, dem die Haare
von Ruß versengt sind und verbrannt,
du bist der große Unscheinbare
mit deinem Hammer in der Hand.
der immer an dem Amboß stand.
Du bist, der niemals Sonntag hat,
der in die Arbeit Eingekehrte,
der sterben könnte überm Schwerte,
Wenn bei uns Mühle steht und Säge
und alle trunken sind und träge,
dann hört man deine Hammerschläge
an allen Glocken in der Stadt.
und keiner hat dich lernen sehn;
ein Unbekannter, Hergereister,
von dem bald flüsternder, bald dreister
die Reden und Gerüchte gehn.
Gerüchte gehn, die dich vermuten,
und Zweifel gehn, die dich verwischen.
Die Trägen und die Träumerischen
mißtrauen ihren eignen Gluten
denn eher glauben sie dich nicht.
Du aber senkst dein Angesicht.
Du könntest den Bergen die Adern aufschneiden
als Zeichen eines großen Gerichts;
an den Heiden.
Du willst nicht streiten mit allen Listen
und nicht suchen die Liebe des Lichts;
denn dir liegt nichts
Dir liegt an den Fragenden nichts.
Sanften Gesichts
siehst du den Tragenden zu.
Alle, welche dich suchen, versuchen dich.
Und die, so dich finden, binden dich
an Bild und Gebärde.
Ich aber will dich begreifen,
mit meinem Reifen
reift
dein Reich.
Ich will von dir keine Eitelkeit,
Ich weiß, daß die Zeit
anders heißt
als du.
Tu mir kein Wunder zulieb.
die von Geschlecht zu Geschlecht
sichtbarer sind.
Wenn etwas mir vom Fenster fällt
(und wenn es auch das Kleinste wäre),
wie stürzt sich das Gesetz der Schwere
gewaltig wie ein Wind vom Meere
und trägt sie in den Kern der Welt.
Ein jedes Ding ist überwacht
von einer flugbereiten Güte
wie jeder Stein und jede Blüte
Nur wir, in unsrer Hoffahrt, drängen
aus einigen Zusammenhängen
in einer Freiheit leeren Raum,
statt, klugen Kräften hingegeben,
Statt in die weitesten Geleise
sich still und willig einzureihn,
verknüpft man sich auf manche Weise, –
und wer sich ausschließt jedem Kreise,
Da muß er lernen von den Dingen,
anfangen wieder wie ein Kind,
weil sie, die Gott am Herzen hingen,
nicht von ihm fortgegangen sind.
geduldig in der Schwere ruhn,
der sich vermaß, den Vögeln allen
im Fliegen es zuvorzutun.
(Denn auch die Engel fliegen nicht mehr.
welche um ihn sitzen und sinnen;
Trümmern von Vögeln, Pinguinen
gleichen sie, wie sie verkümmern ...)
Du meinst die Demut. Angesichter
gesenkt in stillem Dichverstehn.
So gehen abends junge Dichter
in den entlegenen Alleen.
wenn sich ein Kind im Tod verlor, –
und was geschieht, ist doch das gleiche:
es geht ein Übergroßes vor.
Wer dich zum ersten Mal gewahrt,
der geht, gebeugt zu deiner Spur,
und wie beladen und bejahrt.
Erst später naht er der Natur
und fühlt die Winde und die Fernen,
sieht dich, gesungen von den Sternen,
und kann dich nirgends mehr verlernen,
und alles ist dein Mantel nur.
Ihm bist du neu und nah und gut
die er in stillen Schiffen leise
auf einem großen Flusse tut.
Das Land ist weit, in Winden, eben,
sehr großen Himmeln preisgegeben
Die kleinen Dörfer, die sich nahn,
vergehen wieder wie Geläute
und wie ein Gestern und ein Heute
und so wie alles, was wir sahn.
stehn immer wieder Städte auf
und kommen wie auf Flügelschlägen
der feierlichen Fahrt entgegen.
Und manchmal lenkt das Schiff zu Stellen,
auf etwas warten an den Wellen, –
auf den, der keine Heimat hat ...
Für solche stehn dort kleine Wagen
(ein jeder mit drei Pferden vor),
auf einem Weg, der sich verlor.
In diesem Dorfe steht das letzte Haus
so einsam wie das letzte Haus der Welt.
Die Straße, die das kleine Dorf nicht hält,
geht langsam weiter in die Nacht hinaus.
zwischen zwei Weiten, ahnungsvoll und bang,
ein Weg an Häusern hin statt eines Stegs.
Und die das Dorf verlassen, wandern lang,
und viele sterben vielleicht unterwegs.
Manchmal steht einer auf beim Abendbrot
und geht hinaus und geht und geht und geht, –
weil eine Kirche wo im Osten steht.
Und seine Kinder segnen ihn wie tot.
bleibt drinnen wohnen, bleibt in Tisch und Glas,
so daß die Kinder in die Welt hinaus
zu jener Kirche ziehn, die er vergaß.
Nachtwächter ist der Wahnsinn,
weil er wacht.
Bei jeder Stunde bleibt er lachend stehn,
und einen Namen sucht er für die Nacht
Und ein Triangel trägt er in der Hand,
und weil er zittert, schlägt es an den Rand
des Horns, das er nicht blasen kann, und singt
das Lied, das er zu allen Häusern bringt.
und hören träumend, daß der Wahnsinn wacht.
Die Hunde aber reißen sich vom Ring
und gehen in den Häusern groß umher
und zittern, wenn er schon vorüberging,
Weißt du von jenen Heiligen, mein Herr?
Sie fühlen auch verschloßne Klosterstuben
zu nahe an Gelächter und Geplärr,
so daß sie tief sich in die Erde gruben.
die kleine Luft in seiner Grube aus,
vergaß sein Alter und sein Angesicht
und lebte wie ein fensterloses Haus
und starb nicht mehr, als wär er lange tot.
als wäre Frost in jedes Buch gekrochen,
und wie die Kutte hing von ihren Knochen,
so hing der Sinn herab von jedem Wort.
Sie redeten einander nicht mehr an,
sie ließen ihre langen Haare hängen,
und keiner wußte, ob sein Nachbarmann
nicht stehend starb.
In einem runden Raum,
versammelten sich manchmal die Gefährten
vor goldnen Türen wie vor goldnen Gärten
und schauten voller Mißtraun in den Traum
und rauschten leise mit den langen Bärten.
seit es sich nicht mehr schied in Nacht und Helle;
sie waren, wie gewälzt von einer Welle,
zurückgekehrt in ihrer Mutter Schoß.
Sie saßen rundgekrümmt wie Embryos
und aßen nicht, als ob sie Nahrung fänden
aus jener Erde, die sie schwarz umschloß.
Jetzt zeigt man sie den tausend Pilgern, die
aus Stadt und Steppe zu dem Kloster wallen.
und ihre Leiber können nicht zerfallen.
Das Dunkel häuft sich wie ein Licht, das rußt,
auf ihren langen lagernden Gestalten,
die unter Tüchern heimlich sich erhalten, –
liegt ihnen wie Gebirge auf der Brust.
Du großer alter Herzog des Erhabnen:
hast du vergessen, diesen Eingegrabnen
den Tod zu schicken, der sie ganz verbraucht,
Sind die, die sich Verstorbenen vergleichen,
am ähnlichsten der Unvergänglichkeit?
Ist das das große Leben deiner Leichen,
das überdauern soll den Tod der Zeit?
Erhältst du unvergängliche Gefäße,
die du, der allen Maßen Ungemäße,
einmal erfüllen willst mit deinem Blut?
Du bist die Zukunft, großes Morgenrot
über den Ebenen der Ewigkeit.
Du bist der Hahnschrei nach der Nacht der Zeit,
der Tau, die Morgenmette und die Maid,
Du bist die sich verwandelnde Gestalt,
die immer einsam aus dem Schicksal ragt,
die unbejubelt bleibt und unbeklagt
und unbeschrieben wie ein wilder Wald.
der seines Wesens letztes Wort verschweigt
und sich den andern immer anders zeigt:
dem Schiff als Küste und dem Land als Schiff.
Du bist das Kloster zu den Wundenmalen.
Mit zweiunddreißig alten Kathedralen
und fünfzig Kirchen, welche aus Opalen
und Stücken Bernstein aufgemauert sind.
liegt deines Klanges eine Strophe,
und das gewaltige Tor beginnt.
In langen Häusern wohnen Nonnen,
Schwarzschwestern, siebenhundertzehn.
und eine steht wie eingesponnen,
und eine, wie in Abendsonnen,
geht schlank in schweigsamen Alleen.
Aber die meisten sieht man nie;
wie in der kranken Brust der Geigen
die Melodie, die keiner kann ...
Und um die Kirchen rings im Kreise,
von schmachtendem Jasmin umstellt,
wie Steine reden von der Welt.
Von jener Welt, die nichtmehr ist,
obwohl sie an das Kloster brandet,
in eitel Tag und Tand gewandet
Sie ist vergangen: denn du bist.
Sie fließt noch wie ein Spiel von Lichtern
über das teilnahmslose Jahr;
doch dir, dem Abend und den Dichtern
die dunkeln Dinge offenbar.
Die Könige der Welt sind alt
und werden keine Erben haben.
Die Söhne sterben schon als Knaben,
und ihre bleichen Töchter gaben
Der Pöbel bricht sie klein zu Geld,
der zeitgemäße Herr der Welt
dehnt sie im Feuer zu Maschinen,
die seinem Wollen grollend dienen;
Das Erz hat Heimweh. Und verlassen
will es die Münzen und die Räder,
die es ein kleines Leben lehren.
Und aus Fabriken und aus Kassen
der aufgetanen Berge kehren,
die sich verschließen hinter ihm.
Alles wird wieder groß sein und gewaltig.
Die Lande einfach und die Wasser faltig,
die Bäume riesig und sehr klein die Mauern;
und in den Tälern, stark und vielgestaltig,
Und keine Kirchen, welche Gott umklammern
wie einen Flüchtling und ihn dann bejammern
wie ein gefangenes und wundes Tier, –
die Häuser gastlich allen Einlaßklopfern
in allem Handeln und in dir und mir.
Kein Jenseitswarten und kein Schaun nach drüben,
nur Sehnsucht, auch den Tod nicht zu entweihn
und dienend sich am Irdischen zu üben,
Auch du wirst groß sein. Größer noch als einer,
der jetzt schon leben muß, dich sagen kann.
Viel ungewöhnlicher und ungemeiner
und noch viel älter als ein alter Mann.
aus eines Gartens naher Gegenwart;
und wie ein Kranker seine liebsten Dinge
wird man dich lieben ahnungsvoll und zart.
Es wird kein Beten geben, das die Leute
und wer dich fühlte und sich an dir freute,
wird wie der Einzige auf Erden sein:
ein Ausgestoßener und ein Vereinter,
gesammelt und vergeudet doch zugleich;
klein wie ein Haus und mächtig wie ein Reich.
Es wird nicht Ruhe in den Häusern, sei's
daß einer stirbt und sie ihn weitertragen,
sei es, daß wer auf heimliches Geheiß
den Pilgerstock nimmt und den Pilgerkragen,
auf welchem er dich warten weiß.
Die Straßen werden derer niemals leer,
die zu dir wollen wie zu jener Rose,
die alle tausend Jahre einmal blüht.
und wenn sie dich erreichen, sind sie müd.
Aber ich habe ihren Zug gesehn;
und glaube seither, daß die Winde wehn
aus ihren Mänteln, welche sich bewegen,
so groß war in den Ebenen ihr Gehn.
So möcht ich zu dir gehn: von fremden Schwellen
Almosen sammelnd, die mich ungern nähren.
Und wenn der Wege wirrend viele wären,
so würd ich mich den Ältesten gesellen.
und wenn sie gingen, schaut ich wie im Traum,
daß ihre Kniee aus der Bärte Wellen
wie Inseln tauchen, ohne Strauch und Baum.
Wir überholten Männer, welche blind
und Trinkende am Fluß und müde Frauen
und viele Frauen, welche schwanger sind.
Und alle waren mir so seltsam nah, –
als ob die Männer einen Blutsverwandten,
und auch die Hunde kamen, die ich sah.
Du Gott, ich möchte viele Pilger sein,
um so, ein langer Zug, zu dir zu gehn,
und um ein großes Stück von dir zu sein:
du Garten mit den lebenden Alleen.
wer merkt es denn? Wer sieht mich zu dir gehn?
Wen reißt es hin? Wen regt es auf, und wen
bekehrt es dir?
Als wäre nichts geschehn,
daß ich so gehe, wie ich bin; denn so
kann keiner von den Lachenden mich sehn.
Bei Tag bist du das Hörensagen,
das flüsternd um die vielen fließt;
die Stille nach dem Stundenschlagen,
welche sich langsam wieder schließt.
Gebärden sich nach Abend neigt,
je mehr bist du, mein Gott. Es steigt
dein Reich wie Rauch aus allen Dächern.
Ein Pilgermorgen. Von den harten Lagern,
auf das ein jeder wie vergiftet fiel,
erhebt sich bei dem ersten Glockenspiel
ein Volk von hagern Morgensegen-Sagern,
Bärtige Männer, welche sich verneigen,
Kinder, die ernsthaft aus den Pelzen steigen,
und in den Mänteln, schwer von ihrem Schweigen,
die braunen Fraun von Tiflis und Taschkent.
sind um die Brunnen, halten ihre Hände
wie flache Schalen hin, wie Gegenstände,
in die die Flut wie eine Seele kam.
Sie neigen das Gesicht hinein und trinken,
und halten sich das Wasser an die Brust,
als wär’s ein kühles weinendes Gesicht,
das von den Schmerzen auf der Erde spricht.
Und diese Schmerzen stehen ringsumher
sie sind und waren. Knechte oder Bauern,
vielleicht Kaufleute, welche Wohlstand sahn,
vielleicht auch laue Mönche, die nicht dauern,
und Diebe, die auf die Versuchung lauern,
und Irrende in einem Wald von Wahn –:
alle wie Fürsten, die in tiefem Trauern
die Überflüsse von sich abgetan.
Wie Weise alle, welche viel erfahren,
wo Gott sie nährte durch ein fremdes Tier;
Einsame, die durch Ebenen gegangen
mit vielen Winden an den dunklen Wangen,
von einer Sehnsucht fürchtig und befangen
Gelöste aus dem Alltag, eingeschaltet
in große Orgeln und in Chorgesang,
und Knieende, wie Steigende gestaltet;
Fahnen mit Bildern, welche lang
Jetzt hängen sie sich langsam wieder aus.
Und manche stehn und schaun nach einem Haus,
darin die Pilger, welche krank sind, wohnen;
denn eben wand sich dort ein Mönch heraus,
das schattige Gesicht voll kranker Blaus
und ganz verdunkelt von Dämonen.
Er neigte sich, als bräch er sich entzwei,
und warf sich in zwei Stücken auf die Erde,
zu hängen schien und so, als sei
sie seiner Arme wachsende Gebärde.
Und langsam ging sein Fall an ihm vorbei.
Er flog empor, als ob er Flügel spürte,
ihn zu dem Glauben seiner Vogelwerdung.
Er hing in seinen magern Armen schmal,
wie eine schiefgeschobne Marionette,
und glaubte, daß er große Schwingen hätte
sich ferne unter seinen Füßen glätte.
Ungläubig sah er sich mit einem Mal
herabgelassen auf die fremde Stätte
und auf den grünen Meergrund seiner Qual.
durch tiefes Wasser, still und silbergrau,
sah Quallen hangen am Korallenstamm
und sah die Haare einer Meerjungfrau,
durch die das Wasser rauschte wie ein Kamm.
bei einer Toten, wie man ihn erwählt,
damit kein Mädchen fremd und unvermählt
des Paradieses Wiesenland beschritte.
Er folgte ihr und ordnete die Tritte
und seine Arme tanzten rund um ihn.
Dann horchte er, als wäre eine dritte
Gestalt ganz sachte in das Spiel getreten,
die diesem Tanzen nicht zu glauben schien.
denn dieser ist es, welcher den Propheten
wie eine große Krone sich verliehn.
Wir halten ihn, um den wir täglich flehten,
wir ernten ihn, den einstens Ausgesäten,
in langen Reihen wie in Melodien.
Und er verneigte sich ergriffen, tief.
Aber der Alte war, als ob er schliefe,
und sah es nicht, obwohl sein Aug nicht schlief.
daß ihm ein Zittern durch die Glieder lief.
Aber der Alte ward es nicht gewahr.
Da faßte sich der kranke Mönch am Haar
und schlug sich wie ein Kleid an einen Baum.
Da nahm der kranke Mönch sich in die Hände,
wie man ein Richtschwert in die Hände nimmt,
und hieb und hieb, verwundete die Wände
und stieß sich endlich in den Grund ergrimmt.
Da riß der Mönch sein Kleid sich ab wie Rinde,
und knieend hielt er es dem Alten hin.
Und sieh: er kam. Kam wie zu einem Kinde
und sagte sanft: Weißt du auch wer ich bin?
dem Greis wie eine Geige unters Kinn.
Jetzt reifen schon die roten Berberitzen,
alternde Astern atmen schwach im Beet.
Wer jetzt nicht reich ist, da der Sommer geht,
wird immer warten und sich nie besitzen.
gewiß, daß eine Fülle von Gesichten
in ihm nur wartet, bis die Nacht begann,
um sich in seinem Dunkel aufzurichten: –
der ist vergangen wie ein alter Mann.
und alles lügt ihn an, was ihm geschieht;
auch du, mein Gott. Und wie ein Stein bist du,
welcher ihn täglich in die Tiefe zieht.
Du mußt nicht bangen, Gott. Sie sagen: mein
zu allen Dingen, die geduldig sind.
Sie sind wie Wind, der an die Zweige streift
und sagt: mein Baum.
wie alles glüht, was ihre Hand ergreift, –
so daß sie's auch an seinem letzten Saum
nicht halten könnten, ohne zu verbrennen.
Sie sagen mein, wie manchmal einer gern
wenn dieser Fürst sehr groß ist und – sehr fern.
Sie sagen mein von ihren fremden Mauern
und kennen gar nicht ihres Hauses Herrn.
Sie sagen mein und nennen das Besitz,
so wie ein abgeschmackter Charlatan
vielleicht die Sonne sein nennt und den Blitz.
So sagen sie: mein Leben, meine Frau,
mein Hund, mein Kind, und wissen doch genau,
fremde Gebilde sind, daran sie blind
mit ihren ausgestreckten Händen stoßen.
Gewißheit freilich ist das nur den Großen,
die sich nach Augen sehnen. Denn die andern
mit keinem Dinge rings zusammenhängt,
daß sie, von ihrer Habe fortgedrängt,
nicht anerkannt von ihrem Eigentume,
das Weib so wenig haben wie die Blume,
Falle nicht, Gott, aus deinem Gleichgewicht.
Auch der dich liebt und der dein Angesicht
erkennt im Dunkel, wenn er wie ein Licht
in deinem Atem schwankt, – besitzt dich nicht.
so daß du kommen mußt in sein Gebet:
Du bist der Gast,
der wieder weiter geht.
Wer kann dich halten, Gott? Denn du bist dein,
von keines Eigentümers Hand gestört,
der immer süßer wird, sich selbst gehört.
In tiefen Nächten grab ich dich, du Schatz.
Denn alle Überflüsse, die ich sah,
sind Armut und armseliger Ersatz
für deine Schönheit, die noch nie geschah.
und, weil ihn lange keiner ging, verweht.
O, du bist einsam. Du bist Einsamkeit,
du Herz, das zu entfernten Talen geht.
Und meine Hände, welche blutig sind
so daß sie sich verzweigen wie ein Baum.
Ich sauge dich mit ihnen aus dem Raum,
als hättest du dich einmal dort zerschellt
in einer ungeduldigen Gebärde
aus fernen Sternen wieder auf die Erde
sanft, wie ein Frühlingsregen fällt.
« Das Buch vom mönchischen Leben | Rainer Maria Rilke Das Stundenbuch |
Das Buch von der Armut und vom Tode » | |||
Für eine seitenweise Ansicht und den Vergleich mit den zugrundegelegten Scans, klicke bitte auf die entsprechende Seitenzahl (in eckigen Klammern).
|