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Das Stammbuch der Post

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Textdaten
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Autor: G. T.
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Titel: Das Stammbuch der Post
Untertitel:
aus: Die Gartenlaube, Heft 13, S. 223, 224
Herausgeber: Ernst Keil
Auflage:
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Erscheinungsdatum: 1876
Verlag: Verlag von Ernst Keil
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Erscheinungsort: Leipzig
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Quelle: Scans bei Commons
Kurzbeschreibung:
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[223] Das Stammbuch der Post. Stammbuchblätter, wo seid ihr geblieben, ihr duftigen Blättchen voll zierlicher Verse, in denen verwegene Reime, wie: Thränen und Sehnen, wie: Liebe und Triebe, wie: Herzen und Schmerzen, auf dem Altar der Empfindsamkeit geopfert wurden, in denen „ewige Freundschaft“ scheffelweise ausgetheilt war? Wo seid ihr hin, längst vergilbte Zeugnisse aus vergangenen Tagen der weltschmerzlichen Romantik? Vorbei, vorbei, hinuntergetaucht in den Strom der Alles verzehrenden Zeit, geflohen vor dem schrillen Pfiff der Locomotive, welcher die mondbeglänzte Zaubernacht der Sentimentalität für immer verscheucht hat.

Auch die Stammbuchblätter, welche sich die Post von ihren Freunden hat schreiben lassen, sind meistens Zeugnisse längstvergangener Zeiten. Ihre Zahl ist groß, sehr groß, und „nennt man die besten Namen“, so sind es eben die Freunde der Post, der freundlichen Botin des Völkerfriedens, der treuen Vermittlerin des Verkehrs der Menschen.

Benvenuto Cellini giebt den bewährten Rath: man solle als Vierzigjähriger sein Leben beschreiben. Hier in unserem Stammbuche haben Freunde der Post die Geschichte einer Vierzighundertjährigen in Sage und Lied, in Dichtung und Prosa verherrlicht. Wer in solchem Alter noch „ewig jung“ fortblüht, der muß doch wohl eine vortreffliche Gesundheit besitzen. In der That zieht eine Reihe von vier Jahrtausenden an unseren Blicken vorüber, wenn wir dieses Stammbuch durchblättern: es ist der Entwickelungsgang der Menschheit selber, dargestellt an einem hochwichtigen Lebenselemente der Cultur.

Die Post, möchte man sagen, kam mit dem Menschen zugleich auf die Erde. Wenigstens war sie zur Zeit der Sündfluth schon da; denn Noah’s Taube mit dem Oelblatte des Friedens bezeichnet jedenfalls die ersten, freilich schüchternen Anfänge eines regelmäßigen Postdienstes. Daß auch schon „die Götter Griechenlands“ ein tiefgefühltes Bedürfniß nach Briefen und Neuigkeiten hatten, bezeugt uns Vater Homer im Stammbuche. Die schnellfüßige Iris war es, welche die postalischen Beziehungen zwischen den idäischen Höhen, den Wohnsitzen der seligen Götter, und Ilion vermittelte:

„Wie wenn der Schnee aus Wolken daherstürmt oder der Hagel,
Also durchflog hineilend den Weg die geflügelte Iris.“

Zu anderen meist unangenehmen Aufträgen verwendete Zeus, der Wolkensammler, den Götterboten und Argostödter Hermes. Ihm widmet Horaz die schöne Ode „An Mercur“, den Bringer der Götterbotschaft.

Von den ältesten Botenanstalten erzählt die Bibel im Buche Esther. Ahasver sandte reitende Boten aus,

„schnell und eilend nach des Königs Worten.“

Auch die Pharaonen in Aegypten plagten sich, nach Diodor’s Nachrichten, schon bei Tagesanbruch mit dem Lesen der eingegangenen Briefe, was auf einen mit Hülfe der Posten centralisirten Gang der ägyptischen Regierungsmaschine hindeutet. In Persien waren schon in früher Zeit Couriere (Angaroi) zum Depeschendienste bis auf dreißig Tagereisen, von Susa ab, aufgestellt. Herodot und Xenophon erzählen, daß diese Reiter – gleichviel „ob schönes Wetter, ob Regen war“ – ihren Dienst thaten und schneller als „Kraniche“ dahineilten.

Der Orient ist überhaupt reich an poetischer Auffassung des Postwesens; [224] er schuf die Feuerzeichen, welche, die Vorläufer der Telegraphen, einst Trojas Fall meldeten:

„Denn hergesandt hat – als der Feuer Wechselpost –
Ein Brand des andern Botschaft;“ (Aeschylos.)

sodann verdankt auch die Brieftaube ihre Verwendung als Botin dem nachdenklichen Orientalen:

„Gleich, als käm’ aus fernsten Gefilden
Aengstliche Botschaft herbei, unter flüchtigem Fittig geborgen.“

Und was die guten Pariser 1870 und 1871 mit der Absendung von Brieftauben versuchten, hatte schon 44 vor Christo Decius Brutus mit Erfolg in Mutina angewendet, von wo er durch Tauben, zum Aerger des Antonius, der die Stadt belagerte, Botschaft an die Consuln sandte. In Hellas besorgten schnellfüßige Hemerodromen (Tagesläufer) den Postdienst; sie eilten von Olympia mit der Nachricht, wer Sieger in ritterlichen Spielen geblieben war, nach Hause; sie dienten als Botschafter im Kriege, wobei als Geheimschreibmittel die Skytale, der Riemenstab, benutzt wurde. Dann schreitet Rom über die Bühne. Wie in Hellas, so benutzte man auch in Rom zum Briefschreiben hölzerne Wachstäfelchen, die doppelt zusammengefaltet wurden (Diptychen). Elegante Damen Roms sandten sich zierliche Täfelchen von Elfenbein zu.

Zu allen Zeilen hatten die vornehmen Römer eine zahlreiche Menge von Clienten, welche bei festlichen Gelegenheiten mittelst kleiner Karten eingeladen wurden. Ebenso sandten die neu ernannten Consuln und Prätoren durch den Briefsclaven an Freunde und Bekannte zierliche Diptychen-Karten. Da haben wir also bereits die ersten Anfänge der Postkarte (chartion, charta). Juvenal erzählt sehr anschaulich, wie eine junge römische Dame aus den Kärtchen und dem „Tagblatt“ die neueste Chronik Roms herausliest. Die römische Feldpost, mittelst deren Cäsar aus Gallien dem Senate die Siegesnachrichten mittheilte, wurde von Augustus später zur Staatspost erweitert; dieselbe blieb bis etwa 457 nach Christo bestehen, wo sie in den Stürmen der Völkerwanderung unterging. Erst Karl der Große versuchte 807 wieder Staatscouriere einzurichten, die aber unter seinen Nachfolgern keinen Bestand hatten.

Nach langem Zwischenraume wurden im dreizehnten Jahrhundert die Botenanstalten des Mittelalters von den Universitäten, kaufmännischen Verbänden und Städten begründet; der Taxis’schen Postfamilie endlich gebührt das Verdienst, die modernen Posten in Deutschland errichtet zu haben.

Damit sind wir bei dem im eigentlichen Sinne poetischen Elemente der Post, bei den Posthornklängen, angelangt. Mit Recht singt von Thümmel:

„Wer sagt es mir, was doch im Schalle
Des Posthorns – – für ein Zauber liegt!“

Das ist mit Worten nicht zu schildern; es liegt tief in der Seele; es ist der Hauch der Freiheit, der uns in Gottes herrlicher Natur erhebt, das Schweifen in die Ferne, die Loslösung von „der Straßen quetschender Enge“, endlich die Wirkung der Musik. Wem ist eine solche Fahrt durch Waldesrauschen, bei Sonnenschein, über Berg und Thal nicht unvergeßlich eingeprägt?

„Weit, hoch, herrlich der Blick,
Rings in’s Leben hinein,
Vom Gebirg zum Gebirg –“

singt Goethe. Hell und jubelnd klingt das Posthorn die Straße entlang; bunte Bilder schweben farbenprächtig vorbei. Das Leben blühet in vollem Drange:

„Wald und Flur im schnellen Zug,
Kaum gegrüßt – gemieden;
Und vorbei, wie Traumesflug,
Schwand der Dörfer Frieden.“ (Lenau.)

Tiefinnig schildert W. Müller’s Lied die Empfindungen der wartenden Geliebten:

„Von der Straße her ein Posthorn klingt,
Was hat es, daß es so hochaufspringt,
 Mein Herz?“

Den Epilog bildet J. V. Scheffel’s „letzter Postillon“:

„Jetzt rennt der Dampf; jetzt brennt der Wind;
     Jetzt gilt kein Fruh und Spat.
Die Sonne malt, und blitzgeschwind
     Briefschreibt der Kupferdraht.

O neues Rüstzeug, alter Kampf,
     Wo treff’ ich Glück und Ruh’? –
O Erdenphosphor, Gas und Dampf,
     Fahr’ zu, mein Schimmel, fahr’ zu!“ –

Allerdings deuten diese elegischen Verse ganz richtig das Erlöschen manches Restes von Romantik der „alten guten Zeit“ an. Aber, bei aller Würdigung der Arbeit vergangener Jahrhunderte, lenkt sich der Blick doch mit vollem Rechte auf die Ausgaben und Fortschritte der Neuzeit. Was Lichtenberg von den rothen Taxis’schen „Marterpostwagen“ klagte, was Börne mit geistreicher Ironie der „Reichspostschnecke“ zur Last legte – es ist heute nicht mehr möglich.

„Das Alte stürzt; es ändert sich die Zeit,
Und neues Leben blüht aus den Ruinen.“

An die Stelle der hemmenden Vielköpfigkeit im Postwesen ist eine lebensvolle Einheit: der „Weltpostverein“ getreten, ein Culturwerk, das im Gebiete des Postwesens alle früheren Jahrhunderte hinter sich läßt. Dieser friedliche Sieg ist, wie der Begründer des Weltpostvereins treffend gesagt hat, allein durch die Waffe des Gedankens errungen und daher um so bedeutsamer. G. T.