Zum Inhalt springen

Das Schicksal (Gellert)

aus Wikisource, der freien Quellensammlung
Textdaten
<<< >>>
Autor: Christian Fürchtegott Gellert
Illustrator: {{{ILLUSTRATOR}}}
Titel: Das Schicksal
Untertitel:
aus: Sämmtliche Schriften. 1. Theil: Fabeln und Erzählungen, Erstes Buch. S. 104–105
Herausgeber:
Auflage: 1. Auflage
Entstehungsdatum:
Erscheinungsdatum: 1769
Verlag: M. G. Weidmanns Erben und Reich und Caspar Fritsch
Drucker: {{{DRUCKER}}}
Erscheinungsort: Leipzig
Übersetzer:
Originaltitel:
Originalsubtitel:
Originalherkunft:
Quelle: Commons
Kurzbeschreibung:
Erstdruck 1746/48
Eintrag in der GND: {{{GND}}}
Bild
[[Bild:|250px]]
Bearbeitungsstand
fertig
Fertig! Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle Korrektur gelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
Um eine Seite zu bearbeiten, brauchst du nur auf die entsprechende [Seitenzahl] zu klicken. Weitere Informationen findest du hier: Hilfe
[[index:|Indexseite]]
S. 104-105


[104] Das Schicksal.

O Mensch! was strebst du doch den Rathschluß zu ergründen,
Nach welchem Gott die Welt regiert?
Mit endlicher Vernunft willst du die Absicht finden,
Die der Unendliche bey seiner Schickung führt?

5
Du siehst bey Dingen, die geschehen,

Nie das Vergangne recht, und auch die Folge nicht;
Und hoffest doch den Grund zu sehen,
Warum das, was geschah, geschicht?
Die Vorsicht ist gerecht in allen ihren Schlüssen.

10
Dieß siehst du freylich nicht bey allen Fällen ein;

Doch wolltest du den Grund von jeder Schickung wissen:
So müßtest du, was Gott ist, seyn.
Begnüge dich, die Absicht zu verehren,
Die du zu sehn, zu blöd am Geiste bist;

15
Und laß dich hier ein jüdisch Beyspiel lehren,

Daß das, was Gott verhängt, aus weisen Gründen fließt,
Und, wenn dirs grausam scheint, gerechtes Schicksal ist.

Als Moses einst vor Gott auf einem Berge trat,
Und ihn von jenem ewgen Rath,

20
Der unser Schicksal lenkt, um größre Kenntniß bat:

So ward ihm ein Befehl, er sollte von den Höhen,
Worauf er stund, hinab ins Ebne sehen.
[105] Hier floß ein klarer Quell. Ein reisender Soldat
Stieg bey dem Quell von seinem Pferde,

25
Und trank. Kaum war der Reuter fort:

So lief ein Knabe von der Heerde
Nach einem Trunk an diesen Ort.
Er fand den Geldsack bey dem Quelle,
Der jenem hier entfiel, er nahm ihn, und entwich;

30
Worauf nach eben dieser Stelle

Ein Greis gebückt an seinem Stabe schlich.
Er trank, und setzte sich, um auszuruhen, nieder;
Sein schweres Haupt sank zitternd in das Gras,
Bis es im Schlaf des Alters Last vergaß.

35
Indessen kam der Reuter wieder,

Bedrohte diesen Greis mit wildem Ungestüm,
Und forderte sein Geld von ihm.

Der Alte schwört, er habe nichts gefunden,
Der Alte fleht und weint, der Reuter flucht und droht,

40
Und sticht zuletzt, mit vielen Wunden,

Den armen Alten wütend todt.

Als Moses dieses sah, fiel er betrübt zur Erden;
Doch eine Stimme rief: Hier kannst du inne werden,
Wie in der Welt sich alles billig fügt,

45
Denn wiß: Es hat der Greis, der itzt im Blute liegt,

Des Knabens Vater einst erschlagen,
Der den verlornen Raub zuvor davon getragen.