Zum Inhalt springen

Das Schachtgespenst

aus Wikisource, der freien Quellensammlung
Textdaten
<<< >>>
Autor: Ludwig Storch
Illustrator: {{{ILLUSTRATOR}}}
Titel: Das Schachtgespenst
Untertitel:
aus: Die Gartenlaube, Heft 10–13, S. 129–133, 141–144, 157–161, 169–175
Herausgeber: Ferdinand Stolle
Auflage:
Entstehungsdatum:
Erscheinungsdatum: 1858
Verlag: Verlag von Ernst Keil
Drucker: {{{DRUCKER}}}
Erscheinungsort: Leipzig
Übersetzer:
Originaltitel:
Originalsubtitel:
Originalherkunft:
Quelle: Scans bei Commons
Kurzbeschreibung:
Eintrag in der GND: {{{GND}}}
Bild
[[Bild:|250px]]
Bearbeitungsstand
fertig
Fertig! Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle Korrektur gelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
Um eine Seite zu bearbeiten, brauchst du nur auf die entsprechende [Seitenzahl] zu klicken. Weitere Informationen findest du hier: Hilfe
Indexseite
[129]
Das Schachtgespenst.
Von Ludwig Storch.


I.
Osterwasser.

Kaum ist die erste Stunde des Ostertags vorüber, der erste junge Lichthauch taucht eben am östlichen Horizonte über den Dächern einer süddeutschen Stadt auf, und sein schwacher Schein mengt sich mit den fliehenden Schatten der Mitternacht, da fährt ein junges Mädchen rasch aus dem ärmlichen Bette hoch oben im engen, auf der Hofseite des stattlichen Hauses gelegenen, freundlichen und friedlichen Dachkämmerlein, wirft das Röcklein über, stellt sich auf die nackten Füße, öffnet das kleine Fenster und schaut in die frische Frühe der Dämmerung hinaus. Die reine Luft der Höhe fluthet ihr um die warme keusche Brust. Es ist ein gar holdes, freundliches Bild, dieses Mägdlein von kaum sechzehn Jahren, mit den gesundheitblühenden Wangen, noch unberührt vom Giftbrodem der großen Stadt; ihr rundes blaues Auge schaut so rein und verwundert über die Firsten und Schornsteine der Dächer. Und welch einen ungewöhnlichen Hintergrund hat das reizende Bild! Das Dachkämmerlein ist so artig aufgeputzt und so blank, wie ein neuer Schrein. An der Wand ein Hangebretchen voll Bücher, daneben eine alte aber gute Guitarre, auf der Kommode Notenhefte. Es ist unverkennbar: ein paar Musen wenigstens besuchen dieses Kämmerchen. Die hübsche Bewohnerin faltet die Hände zu einem stummen Gebet. Denn sprechen darf sie bei Leibe kein Wort. Sie weiß ja, was sie vor hat: sie will Osterwasser schöpfen. Das hat ihr die Mutter, als sie von derselben in die Stadt in den Dienst der verwittweten Frau Kanzleiinspectorin gebracht wurde, auf die Seele gebunden.

„Versäume um Deines Heils willen nie, Osterwasser zu schöpfen, und Dich damit zu waschen, aber bevor Du Alles beendet hast, darf kein Laut über Deine Zunge kommen.“ So hatte ihr die Mutter anbefohlen und geheimnißvoll hinzugesetzt: „Du sollst sehen, es bringt Dir Glück. Wer sich aber verlocken läßt, zu sprechen, dem schlägt das Glück leicht in das größte Unglück um. So erging es meiner eignen Mutter – Gott hab’ sie selig! Sie hatte, wie mir ihre Freundin oft erzählt hat, in dem Augenblick, als sie aus dem Fluß schöpfen wollte, einen Wortwechsel mit einem Menschen und gerieth, Gott weiß, auf welche Weise, in’s Wasser, worin sie umkam.“

Unwillkürlich flog die Erinnerung an diese Worte durch des Mägdleins Seele; sinnend verweilte sie bei der räthselhaft verunglückten Großmutter.

„Du sollst sehen, es bringt Dir Glück!“ wiederholte sie unwillkürlich stumm in Gedanken die Worte der Mutter. Dann setzte sie mit einem Seufzer hinzu: „Wer kann denn Glück besser brauchen, als ich, die arme verwais’te Schullehrerstochter! Ach, wenn mein guter Vater hätte ahnen sollen, daß sein Liebling als Magd dienen müßte, er hätte mir nicht so viel Schönes gelehrt! Was hilft mir nun mein Wissen, meine Musik, mein Zeichnen, ich bin – eine arme Magd!“ Und wieder seufzte sie.

Da war’s ihr, als zittere ein anderer banger Seufzer oder vielmehr leis gestöhnter, halb unterdrückter Klagelaut durch die Stille der Nacht von unten an ihr Ohr; sie bog Haupt und Brust aus dem Fenster und überschaute, so weit es das ungewisse Zwielicht zuließ, den nebenan gelegenen geräumigen Hof des großen Gasthauses „zum grünen Baum.“ Sie vernahm Fußtritte und sah einen Mann langsam und schwer über den Hof dem Vordergebäude zuschreiten, in welchem sie den reichen Besitzer des prächtigen Hotels, den Herrn Senator Kahlert, zu erkennen glaubte. Dann war’s ihr, als höre sie das Hausthor des Gasthofs öffnen.

„Der arme reiche Mann!“ dachte das Mädchen mitleidig. Der hat’s nun in Hülle und Fülle und ist doch nicht glücklich. Was ihn nur drücken mag? Er kann keine Nacht schlafen, und schleicht am Tage wie ein Schatten umher. Und hat doch so sehr viel Geld und Gut, daß die Leute sagen, er sei einer der reichsten Männer in der Stadt. Pah! gegen den gehalten, bin ich ein glückliches Menschenkind!“

Schnell waren die düsteren Bilder aus dem leichten, lichten Sinne der Unschuld verschwunden. Die flüchtigen Gedanken an Glück und Unglück des reichen Mannes machten wieder denen an ihr eigenes mit dem Osterwasser zu erzielendes Glück Platz.

„Ob ich’s in der Donau schöpfe oder am Marktbrunnen?“ fragte sie sich. „Das Donauwasser soll kräftiger sein; aber wer kann’s denn beweisen? Wenn mir der liebe Gott Glück bescheeren will, wird er’s auch im Marktbrunnenwasser. Es ist näher, und ich laufe nicht Gefahr, in der Donau zu ertrinken, wie die Großmutter.“

Rasch warf sie Jacke und Halstuch über, band das Kopftuch um, schlich auf den Zehen aus der Kammer, die Treppe hinab in die Wohnstube der Herrschaft, nahm den Hausschlüssel vom Haken, holte dann den Wasserzuber in der Küche, und schlüpfte wie ein Kätzchen die Stiegen aus dem dritten Stockwerk hinab. Nach wenigen Minuten wandelte sie barfüßig, den Zuber an der Hand, quer über den großen reinlichen Markt dem mächtigen Brunnen zu. Die hohe mit Sculpturen geschmückte Säule desselben tauchte aus der Dämmerung auf, sie hörte das aus vier Röhren in den umfangreichen tiefen Steintrog sich ergießende Wasser rauschen, und sie stieg eben die wenigen Stufen zu einer dieser Brunnenspenden [130] hinauf, als sie sich von einer eigenthümlichen Furcht ergriffen fühlte. Ein leiser Schauer rann durch ihre Glieder; sie sah sich scheu um, gleichsam als ahne sie etwas Gefahrbringendes oder wenigstens Ungewöhnliches sich nahen. Aber der ganze Markt war still und leer, und das schwermüthige Plätschern des Wassers der einzige Ton, welcher an ihr Ohr drang. Oben angelangt, tauchte sie rasch mit übergebogenem Oberleib den Zuber in den ziemlich umfangreichen Wasserspiegel des steinernen Beckens, der ihr jetzt eben so ungemein unheimlich vorkam, daß sie fröstelnd die Augen schloß, aber in demselben Augenblick riß sie dieselben auch wieder mit einem lauten Schrei auf, und starrte zum Tod erschrocken in ein menschliches Antlitz, dessen kalte nasse Wange sie mit der Hand berührt hatte, und das nun unter dem Wasserspiegel hervorschimmerte.

Lieschen – so hieß das hübsche Dienstmädchen – war selbst so blaß geworden, wie der Mann, welcher da im Brunnenkasten steckte, und in welchem sie den Senator Kahlert erkannte, denselben Mann, mit welchem ihre Gedanken vor kaum einer Viertelstunde so angelegentlich beschäftigt gewesen waren. Sie zitterte vor Schrecken, aber sie verlor die Besinnung keinen Augenblick, vielmehr lief sie, das Gefäß schwimmen lassend, so schnell die Beine fort konnten, die Stufen hinab und quer über den Markt dem hochaufstrebenden und weit sich ausbreitenden „Grünen Baum“ zu, dessen Hausthorflügel sie nur angelehnt fand. Sie schlüpfte über den Hof und klopfte dort an ein abgelegenes Fenster. Bald zeigte sich ein verschlafenes Mädchengesicht; es war das einer jungen Küchenmagd.

„Komm um Gotteswillen schnell heraus, Marthe!“ raunte Lieschen dieser zu, „und zeige mir das Schlafzimmer des jungen Herrn. Ich muß ihm etwas Wichtiges sagen.“

Die Küchenmagd machte große Augen und murmelte etwas, das wie ein Scheltwort klang.

„Sei nicht thöricht!“ drängte die junge Magd. „Wenn’s nicht sein müßte, würd’ ich wahrlich nicht in der Nacht zu ihm begehren. Aber es hängt Leib und Leben davon ab, daß Du eilst. Ich muß ihm ein paar Worte in’s Ohr sagen, und bin sogleich wieder bei Dir.“

Das klang so ernst und dringend, daß Marthe nicht länger zauderte, vielmehr, von Neugierde gestachelt, im Nu an Lieschens Seite war.

„Was ist denn geschehen? Was hast Du vor, Lieschen?“’

„Das kann ich nur dem jungen Herrn Kahlert sagen. Wenn er Dir’s mittheilen will, kann mir’s nichts verschlagen. Ich aber darf’s nicht thun.“

Kopfschüttelnd führte Marthe die junge Magd die Treppe hinauf, über einen zu einer Thüre, an die sie stark pochte. Die Thür wurde geöffnet, ein junger schöner, kräftiger Mann sah verwundert fragend heraus.

„Da ist die junge Magd der Frau Kanzleiinspectorin nebenan, die gibt vor, sie habe Ihnen etwas Wichtiges zu sagen, und es leide keinen Aufschub. Wenn sie nicht wohl gescheidt ist, ich kann nichts dazu.“

Lieschen huschte in’s Zimmer und flüsterte mit einer bezeichnenden Pantomime nach der Thüre: „Die Marthe wird gewiß lauschen, und es wird Ihnen nicht angenehm sein, wenn ein anderes Ohr als das Ihrige etwas davon vernimmt, was ich Ihnen zu sagen habe, und die Sache hat die größte Eile.“ Der junge Mann erkannte selbst im ungewissen Nachtschein die bleichen, entstellten Züge des so unschuldig aussehenden, hübschen, schlanken Mädchens, und führte sie in ein anderes Zimmer. Hier brachte Lieschen ihren Mund in die Nähe seines Ohres und sprach leise: „Erschrecken Sie nur nicht, Herr Kahlert. Ihr Herr Vater liegt drüben im Brunnenkasten des Marktbrunnens; ich glaube aber, er ist noch nicht todt; denn ich Hab’ ihn erst vor einer Viertelstunde über den Hof gehen sehen.“

Der junge Mann war allerdings bestürzt, aber er faßte sich schnell und fragte besonnen: „Hat ihn außer Dir Jemand im Brunnen liegen sehen?“

„So viel ich weiß, nein!“

„Hast Du der Marthe davon gesagt?“

„Behüt’s Gott! Sonst wär’ ja nicht nöthig, sie im Lauschen zu hindern.“

„Du bist ein gescheidtes Mädchen, und es soll Dein Schade nicht sein. Jetz komm schnell mit mir. Du sollst mir helfen.“

Er warf einen Mantel um, nahm einen zweiten und das Bettlaken. Draußen stand Marthe wirklich noch.

„Geh’ gleich in Dein Bett!“ befahl ihr der Herr, „und laß Dich vor Tagesanbruch nicht außer Deiner Kammer betreten.“

Die Küchenmagd entfernte sich brummend, ging aber nicht in ihre Kammer, sondern, als die beiden Andern aus dem Hause waren, in die Gaststube, und schaute ihnen von da nach. Da sah sie denn, wie der junge Herr mit Lieschens Hülfe einen Menschen aus dem Brunnenkasten zog, in Laken und Mantel hüllte und über den Markt dem Hause zu trug. Nun wußte sie genug und sprang eilig in ihre Kammer.

Kaum war der junge Mann mit seiner Bürde auf seinem Zimmer angelangt, als er das Mädchen bat: „Nun, mein Kind, laufe in die Wohnung des Amtschirurgen Wandsberg in der Löberstraße, das Eckhaus der Magdalenenkirche gegenüber, schelle ihn heraus und sag’ ihm, ich ließ ihn bitten, unverzüglich mit dem Aderlaßzeug zu kommen, gleich hierher auf mein Zimmer und ohne Aufsehen. Vom Brunnen sagst Du ihm nichts; verstehst Du?“

Lieschen nickte klug und verständig und flog dann die Treppe hinab und über den Markt. Der junge Kahlert verriegelte die Thür, entkleidete und trocknete den Körper seines Vaters, legte ihn in’s Bett und rieb und bürstete ihn. Dabei dünkten ihm kaum einige Minuten verflossen, als ihn ein Pochen an der Thür benachrichtigte, daß der Chirurg schon da sei. Lieschen hatte Alles gut ausgerichtet. Es wurde eine Ader geöffnet, es wurden andere Versuche gemacht, aber nach wenigen Minuten erklärte der Chirurg, der Mann sei todt. Die Leiche wurde mit Nachtwäsche bekleidet und von den beiden Männern auf das Zimmer des Verstorbenen getragen, und in dessen Bett gelegt.

Als die Frau Senatorin, die Stiefmutter des Herrn Eduard Kahlert, mit ihren beiden Töchtern ausgeschlafen hatte, wurden sie mit der Trauerkunde überrascht, daß der Hausvater vom Schlage gerührt todt im Bette gefunden worden sei. Die Nachricht vom Tode des reichen Mannes verbreitete sich schnell in der Stadt, aber schon als die festlich gekleideten Bewohner derselben, dem Rufe der Glocken folgend, langsam der Kirche zuschritten, flog die Kunde leis von Mund zu Mund: der Senator Kahlert habe sich im Marktbrunnen ertränkt. Vor Abend wußte es die ganze Stadt, außer der Frau und den Töchtern des Selbstmörders, und nur der Sohn erfuhr es nicht, daß es Jedermann wußte. Er hatte es ja Lieschens Verschwiegenheit erkauft und ihr versprochen, ihr ein besseres Loos zu bereiten, wenn sie das Geheimniß treu bewahre, und sie hatte es so treuherzig versichert. Er hatte sie nach Namen und Herkommen gefragt und sie hatte ihm mit kindlicher Offenheit Alles, was er gewünscht, mitgetheilt.

Das Publicum machte seine Randglossen zum freiwilligen Tode des steinreichen Mannes. Man zählte seine Häuser, Felder, Wiesen und Wälder zusammen, man nannte große Summen, die er bei der Landschaft stehen habe; man lobte ihn als einen gutherzigen, mildthätigen Mann, der als Senator und Magistrat sich große Verdienste um die Stadt erworben, und man rühmte es vorzüglich, daß er die verschämte Armuth aus freiem Antriebe aufgesucht und ohne Prunk und Geräusch Gottessegen in die Häuser getragen habe. Merkwürdiger Weise erhob sich auch nicht eine tadelnde Stimme; man hatte nur Bedauern für den edlen unglücklichen Mann, der seit Jahren an Schwermuth gelitten und dessen Gemüthskrankheit in dem Verhältniß zugenommen, als ihm der „Grüne Baum“ goldene Früchte getragen hatte. Ueber die Ursache dieser Schwermuth hatte Niemand eine Vermuthung; man erklärte sie für Folge von Unterleibsbeschwerden.




II.
Die Frau des Rechtsanwalts.

Während die in den Kirchen versammelte Gemeinde das Auferstehungsfest des Erlösers beging, saß Eduard Kahlert in seinem verschlossenen Zimmer und las einen langen Brief, den ihm sein Vater hinterlassen und wahrscheinlich gestern Abend spät in das Schreibpult geschoben hatte. Die Gesichtsblässe des Lesers ging allmählich in ein unheimliches Aschgrau über, sein feuriges dunkelblaues Auge erlosch und aus seiner Stirn perlten große Schweißtropfen. Als sein flirrender Blick über die letzten Seiten lief, hob sich seine Brust wiederholt krampfhaft, seine Hände zitterten so stark, daß er die Blätter kaum erhalten konnte, und als er endlich fertig war, sank er in das Sopha zurück, bedeckte das Gesicht [131] mit beiden Händen und schluchzte wie ein Verzweifelter. Wohl sprang er nach einiger Zeit auf und schritt hastig durch das Zimmer, nach Fassung ringend, die er doch nicht gewinnen konnte; endlich machte die gequälte Natur sich selbst Luft: ein Thränenstrom schoß aus seinen Augen, und er rief, vom tiefsten Schmerz eines plötzlich zerrissenen Herzens zur Wehmuth, welche lindernden Balsam in die blutenden Wunden träufelt, übergehend, zuweilen: „O, mein armer, unglücklicher Vater! Welche Qualen hast Du ausstehen müssen! Ja, es ist meine heiligste Pflicht, Deine Schuld zu sühnen, was an mir ist, wie Du sie ja gesühnt hast, was an Dir war!“

Und er weinte lange, bis ihm das Herz erleichtert war. Dann griff er nach einem zusammengeschlagenen beschmutzten Papiere und einem Siegelringe, welche mit in dem Couvert gelegen, um beide einer nähern Betrachtung zu unterziehen. Das erstere zeigte sich, als er es entfaltet, als ein alter Reisepaß mit einer nicht geringen Anzahl Visa’s. Er las ihn genau durch. Unwillkürlich entschlüpften seinem Munde dabei die Worte: „Georg Theodoro aus Vilagos im Arader Comitat in Ungarn, zweiunddreißig Jahre alt, und der Paß ist 1800 ausgestellt. Und wann ist’s geschehen?“ Er sah in den Brief. „In der Osternacht 1802. Da ist der Mann vierunddreißig Jahre alt gewesen. So sind’s denn heute gerade zwanzig Jahre.“

Er versank wieder in tiefes Sinnen, aus welchem er nach wenigen Minuten mit den Worten auffuhr:

„Es wird nicht leicht sein, sie aufzufinden, aber sie müssen gefunden werden, koste es, was es wolle!“

Er griff nach dem massiven Goldringe und betrachtete das Wappen, das in den Carneol eingeschnitten war. „Ein Arm mit einem reichen Armbande, also ein weiblicher Arm! Unverkennbar ein weiblicher! Und ein gekröntes Schwert emporhaltend. Ein offener gekrönter Helm; zwei Schildhalter. Das Alles deutet auf eine aristokratische Familie. Ob der Ring mir nützen wird? – Es muß Alles versucht werden!“ Rasch warf er Papiere und Ring in einen Kasten seines Pultes, verschloß dasselbe, kleidete sich zum Ausgehen und verließ das Haus, ohne in der Familie vorzusprechen.

Nach zehn Minuten trat er in die elegante Wohnung des Advocaten Dr. jur. Liebheld. Der Diener öffnete ihm die des Wohnzimmers mit dem Bemerken, daß nur die Frau Doctorin zu Hause sei. Eine junge, sehr interessante Frau erhob sich vom Sitze vor einem Flügel. Sie hatte gespielt und gesungen, vielleicht auch den beiden allerliebsten Kindern, einem Knaben von ungefähr sechs und einem braunlockigen Mädchen von vier Jahren, Unterricht in der Musik gegeben. In Gestalt und Wesen dieses Weibes mit dunkelblondem Haar und lichtblauen süßen Augen und dieser Kinder lag ein unbeschreiblicher Liebreiz; sie sahen aus wie verkörperte deutsche Musik, die Frau etwa wie eine Beethoven’sche Symphonie, die Kinder wie entsprechende Capriccio’s. Es bedurfte keineswegs der Instrumente und Notenblätter umher, um zu wissen, daß Musik das Lebensbedürfniß dieser schönen Frau war.

Sie erhob sich freundlich lächelnd und dankte Kahlert’s Gruß mit Anmuth; die Kinder eilten ihm entgegen und boten ihm die Hand. Er war kein Fremdling im Hause.

„Sie sehen leidend aus, Herr Kahlert!“ sagte sie sogleich theilnehmend, als sie die Blässe seiner gefurchten Gesichtszüge wahrgenommen hatte. „Fühlen Sie sich unwohl?“

„Ich habe in dieser Nacht einen schmerzlichen Verlust erlitten. Mein Vater ist plötzlich gestorben.“

„Ah! das erklärt den Ausdruck Ihrer Züge. Doch der Verstorbene war längst leidend; er mied zuletzt menschliche Gesellschaft.“

„Gewiß ist der Tod besser für ihn als, das Leben. Und dennoch –“

„Ich verstehe Sie. Das Herz behauptet sein heiliges Recht auf den Schmerz. Merkwürdig ist, daß auch wir heute schmerzlich an den Tod des Vaters meines Mannes erinnert worden sind. Auch er fand in der Osternacht den Tod und – Sie wissen – gewaltsam im Wasser.“

Kahlert zuckte zusammen und ward noch bleicher.

„Es sind heute acht Jahre,“ fuhr die junge Frau fort. „Sie waren damals in Hamburg in Condition.“

„In Wien. In Hamburg war ich in den letzten Jahren, Ich bin seit drei Jahren wieder im Vaterhause,“

„Das eben wollte ich andeuten. Sie sind eine Reihe von Jahren abwesend gewesen und haben schwerlich über die Todesart meines Schwiegervaters etwas erfahren.“

„Doch! Man hat es mir geschrieben, freilich die nähern Umstände nicht. Die hab’ ich auch später nicht erfahren, weder von Liebheld, noch von jemand Anderem.“

„Mein Mann spricht nie davon; er mag auch nicht, daß ich davon rede, wenigstens duldet er es nicht in seinem Beisein. Und doch hat uns jene Schreckensnacht zusammengeführt, und ohne sie wären wir wohl schwerlich ein Ehepaar geworden.“

„Ich habe geglaubt, die beiderseitige Vorliebe für die Musik habe Sie zusammengeführt.“

„Diese Vorliebe wurde nachher die Fessel; der Tod des alten Herrn in der Donau aber war die Veranlassung unserer Bekanntschaft, und wenn ich nicht auf so eigenthümliche Weise in diese Katastrophe verwickelt worden wäre, so würde mich mein Großvater bald wieder von hier fortgeführt haben und ich hätte Liebheld schwerlich je kennen gelernt. Deshalb verleben wir jeden Ostermorgen in ernster Stimmung. Mein Mann ist in den Dom gegangen, um ein Gebet für das Seelenheil seines Vaters zu sprechen, und ich habe eben ein Stabat mater gesungen.“

„Darf ich erfahren, wie Sie in die geheimnißvolle Begebenheit jener Nacht verwebt waren und wie daraus die Bekanntschaft mit Ihrem Gatten entsprang?“

„Da wir allein sind, will ich Ihnen die Geschichte wohl erzählen. Freilich Aufschlüsse kann ich Ihnen nicht geben. Der Tod hat seinen bleiernen Schleier für immer über die dunkle That geworfen, deren unwillkürlicher und ungeahnter Zeuge ich sein mußte.

„Ich war mit meinem Großvater hierhergekommen, um eine Erbschaft, die uns zugefallen war, anzutreten.“

„Ich habe Sie noch nie von Ihrem Vater oder überhaupt von Ihren Eltern sprechen hören,“ unterbrach der Zuhörer die Erzählerin.

„Weil ich früh verwaist bin. Die Mutter, eben die Tochter des Mannes, der mich mit unbeschreiblicher Liebe erzogen hat und dem ich meine Bildung verdanke, verlor das Leben, indem sie es mir gab. Ihr Vater hatte sie schier abgöttisch geliebt; sie war seine einzige Tochter und er hatte nur mit Widerstreben in ihre Verehelichung gewilligt; denn der Gedanke, sie nicht mehr allein zu besitzen, war ihm anfangs unerträglich; auch behauptete er stets, er habe die bestimmte Ahnung gehabt, daß diese Verbindung sie früh aus dem Leben reißen werde. Seiner Versicherung nach muß sie ein herrliches Wesen gewesen sein. Um so erbitterter wurde der Großvater auf den Vater, als dieser schon ein halbes Jahr nach dem Verluste der Mutter ein Mädchen geringen Standes und slowakischer Abkunft heirathete, die noch dazu erst ein Verhältniß mit einem gemeinen Bergmanne gehabt hatte. Das war für den adelstolzen deutschen Edelmann zu viel und ein unheilbarer Bruch wäre erfolgt, wenn nicht der alte Herr durch sein Amt und meine winzige Person an Kremnitz gefesselt worden wäre.“

„Ich höre das erste Wort davon, daß Sie in Ungarn geboren sind; ich habe Sie bislang für eine Deutsche gehalten.“

„Das bin ich auch der Abstammung von Vater und Mutter nach, und ich bin kaum einige Jahre alt gewesen, als der Vater, einem dunkeln Schicksale erliegend, in einem Goldschachte den Tod fand, und der Großvater sein Amt niederlegte und mit mir nach Wien zog. Ich habe Ungarn nicht wieder gesehen; der alte Herr hatte eine unbezwingliche Scheu vor dem Lande; er mochte eben böse Schicksale dort erlebt haben, und wenn ich an das Land meiner Geburt denke, und wunderbar reizende Bilder in meiner Seele aufsteigen, so weiß ich nicht, ob sie Schöpfungen meiner Phantasie oder frühster Erinnerung oder eine Mischung beider sind. Eben ein solches Bild dämmert von der Gestalt meines Vaters darin als der eines ungewöhnlich großen Mannes, der, wenn ich allein mit ihm war’ seufzend zu mir sagte: Aurelie, lebte Deine Mutter noch! – Doch ich bin vom eigentlichen Gegenstande meiner Erzählung abgekommen. Eine Cousine von mir, Nichte des Großvaters, hier an einen Staatsbeamten verheirathet, war mit Hinterlassung eines bedeutenden Vermögens ohne Leibeserben gestorben und die Auseinandersetzung mit den übrigen Erben machte einen mehrmonatlichen Aufenthalt in hiesiger Stadt für uns nöthig. Ohnedies schien der Wechsel des [132] Wohnorts und das Verweilen in der reizenden Berggegend für mich wünschenswerth; denn ich kränkelte, seit ich mit einem jungen Bergbeamten, Sohn eines Collegen des Großvaters, auf den Wunsch des Letztern verlobt war. Die Aerzte sagten, ich habe, noch zu jung, zu viel gesungen. Mein Verlobter war ein angenehmer junger Mann, den ich nicht ungern sah und dessen Aufmerksamkeiten ich mir gefallen ließ; aber mein Blut gerieth weder wenn er kam, noch wenn er ging, in schnellere Wallung, und ich fühlte nur in so fern Befriedigung, als ich durch diese Verbindung den heißesten Wunsch des alten Herrn, dem ich Alles verdankte, erfüllte. Sobald wir das Erbe gefaßt, sollte unsere kirchliche.Einsegnung erfolgen und wir wollten dann alle drei in die steyerschen Berge ziehen, wo mein Verlobter bei einem bedeutenden Bergwerke angestellt war.

„So standen meine Angelegenheiten, als das Osterfest herannahte, dessen Nacht Alles verändern sollte. Meine Zofe hatte mir schon lange vorgeredet, ich könne nur dann eine glückliche Gattin werden, wenn ich ganz gesund sei, und ich könne nur dann ganz gesund werden, wenn ich mich mit Osterwasser wasche. Dieses müsse ich aber in der Osternacht selbst schweigend schöpfen. Der letztere Umstand bot gerade keine Schwierigkeiten; denn wir wohnten in einem schönen Landhause vor dem Thore unfern dem Donauufer. In der bezeichneten Nacht führte mich mein Mädchen hinaus, gab mir das Gefäß in die Hand und blieb zurück. Ich ging furchtsam mit ungewissem Schritt auf das Ufer zu, da wo einige Bäume und niederes Strauchwerk ein kleines Gebüsch bildeten und ein paar Stufen zum Strome hinabführten. Die Stelle dort ist als tief bekannt und der Strom ist reißend. Dies wird schon dadurch bewiesen, daß wenige Schritte aufwärts eine Schiffmühle liegt. Als ich im Begriff war, zum Wasser hinabzusteigen, hörte ich in der Nähe schwere Schritte und sah im Ungewissen Scheine der Nacht zwei Männer von der Seite herkommen, wo die Mühle mit Ketten an das Ufer befestigt ist. Offenbar hatten sie die Absicht, an derselben Zugangsstelle, die ich zu betreten in Begriff stand, zum Wasser zu gelangen, und ich flüchtete mich scheu und zagend rasch in das Gebüsch hinter einen Baum. Ohne Zweifel hatte mich Keiner von ihnen bemerkt. Sie stiegen wirklich die Stufen hinab und der Eine begann sich zu entkleiden, wobei ihm der Andere behülflich war. Beide sprachen kein Wort. Mir schlug das Herz vor Beklommenheit wie ein Hammer.

„Plötzlich gab der hinten stehende Mann dem vordern, welcher eben den Oberkörper entblößt hatte, einen furchtbaren Stoß, so daß dieser im Nu unter dem Wasser verschwand. Der beginnende Schrei wurde schon von der Fluth erstickt, so daß ich in der That nichts weiter vernahm, als das Geräusch, welches der vom fallenden Körper gewaltig berührte und zertheilte Wasserspiegel und die über ihm zusammenschlagende Welle hervorbrachte. Ich selbst aber stieß unwillkürlich einen Schrei aus nur war einer Ohnmacht nahe, jedenfalls würde ich aber in diesem Zustande des Schreckens und der Bestürzung, der mir nicht erlaubt hatte, mich auf den Beinen zu erhalten, eine zweite Beute des Mörders geworden sein, wenn meine Zofe, von meinem Schrei gerufen, nicht herbeigestürzt wäre; denn schon hatte der Mann mich erfaßt, um mich seinem ersten Opfer nachzuschleudern, als er von der Stimme des Mädchens von seinem Vorhaben abgebracht und in die Flucht getrieben wurde. Er hatte nur noch Zeit mir zuzuraunen: „Wenn Du ein einziges Wort von dem, was Du gesehen, sagst, so wird Dich der Tod von meiner Hand schnell und sicher ereilen.“ – Er verschwand in der Nacht und im nächsten Augenblicke gaben mir die Gegenwart und der Beistand der Zofe meine Geistes- und Körperkraft[WS 1] zurück. Wir riefen um Hülfe, ermunterten die Nachbarschaft und veranlaßten Müller, Fischer und Andere, am Ufer und auf Kähnen nach dem, wie wir sagten, verunglückten Mann im Wasser zu forschen. Das war aber vergebens, und erst eine Woche später wurde seine Leiche unterhalb der Stadt gelandet.

„Es war die des Musikus Liebheld, an welchem man schon seit einiger Zeit Geistesstörungen wahrgenommen haben wollte. Man nahm an, daß er beim Geschäft, sich mit Osterwasser zu waschen, ausgeglitten und in den Fluß gestürzt sei, und die Entkleidung seines Oberkörpers gab einer solchen Annahme Halt, welchen ich durch meine Aussage bestätigte. Denn ich fürchtete mich allen Ernstes, der Rache des Mörders zu verfallen, wenn ich die Wahrheit des Vorfalls kund gäbe.“

Kahlert war wieder sehr unruhig geworden, und auf seinem mit Todtenblässe überzogenen Gesichte zeigten sich abermals große Schweißtropfen. Fast mit Mühe fragte er:

„Und kannten Sie den Mörder nicht?“

„Wie wäre das in der Nacht und in meinem Zustande möglich gewesen und zumal mir, der Fremden? Mir waren ja schier alle Sinne vergangen, und ich sah nichts, als eine dunkle Gestalt und hörte eine dumpfe Stimme.

„Der Sohn des Ertrunkenen kam mir zu danken, und fand mich vor meinem Flügel. Bald saß er mit davor. Als er sich entfernt hatte, war mein Herz voll süßer Unruhe. Nie hatte ich ein solches Gefühl nach der Abreise meines Verlobten empfunden. Liebheld, damals Gehülfe eines Rechtsanwalts, kam wieder und bald täglich; er wurde mein Musiklehrer, und unsere Herzen, die vom ersten Tage unserer Bekanntschaft an sich angehört, zitterten bald in hoher Wonne aneinander. Zu spät widersetzte sich mein Großvater und verbannte den jungen Rechts- und Musikkundigen aus dem Hause; vergebens ließ er meinen Verlobten kommen, der die Sache durch ein ungezogenes Toben und Rasen nur verschlimmerte: ich verfiel in ein hitziges Fieber, der alte Herr zitterte für mein Leben und führte den Geliebten selbst an mein Lager. Kaum war ich genesen und selig im Besitz des Herzens, an das ich mit allen Seelenbanden gefesselt war, als die blinde, rachgierige Leidenschaft meines früheren Verlobten ein Duell herbeiführte, in welchem mein Geliebter lebensgefährlich verwundet wurde. Nun wachte ich an seinem Lager, wie er erst an dem meinigen gewacht hatte. Aber die Musik, dieser Engel des Lebens, half uns über alles Böse hinweg, und ein Jahr später hatte Liebheld seine eigne Praxis, und ich wurde sein glückliches Weib.“

Kahlert dankte für die Mittheilung und trat stumm an’s Fenster, um der Frau seine Züge zu verbergen, denn er fühlte, daß er nöthig habe, nach Fassung zu ringen.

Doctor Liebheld trat in’s Zimmer, eine kräftige Gestalt mit offnen, gewinnenden Zügen, eilte auf Kahlert zu, und bot ihm mit den Worten die Hand: „Ich habe bereits den Commentar zur Schmerzenskunde, die in Deinem Gesicht steht, erhalten. Ich weiß, was Dich betroffen hat.“

Kahlert machte mit der Hand eine bezeichnende Bewegung, indem er dem Freunde zuflüsterte: „Noch lange nicht Alles und das Schlimmste.“ Und laut sagte er: „Der Tod meines führt Vaters führt mich in Rechtsverwicklungen, in welchen ich Deines Beistandes bedarf.“

„Begleite mich auf mein Zimmer, damit ich mir gleich die nöthigen Notizen mache.“

Kahlert verabschiedete sich von der Hausfrau. Die schmerzlichste Wehmuth zuckte um seinen Mund, und eine Thräne träufte aus seinem Auge, als er ihr die Hand küßte.

Die hübsche Frau war selbst unruhig und nachdenkend geworden; sie setzte sich nieder zu den Kindern an den Flügel, aber sie war zerstreut, und es dauerte lange, eh’ die Musik ihre siegende Macht über das bewegte Gemüth ihrer Priesterin geltend machte.

Nach einer halben Stunde trat Liebheld wieder allein in’s Zimmer. Auch seine Züge waren auffallend verwandelt.

„Um Gotteswillen, Bernhard, was ist Dir begegnet?“

„Ruhig, liebe Aurelie! Höchst eigenthümliche Verhältnisse, die ich so eben von Eduard Kahlert erfahren habe, die er mir aber unter dem Siegel der Verschwiegenheit anvertraut hat, machen es nöthig, daß ich in Kurzem eine Reise nach Ungarn antrete. Wenn Du Dich entschließen könntest, Dich für die Dauer einiger Monate von unsern Kindern zu trennen, so würdest Du mich beglücken, wenn ich Dich in das Land Deiner Geburt und Sehnsucht führen könnte.“

Die Frau schnellte freudig empor. Doch in demselben Augenblick rief sie auch:

„Und die Kinder? Was sollte aus ihnen werden?“

„Sie würden bis zu unserer Rückkehr im „Grünen Baum“ wohnen, und die Pflege der Frau Kahlert und ihrer Töchter genießen; Eduard aber würde Vaterstelle an ihnen versehen.“

„Ich reise mit Dir, Bernhard!“

„In diesem Falle werden wir höchst wahrscheinlich ein junges Mädchen als Deine Zofe oder Begleiterin, je nachdem sie sich bildet, mitnehmen. Wir werden sie in den nächsten Tagen kennen lernen. Sie dient bei der verwittweten Kanzleiinspectorin Voß am Markt.“

Verwundert sah Aurelie ihren Gatten an.

[133] „Das Mädchen ist wohl Eduard Kahlert’s Geliebte, und wir sollen ihr die Appretur geben?“

„Wie nahe liegt diese Annahme, und wie falsch ist sie!“ versetzte der Advocat mit schmerzlichem Tone. „Glaube mir, Eduard denkt an nichts weniger, als an eine Geliebte und ihre Bildung. Ganz andere Dinge bewegen sein armes Herz. Ich hoffe, Dir später Alles mittheilen zu können, wenn diese traurigen Wirrnisse sich gelöst haben werden. Ungewöhnliche und ganz unerwartete Schickungen haben uns plötzlich berührt – denn auch ich bin dabei betheiligt – aber gutem, redlichem Willen muß es gelingen, das Schicksal zu versöhnen. Und vor Allem muß uns trösten und stärken, daß wir selbst nichts dabei verschuldet haben.“ Und er zerdrückte eine Thräne im Auge.



[141]
III.
Der gesuchte Mann.

Ein schöner Frühlingstag hat in den Nachmittagsstunden eine Menge Wiener lustige Welt im Prater versammelt. Man vergnügt sich auf dem grünen Rasen, unter den frisch ausgeschlagenen Bäumen, in den Zelten und Theatern auf die harmloseste Weise. Es ist ein ungemein lebendiges und freundliches Bild, dieses wechselnde Volksgetümmel voll Scherz und Heiterkeit.

Ein Herr und zwei Damen, welche zwei Kinder, einen Knaben und ein Mädchen, führen, alle fünf elegant und gewählt gekleidet, winden sich hindurch und fragen zuweilen einen Mann oder ein Weib aus den niedern Ständen nach dem Zelte „zu den drei Mohrenfürsten“ und sie werden stets mit der allen Wienern eigenthümlichen Dienstfertigkeit zurechtgewiesen. Endlich gelangen sie zu dem etwas abgelegenen Zelte, das sie erfragt haben, im sogenannten Wurstelprater, und der Herr zählt von der rechten Seite des eben nicht glänzenden Gebäudes die im Boden befestigten Tische.

„Hier, der sechste!“ sagt er zu den Damen. „Wir sind zur Stelle, wohin wir auf so eigenthümliche und geheimnißvolle Weise bestellt sind. Es ist auch gleich fünf Uhr,“ fährt er, seine goldene Taschenuhr ziehend, fort, indem er mit den Damen am bezeichneten Tische Platz nimmt. „Also naht der Augenblick, wo wir erfahren sollen, ob ich wirklich funfzehn Monate vergebens alle erdenklichen Nachforschungen angestellt und ob wir unverrichteter Sache heimkehren und Freund Eduard keinen Trost, ja keine Hoffnung mitbringen sollen, oder ob mein rastloses Bemühen im weiten Ungarland endlich in Wien noch mit Erfolg gekrönt werden soll.“

Der Sprecher und seine beiden Zuhörerinnen sind uns bekannte Personen. Er ist der Rechtsanwalt Dr. Liebheld; die hohe stattliche Dame ist seine Gattin, die Kinder sind die seinigen, welche er hat nachkommen lassen, und das schlanke, holde Mädchenbild mit den sanft gerötheten Wangen und den treuen, herrlichen blauen Augen ist Lieschen, das liebe Kind, das ehemalige hübsche Dienstmädchen. Mit ihr ist eine merkwürdige Veränderung vorgegangen; in die Augen springend ist die ihrer äußern Gestalt, denn sie ist eben so modern, eben so fein gekleidet, wie Frau Liebheld. Es scheint aber auch, daß die innere der äußern entsprechend ist: sie drückt sich in der Unterhaltung mit ihrer Begleitung gewandt, fein und mit dem Tone aus, welcher nur den Gliedern der höhern Gesellschaft eigen zu sein pflegt. Sie wird auch von Doctor Liebheld und dessen Frau als Ebenbürtige und nichts weniger als Dienende oder Untergeordnete behandelt.

„Der Himmel wäre Ihnen eine solche Genugthuung schuldig,“ sagte Lieschen scherzend. „Sie haben sich wahrlich die vollgültigsten Ansprüche darauf erworben.“

„Der Himmel erkennt nur solche Ansprüche nicht an,“ versetzte Liebheld.

„Aber er ist gerecht und ich übertrage ihm täglich zwei Mal im Morgen- und im Abendgebet, Ihnen zu vergelten, was Sie seit Jahr und Tag für mich gethan haben und noch zu thun gedenken. Womit aber könnt’ er Ihnen besser vergelten, als wenn er Sie endlich die so sehnlich gesuchten Leute auffinden läßt?“

„Wenn es wahr ist,“ sagte Frau Liebheld, „daß Gott und die Heiligen die Bittgebete unschuldiger und guter Kinder mehr berücksichtigen, als die anderer Menschen, so werden wir doch zuletzt kurz vor dem zu unserer Abreise festgesetzten Termin zum Ziele unserer Wünsche gelangen.“

„Jubelt nur nicht zu früh!“ sagte der Advocat. „Wir sind schon gar zu oft getäuscht worden. Die ganze Geschichte mit der geheimnißvollen Bestellung hierher und diesem Abzeichen, an welchem ich erkannt werden soll“ – er deutete leicht auf ein kleines schmales ponceaufarbiges Band im untersten Knopfloche seines Rockes – „ist am Ende wieder eine läppische Komödie, die sich ein Wiener Spaßvogel mit uns macht.“

Die drei sich also unterhaltenden Leute hatten jetzt eben so wenig bemerkt, daß sich ihnen ein fein gekleideter Herr in den höhern dreißiger Jahren genähert, wie sie vorhin wahrgenommen, daß ihnen zu beiden Seiten zwei Männer gefolgt waren, bald der eine näher, bald der andere, und endlich der eine rechts, der andere links an den nächsten Tischen Platz genommen hatten. Ihrem Aeußern nach schienen die Letzteren dem mittleren Bürgerstande anzugehören, während der zuletzt Hinzugetretene ein bei weitem vornehmeres Ansehen hatte. Als Doctor Liebheld, von seiner Frau auf diesen Herrn aufmerksam gemacht, die Augen zu ihm aufschlug, deutete derselbe stumm auf ein ganz gleiches Bändchen, welches auch er in demselben Knopfloche trug.

„Mein werther Freund,“ sagte der Fremde mit ostensibel lauter Betonung und mit der ungarischen Aussprache des Deutschen, „wenn es Ihnen und den geehrten Damen gefällig ist, so machen wir noch einen kleinen Spaziergang.“

Während er sprach, deutete er mit seinen großen schwarzen Augen sehr bezeichnend auf die beiden schlichten Männer an den [142] nahen Tischen. Und ohne Umstände bot er Frau von Liebheld den Arm und redete leicht und gewandt von der Bühnendarstellung des Leopoldstädter Theaters vom vorigen Abend, als wären sie zusammen darin gewesen. Doctor Liebheld führte Lieschen dicht hinter dem erstern Paar und ging eben so ungezwungen auf das Gespräch ein. Somit schritten sie den nach der Donau sich ausbreitenden Partien des Parkes zu. Als sie aus dem Menschengewühl waren, sagte der Fremde:

„Jetzt, meine Damen, haben Sie gefälligst Acht, daß Niemand uns zu nahe kommt oder uns überhaupt beobachtet, während ich mit dem Herrn spreche.“

Er nahm nun des Doctors Arm und die Doctorin und Lieschen führten sich. Die Letztere glaubte wirklich, die Männer von den Nebentischen einige Zeit hinter sich zu sehen.

„Mein Herr,“ nahm der Fremde leise das Wort, „Sie suchen seit einiger Zeit die Familie eines in Ungarn geborenen Griechen, Namens Georg Theodoro.“

„So ist’s, und Sie haben mir durch meinen Agenten Hoffnung gemacht, durch Sie Nachrichten über diese Familie zu erhalten.“

„Nun wohl, ich will nicht leugnen, daß ich der einzige Mensch bin, welcher Ihnen genaue Auskunft über besagte Familie ertheilen kann. Doch muß ich durchaus erst wissen, zu welchem Zweck Sie diese Nachrichten so sehr wünschen, mit solcher Beharrlichkeit erstreben?“

„Auf diese Frage werde ich Ihnen erst dann genügend antworten, wenn Sie mich überzeugt haben werden, daß Sie selbst ein Glied dieser Familie sind, welches bei den ihr zu machenden höchst wichtigen Mittheilungen selbst wesentlich interessirt ist.“

Der Fremde schwieg einen Augenblick nachdenkend, während sein scharfes Auge mißtrauisch in den Zügen des Advocaten forschte, dann sagte er zögernd:

„Ihr Agent hat Sie mir als einen königlich baierischen Rechtsanwalt genannt. Ich habe zu diesem Stande kein sonderliches Vertrauen. Der Name Georg Theodoro ist verschollen. Niemand kann sagen, was aus dem Träger desselben geworden ist. Ein Ihnen unvorsichtig allzurasch entgegengebrachtes Vertrauen könnte die Familie Theodoro in Gott weiß welche Rechtsverwickelungen stürzen. Wir sind das in Ungarn so gewöhnt.“

„Darüber kann ich Sie vollkommen beruhigen,“ entgegnete Doctor Liebheld lächelnd. „Ich setze Ihnen das Ehrenwort eines deutschen Mannes, der niemals von der wächsernen Nase des Rechts zu seinem persönlichen Vortheil Gebrauch gemacht hat, zum Pfand und gebe Ihnen, wenn Ihnen dieses Ehrenwort zu Ihrer Sicherheit nicht genügen sollte, jede nur gewünschte Garantie, daß die Eröffnungen, welche ich der Familie Theodoro zu machen habe, dieser nicht nur keinen Nachtheil, sondern im Gegentheil Vortheil, großen Vortheil, Glück und Freude bringen werden. Ich habe die Familie Theodoro seit Jahr und Tag nicht gesucht, um einen Rechtsstreit mit ihr zu contrahiren, sondern um eine ihr schuldige Verbindlichkeit zu lösen.“

Der Fremde hatte mit steigender Spannung zugehört, strich sich den Bart nachdenklich und sagte dann:

„Nun wohlan, mein Herr, ich selbst bin nicht sowohl ein Glied der Familie Theodoro, sondern ich bin vielmehr in meiner Person die ganze Familie selbst. Es gibt außer mir keinen Verwandten des Georg Theodoro. Wenigstens ist er bis zu der Zeit, wo er sich aus Ungarn entfernte und bald darauf verscholl, nicht verheirathet gewesen. Das sind nun fast einundzwanzig Jahre. Ob er sich im Auslande später verheirathet und Leibeserben erzielt hat, darüber kann ich nichts sagen; denn ich habe nie wieder von ihm gehört. Es ist auch nicht wahrscheinlich, weil er ein Weib in Ungarn liebte und dieses zu ehelichen beabsichtigte. Die Auserwählte seines Herzens hat von ihm nie wieder etwas gesehen, noch gehört.“

„Er hat sich später wirklich auch nicht verheirathet,“ sagte Liebheld. „Wenn nicht Kinder von ihm aus der früheren Lebenszeit am Leben sind, so gibt es überhaupt keine von ihm. In welchem Verwandtschaftsgrade stehen Sie zu ihm?“

„Ich bin sein einzig Geschwister, sein jüngerer Bruder. Er war mein Ernährer und Erzieher. Als er sich entfernte, war ich erst sechzehn Jahre alt.“

„Und wie alt war damals Ihr Bruder?“

„Wohl ein hoher Zwanziger.“

„Ich will es Ihnen genau sagen: er war zweiunddreißig Jahre alt. Und nun werden Sie mir die Bemerkung erlauben, daß es etwas unwahrscheinlich ist, daß ein Mann von zweiunddreißig Jahren noch einen Bruder von sechzehn Jahren habe.“

„Das ist doch so unwahrscheinlich nicht, und um so weniger, als ich das Kind einer zweiten Frau unseres Vaters bin. Dieser war kurz vorher aus dem Leben geschieden und hatte Georg sterbend die Pflicht auferlegt, für mich und meine Mutter zu sorgen.“

„Womit können Sie mir beweisen, daß Sie Georg Theodoro’s einziges Geschwister sind?“

„So viel als möglich durch obrigkeitliche Atteste, doch muß die Sache auch der Mühe lohnen. Sie werden mir nicht zumuthen wollen, daß ich ohne Grund und Zweck und blos um Ihnen, dem mir gänzlich Unbekannten, einen solchen Beweis zu führen, Reisen und Ausgaben mache, Zeit aufwende.“

„Gewiß nicht. Können Sie sich mir nicht vor der Hand durch Legitimationspapiere überhaupt als Träger des Namens Theodoro aufführen?“

„Nichts leichter.“

Der Fremde zog ein Papier aus der Brusttasche und überreichte es dem Advocaten, der es voneinanderschlug. Es war der in Oesterreich unentbehrliche Reisepaß. Liebheld las: Philipp Theodoro, Handelsmann aus Kremnitz in Ungarn.

„Dies genügt vor der Hand zu den ersten Mittheilungen, die ich dem Erben Georg Theodoro’s zu machen habe. So erfahren Sie denn, mein Herr, daß Ihr Bruder nicht mehr am Leben ist und ein nicht unbedeutendes Vermögen hinterlassen hat, welches Ihnen ausgeantwortet werden wird, sobald Sie sich mir genügend als einzigen Verwandten des Verstorbenen legitimirt haben werden. Die Auszahlung der Hinterlassenschaft wird dann noch an eine von Ihnen leicht zu erfüllende Bedingung gebunden sein, über die ich mich jetzt noch nicht näher auslassen kann.“

„Und Sie hätten sich ganz allein und aus keinem Grunde weiter ein Jahr und länger in Ungarn aufgehalten, um mir ein bedeutendes Vermögen auszuliefern, auf das ich keinen Rechtsanspruch erhoben habe?“ fragte der Fremde, ungläubig mit dem Kopfe schüttelnd.

„Dieses anscheinende Räthsel soll Ihnen gelöst, dieses Mißtrauen in menschliche Gerechtigkeit benommen werden, sobald Sie sich mir als alleinigen Erben Georg Theodoro’s werden documentirt haben. Ich versichere Sie hoch und theuer auf Treue und Glauben, daß die strengste Rechtlichkeit hier zu Ihrem Vortheil handelnd auftritt, wenn Sie wirklich der sind, für welchen Sie sich eben ausgegeben haben und daß durchaus keinerlei Hintergedanke dabei im Spiele ist.“

„Sie bleiben so lange in Wien, bis ich Ihnen den verlangten Beweis geliefert?“

„Das versteht sich. Hier ist meine Karte. Sie sollen nicht bereuen, mir vertraut zu haben.“

Der Fremde schien nichtsdestoweniger nicht sonderlich erfreut über die erhaltene Nachricht. Sein Benehmen war und blieb zurückhaltend und zweideutig und deshalb wenig geeignet, der Familie des Advocaten Vertrauen einzuflößen. In diesem Sinne sprachen sich auch die beiden Frauen gegen Liebheld aus, als der Fremde sich nach kurzem und ziemlich frostigem Abschied mit dem Versprechen, er werde den Beweis so schnell als möglich beibringen, entfernt hatte. Die drei zusammengehörigen Personen, welche sich von der endlichen Entdeckung des lang gesuchten Menschen Freude und Erheiterung versprochen hatten, waren verstimmt, ja selbst die Kinder waren schweigsam geworden; der Fremde hatte auf Alle einen gleich starken und unangenehmen Eindruck gemacht.




IV.
Polizeiverhör.

Die achte Stunde des folgenden Morgens brachte der kleinen Familie eine unangenehme Ueberraschung in ihre Wohnung, und zwar in der Person eines Polizeicommissairs und zweier Polizeidiener. Vom Ersteren wurde Doctor Liebheld auf’s Höflichste ersucht, sich anzukleiden und ihm auf das Bureau seines Chefs zu folgen. Doch habe er den Befehl, auch sämmtliche Papiere des Herrn Doctors mitzubringen. Der artige Beamte versicherte die Damen, sie brauchten keinerlei Besorgniß zu hegen; er sei überzeugt, [143] es werde sich Alles schnell zur Zufriedenheit der Behörde und des Herrn Doctors aufklären, und er bedauere nur die kleine Störung, welche ihnen zu machen Amtspflicht ihn zwinge. Alle Effecten der Familie wurden sorgfältig untersucht und alle Papiere hinweggenommen. Doctor Liebheld suchte seine Frau und Lieschen so gut als möglich zu beruhigen und versprach, bald wiederzukehren; doch blieben sie in Bestürzung und Angst zurück und ihr Kummer stieg, als jener an diesem Tage nicht wiederkehrte.

Der Advocat hatte ein anständiges Zimmer, aber erst am andern Tage wurde er zum Polizeidirector geführt. Der Beamte war ungemein höflich.

„Sie müssen entschuldigen, geehrter Herr Doctor, daß ich Sie erst heute um eine Unterredung bitte. Es mußten gestern nöthige Recherchen dazu gemacht und Vorbereitungen getroffen werden. Sie sind selbst Jurist und wissen deshalb genau, wie viel von Ihren wahrheitsgetreuen Antworten auf meine Fragen für Ihr eigenes Wohl abhängt. Ich darf Ihnen nicht verhehlen, daß Ihr Thun und Treiben in Ungarn und Oesterreich seit einem Jahre die Aufmerksamkeit der Polizei hat erregen und Sie in Verdacht bringen müssen, als hätten Sie unredlichen Verkehr mit Leuten von zweideutigem Rufe, und die Dinge, die gestern in Ihrem Besitz gefunden wurden, sind leider geeignet, diesen Verdacht zu bestätigen, wenn nicht gar zu verstärken.“

„Ich kann und werde jeden Verdacht gegen mich beseitigen und darthun, daß meine Absicht eine reine und edle ist.“

„Ich wünsche und hoffe es, mein Herr,“ versetzte der Polizeidirector in einem glatten Tone, welcher den Zweifel keineswegs ausschloß. Die Herren nahmen auf dem Sopha Platz, dann fuhr der Beamte fort: „Sie haben über ein Jahr lang Nachforschungen nach einem Manne aus den untern Ständen, Namens Theodoro, in Ungarn gehalten. Welchen Zweck haben Sie bei diesen ungewöhnlichen Recherchen?“

„Ich suchte nicht den Mann – denn der ist ja nicht mehr am Leben – sondern seine Nachkommenschaft, seine Familie, seine Erben, um diesen aus dem Nachlasse des Verstorbenen zu übergeben, was zu diesem Zwecke in meine Hände gelegt worden ist.“

„Wenn Sie ein Erbe auszuantworten haben, weshalb betreten Sie, der Rechtsanwalt, nicht den für solche Fälle gesetzlich vorgeschriebenen Weg und wenden sich an die Behörde, deren Kenntniß der Personen und Verhältnisse Sie schnell zum Ziele führen mußte? Warum schlugen Sie nicht einen zweiten gebräuchlichen Weg ein, und forderten in den öffentlichen Blättern des Königreichs Ungarn oder aller österreichischen Staaten die betreffenden Personen auf, sich bei Ihnen zu melden?“

„Der Grund liegt eben in einer seltsamen Verwicklung der Verhältnisse, und da dies nicht mein Geheimniß ist, da ich blos Beauftragter bin, welcher seine Ehre für das Verschweigen der bestimmenden Umstände verpfändet hat, so werden Sie mir erlauben, daß ich Ihnen die Antwort auf diese Fragen schuldig bleibe.“

„Damit kommen Sie nicht durch, mein Herr, und Sie müssen selbst einsehen, daß Sie mit dieser Ausflucht nur den bereits auf Ihnen lastenden Verdacht vermehren.“

„Aber worin besteht der Verdacht? Gegen ihn will ich mich verantworten.“

„Ist es nicht verdachterregend genug, daß Sie über Jahr und Tag von Vilagos aus in allen ungarischen Städten nach Personen eines Namens forschen, der selbst nicht zu den gut renommirten gehört? Daß sie dabei immer die Mitwirkung der Behörden scheuen? Aber dazu kommen noch ganz andere und wichtigere gravirende Umstände. Weshalb hielten Sie sich mit den beiden Damen, Ihren Begleiterinnen, nur einen einzigen Tag in Kremnitz auf, wo Sie doch leichter, als an andern Orten, über das, was Sie wünschen, hätten belehrt werden können, und weshalb sah Ihre schnelle Entfernung aus dieser Bergstadt einer Flucht ähnlicher, als einer Abreise?“

„Der Grund lag in einer unbesiegbaren Furcht meiner Frau, daß ihr von einer in Kremnitz wohnenden einflußreichen Person Schlimmes zustoßen könnte, und nach früheren bösen Erfahrungen mußte ich selbst gemeine Rachehandlungen von jenem hochgestellten Manne fürchten, denen wir uns nur durch eine schnelle Abreise entziehen zu können glaubten.“

„Und wer ist dieser hochgestellte Mann, den mit Recht zu fürchten Sie angeblich Ursache haben?“

„Der Oberbergmeister von Hammerstein.“

„Welchen Grund haben Sie zu solcher Furcht?“

„Herr von Hammerstein war der Verlobte meiner Frau, eh’ ich sie kennen lernte. Ihr Rücktritt und ihre Verbindung mit mir riefen sehr unwürdige Schritte gegen uns auf, und wir haben Ursache, gegen ihn fort und fort auf der Hut zu sein.“

„Wußten Sie denn nicht, daß Herr von Hammerstein in Kremnitz amtirt?“

„Wir erfuhren es leider erst in der Stadt selbst, in welcher wir aus seelischen Gründen gern länger verweilt hätten.“

„Welches waren diese Gründe?“

„Weil Kremnitz der Geburtsort meiner Frau ist, wo sie nur die paar ersten Jahre ihres Lebens zugebracht hat, so daß ihr nur dunkle Erinnerungen daran vorschweben.“

„Wer war der Vater Ihrer Gattin?“

„Der verstorbene Bergmeister von Schönebeck. Der ehemalige, nun auch aus dem Leben geschiedene Oberbergmeister von Holdrat war ihr mütterlicher Großvater.“

In den Zügen des Polizeidirectors ging während dieser harmlosen Mittheilung eine Bewegung vor. Er versank einige Augenblicke in Nachdenken; dann fuhr er fort:

„Wie reimt sich mit diesem offenen Bekenntniß Ihre Angabe zusammen, daß Sie der Beauftragte eines Andern wären?“

„Die Angabe der Familienverhältnisse meiner Frau hängt ja nicht mit dem mir ertheilten Auftrage zusammen, die Verwandten eines griechischen Handelsmannes aufzusuchen.“

„Nicht?!“ betonte der Beamte scharf und mit einem Anfluge von Spott. „Verbuchen Sie nicht, der Wiener Polizei was weiß zu machen. Es durfte Ihnen schwerlich gelingen.“

Aber das befremdende Erstaunen in den Zügen des deutschen Advocaten war doch zu natürlich und ehrlich, als daß der Polizeidirector nicht davon hätte stutzig gemacht werden sollen.

„So wissen Sie durch Ihre Gattin nicht, in welchem Verhältnisse jener Handelsmann Georg Theodoro, dessen Ableben Sie behaupten, und dessen Erben Sie suchen, zum Großvater Ihrer Gattin, Herrn von Holdrat, stand?“

„Davon weiß weder ich noch sie etwas. Sie hat nie den Namen Theodoro genannt und schwerlich den Träger desselben gekannt.“

„Aber ist er nicht bei Ihnen gestorben und hat Ihnen sein erworbenes Gut zur Vererbung an seine Familie hinterlassen?“

„Nein, so ist es nicht. Ich habe den Mann nie gekannt. Ich bin ja nur der Beauftragte eines Andern.“

„So kennen Sie auch wohl den Siegelring nicht näher, den man gestern mit dem Reisepaß Georg Theodoro’s zusammengepackt bei Ihnen gefunden hat?“ Die Frage war mit Erbitterung und mißbilligendem Kopfschütteln gesprochen.

„Nein, ich kenne ihn nicht. Er ist mir anvertraut worden, damit er mir vielleicht das Aussuchen der Erben Theodoro’s erleichtere.“

„Und auch Ihre Gattin kennte nichts von der geheimen Geschichte dieses Ringes, sie die Enkelin seines ehemaligen Besitzers, sie die Tochter seines nachherigen Besitzers?“

Liebheld war sprachlos vor Erstaunen, und der Polizeidirector schlug eine höhnische Lache auf; denn er glaubte den Mann nun verstrickt zu haben.

„Sie wüßten nicht, daß sich um diesen Ring die verhängnißvolle Geschichte und gewissermaßen der Untergang jener Familie dreht, welcher doch Ihrer Angabe zu Folge ihre Gattin entsprungen ist?“

„Nein, bei Gott! nein!“ stammelte Liebheld.

„Wüßten nichts von jener grauenhaften, über allen Zweifel feststehenden Erscheinung des Geistes, der diesen Ring sucht, diesen Ring verzweiflungsvoll verlangt, um diesen Ring gräßliche Jammertöne ausstößt, und dieses umgehende Gespenst ist doch durchaus kein anderer Geist, als der des Vaters Ihrer Gattin? Und auch diese wüßte von dem Allen nichts?“

„Mein Erstaunen steigt mit jedem Worte, das ich weiter von Ihnen vernehme. Ich darf mit Bestimmtheit annehmen, daß auch meine Frau nichts von allen diesen Dingen weiß, sonst hatte sie mir ganz gewiß Mittheilungen darüber gemacht.“

„Aber wie sind Sie denn in Besitz dieses Ringes gekommen? Doch wohl auf keinen Fall anders, als durch Erbschaft Ihrer Gattin von Ihrem Großvater, Herrn von Holdrat?“

[144] „Nichts weniger als das. Meine Frau hatte mit dem Ringe nie etwas zu schaffen. Ich zweifle, daß sie ihn je gesehen hat. Er gehört zur Nachlassenschaft jenes Georg Theodoro und ist mir, wie ich Ihnen bereits gesagt, anvertraut worden, damit er mir vielleicht das Aufsuchen der Erben dieses Mannes erleichtere.“

„Und wer ist denn dieser Auftraggeber, der im Besitz dieses wichtigen Ringes war, an welchem doch eigentlich nur Ihre Gattin Interesse haben kann? Wer ist der Mann, welcher jetzt im Besitz der übrigen Nachlassenschaft Georg Theodoro’s ist, die an die Erben zu bringen er sich so viel verhüllte, lichtscheue, geheimnißvolle Mühe und so viel Geld kosten läßt? Wer ist dieser merkwürdige Mensch?“

„Seinen Namen zu nennen, verbietet mir jetzt noch mein gegebenes Ehrenwort. Sehr wichtige Gründe halten ihn ab, hervorzutreten.“

„Ich glaub’ es wohl!“ lachte der Beamte boshaft. „Aber können Sie sich als Rechtsgelehrter und vernünftiger Mensch vorstellen, daß wir uns mit solchen Lappereien abspeisen lassen, wenn es sich um die endliche Lösung eines hartnäckig allen Versuchen geschickter Meister widerstandenen Räthsels, um die seit zwanzig Jahren erstrebte Aufhellung eines undurchdringlichen Dunkels handelt, dessen innerster, geheimnißvoller Kern ein Verbrechen ist, sein muß, über dessen Art und Weise und Beschaffenheit nicht einmal Vermuthungen aufzustellen waren? Nein, mein Herr, hoffen Sie nicht, so durchzukommen. Ihre Angaben sind lauter Widersprüche. Sie haben uns zur ersten Dämmerspur in diesem finstern Labyrinth verholfen, und Ihre Zusammenkunft mit einem bestraften Verbrecher und höchst verdächtigen Menschen gestern im Prater hat uns die Gewißheit verschafft, nach welcher Seite wir vorzuschreiten haben.“

„Dieser Mensch ist der einzige Bruder und Erbe des verstorbenen Georg Theodoro.“

„Genug mit diesem Märchen!“ sagte der Beamte bitter. „Wir wollen doch sehen, ob Ihre Gattin nicht mehr weiß von dieser wichtigen Sache.“

„Meine Frau ist als dreijähriges Kind von ihrem Großvater aus Kremnitz und Ungarn geführt worden, und weil ihr Großvater und Vater Feinde waren, so –“

„Ganz recht! ganz recht! Todfeinde!“ fiel der Polizeidirector hastig ein.

„So hat der Erstere, ihr Erzieher, nie etwas über ihren verstorbenen Vater bei ihr verlauten lassen. Sie kann Ihnen deshalb keine andern Angaben machen, als ich.“

„Wir werden sehen. Wenn Sie Ihrer Gemahlin Unangenehmes ersparen wollen, so geben Sie die beobachtete Rückhaltung auf, und machen Sie ganz offene Mittheilungen. Sie sehen, ich bin von jedem Ihrer Schritte unterrichtet. Es handelt sich um die Aufklärung einer der dunkelsten und räthselhaftesten Thaten, bei welcher selbst die Geisterwelt betheiligt ist. So werden Sie einsehen, daß Sie mit Vorwänden wie gegebenes Ehrenwort und poetischen Erfindungen nicht auskommen.“

„Mein Herr, ich kann nur dem Fürsten Staatskanzler oder dem Kaiser selbst nähere Eröffnungen über Personen, die durchaus geschont werden müssen, und über bis jetzt unbekannte Thatsachen machen.“

„Wohl! Ich werde Seiner Durchlaucht Ihr Gesuch vortragen.“

Am Abend wurde Doctor Liebheld in das Palais des Fürsten Metternich geführt.

Am folgenden Morgen schrieb er einen kurzen Brief an Eduard Kahlert folgenden Inhalts:

„Endlich Land, lieber Junge! Und was für ein Land! Ja, die gestern entdeckte Insel, die sich so lange meinem spähenden Blicke entzog, ist ein Wunderland. Aber noch liegt sie in der Perspective vor mir. Was werden wir erst entdecken, wenn unser Fuß auf ihrem festen Boden wandelt! Mit dem „wir“ meine ich Dich und mich; denn es ist des Kaisers Wunsch, der sich persönlich für unsere Angelegenheit interessirt, daß Du selbst mitwirkst. Komm also unverzüglich hierher. Wir werden erst eine Audienz beim Kaiser haben, und dann zusammen die Reise nach Kremnitz in Oberungarn machen, in dessen Goldbergwerken das geheimnißvolle Drama spielt, dessen Entwickelung und Abschluß herbeizuführen wir vom Schicksal berufen zu sein scheinen. Mache Dich gefaßt, Wunderbares zu erfahren!“



[157]
V.
Der Obersteiger und sein Sohn.

Die Gold- und Silberbergwerke in Kremnitz sind alle uralt; die Jahrhunderte haben da Schächte und Stollen abgebaut und verödet liegen lassen und wieder andere in den Schooß der Berge getrieben, die endlich dasselbe Schicksal erfahren. Manche dieser alten Gruben hängen durch einen halbverschütteten unwegsamen Gang mit den vielverzweigten neuen Gruben zusammen, aber der Knappe von heute kennt meist diesen Zusammenhang nicht; er hat eine natürliche Scheu vor den vereinsamten unterirdischen Feldern der Thätigkeit seiner Vorfahren, und schauerliche Bergmannssagen verschreien sie als ungeheuer. Was hätte er auch dort zu suchen und zu schaffen? Edle Metalle, welchen er nachstrebt, sind ja dort nicht mehr zu finden; sie lohnen seinen Fleiß nur in den Gängen, die er selbst in das erzhaltige Gestein treibt. Was kümmert ihn, wie weit sich die Häuer früherer Jahrhunderte in die Berge gewühlt? Er wühlt sich am andern Ort hinein, und wo irgend so ein altes Stollenloch in einen neuen mündet, da verbaut er es mit Querhölzern, und läßt jenseit derselben die Gespenster früherer ungetreuer Bergleute ihr Wesen treiben. Daß solche Gespenster in den alten Schächten und Gruben umherirren, daran zu zweifeln wäre sündhafte Verwegenheit eines Knappen; denn wenigstens die des Mariahilfschachtes haben fast Alle das entsetzliche Schachtgespenst gesehen, obgleich eigentlich keiner weiß, wie es aussieht, weil, wenn es ihnen erschienen ist, ihnen die Augen meist den Dienst versagten. Und das ist nicht seit einigen Jahren geschehen: Viele sagen seit zwanzig Jahren, Andere, das sei wohl länger als hundert Jahre; denn ihre Väter und Großväter haben ihnen erzählt, daß auch sie es schon gesehen. Die seltsamsten und wunderlichsten Sagen sind von diesem Schachtgespenst in Umlauf. So war, um nur Eins zu erwähnen, die allgemeine stille Annahme, die man sich nur flüsternd und mehr mit ängstlichen Gebehrden und Mienen, als mit lauten Worten mittheilte, der alte Obersteiger Martin Ambrunn sei mit dem Schachtgespenst näher bekannt, als die andern Sterblichen, ja er übe einen gewissen vertraulichen Einfluß auf das Gespenst.

Aus welchen Thatsachen dieses seltsame Gerücht entstanden war, konnte eigentlich Niemand bestimmt angeben; die widersprechendsten und abenteuerlichsten Dinge wurden in dieser Hinsicht behauptet und erzählt, so daß ein halbweg vernünftiger Mensch sie alle auf Rechnung einer erhitzten und vom Leben in der Erde verdüsterten Volksphantasie setzen mußte. So viel stand inzwischen doch fest, daß der alte Obersteiger ein finsterer, grämlicher, schweigsamer Mann war, der mit den Leuten kaum das Allernothwendigste sprach, alle Vergnügungen mied, sich scheu in sein Haus zurückzog, wenn er nicht im Schachte arbeitete, und in diesem meist weit länger verweilte, als die andern Obern oder die Häuer. Das ganze Wesen dieses Mannes war unheimlich, und man konnte annehmen, daß dieser Umstand ihn in den Augen der Bergleute zum Kumpan des Schachtgespenstes gemacht habe. Uebrigens hatte er nicht nur von seinen Obern, sondern auch von der ganzen Knappschaft das Lob der strengsten Berufstreue und einer Thätigkeit, welche die aller Andern weit hinter sich ließ. Erholung schien er gar nicht zu kennen; er kannte nur Arbeit. Und wie uneigennützig er war, bewies er dadurch, daß er von seinem kärglichen Einkommen viel an Bedürftige wandte und alles wahrhaft Gute reichlich unterstützte. In seinem Hause sah es dagegen ärmlich aus, eben so war seine und seines Weibes Kleidung vernachlässigt, was doch mit seinem Stande als Obersteiger nicht harmoniren wollte. Ein feines Auge hätte sogar die Bemerkung machen müssen, daß diese Armuth eine ostensible Schaustellung sein möchte aus Zwecken, die sich freilich nicht errathen ließen.

Eines Sommermorgens – es war Montag – hatte sich der alte Obersteiger mit dem Beginne des Tages von seinem Lager erhoben und war eben damit beschäftigt, seinen Brodkorb voll zu packen (die Menge des Brodes, die er hineinsteckte, hätte einem Unbefangenen auffallen müssen, aber er schien dieses Geschäft gern jedem andern Auge zu verbergen), als er plötzlich seinen einzigen Sohn Leberecht, den Steiger, neben sich stehen sah, den er noch im tiefsten Schlafe vermuthet hatte. Verwundert sah der alte Mann an dem jungen empor und brummte:

„Schon?! Erst nach Mitternacht heim; kannst kaum ein Auge geschlossen haben.“

„Habe keins geschlossen,“ versetzte der Sohn eben so mürrisch wie der Vater. „Ich habe mich gestern Abend beim Tanz in der Tanne schwer geärgert.“

Der Alte antwortete darauf nichts und der Sohn schwieg ebenfalls verlegen. Er kämpfte mit sich selbst, aber er rang sich auf und platzte heraus:

„Vater, ich muß mit Euch reden. So kann’s nicht bleiben, ich gehe zu Grunde.“

Der Alte warf ihm einen eiskalten fragenden Blick zu.

„Ich hab’ Euch noch nichts davon gesagt, denn es ist mit Euch nicht gut von solchen Dingen reden; ich kann nicht leben ohne die Bergmeisters Lina. Wenn sie nicht bald mein Weib [158] wird, bin ich ein elender Mensch und sehe meinen Untergang vor Augen. Die Liebe zu ihr brennt mir wie Feuer im Herzen und in allen Gliedern und dörrt mir das Blut.“

„Bist ein Narr! Diese Traube hängt zu hoch für Dich. Such’ Dir eine andere, in die Du am Stocke beißen kannst.“

„Warum soll sie zu hoch für mich hängen? Ich kann sie mit der Hand erreichen und ich will und muß sie haben. Ihre Mutter ist eine slovakische Magd gewesen –“

„Aber ihr Vater war ein deutscher Edelmann und Bergmeister.“

„Was geht mich der deutsche Edelmann an? Ich will seine Tochter zur Frau. Was der ehemalige Bergmeister? Er ist todt und man weiß nicht, ist er als Schelm oder ehrlicher Mann gestorben. Ihr selbst habt schon gesagt, über dieser Sache ruhe ein Schleier, der wohl niemals gehoben werden würde. Das Mädchen ist arm; sie und ihre Mutter müssen sich ja schier von ihrer Hände Arbeit nähren; denn die paar Gulden Wittwengehalt reichen wahrlich nicht weit.“

„Junge, es gibt noch andere Dinge, um deren willen ich Dir befehle: schlag’ Dir das Mädchen aus dem Sinn. Sieh, das Weib, ihre Mutter, hat mir mein ganzes Leben verdorben. Ein böser Fluch ruht auf diesem Geschlecht. Das Weib hat schwere Sünden auf sich geladen und es steht im Worte Gottes geschrieben: die Sünden der Väter werden heimgesucht an den Kindern. Ich möchte nicht, daß Du auch solch’ ein unglücklicher Mensch würdest, wie ich gewesen und noch heute bin.“

„Vater, das hilft Alles nichts! Ich muß die Lina haben, sonst bin ich verloren. Ihr könnt Euch nicht vorstellen, wie mir’s zu Muthe ist. Mir ist, als war’ ich vom Satan besessen. Ich beschwör’ Euch bei meinem zeitlichen und ewigen Heil, thut dazu, daß sie meine Frau wird. Sprecht mit ihrer Mutter, die mir abgeneigt ist.“

„Ich könnte die alte falsche Katze wohl zwingen,“ murmelte der alte Mann mehr in sich hinein, als dem Sohne zu. „Ein Wort und sie müßte.“

„So geht und sprecht das Wort!“ schrie Leberecht auf.

„Dummkopf! Weißt Du denn, ob das Mädchen Dich will?“

„Ach, darüber hab’ ich keine Sicherheit! Sie tanzt mit mir, wie mit unserm Feind Tomanek; sie läßt sich die Huldigungen des Oberbergmeisters gefallen. Seit Ihr den Proceß gegen Tomanek verloren habt, ist dieser bei der Alten Hahn im Korbe, und wenn Herr von Hammerstein Ernst machte, so hätte sie dieser. Ja, ich glaube, sie gäbe ihr Kind dem schlechten Theodoro, wenn er ein reicher Mann wäre, ohne zu fragen, wie er zum Reichthum gekommen.“

„Ich kenne sie; Du beurtheilst sie recht. So war sie stets, und weil sie schön war, wie eine Fee, so hat sie der Männer Herzen bethört und jammervoll unglücklich gemacht.“

„Mir hat sie gestern das Haus verboten und dunkle Worte fallen lassen, als wärt Ihr ein böser, der Hölle verfallener Mann.“

„Hat sie?!“ Die Augen des Alten funkelten unheimlich. „Sie wird dem Teufel auch nicht entgehen.“

„Und als hättet Ihr Umgang mit dem Schachtgespenst, das sich zuweilen in ihrem Hause zeigen und den Ring suchen soll. Sie sagt, Ihr hetztet den Geist auf sie und sie würde nicht unrecht thun, wenn sie Euch deshalb beim Priester verklagte.“

„Mag sie doch!“ lachte der Alte. „Aber sie wird nicht; sie wird Dir im Gegentheil ihre Tochter geben, wenn ich will. Aber es wird Dein Unglück sein.“

„Auf! Geht heute Abend zu ihr! Zwingt sie. Mein Unglück will ich selbst tragen.“




VI.
Die Heirathswerbungen.

Am Abend saß in einem hübschen, kleinen steinernen Hause ein liebliches Mägdlein sinnend am Fenster, eine alte Cither in der Hand, und schaute in das Thal unter ihr und auf die Berge, aus welchen eben die Bergknappen hervortraten. Ihr Auge ging ruhig über die Gegenstände hin und blieb an keinem verlangend haften. Sie selbst war eine ungemein reizende Gestalt. Plötzlich verdüsterten sich ihre reinen Züge. Sie sah einen Mann rasch den Bergpfad nach ihrem Hause heraufschreiten. Sobald sie ihn erkannt hatte, stand sie unwillig auf und verließ die Stube. Wenige Augenblicke später trat der Handelsmann Theodoro herein. Da er das Zimmer leer fand, so rief er auf die Hausflur: „Frau Kathinka!“

Eine ältliche Frau trat herein, die noch deutliche Spuren ehemaliger Schönheit verrieth. Beide grüßten einander vertraulich.

„Ich will Ihnen eine frohe Nachricht bringen,“ sagte er hastig. „Ich erbe ein großes Vermögen und bin in kurzer Zeit ein steinreicher Mann.“

„Von wem?“

„Mein Bruder Georg ist gestorben und hinterläßt es mir.“

„Wo?“ rief die Frau mit Leidenschaft.

„Das weiß ich noch nicht. Aber ich bin hierher gekommen, um meine Legitimationspapiere aufzutreiben. Dann wird mir mein Eigenthum ausgeliefert. Und jetzt bin ich da, um bei Ihnen um Lina’s Hand zu werben. Sie werden sie mir nicht versagen.“

„Wenn Du wirklich ein so gemachter Mann bist, sollst Du meine Tochter haben. Aber erst muß Dein Gerede zur Wahrheit geworden sein; dann seh’ ich Deine Verbindung mit ihr als eine Gerechtigkeit des Schicksals an.“

„Ich verstehe. Sie hätten meines Bruders Frau werden müssen.“

„Er ging und kehrte nicht wieder, untreu seinem mir gegebenen Worte.“

„Ich werde Alles wieder gut machen.“

„Du kannst mir meine Jugend nicht wieder geben.“

„Rufen Sie das Mädchen und sagen Sie ihr, daß sie meine Braut ist.“

„Heute noch nicht, erst muß ich sie vorbereiten; sie hat den halsstarrigen Sinn ihres Vaters. Du mußt Dich ihr erst sehr angenehm machen, eh’ sie Dich nimmt.“

„Wenn ich ihr den Tisch voll Goldstücke zähle, wird sie sich den Mann gefallen lassen.“

„Habe nur erst das Geld, für das Uebrige laß mich sorgen.“

Noch waren Beide im Gespräch begriffen, als ein bürgerlich gekleideter Mann hereintrat, welcher mit dem Griechen in gleichem Alter sein mochte und nach kurzem Gruße sich patzig niedersetzte, als sei er hier Herr im Hause. Hochmüthig warf er den Kopf zurück und sagte:

„Ich habe ein paar Worte mit Ihnen unter vier Augen zu reden, Frau von Schönebeck.“

Dabei sah er den Griechen verächtlich herausfordernd an. Die Frau verständigte sich mit diesem durch Blicke und er verließ die Stube.

„Was ist Ihnen gefällig, Herr von Tomanek?“ fragte die Frau kalt höflich.

„Es ist Ihnen wahrscheinlich schon bekannt, daß ich den langjährigen Proceß gegen den Obersteiger Ambrunn durch alle Instanzen gewonnen habe. Die Grundstücke sowohl, als die Silbergrube „Heiligensegen“ sind nun mein völliges Eigenthum und die Revenuen, die seit fünfundzwanzig Jahren deponirt wurden, sind mir zugefallen, so daß ich, erst schon ein reicher Mann, nun ein noch weit reicherer geworden bin. Nachdem nun Gott mir meine Ehefrau durch den Tod entrissen hat, bin ich gesonnen, mich anderweit zu verehelichen und meine Wahl ist auf Ihre Tochter Caroline gefallen. Ich habe gestern Abend mit ihr in der Tanne getanzt und mich überzeugt, daß sie mir nicht abgeneigt ist, also bin ich gekommen, bei Ihnen geziemend um Lina’s Hand anzuhalten.“’

„Herr von Tomanek, ich danke Ihnen sehr für die Ehre, die Sie mir und meinem Kinde zugedacht haben und ich würde ohne Zaudern Ihr Anerbieten annehmen, wenn ich daran nicht durch ganz besondere Umstände im Augenblick verhindert wäre, was mir absonderlich leid thut. Seien Sie übrigens versichert, daß der gezwungene Anstand sich durchaus nicht auf Ihre Person bezieht und daß, wenn derselbe gehoben, Ihre Wünsche wohl erfüllt werden dürften.“

„Ist der Anstand mit Geld zu beseitigen,“ sagte Tomanek mit einer unverschämten Gebehrde und klapperte dazu mit harten Silberstücken in der Hosentasche, „so nennen Sie mir die nöthige Summe, damit ich sie Ihnen heute noch überliefere.“

„Schönsten Dank, Herr von Tomanek,“ antwortete die Wittwe freundlich, wie ein Kätzchen. „Mit Geld ist die Sache nicht abgethan; [159] es sind eben Familienangelegenheiten, die uns zwingen, daß Caroline noch eine kurze Zeit im ledigen Stande verbleibe.“

„Ich will nicht hoffen, daß Herr von Hammerstein im Spiele ist und Ihnen und Ihrer Tochter irgend etwas weißgemacht hat. Der hat keine rechtlichen Absichten, wie ich. Er schmunzelt nur um das Mädchen herum.“

„Der Herr Oberbergmeister hat weder mit mir noch mit meiner Tochter von seinen Absichten gesprochen.“

„Oder etwa gar der Laffe, der Steiger Leberecht Ambrunn? Ich weiß, er ist vernarrt in Lina; aber Sie werden sich doch nicht mit einem solchen Hause verbinden wollen?“

„Ich weiß, was ich mir und meinem Kinde schuldig bin,“ versetzte die Frau angesäuert.

„Also schlagen Sie ein! Wozu warten? Es könnte mich wieder gereuen.“

„Das steht bei Ihnen. Ich kann Ihnen nichts versprechen.“

Der Mann stand ärgerlich auf. Die hereingebrochene Dämmerung überschleierte den Grimm in seinen Zügen. In der Haustür begegnete ihm ein Mensch, in welchem er den alten Obersteiger Ambrunn erkannte. Er trat also an das niedrige Fenster und horchte.

Die Frau brachte Licht.

„Das ist ein seltener Vogel in diesem Hause,“ sagte sie nach der Begrüßung verlegen.

„Ein weißer Rabe, aber doch ein Rabe!“ krächzte der Alte rabenmäßig. „Ich will’s kurz machen, Kathi. Mein Junge will Dein Mädchen heirathen. Es ist mir gar nicht recht, aber er besteht darauf und ist ein Starrkopf, ein Tollerjan. Also wirst Du ihm die Lina zur Frau geben.“

„Ich werde aber nicht!“ versetzte die Frau trotzig.

„Du wirst müssen.“

„Wer will mich zwingen?“

“Ich“

„Aus welchem Grunde?“

„Weil Du einst meine verlobte Braut gewesen und mir untreu geworden bist.“

„Das kann mich zu nichts zwingen.“

„Nein, aber andere Dinge.“

„Welche?“

„Zum Beispiel der Ring, den Du Deinem Manne gestohlen und dem Georg Theodoro, Deinem Buhlen, gegeben hast, und das Rattengift, das Dir Theodoro für den Ring gab und womit Du Deinem Manne vom Leben geholfen hast. Meinst Du, ich wüßte nicht Alles?! Spreize Dich nur und ich schicke Dir den Geist des Gemordeten auf den Hals, der den Ring von Dir verlangt. Nicht vergebens sagen die Leute, ich habe Umgang mit dem Schachtgespenst. Weißt Du etwa nicht, wer das Schachtgespenst ist? Hat es nicht schon den Ring von Dir begehrt? Heult es nicht durch die alten Schächte nach dem Ringe? Der Geist Deines von Dir vergifteten Mannes ist’s. Verweigere mir nur die Tochter und ich schicke das Gespenst noch diese Nacht.“

„Da Du doch so viel von mir weißt, mein alter Schatz,“ sagte das Weib höhnisch, „so will ich Dir auch etwas sagen. Wer half denn dem Theodoro beim Gebrauche des Ringes? Du warst’s, Martin Ambrunn! Und warum thatest Du so große Sünde, Du jetzt so frommer Mann? Rächen wolltest Du Dich heimlich an Deinem Vorgesetzten, weil er Dir die Braut genommen. Stehst Du wirklich mit dem Schachtgespenst im Bunde, so kann’s nicht der Geist meines Mannes sein; denn Du warst sein ärgster und grimmigster Feind. Nun geh’! Deinem Sohne geb’ ich meine Tochter nicht.“

Der Streit in der Stube wurde durch einen andern vor den Fenstern unterbrochen oder beendigt. Leberecht Ambrunn war gekommen, um zu horchen, was sein Vater ausrichte, und hatte den horchenden Tomanek getroffen. Im Nu waren sie an einander und prügelten sich aus Leibeskräften ab. Der alte Obersteiger rannte fluchend fort.




VII.
Der ehemalige Verlobte.

Einige Tage später hielt ein Reisewagen vor dem ersten Gasthause in Kremnitz, aus welchem Dr. Liebheld mit seiner Frau und seinen beiden Kindern, Eduard Kahlert und Elise Wellschütz stiegen. Kaum hatten sie Zimmer bezogen, als der Advocat schon eine Karte zum Oberbergmeister von Hammerstein schickte. Dieser ließ antworten, daß er sogleich selbst kommen werde. Alle sahen mit Spannung dem Eintritte des Mannes entgegen, welcher einst Frau Aureliens Verlobter gewesen war und den Doctor im Duell schwer verwundet hatte. Niemand war auf sein Erscheinen neugieriger, als Lieschen; denn sie wußte aus dem Munde ihrer Freundin sehr viel Interessantes von ihm und hatte sich in ihrem kleinen Kopfe ein schönes romantisches Bild von ihm gemacht. Sie und Eduard Kahlert waren sehr angenehm überrascht, einen wohlgebildeten, gewandten, ja sogar liebenswürdigen Mann eintreten zu sehen, der nur mit einer beängstigenden Haft und Ueberstürzung sprach und sich bewegte und dadurch die Besorgniß wach rief, daß er sehr leidenschaftlich sei. Mit der Gewandtheit eines Weltmannes grüßte er unbefangen die kleine Gesellschaft auf eine Weise, daß jedes sogleich über alle Befangenheit hinaus war.

„Es hätte nicht des kaiserlichen Befehls bedurft,“ sagte er zu Liebheld gewandt, „um mich zu vermögen, daß ich Ihnen jeden Freundschaftsdienst leiste; denn Ihre Ankunft in dieser Bergstadt erfüllt einen meiner heißesten Wünsche: gegen Sie begangene Übereilungen nach Kräften wieder gut zu machen. Lassen wir die Thorheiten eines Brausekopfs ruhen, wo sie begraben liegen, und Sie, werthe Frau, genehmigen Sie das geläuterte Gefühl von Hochachtung, welches ich für Sie hege, daß Sie fest und muthig der Stimme des Herzens folgten, und sich nicht der Macht eines alten eigensinnigen Mannes und den Zudringlichkeiten eines jungen leichtsinnigen beugten. Sie sind, wie ich weiß, eine sehr glückliche Frau; es steht zu bezweifeln, daß Sie das im Bunde mit mir geworden wären. Wer weiß, wie und wo auch mir ein schönes Eheglück blüht.“

„Sie sind noch nicht vermählt, Herr von Hammerstein?“ fragte Aurelie teilnehmend.

„In der Erinnerung an Sie hätte ich mein Herz fast an ein zweites Fräulein von Schönebeck verloren, aber – sie ist ja Ihre Schwester, und ich sehe jetzt schärfer. Auch sie verrieth keine Anlage, daß sie mich lieben könnte, und – Sie verzeihen – ihre Mutter ist eine böse Zugabe.“

„Wir kennen die Schwester noch nicht.“

„Sie sieht Ihnen ähnlich und ist auch musikalisch. Das ist für unser einen verführerisch.“

„Wer kann wissen, wie nah Ihnen das Glück steht!“ sagte Aurelie bedeutungsvoll, und Liebheld stellte Kahlert und Lieschen, die Letztere als seine Tochter vor.

„Ihre Tochter?“ fragte der Oberbergmeister erstaunt.

„Dem Herzen nach ist sie unser Kind, und sobald wir in’s Vaterland zurückgekehrt sein werden, wird sie durch einen gerichtlichen Act unsere Adoptivtochter werden; aber auch Freund Kahlert wird sich bei dieser Adoption betheiligen. Wir wollen durchaus beide Väter dieser guten Tochter sein.“

Hammerstein wandte sich an Lieschen und ließ, während er sprach, sein Auge auf ihren reinen edlen Zügen haften: „Glückliches Kind, das so viel Liebe genießt! Welch einen Schatz von Liebe müssen Sie selbst besitzen! Möchte ich nicht diesen beiden Herren zurufen: „Ich sei, gewährt mir die Bitte, in eurem Bunde der Dritte!““

„Wer weiß, was geschieht!“ drohte Aurelie mit dem Finger. „Auch unsere Elise ist musikalisch.“

„Sind Sie es auch, Herr Kahlert?“

„Wenigstens kann ich die zweite Geige spielen.“

„So laßt uns doch gleich ein Concert einstudiren. Wir nehmen Fräulein Lina auch dazu. So bilden wir gleichsam eine Künstlerfamilie.“

Hammerstein war ungemein heiter und riß die Andern mit fort. Er liebkoste die Kinder und tanzte mit ihnen; er wollte mit Lieschen gleich ein Duett singen, als ihn Liebheld erinnerte, daß sie zuvor sich über die Angelegenheit besprechen möchten, welche die Familie nach Kremnitz geführt. Die Frauen zogen sich auf seinen Wink in ein anderes Zimmer zurück.

„Ich bin über die Hauptsachen bereits von Wien aus unterrichtet,“ nahm der Oberbergmeister das Wort. „Eine köstliche Schickung hat uns vor einigen Tagen bereits die Teilnehmer des Verbrechens verrathen. Ihre Aufforderung an den Griechen Philipp [160] Theodoro hat diesen veranlaßt, sich mit der Bitte an das hiesige Berggericht zu wenden, es möge ihm – da er nicht wisse, wo er geboren sei, und seine Jugend mit seinem Bruder hier verlebt habe – bescheinigen, daß Georg Theodoro sein Bruder gewesen. Auf Befragen, zu welchem Zweck, hat er angegeben, um die Hinterlassenschaft seines Bruders als Erbe zu heben. Dabei hat sich dieser Schlaukopf in Widersprüche verwickelt, und da wir bereits die nöthige Aufklärung von Wien hatten, so ist es nicht schwer gewesen, ihn in der Haft zu Geständnissen zu bringen, welche die Wittwe Schönebeck graviren. Aber noch besser: vor einigen Abenden hat ein Zank zwischen dieser gemeinen Frau und einem alten Obersteiger, der ihre Tochter für seinen Sohn begehrte, in ihrem Hause statt gefunden, belauscht von einem hiesigen Grundbesitzer, Namens Tomanek, welcher ebenfalls um die Tochter freit. Tomanek hat höchst wichtige Aeußerungen der beiden Streitenden zur Anzeige gebracht, aus welchen hervorgeht, daß die Frau den Ring der Königin, in dessen Besitz Sie jetzt sind, gestohlen und dem Georg Theodoro gegeben hat. Denn nur mit dem Ringe konnte er den Diebstahl ausführen. Ja, der Obersteiger Ambrunn, einst ihr Verlobter, hat ihr sogar vorgeworfen, daß sie ihren Gatten vergiftet habe. Sie dagegen hat ihn beschuldigt, daß er dem Griechen behülflich gewesen. Jedenfalls haben wir die Complicen. So wie Sie dem Gerichte die Beweisstücke übergeben haben, wird die Verhaftung dieser beiden Personen erfolgen, und die Untersuchung beginnen, die jetzt bessere Resultate liefern wird, als vor zwanzig Jahren, wo man stets auf falscher Spur war.“

„Haben Sie die Güte, uns zum Gericht zu führen! Wir werden das corpus delicti überliefern.“

Kahlert trug eine kleine elegante, aber schwere Kiste herbei; Liebheld legte den Reisepaß und den Ring auf den Tisch, Hammerstein nahm den letztern und betrachtete ihn genau.

„Ist Ihnen die Bedeutung und Geschichte dieses Ringes bekannt, der in diesem bösen Handel eine so wichtige Rolle zu spielen scheint?“ fragte der Advocat den Bergbeamten. „Sie nannten ihn den Ring der Königin. Woher dieser auffallende Name?“

„Ich kann Sie vollständig über das Geheimniß dieses allerdings wichtigen Pretiosen aufklären. Die Königin Maria von Ungarn, die Gemahlin jenes unreifen Königs Ludwig, der in der unseligen Türkenschlacht bei Mohacs 1526 im Sumpfe erstickte, und die Schwester des deutschen Kaisers Karl des Fünften, war eine der holdesten und liebenswürdigsten Damen ihrer Zeit. Sie besuchte unsere Gold- und Silberbergwerke einige Male, welche damals im Besitz der reichen und speculativen Fugger von Augsburg waren. Ein junger Adliger aus der alten Familie der Thurzo war damals Oberbergmeister und Münzwardein und mit einer Tochter des Hauses Fugger vermählt. Als Verwandter wurde er Theilnehmer und als solcher Begründer des großen Reichthums und der Macht des später so angesehenen Hauses der Thurzo, von welchen Einer sogar Palatin von Ungarn wurde. Merkwürdiger Weise knüpfte man das außerordentliche Glück dieses Hauses an diesen Ring, welcher im Laufe der Jahrhunderte Gegenstand eines wunderlichen Cultus oder vielmehr Aberglaubens wurde. Die Königin Maria zeigte jenem jungen Thurzo, der die unterirdischen Schätze so trefflich zu heben verstand, wie noch nie ein ungarischer Edelmann, und der zugleich ein feiner, wohlgebildeter Hofmann gewesen sein soll, ganz besondere Gnade, und als sie nach dem Tode ihres Gatten von ihrem kaiserlichen Bruder zur Statthalterin der Niederlande erhoben worden war, schenkte sie dem ritterlichen Bergmeister diesen Ring. Er trägt als Emblem einen weiblichen Arm mit einem gekrönten Schwerte. Ein Wappen ist es nicht, auch konnte sie kein solches verleihen. Das Bild ist nur Symbol. Der Ring ist aus dem Golde dieser Berge geschmiedet; der Karneol ist ebenfalls ungarisches Product. Thurzo bediente sich des Ringes zum Versiegeln der Erz- und Schatzkammer, und so erhielt er als Petschier die zweite Wichtigkeit. Als solcher hat er sich erhalten. Er vererbte nämlich immer auf dasjenige Glied der Familie, welches dem Bergwesen hier vorstand, und ging auf die weibliche Descendenz über. Man kam endlich dahin, das Glück des hiesigen Bergwesens überhaupt von dem Besitze des Ringes abhängig zu glauben; der Ring wurde zum Talisman, zum Glückbringer, zum Goldbescherer, wenigstens bei den gemeinen Bergleuten. Er war auch im Besitz des Herrn Oberbergmeisters von Holdrat, und gerade[WS 2] dieser legte ihm eine ungemeine Wichtigkeit bei. Man sagt, er habe ihn seinem Sohne verweigert, und dieser habe sich deshalb todt gehärmt. Deshalb habe der strenge Herr ihn nachher dem Gemahl seiner Tochter, Herrn Bergmeister von Schönebeck, übergeben, als diese von ihm so heißgeliebte Tochter, welcher er keine Bitte abschlagen konnte, ihn darum gebeten. Herr von Holdrat hatte vom Charakter und der Sinnesart des Herrn von Schönebeck keine vortheilhafte Meinung, und war mit der Herzenswahl seines Kindes keineswegs zufrieden. Aber wie gesagt, der sonst so strenge Herr vermochte seinem ihm aus einer glücklichen Ehe allein übrig gebliebenen holden Kinde nicht wehe zu thun. Daß er sich nicht in Herrn von Schönebeck geirrt, bewies dessen Benehmen gegen seine junge schöne Gemahlin. Er fing eine strafwürdige Liebelei mit einem in seinem Dienste stehenden, freilich verführerisch schönen Slovakenmädchen an. Die junge Ehefrau, welche ihren Gatten schwärmerisch liebte, kam hinter die Untreue desselben und grämte sich so sehr darüber, daß sie starb, als sie einem Töchterlein das Leben gegeben. Dieses Kind ist uns wohlbekannt. Herr von Holdrat wandte ihm seine ganze Liebe zu. Dagegen wirf er auf den Vater desselben einen eben so starken, unversöhnlichen Haß, welcher das Motiv zur Zurückforderung des Ringes wurde. Der daraus entsprungene Streit wurde noch heftiger, als der Oberbergmeister auch die kleine Enkelin forderte, und Herr von Schönebeck die Auslieferung sowohl des Ringes als des Kindes verweigerte. Als er aber den gemeinen, obgleich reizenden Gegenstand seiner Liebeswünsche heirathete, wußte der alte Herr es nach einem mehrjährigen Rechtsstreit endlich durchzusetzen, daß ihm das Kind ausgeantwortet wurde. In diesem Proceß waren böse Dinge zur Sprache gekommen.

„Bald darauf verschwand Herr von Schönebeck auf eine unerklärliche Weise. Er hatte mitten in der Nacht sein Haus im Bergmannskleid verlassen. Als er nach einigen Tagen nicht zurückkehrte, und nirgend aufgefunden werden konnte, nahm man an, er sei in einem der alten Schächte verunglückt. Seine Leiche ist niemals aufgefunden worden. Jetzt stellte sich heraus, daß in der Schatzkammer, die er zu verwalten, zu verschließen und zu versiegeln hatte, ein ungeheurer Defect war. Es fehlten Goldbarren für einige hunderttausend Gulden. Wohin das Metall gebracht worden, wer es entwendet, darüber konnte keine haltbare Andeutung beigebracht werden. Weder die Schlösser noch die Siegel waren verletzt. Der doppelte Wachtposten hatte nichts wahrgenommen. Erst war man geneigt, zu glauben, Herr von Schönebeck habe das edle Metall veruntreut und sei geflohen. Die Untersuchung stellte diese Annahme als Irrthum fest. Man suchte nach dem Ringe, er fand sich nicht. Da gab es Leute, welche behaupteten, Herr von Holdrat habe sich von Haß und Golddurst zu dieser That hinreißen lassen. Es gelang ihm in der Untersuchung, seine Unschuld klar darzuthun, aber er fühlte sich so gekränkt, daß er sein Amt niederlegte und mit seiner Enkeltochter nach Wien zog. Was man auch aufbot, um eine Spur zu entdecken: es war Alles vergebens. Seltsamer Weise muß man an diesen Georg Theodoro gar nicht gedacht haben. Dieser schlaue und gewandte Mensch war eine Reihe von Jahren Diener und vertrautes Factotum Holdrat’s und hatte seinen jüngeren Bruder, einen Knaben, bei sich, den er erzog. Er stand beim alten Herrn in großer Gunst, übergab aber, als er ein halbes Jahr vor der Katastrophe den Dienst um einer geringfügigen Ursache verließ, diesen seinen Bruder der Frau von Schönebeck zur Beköstigung. Er selbst verschwand und blieb verschollen. Deshalb dachte Niemand an ihn, als das Verbrechen sich herausstellte. Nun wird es einleuchtend, daß er mit Hülfe der Frau von Schönebeck und des Steigers Ambrunn sich eine kurze Zeit heimlich hier aufgehalten und den Diebstahl verübt hat. Den Ring hat er, wie wir bereits wissen, durch die treulose Frau erhalten und damit die Siegel neu hergestellt. Die nähern Umstände des Verbrechens wird hoffentlich die erneute Untersuchung ermitteln.“

„Und was halten Sie von diesem seltsamen Schachtgespenst?“ fragte Kahlert.

„Ich bin wirklich um eine Antwort verlegen. Ich selber habe nie etwas in den Schächten gesehen, das wie ein Gespenst aussieht. Aber unerschrockene, ehrenwerthe Bergleute, junge und alte und wahrlich keine geringe Zahl, haben zu verschiedenen Zeiten eine unnatürliche gräßliche Gestalt in abgelegenen Gängen; die mit verlassenen Bauten zusammenhängen, gesehen, jedoch nie während der Arbeitsstunden, und sie beschreiben es so gleichmäßig, daß man doch nicht ohne Weiteres ihnen widersprechen kann. Eine [161] spindeldürre lange Gestalt von erdfahlem Ansehen, mit langem grauen Haar und in einen Knappenkittel der gewöhnlichsten Art gekleidet, zeigt sich plötzlich in der Ferne und verschwindet im Nu, oder flattert gespenstisch schnell an ihnen vorüber. Die Erscheinung trägt ein matt brennendes Grubenlicht, und ein eisgrauer Hauch geht von ihr aus. Da sie zuweilen bald mit leiser, unheimlicher Stimme den Ring fordern, bald schauerlich heulend danach verlangen soll, ja, da sogar behauptet wird, der Geist Schönebeck’s habe sich mehr als einmal Nachts in seinem Hause gezeigt, und von der Frau den Ring geheischt, so ließe sich annehmen, das berüchtigte Schachtgespenst sei Schönebeck selbst, nicht sein Geist, sondern der lebende Mann, zumal, wie ich Ihnen vorhin schon bemerkte, seine Leiche nie aufgefunden worden ist. Dem aber steht entgegen: wie sollte sich ein Mensch zwanzig Jahre lang in diesen alten, dumpfen, feuchten, ungesunden Bergbauten aufzuhalten vermögen? und er muß doch essen und trinken, Kleider haben; ja ein vornehmer Mann, wie Herr von Schönebeck, hat noch eine Menge anderer Bedürfnisse. Woher hätte ihm eine so lange Zeit die Befriedigung derselben kommen sollen? Hier sind überall schwere unauflösbar scheinende Räthsel, wohin wir uns auch wenden. Hoffen wir, daß die nächste Zeit sie dennoch lös’t.“



[169]
VIII.
Die Schwestern.

Am andern Morgen saß die Familie Liebheld wieder erwartungsvoll zusammen; diesmal aber war es eine Jungfrau, deren Eintritt man mit Spannung entgegensah. Es war ein Bote an Caroline von Schönebeck mit dem Auftrage abgeschickt worden, sie unter jeder Bedingung mitzubringen. Und so erschien sie denn nach einiger Zeit mit schüchterner Neugierde in einfachem, fast ärmlichem Anzuge, ein reizendes Heckenröschen. Ihre Befangenheit in Mitte der ihr fremden Personen, deren Augen mit dem lebhaftesten Ausdrucke auf sie gerichtet waren, verwandelte Frau Liebheld schnell in die süßeste Verwirrung, indem sie, dem Drange ihres Herzens folgend, auf die holde Erscheinung zueilte, sie in die Arme schloß, an die Brust preßte und ihr Mund und Stirn mit Küssen bedeckte. Dazwischen rief die edle Frau bis zu Thränen gerührt:

„Meine theure Schwester! Meine theure, geliebte Schwester! Sei gesegnet, Du herziges Kind! Wie hab’ ich mich nach Dir gesehnt! Ich bin ja Deine Schwester Aurelie. Wir haben ja keinen Blutsverwandten weiter, wir sind die einzigen Geschwister.“

Lina schrie laut auf vor froher Ueberraschung, und nun gegenseitiges Herzen und Küssen. Dann führte Aurelie der Schwester ihren Mann, ihre Kinder, Lieschen und Eduard Kahlert zu und sagte:

„Sieh, lieb’ Schwesterchen, wie Du uns hier beisammen findest, bilden wir eine Familie. Ein ungewöhnliches Schicksal hat unsere Herzen miteinander verbunden. Lieschen ist mir Schwester, Tochter, Freundin, und sie wird auch Dir Schwester sein. Denn wir lassen Dich nicht wieder, Du bist ja ein so holdes Kind. Du gehörst zu uns und bleibst bei uns. Du gehst mit uns nach Deutschland.“

Lina brach in Freudenthränen aus. Als sie erst einige Worte halb geflüstert, halb gestammelt, wurde sie allmählich lauter und der Wonnestrahl ihres Auges, die Verklärung ihrer Züge fand in den Ergüssen ihrer Lippen einen vernehmbaren Ausdruck. Die Zuhörer fanden, daß sie dieselbe wohltönende und musikalische Stimme habe, wie Aurelie, und auf Befragen erklärte sie, daß Singen und Musik ihre größte Lust sei. Alle klatschten vor Freude in die Hände.

„Sieh, daß Du zu uns gehörst! Der Vater hat seinen musikalischen Sinn auch auf Dich vererbt. Du trittst in unser Concert.“

Man verglich die zusammenstehenden Schwestern, und Eduard war dabei am thätigsten und fand die Familienähnlichkeit in Zügen, Blicken, Bewegungen. Lina hatte dasselbe süße, unschuldige Auge, wie ihre Schwester, die Form der einzelnen Gesichtstheile war dieselbe, nur statt der reizenden Schalkhaftigkeit, welche aus Aureliens Zügen lachte, war über die Lina’s ein Hauch poetischer Schwermuth gebreitet. Eduard bat Lina, etwas zu singen, alle Andern unterstützten ihn, und sie sang ohne Befangenheit ein kleines schönes ungarisches Volkslied mit hinreißender Naivetät und Fertigkeit. Die Frauen umarmten sie jubelnd, Eduard küßte ihr, berauscht von Entzücken, die Hand, die Kinder umklammerten ihre Kniee und wurden nicht müde, sie zu liebkosen.

Die Veränderung, welche in einer Stunde, die Allen wie eine Minute verflossen, mit Lina vorgegangen war, hätte ihre Kremnitzer Bekannten in Erstaunen setzen müssen. Sie war verwandelt. Die Weihe eines höheren, seligen Lebens, das sie bis jetzt nur geahnt, nach dem sie sich unablässig gesehnt, zu dem sie aber geschaffen und berufen war, war ihr plötzlich, wie vom Himmel gefallen, zu Theil geworden. Die Hand eines Engels war über ihre holde, jungfräuliche Gestalt gestreift und hatte ihrem Auge reinern Glanz, ihrer Gestalt höhere Würde, ihren Zügen Erhabenheit, ihrem Wesen Poesie gegeben. Und nun hatte sie wiederum ein anderes Menschenkind im Familienkreise auf ähnliche Weise verwandelt, Eduard Kahlert. Auch er war nicht mehr der von Schwermuth niedergedrückte, zaghafte, schweigsame Mann, dem die Menschenwelt und ihr Thun gleichgültig, ja verächtlich erschien; er hatte sich emporgerichtet, sein Auge leuchtete vom Glanz, der in seiner Seele entglommen war, er sprach nur einzelne Worte, aber es waren die aufjauchzenden Stimmen erweckter Geister, die sich – früher unerkannt – in ihm kundgaben. Aurelie und ihr Gatte bemerkten mit hoher Freude zugleich diese Verwandlung des Freundes und verständigten sich durch Blicke darüber.

„Alles wird gut!“ jubelte Aurelie, faßte Eduards Arm und zog ihn zu Lina. „Seht Euch an, Ihr beiden theuern Menschen! Recht tief in die Augen! Noch tiefer in die Seelen! Erkennt Ihr Euch? Ja, Ihr habt Euch schon erkannt; Euer heiliges, keusches Erröthen verräth es. Nun denn, so ist auch schon die Ahnung in Euch aufgeblüht, daß Ihr für einander bestimmt seid. So wißt es denn, daß Ihr den schönen Familienkreis mit Hand und Herz schließen sollt und daß Ihr damit unsere höchsten Wünsche erfüllt.“

Das zarte Herzensgeheimniß, das sich eben erst gebildet, war [170] damit schon ausgesprochen und warf seinen Purpur über die selig zusammenzuckenden Betheiligten.

O, die glücklichen Herzen, welchen diese Stunde Lebenswürze reichte!

Lina fühlte sich in diesem Kreise so heimisch, als habe sie ihm immer angehört, und ihre gewinnende Naivetät wurde nun mittheilsam. Da flog denn freilich mancher Wolkenschatten über ihre Züge. Sie erzählte vom Leid ihrer Jugend, von der Rohheit und Gemeinheit ihrer Umgebung, von dem widerwärtigen Andrängen ungebildeter Männer, ja, ihr Auge füllte sich mit Thränen, als sie berichtete, wie sie von ihrer Mutter gezwungen worden war, den Einladungen zu Tanz und Spiel zu folgen. Jedes ihrer Worte war ein stiller Ankläger dieser gemeinen, selbstsüchtigen Frau, und doch gefiel es den Zuhörern, daß sie dieselbe nicht laut anklagte. Aber es war zu errathen, was die Arme gelitten hatte.

„Deine Leidenszeit ist vorüber, armes Kind!“ tröstete Aurelie. „Du kehrst nicht mehr zu Deiner Mutter zurück.“

„Sie wird mich aber zurückverlangen.“

„Das wird sie nicht. Du würdest sie nicht mehr zu Hause finden. Sie hat sich bereits entfernt. Frage nicht, Du sollst später das Nöthige erfahren. Jetzt sollst Du Dich nur freuen, daß ein neues Leben für Dich begonnen hat, und kein Mißton soll Dir diese Freude stören.“




IX.
Unthat aus Rache und Eifersucht.

Wenn es in Kremnitz noch einen glücklicheren Mann als Eduard Kahlert hätte geben können, so wär’ es unstreitig der Oberbergmeister von Hammerstein gewesen. Der führte seine Freunde in die schönen Berg- und Waldpartien, bereitete ihnen Überraschungen und bewirthete sie mit der liebenswürdigsten Ubertät. Freilich führte er bei solchen Ausflügen Lieschen stets und wich nicht von ihrer Seite, freilich verrieth er, ohne es zu merken, daß er eigentlich Alles nur ihretwegen thue; er componirte Nachts sogar Gesangstücke, in welchen er Lieschen und sich die zärtlichsten Duette gab, und wenn sie draußen auf einem Felsenplateau oder im Walde ausgeführt wurden, sang er das zarte Kind mit einer Gluth und Leidenschaft an, daß es Allen sonnenklar wurde, selbst Eduard und Lina, die doch mit sich selbst genug zu thun hatten, daß er in die schlanke Sängerin sterblich verliebt sei und ihr Herzchen zu erobern sich bestrebe. Bei solchen Ausflügen, die sich schier täglich wiederholten, führte Eduard Lina und Liebheld seine Frau, und alle drei Paare hielten sich in so anständiger Entfernung von einander, daß keins vom andern und vom dritten gestört wurde.

Zu Hause arrangirte Hammerstein Concerte und Bälle und immer war er Lieschens Partner, wie Eduard der Lina’s. Natürlich verbreitete sich unter den Bergleuten, wie unter den übrigen Bewohnern der Bergstadt, welche sich durch die gefängliche Einziehung des Obersteigers Ambrunn, der Wittwe Schönebeck und des Griechen Theodoro bereits in sehr aufgeregtem Zustande befand, schnell das Gerücht, mit den räthselhaften Fremden, welche diese außerordentlichen Maßnahmen der Behörde veranlaßt, seien für den Oberbergmeister eine Braut und für Lina von Schönebeck ein Bräutigam gekommen, und der Proprietär Tomanek machte zu letzterer Kunde ein sehr albernes Gesicht. Vom Steiger Leberecht Ambrunn dagegen sah und hörte man nichts. Auch hatte seiner Niemand sonderlich Acht.

Der Oberbergmeister hatte es zu seinem Entzücken endlich aus Lieschens kindlichem Herzen herausgelockt, daß er ihr nichts weniger als gleichgültig sei. Nach einigen Tagen vertraute Herr von Hammerstein den Freunden Liebheld und Kahlert mit geheimnißvoller Wichtigkeit, daß er eine ganz besondere Festlichkeit vorhabe. Da Liebheld merkte, daß der Oberbergmeister gefragt und gedrängt sein wollte, so that er ihm diese Gefälligkeit und erfuhr nun, daß es das zwiefache Verlobungsfest Eduards mit Lina und seiner selbst mit Lieschen sein sollte, auf entsprechende charakteristische Weise in einem Goldschacht gefeiert, in welchem er einen Saal decoriren und illuminiren lassen werde. Dort sollte am Festtage gespeist, concertirt und getanzt werden. Er war eifrig mit der Composition der Musikstücke zu diesem Tage beschäftigt. Nun bat er die Freunde, ihn beim Arrangement mit Rath und That zu unterstützen, aber um des ewigen Heils willen Alles geheim zu halten, damit die Frauen nichts erführen und ihnen eine volle großartige Ueberraschung bereitet werden könnte. Zum Vormittag des folgenden Tages lud er denn die beiden Freunde ein, ihn in den Schacht zu begleiten, um das Local in Augenschein zu nehmen und die Festeinrichtung zu besprechen.

Der Morgen war ungemein schön und zu Ausflügen in den grünen Bergwald verlockend. Als daher der Oberbergmeister kam, die beiden Freunde abzuholen, bestanden die Frauen darauf, sie bis zum Mundloch des Schachtes zu begleiten und dann, während die Herren im Berge wären, auf demselben sich zu ergehen. Dieses Verlangen wurde mit Freuden zugestanden, selbstverständlich ohne ihnen etwas von der eigentlichen Absicht des Besuchs im Bergwerk ahnen zu lassen. Heiter kosend gingen die drei Paare Arm in Arm die buschigen Pfade dem Eingange des großen Schachtes zu. Der Oberbergmeister hatte die Einfahrt schon vorbereitet und die dazu bestimmten Knappen warteten unter dem das Mundloch schützenden Dache. Die kleine fröhliche Gesellschaft war bereits in der Nähe desselben, als Caroline den Steiger Leberecht Ambrunn vorüberlaufen sah, einer Gegend zu, wo sich ein zweiter, aber weniger benutzter Eingang in die Grube befand. Der Mensch sah zum Erschrecken bleich und verwirrt aus und warf ihr einen scheuen Blick zu, der sie im Innersten der Seele erbeben machte, so daß sie sich unwillkürlich fester an Eduard Kahlert, gleichsam ihren natürlichen Beschützer, anschmiegte. Ehe der unheimliche Bergmann hinter der Waldecke verschwand, begegnete ihr geängstigtes Auge einem zweiten Blicke aus dem seinigen, welcher, Liebesraserei und Verzweiflung ausdrückend, ihr den letzten Rest von Heiterkeit raubte. Es war ihr, als wäre ein eisiger Hauch über ihr warmes Herz hingestreift und habe die jungen Triebe darin gemordet. Eduard befragte sie zärtlich über ihr plötzliches Verstummen. Zusammenschauernd versetzte sie:

„Es läuft mir wie eine bange Ahnung kalt durch die Seele. Wenn Ihnen im Berge nur kein Unglück zustößt.“

Eduard lachte.

„Nicht doch, süßes Kind! Die Sache ist gar nicht zum Unglück angethan. Aber Ihr Zagen entzückt mich.“

Er küßte sie begeistert auf die hohe, reine Stirn, denn sie waren beim Eingange und man schied mit der Verabredung, daß die Damen in einer Stunde wieder zur Stelle sein sollten, die zuerst angekommene Partei sollte auf die andere warten. Die Herren fuhren ein, die Damen erklimmten langsam und sich oft rückwärts der Aussicht auf das Thal zuwendend, den Bergpfad. Lina wurde immer stiller, aber auch Aurelie und Lieschen wurden von einer ernsten Stimmung befallen, gleichsam als wären sie von der Schwester angesteckt. Zuletzt gingen sie nicht mehr von der Stelle, und es kam zu Erklärungen.

„Mich überwältigt eine Angst,“ sagte Lina, „die ich Euch nicht mit Worten beschreiben kann. Sie schnürt mir die Brust zusammen und erschwert mir das Athmen, so daß ich nicht im Stande bin, den Berg weiter zu ersteigen. Mir ist, als müßte den Männern ein Unglück begegnen. Dieser Steiger Ambrunn ist ein böser Mensch.“ Die letztern Worte sagte sie leise in sich hinein.

„Seltsam!“ nahm Lieschen das Wort. „Du beschreibst meinen eigenen Zustand. Seit wir die Herren im Schacht haben verschwinden sehen, hat auch meine Seele eine sich steigernde Angst ergriffen. Das hat etwas Schlimmes zu bedeuten.“

„Ich will es Euch nicht verhehlen, Kinder,“ sprach Aurelie, „mir ist ganz ähnlich zu Muthe. Aber was können wir thun? Unter einer Stunde kommen die Herren nicht wieder zu Tag. Wir müssen eben warten und wollen uns niedersetzen. Vielleicht wird uns eine freundlichere Stimmung.“

Sie setzten sich an einem Raine, aber die Unterhaltung wollte nicht, wie früher, in Fluß kommen. Lina mußte immer an den düstern Steiger denken und erzählte einiges von den höchst leidenschaftlichen Bewerbungen dieses verschlossenen Menschen um sie. Oft schon hatte sie vor ihm geschaudert, nie aber noch so wie vorhin, als er mit dem eigenthümlich wilden und scheuen Blick an ihr vorübergeglitten war. Plötzlich stockte sie mitten in der Rede und fuhr schreiend empor; die beiden Andern folgten eben so rasch ihrem Beispiele. Der Boden zitterte unter ihnen, wie [171] von einem Erdbeben bewegt, ein dumpfes Rollen, ähnlich dem eines fernen Donners, erreichte ihr Ohr.

„Barmherziger Gott!“ schrie Lina. „Das ist’s! – Der’ Steiger! – Eduard! Die Männer!“

„Was ist’s?!“ hauchte Lieschen erbleichend.

„Was kann es sein?“ rief Aurelie außer sich.

„Sie sind verloren! Der schreckliche Steiger hat sie ermordet. Dieser Donner kam aus dem Schachte. Das ist eine Sprengung. Aber, jetzt darf nicht gesprengt werden. Es ist ein Verbrechen, eine Unthat des scheußlichen Menschen, ein höllisches Werk seiner Eifersucht, seiner Rache.“

„Schnell, Schwestern!“ sagte Aurelie. „Wir müssen der Gefahr in’s Auge schauen. Wir müssen uns rasch überzeugen, was geschehen und was zu thun ist.“

Und sie eilten, was sie vermochten, den Berg hinab bis zum Hauptmundloche des Schachtes am Abhange desselben. Hier war es schon lebendig geworden und wurde mit jeder Minute grauenhaft lebendiger. Eine Nothglocke nach der andern erhob ihren gellenden Ruf in’s Thal hinab, den Menschen zu verkünden, daß ein großes Unglück geschehen sei; Bergknappen und andere Leute stürzten bleich und mit Geschrei herbei; die Haspel im Mundloch rasselte und aus dem emporgestiegenen Kübel tauchten bleiche Häuer empor.

„Hülfe! Hülfe! Rettet!“ erscholl’s nun in wilder Verwirrung. „Was ist geschehen?“

„Der Steiger Leberecht Ambrunn hat den überhängenden Vorsprung der Fugger-Wand abgesprengt und die Herren drin im Elisabethenschacht verschüttet, lebendig begraben. Was Hände hat, muß arbeiten. Der Versuch, sie zu retten, muß mit der größten Anstrengung gemacht werden.“

„Es wird nichts helfen,“ ließ sich ein Anderer vernehmen. Das ist wenigstens eine vierzehntägige Arbeit, derweil’ sind sie zehn Mal erstickt und verhungert.“

„Wir müssen alle Kräfte anspannen.“

„Mündet nicht ein alter versperrter Stollen in den Elisabethenschacht? Wenn man dort einzudringen versuchte?“

„Das hat noch zehn Mal größere Schwierigkeiten; die alten Bauten sind meist zusammengestürzt, und wer kennt die allenfalls noch befahrbaren? Niemand von uns.“

„Wenn noch einer, so ist’s der alte Obersteiger Ambrunn. Der sitzt in strenger Haft.“

Keins dieser Worte ging den gemarterten Frauen verloren. Ihre Pulse flogen, ihre Spannung überstieg das Maß gewöhnlicher menschlicher Zustände bei weitem. Aber sie klammerten sich auch an jedes Wort, das vom leisesten Hoffnungsschimmer angehaucht war.

„Ihr Männer,“ redete Aurelie, „es gilt, Menschenleben zu retten, und das Eures Oberbergmeisters ist auch dabei. Alle Wege zur Rettung müssen versucht werden. Der Obersteiger muß die alten Bauten befahren; er muß zu diesem Behufe ohne Verzug in Freiheit gesetzt werden. Eilt in das Berggericht; wir drei Schwestern lassen die Herren des Gerichts um schnelle Losgebung des Obersteigers bitten.“

Unterdessen war die Menschenmenge und mit ihr Lärm und Geschrei und Verwirrung gestiegen. Das ganze Thal, alle Pfade zu den Bauten wimmelten von Menschen, viele mit Hacken und Schaufeln, aber Niemand wußte, was eigentlich Zweckdienliches zu thun sei. Ein Knappe trat zu den bebenden Frauen und sagte:

„Da kommt der Obersteiger schon, von den Gerichtsdienern begleitet. Auf sein eignes Verlangen läßt ihn das Gericht zur Hülfe herbeiführen.“

Die Frauen eilten mit Andern auf ihn los.

„Könnt Ihr helfen?“ fragte ihn Lina.

„Das wäre nicht geschehen,“ entgegnete er griesgrämlich, „wenn Deine Mutter – Ist Leberecht todt?“ unterbrach er sich selbst.

„Wir wissen’s nicht. Keiner hat ihn wieder gesehen.“

„Das hat er von dem Tage an vorbereitet, als ihm das Weib ihr Haus verbot,“ murmelte der Alte.

„Könnt Ihr helfen, Ambrunn?“ wiederholte Lina mit Nachdruck.

„Hier kann Niemand helfen, als – das Schachtgespenst,“ versetzte er mürrisch.

„Das Schachtgespenst!“ riefen hundert Stimmen mit allen möglichen Abstufungen des Entsetzens.

„Wenn’s nicht verhungert ist indessen,“ brummte der Obersteiger und ging ohne Zaudern weiter. Wenige, aber die drei Frauen folgten ihm. Auch sie waren von dem einem Worte erschüttert, aber nicht wie die Uebrigen. Endlich kamen sie bei einem alten Schachtloche an. Der Obersteiger haspelte den Kübel empor. Er war lange nicht gebraucht und seine Sicherheit erschien zweifelhaft. „Es hilft nichts!“ sagte der Alte. „Hinab, das ist der einzig mögliche Weg. Wer fährt mit mir ein?“

„Ich!“ riefen Aurelie und Lina zugleich, sonst kein Mann.

„Und ich begleite Euch!“ rief Lieschen muthig. Die drei Frauen umschlangen sich begeistert; ein göttlicher Strahl leuchtete aus ihren Augen.

„Durch Nacht und Schrecken, durch Noth und Tod!“ rief Aurelie. „Wohin auch, die Liebe führt und trägt uns.“

„Alles für den Geliebten!“ flüsterte Lina, und Lieschen umarmte Beide mit Thränen im Auge.

„Und wenn wir untergehen, so sind wir ja mit ihnen vereint. Ohne ihn könnte ich ohnedies nicht leben.“

„Hinab denn!“

„Ihr seid gerade die Rechten,“ sagte der Alte, ohne Verwunderung über die merkwürdige Begleitung. Er schnallte den Brodsack, welchen er trug, fester, zündete Grubenlichter an und gab jeder Dame eins, dann winkte er den Männern an der Haspel. Die Frauen traten mit ihm in den Kübel und umschlangen sich, und das Fahrzeug senkte sich langsam in die finstere Tiefe. Es war, als führe Charon mit den drei Grazien in die Unterwelt.




X.
Das hungrige Gespenst.

Nur begeisterte Liebe zur Rettung der theuern Häupter konnte den Muth finden zu dieser schauerlichen Fahrt. Nie hatten Frauen eine ähnliche Fahrt unternommen; aber wahre Liebe schreckt vor keiner Gefahr zurück. Der Kübel berührte den Boden. Der alte schweigsame Bergmann stieg aus und half seinen Begleiterinnen weiter. Aber welch’ ein Weg! Feuchter, unebener Boden, halb eingestürzte Wände und Decken, so daß sie zuweilen hintereinander herkriechen mußten, dann wieder weite, öde Höhlen und Hallen, Felsengestein, das überklettert werden mutzte, und dazu die schwere, verdorbene Luft, welche das Athmen erschwerte. Schweigend ging’s weiter durch immer andere Gänge, die abwechselnd stets dieselben Schwierigkeiten boten, eine Schreckensstraße. Kein Zagen wandelte die Frauen an. Liebe macht schwache Herzen stark. Endlich, auf einer freien Stelle, in welche mehrere Gänge mündeten, blieb der Bergmann stehen, steckte den gekrümmten Zeigefinger der rechten Hand in den Mund und ließ einen lauten, schrillen Pfiff ertönen, welcher seltsam an fernen Wänden wiederhallte. Unmittelbar darauf ließ er ein eigenthümliches Heulen, ähnlich dem eines wilden Thieres erschallen. Dann horchte er nach allen Seiten hin. Dieses Verfahren wiederholte er einige Male, bis von fernher ein schwacher Ton an ihr Ohr schlug. Der Obersteiger schlug die Richtung, woher dieser Ton gedrungen war, ein, indem er das Pfeifen und Heulen von Zeit zu Zeit ertönen ließ. Die Antworten wurden deutlicher und, sich mehr und mehr nähernd, nahmen auch sie den Charakter eines schauerlichen Geheuls an. Die Frauen erbebten vor diesen gräßlichen, kaum thierischen, geschweige denn menschlichen Lauten, aber ihr Muth wurde nicht dadurch erschüttert.

Plötzlich zuckte ein schwacher Lichtstrahl vor ihnen an der feuchten, dunkeln, von grünem Moder überzogenen Wand hin und gleich darauf erblickten die Frauen, welche einzeln hinter dem Bergmanne hergingen, ein phantastisches, gespensterhaftes, schreckliches Gebild in dem Gange. Grausiges Erstaunen fesselte ihre Füße an den Boden, ihre Augen in der außerordentlichen Erscheinung. Eine ungewöhnlich lange, spindeldürre Gestalt mit spinnebeinähnlichen langen Armen und Beinen, um welche, wie um dünne Stecken, ein armseliges, zerfetztes Bergmannskleid schlotterte, die dürren Hände mit den langen, fleischlosen Fingern wie spitze Vogelkrallen anzusehen, das Haupt von dünnem, langen, schneeweißen Haar in einzelnen Loden umflattert, von dessen unterer Partie ein langer, glänzend weißer Bart auf die Brust niederfloß, mit seiner scharf gebogenen, großen Nase, ebenfalls dem Kopfe eines Raubvogels ähnlich. Aber man vergaß diese Ähnlichkeit wieder [172] vor der erdfahlen, grauenhaften Farbe dieser Züge und vor dem wahrhaft gräßlichen Ausdruck des halb erloschenen, halb düster glimmenden Auges, dessen Blick aus tiefen Höhlen wie in Asche zerfallene Brände einer Ruine hervorstach. Die Erscheinung kam in rasender Eile heran, und da sie so wenig Stoff hatte, schien sie wirklich mehr zu schweben, als zu laufen. In der Nähe ging ihr Geheul in die deutlichen Worte: „Brod! Brod!“ über. Sobald das gespensterhafte Bild bemerkte, daß der Obersteiger Begleitung hatte, wich es schnell wieder zurück; der alte Ambrunn hatte aber ein mächtiges Stück Brod aus dem Sacke hervorgezogen, streckte es dem Schachtgespenste entgegen und schrie:

„Hier ist Brod, Rabe! Komm’, komm’ und fürchte Dich nicht! Hier sind Aurelie und Caroline! Die Erstere hat Dir den Ring der Königin gebracht, weither; er ist da, Du wirst ihn haben! und das geraubte Gold ist auch wiedergebracht. Du wirst’s mit dem Ringe versiegeln und dem Könige abliefern. Deine Unschuld ist erwiesen, Dein Name leuchtet als der eines Ehrenmannes. Kathinka wird Dich nicht vergiften; sie büßt ihr Verbrechen im Kerker.“

Das Gespenst stand eine Minute lang dem alten Bergmanne gegenüber still, unbeweglich, einem Schemen gleich, aber die kleinen Augen glühten wie Kohlen auf die vier Menschen, dann stieß es plötzlich einen so gellen, fürchterlichen Schrei aus, daß die drei, auf’s Höchste aufgeregten Frauen ebenfalls schreiend zusammenbebten und einer Ohnmacht nahe waren. Unwillkürlich umfaßten sie sich und starrten die gräßliche Gestalt an. Diese ließ mm die Worte erschallen:

„Den Ring! Her den Ring! Aurelie, Caroline, gebt den Ring! Gebt Brod! Brod! Brod! Ich verhungere!“

„Barmherziger Gott!“ raunte Aurelie Carolinen zu. „Es ist die Stimme, es ist die Gestalt unseres Vaters, wie sie mir wie aus einem Traume in der Seele auftauchen. Er lebt, er ist’s, dieser Unglückliche.“

„Das ist kein lebendes Wesen, das ist sein Geist!“ versetzte das Mädchen schier außer sich.

„Nicht doch, Kind! wie sollte ein Geist so nach Brod schreien? Wir gehen der Lösung dieses Räthsels entgegen.“

„Hier ist etwas Brod!“ sagte der Bergmann zu der Gestalt. „Und im Sacke hab’ ich noch mehr Brod und auch Fleisch und Wein. Das sollst Du im Elisabethen-Schacht haben, Rabe. Fort! Flattere voran, wir folgen Dir! Dann erhältst Du auch den Ring, hörst Du, den Ring der Königin! Und auch das Dir gestohlene Gold! Begreifst Du’s?“

Wiederum stieß das Schachtgespenst einen unheimlichen Schrei aus und wieder hörten die geängstigten Frauen das Geheul:

„Brod! Brod! Fleisch! Wein! Den Ring! Das Gold! Aurelie und Caroline! Im Elisabethenschacht! Fort, zum Elisabethenschacht!“

Und das Stück Brod dem Obersteiger entreißend und es verschlingend, wie ein Wolf, stürmte der unheimliche Schachtbewohner voraus und die Andern nach. Das war eine wilde Hetze in den schrecklichen Gängen! Das ging über Stock und Stein, bald durchgezwängt durch enge Spalten, bald auf allen Vieren gekrochen durch niedrige Löcher. Aber diese Frauen waren durch die Liebe zu Heldinnen geworden; sie folgten dem Gespenst und dem Bergmanne unverzagt durch Dick und Dünn, durch das schier endlose Labyrinth von einem Gange in den andern, immer vorwärts auf der grausigen Jagd.

„Kein Mensch auf der Welt fände diesen Weg,“ sagte der alte Bergmann zu den Frauen. „Wer sich hier hereinwagte, müßte ohne Gnade umkommen. Er allein kennt da jeden Schritt und Tritt.“

Endlich war der Gang vor ihnen mit Hölzern und Steinen versperrt.

„Wir sind am Ziel!“ sagte Ambrunn. „Jenseits dieser leichten Wand ist der Elisabethenschacht; dort sind die Verschütteten. Ruft jetzt aus Leibeskräften und legt zu gleicher Zeit Hand an.“

Die Frauen stürzten herzu und rissen Hölzer und Steine fort. Sie entwickelten Kräfte, wie Riesinnen aus der Götterzeit. Dazwischen stießen sie ein Helles Geschrei aus.

„Bernhard! Eduard! Karl! Hoho!“ so erschallte es von den schönen Lippen, und der alte Bergmann vereinigte seinen Ruf mit dem ihrigen, ja, das Gespenst schien zu wissen, um was es sich handelte, es stieß fort und fort jenes heulende Geschrei aus und entfernte eben so gut Hölzer und Steine, wie die Andern. Nicht, lange, und es wurden Stimmen von jenseits vernommen. „Hülfe’, Rettung!“ erscholl’s hüben und drüben. Die Versperrung wurde auch dort weggerissen und nach wenigen Augenblicken jubelten sie einander in die Arme, an die Lippen, an die Herzen zum seligberauschenden Kusse, Aurelie an des Gatten Brust, Lina von Eduard umschlungen, Lieschen ohnmächtig vom Oberbergmeister gehalten.

Die Stimme des Schachtgespenstes brachte die Seligen wieder in die wirkliche Lage der Dinge. „Brod! Fleisch! Wein! Den Ring! Das Gold! Aurelie und Caroline!“ heulte es.

„Was ist das?“ fragte Liebheld. „Wer ist diese schauderhafte Gestalt? Ein Wahnsinniger?“

„Unser, Euer Retter, mein lebender, offenbar wahnsinniger. Vater, das berüchtigte, so sehr gefürchtete Schachtgespenst.“

„Dein lebender Vater?! Wer löst dieses Räthsel?“

„Das vermag ich allein hier,“ sagte der alte Obersteiger, indem er dem gierig zugreifenden Wahnsinnigen die versprochenen Lebensmittel verabreichte. Dieser setzte sich seitab auf den Trümmerhaufen und verschlang die Speisen mit thierischer Gierde, ohne sich um etwas weiter zu bekümmern oder Aufmerksamkeit auf die um ihn geführten Reden zu verrathen.

„Was ich bereits im Berggericht bekannt,“ fuhr der Obersteiger fort, „brauche ich hier nur zu wiederholen, um Alles aufzuklären. Die verdiente Strafe kommt mir recht, zumal mein Verbrechen heute meinem armen Jungen das Leben gekostet hat. Derweil der Verrückte da seinen Hunger stillt, und der ist groß, denn er hat, seit ich in Haft bin, nichts zu essen bekommen und hätte verhungern müssen, wenn Leberecht nicht den tollen Possen gespielt hätte – derweil also erzähl’ ich, wie das Alles gekommen.

„Ich hatte mich mit der Kathinka, die im Hause des Oberbergmeisters Holdrat als Magd diente und aus diesem mit der Tochter Marie, als diese den Bergmeister Schönebeck heirathete, in dessen Haus zog, verlobt und war ihretwegen einem hübschen braven Mädchen, mit welchem ich Jahre lang Umgang gehabt, untreu geworden; denn diese Kathinka war ein verführerisches Geschöpf. Nachher geschah mir ganz recht, daß sie den Bergmeister heirathete, als dessen junge Frau aus Verdruß über die entdeckte Leidenschaft ihres Mannes zur Magd gestorben war. Der Bergmeister war aber mit der Slovakendirne auch betrogen; sie hatte mich und ihn hintergangen, und auch mit dem Georg Theodoro vertrauten Umgang gehabt, als sie noch mit ihm zusammen in des Oberbergmeisters Hause war, ja der Grieche hatte mehr Gewalt über sie, wie ein anderer Mann. Der Oberbergmeister gerieth über das falsche Weibsbild mit seinem Schwiegersohne in arge Feindschaft, welche Theodoro benutzte, um darauf seine eigenen Pläne zu bauen. Er beschwatzte das treulose Weib, dem Bergmeister das vorräthige Gold mit Hülfe seines Ringes zu stehlen; dann wollte er sie nachkommen lassen oder sie abholen. Von diesem Verhältniß Theodoro’s zu Kathinka wußte ich aber damals nichts; ich war eben mit Blindheit geschlagen, so gut wie Herr von Schönebeck, und so wurden wir denn beide betrogen. Eigentlich verdienten wir’s auch nicht besser. Denn wie ich meiner Braut, so war er seiner Frau des zauberisch schönen, schlechten Weibsbilds wegen untreu geworden, und der Gram über solche Untreue hatte mir die Braut und ihm die Gattin getödtet. Ich habe Gottes Strafgericht späterhin, als ich hinter die Schlechtigkeit Kathinka’s und Theodoro’s kam, wohl eingesehen, aber damals war mein Herz noch voll blinder böser Rachbegierde gegen meinen Vorgesetzten, Herrn von Schönebeck. Und das wußte Theodoro und verführte mich mit der Vorspiegelung, er handle im Auftrage des alten Herrn von Holdrat – ich war dumm genug, das zu glauben, weil er bei diesem Alles galt – daß ich ihn versteckte, als er heimlich hierher kam, ja ihm auf alle mögliche Weise zum Diebstahl des Goldes behülflich war, nur um Schönebeck in’s Verderben zu bringen. Das aber ahnte ich nicht, daß auch des Bergmeisters eigene Frau mit dem nichtswürdigen Griechen gegen ihren Mann verschworen war. Der Diebstahl wurde ,so geschickt ausgeführt, daß Niemand eine Ahnung vom Thäter hatte; nur Herr von Schönebeck muß – ich weiß nicht wie, dahinter gekommen sein, daß sein Weib, welchem er so viel geopfert, dabei betheiligt, sei, und er ist schwach genug gewesen, sie dessen in’s Gesicht zu beschuldigen. Darauf hat sie ihn vergiften wollen. Vielleicht hat er schon einen Theil des Giftes genossen und Argwohn geschöpft; denn er hat die vergiftete Suppe seinem Hund gegeben, welcher [173] daran krepirt. Dieses Schicksal und der Gedanke, mit einem bescholtenen Namen leben zu müssen, raubte dem Bergmeister den Verstand.

„Eines Nachts entwich er aus seinem Hause und begab sich in die alten, abgebauten und verfallenen Gruben. Einige Tage später trat er mir Abends, als ich noch allein im Schachte verweilte, verhungert entgegen, und schrie mich um Brod an. Mich schlug das Gewissen, ich erkannte, wie schwer ich mich an dem armen Manne versündigt hatte. So hab’ ich ihn denn treu mit Brod, Licht und Kleid versorgt bis jetzt. Ich hatte guten Grund, das Geheimniß zu bewahren; denn ich mußte fürchten, sogleich unter den strafenden Arm der Gerechtigkeit zu fallen, wenn es bekannt würde, wie es denn jetzt richtig eingetroffen ist, zum Beweis, daß kein Uebelthäter der Strafe entlaufen kann. Der Unglückliche irrte nun in den alten Bauen herum, und zeigte sich zur Nachtzeit zuweilen auch in den neuen, wo ihn manchmal Bergleute gesehen haben. Daher kam dann das Gerede vom Schachtgespenst, das bald genug in Aller Mund war. Der Arme schrie und seufzte immer nach dem Ringe, und da er selbst im Wahnsinne eine Erinnerung daran behalten hatte, daß sein treuloses Weib beim Verbrechen, das ihn zu Grunde gerichtet, stark betheiligt war, so ist er selbst im Laufe der Jahre einige Male Nachts aus dem Berge gegangen und in sein Haus gestiegen – Gott weiß wie! – um den Ring, zu suchen, oder ihn dem erschrockenen Weibe abzufordern. Wir wollen sehen, was geschieht, wenn er nun den Ring bekommt.“

Aller Augen ruhten auf dem unglücklichen Opfer einer thörichten Leidenschaft; die beiden Schwestern betrachteten mit Ehrfurcht und Wehmuth ihren Vater, der nun, da sein Hunger gestillt war, mit dem gellen Rufe: „den Ring! den Ring!“ aufsprang.

[174] „Den Ring erhältst Du oben im Berggericht,“ redete ihn der Obersteiger an. „Dort hat ihn der König für Dich niederlegen lassen. Ebenso das Dir gestohlene Gold. Auf denn und eile, daß Du hinauf kommst!“

Der Wahnsinnige trat ohne Verzug den Rückweg an, und Alle folgten ihm mit ihren Lichtern auf dem mühseligen und gefahrvollen Wege. Sie erreichten glücklich den Ausgangsschacht, und der Kübel förderte sie allmählich an’s Tageslicht. Dort wurden sie vom Jubel der versammelten Menge empfangen, deren Blicke sich mit bestürzter Neugierde auf das Schachtgespenst richteten. Man hatte dem Armen einen Mantel übergeworfen, und so ging er schweigend zwischen seinen weinenden Töchtern und gefolgt von allen Anwesenden, gleichsam im Triumphzug – einem sehr wehmüthigen – nach der Stadt hinab und in’s Berggericht. Ein sich immer wieder neu gebärender Jubel erschallte auf diesem Wege; denn die Geschichte des unglücklichen Wahnsinnigen lief von Mund zu Munde.

Im Berggericht wurde er in ein Zimmer geführt, wo in jenem Kasten, welchen Eduard Kahlert mitgebracht, Goldbarren in Masse lagen und daneben auf dem Tische der verhängnißvolle Ring der Königin.

Der Wahnsinnige betastete mit seinen langen, dürren Fingern das Gold, gleichsam um sich von dessen Existenz zu überzeugen; dann ergriff er den Ring, betrachtete ihn genau, steckte ihn rasch an den rechten Zeigefinger und stand einige Augenblicke still und unbeweglich wie eine Bildsäule, während sich seine Züge auf eigenthümliche Weise verklärten. Plötzlich stieß er einen Schrei aus und stürzte zu Boden. Die Anwesenden eilten ihm zu Hülfe, fürchtend, er sei todt; aber er athmete, nur schwere Ohnmacht hielt sein Bewußtsein in Banden.




XI.
Die letzte Aufklärung.

Am Abende dieses Tags sagte Aurelie zu ihrem Gatten:

„Da ich nun das Geheimniß weiß, welches über dem Leben meines armen Vaters gelegen, und wir nach der heutigen Katastrophe Hoffnung schöpfen dürfen, daß das getrübte Licht seines Geistes wieder klar leuchten wird, so wirst Du nun doch auch mir den Schleier heben, welcher über dem Zusammenhange Eduard Kahlert’s und Deiner selbst mit den hiesigen Ereignissen liegt. Nun werd’ ich doch erfahren dürfen, wie Eduard zu dem hier gestohlenen Golde und dem Ringe der Königin gekommen ist?“

„Gewiß, mein liebes Weib!“ entgegnete Liebheld ernst. „Ich habe Eduard nun mein ihm verpfändetes Wort gelöst, und Du sollst diesen Abend noch, wenn Lina und Lieschen zu Bette gegangen sind, aus Eduard’s und meinem Munde erfahren, daß nicht allein über Deines Vaters Leben, sondern auch über dem des meinigen und des seinigen der Schleier eines Geheimnisses liegt, und daß der letztere viel schlimmerer Natur ist, als der erstere. Deshalb darf er nur Dir gehoben werden und durchaus keiner Seele weiter. Selbst Lieschen, die, wie Du erfahren wirst, auch dabei betheiligt ist, darf die nähern Umstände nicht erfahren. Gerade deshalb Hab’ ich seither so große Vorsicht angewandt, daß dieser Schleier auf einer bösen That, welche nach unsers Dichters wahrem Worte fortwährend Böses gebären mußte, liegen bleibe und ihre schreckliche Fortzeugungskraft ersticke.“

Aurelie kam in eine feierlich ernste Stimmung, die sich steigerte, als ihr Gatte ihr später die Hand bot, und sie in Eduard’s Zimmer führte, welches nur matt erleuchtet war. Alle drei nahmen auf dem Sopha Platz, und Eduard begann mit hörbar bewegter Stimme:

„Wir sind Ihnen volles Licht über die Verhältnisse unserer Väter schuldig, aber gestatten Sie meinem Schmerze, daß es ein Blitzstrahl sei, der nur für einen Augenblick die grausigen Gestalten beleuchte, um sie dann für immer in Nacht versinken zu lassen. Und so lassen Sie mich denn gleich das entsetzlich bezeichnende Wort aussprechen: Ihres Gatten Vater und der meinige waren beide Mörder, Raubmörder und jeder hatte einen Doppelmord auf der Seele. Sie haben schwer dafür gebüßt und ihre Blutschuld beide mit dem Leben bezahlt. Aber eine wunderbare Fügung der Vorsehung, die wir mit staunender Demuth verehren müssen, hat gewollt, daß sie die Mörder jenes Griechen Georg Theodoro wurden, welcher an Ihrem Vater schwere Verbrechen verübt hatte. Hören Sie denn: Mein Vater hatte in der kleinen Stadt an der Donau, aus welcher Lieschen gebürtig ist, einen jener ordinären Gasthöfe gepachtet, wie wir sie meist in solchen Städtchen und Dörfern finden. Aber er hatte entschiedenes Unglück. Er mochte beginnen, was er wollte, es ging rückwärts mit ihm. Er selbst hatte kein Vermögen, und meine Mutter, die er aus Liebe geheirathet, die ihm aber auch nichts mitgebracht, lag Jahre lang an einem unheilbaren Brustübel darnieder. Es waren ihm schon einige Kinder gestorben, andere kränkelten. Ich selber hatte zu jener Zeit als Knabe alle erdenklichen Kinderkrankheiten zu überstehen. Mein Vater hatte schon ein paar Termine den Pachtzins nicht bezahlen können, und es war wieder ein solcher vor der Thüre. Zahlte er diesmal nicht, so wurde er ermittirt, seine Caution ging verloren; er war ein Bettler, wußte nicht, wohin, nicht was beginnen, und Frau und Kinder lagen krank. Die Verzweiflung raubte ihm fast den Verstand. Er hatte keinen Freund, als einen Musikanten, der Sonntags zum Tanze im Gasthause aufspielte, gern etwas Gutes aß und noch Besseres trank, aber stets Ebbe in seiner Casse hatte. Auch dieser Mann hatte Frau und Kind, die mehr Hunger litten, als dem Menschen zuträglich ist. Uebrigens war er, wie die meisten Musikanten, ein lustiges, leichtsinniges Blut, und mit seiner Moralität war’s nicht weit her. Sie haben schon errathen, daß er der Vater Ihres Gatten war. Schon hatte er dem meinigen einige verbrecherische Vorschläge gemacht, um Geld zu gewinnen, und wenn der arme, verzweifelte Gastwirth auch vor solchen Dingen zurückgebebt war, so war er doch durch des Musikanten Überredungskunst allmählich mit solchen verwegenen Gedanken vertraut geworden.

„Um diese Zeit hielt sich ein ungarischer Handelsmann einige Wochen im Gasthofe meines Vaters auf, und machte von da verdächtige Streifzuge in die benachbarten, auch wohl entferntern größern Städte. Der Musikant Liebheld, den er zuweilen mitnahm und zur Ausführung von Aufträgen gebrauchte, entdeckte, daß alle diese Wege nur einen Zweck hatten, rohes Gold bei Goldschmieden, Goldschlägern, Vergoldern, Bankiers zu verkaufen. Genug, die beiden Freunde kamen dahinter, daß der Ungar einen hohen Werth von ungemünztem Gold und viel Geld besaß.“ – Der Sprecher hielt einige Minuten an, und trocknete sich den Schweiß von der Stirne. Es wurde ihm schwer, fortzufahren. Als er wieder begann, zitterte seine Stimme.

„Lassen Sie mich schnell über die That hingehen. Die beiden Männer haben den Fremden erschlagen, und seinen Schatz an sich genommen. Liebheld steckte die Leiche in einen Sack, und trug sie in der Nacht des Verbrechens nach der Donau, um den noch mit Steinen beschwerten Sack hineinzuwerfen. Die Thäter hatten nicht daran gedacht, daß es die Osternacht war. Als der Musikant die Leiche versenkt, taucht neben ihm ein Weib auf, welches ihn beim Namen nennt und ihm geradezu Schuld gibt, er habe einen Menschen in’s Wasser geworfen. Die Folge war, daß Liebheld, rasch entschlossen, die Frau beim Kopfe nimmt, und sie schnell, wie ein Gedanke, köpflings hinterher stürzte. Er hörte Fußtritte in der Nähe und entfloh. Auf das Weib, welches Osterwasser schöpfen wollte, hatte eine Freundin gewartet. Liebheld war nicht von dieser erkannt, kein Verdacht fiel auf ihn, keiner auf meinen Vater. Sie benahmen sich vorsichtig. Der ungarische Handelsmann war natürlich abgereist. Der gemordete Mann war, wie Sie bereits wissen, Georg Theodoro, der Dieb des Goldes, der Verderber Ihres unglücklichen Vaters, das Scheusal, welches der ihm vertrauten Frau desselben das Gift gegeben und sie beschwatzt hatte, ihn damit aus dem Wege zu räumen. Das gemordete Weib war die Frau des Postschaffners und die Großmutter unseres Lieschens.“

Aurelie schlug die Hände vor Verwunderung zusammen, und drückte sie dann vor’s Gesicht. Es vergingen wieder einige Minuten der tiefsten Bewegung der drei Menschen, ehe Eduard fortfuhr: „War meinem Vater früher Alles zu Unglück gegangen, so ging ihm jetzt Alles zu Glück. Zwar starben meine Mutter und meine Geschwister und ich blieb allein übrig, aber er machte nach Jahr und Tag eine glänzende Partie in unserer Heimathstadt, kaufte den „grünen Baum“, brachte ihn empor und wurde mit der Zeit ein sehr reicher Mann. Aber die Entdeckung stand immer drohend vor seiner Thüre. Liebheld nämlich, der ihm auch nach dem neuen Wohnorte gefolgt war, hatte sich dem Trunke ergeben, wurde immer leichtsinniger, schwatzhafter und gewissenloser. Seinen Theil des Blutgeldes hatte er durchgebracht und dabei seine Gesundheit gründlich ruinirt. Plötzlich schlug er um und wurde von Gewissensbissen [175] gemartert. Das Schwert der Vernichtung hing fort und fort an einem Pferdehaar über meines Vaters Haupte. Dieser Zustand wurde ihm unerträglich. Er beredete den kranken, dem Grabe rasch zueilenden Liebheld, sich zu seiner Heilung mit Osterwasser zu waschen, aber damit es wirksamer sei, am Flusse selbst. Er begleitete ihn in der Osternacht dahin, um, wie er vorgab, ihm zu helfen, und stieß ihn in den Strom. Sie, meine Freundin, waren die Zeugin dieser That, und sie wurde die Veranlassung zu Ihrer Verbindung mit meinem armen Freunde. – Sie wissen, wie mein unglücklicher Vater seine Schuld in einer spätern Osternacht büßte. Auch er hat sich mit Osterwasser rein gewaschen. Er hatte nicht mehr so viel Kraft, nach der Donau hinabzugehen; er nahm die Reinigung im nahen Marktbrunnen vor. Er hinterließ mir ein umständliches Bekenntniß mit der Aufforderung, die Erben Theodoro’s aufzusuchen, und ihnen das geraubte Gut zurück zu geben. Wir fanden nach langer Mühe das – Schachtgespenst.“




XII.
Segen aus Fluch.

Nicht im illuminirten Goldschacht sollte die Verlobung der beiden Liebespaare stattfinden, wie der eitle Oberbergmeister von Hammerstein beabsichtigt und angeordnet hatte, das Schicksal hatte dazu ein den Verhältnissen angemesseneres und würdigeres Local bestimmt; auch sollte dabei nicht die rauschende Freude eine glänzende Rolle spielen, sondern die stille Wehmuth als ein schicklicherer Gast am Lager eines sterbenden Mannes knieen.

Zwanzig Jahre lang hatte der schwächliche Körper des Herrn von Schönebeck die feuchte, verdorbene Luft des Bergschachtes, ein elendes Lager in hartem Gestein, eine schlechte Kost und eine dürftige Kleidung ausgehalten, aber es war der Wahnsinn, welcher diesen armseligen Lebensfunken immer im Glimmen erhalten hatte. Jetzt, nach langer Ohnmacht, war der Wahnsinn von ihm gewichen, und er durfte sich mit erneuter Klarheit des Geistes seiner wiederhergestellten Ehre und der zärtlichen Liebe seiner Töchter erfreuen, aber der Lebensfunken wurde von dieser Freude um so sichtlicher aufgezehrt, und eilte rasch seinem Verlöschen entgegen. Es war die untergehende Sonne eines durch Leidenschaft getrübten Lebens, welche ihn auf einige Augenblicke mit dem vollen Glänze irdischer Seligkeit überstrahlte.

In feine Linnen gehüllt, lag der schwergeprüfte Mann im hellsten, schönsten Zimmer seines Hauses im reinlichen Bette, gepflegt von süßer Kindesliebe, die er bis jetzt hatte entbehren müssen, und sein mattes Auge glänzte von Wonne auf die edlen Gestalten, die vor ihm wandelten. Er hatte den Wunsch ausgesprochen, seine Kinder und Lieschen nebst den geliebten Männern zu segnen und die Hände der beiden Paare zusammen zu legen, und der Arzt hatte zur Eile getrieben; denn der Rest von Kraft schwand dem Kranken rasch. So waren sie denn um ihn, deren Liebe den Scheidenden mit dem erfahrnen Hasse versöhnt hatte; er winkte sie heran, und Eduard und Caroline, Hammerstein und Lieschen knieten in der vordern Reihe als die zu Verlobenden, Liebheld und Aurelie mit ihren beiden Kindern als die schon Verbundenen, die aber auch des Vaters Segen empfangen wollten, dahinter vor dem Bette. Mühsam, aber selig lächelnd, legte er die abgemagerte Hand auf ihre Häupter, und flüsterte einen Segensspruch. Alle weinten still; denn Jedes wußte, was nun folgen würde. Und er stand schon unsichtbar zu Häupten des Geprüften, der Engel der Vollendung, und strich jetzt mit leiser Hand über seine Züge hin. Sie verwandelten sich; das Auge brach. Er sank zurück in die Arme seiner Töchter, und hauchte an ihren Herzen die Seele aus.

Eine stille Minute ging vorüber. Dann sprach Liebheld:

„Gönnen wir ihm nach solch wirrem, trüben Leben und nach solchem verklärenden Abendschein den süßen Tod. Uns aber laßt der ewigen Liebe danken, die uns aus Fluch und Verbrechen die Segenssaat des Glücks und der Liebe hervorsprießen läßt. Seht, wie auch der geängstete Mensch irre, zuletzt siegt doch Gott, und führt gute Herzen zu Glück und Frieden.“

Die Paare umarmten sich. Trotz aller Rührung aber dachte Lieschen, als sie von dem schönen Verlobten an die Brust gedrückt wurde: „Das Osterwasser hat mir wirklich Glück gebracht, wie mir die Mutter gesagt, und ich hatte es noch nicht einmal geschöpft.“



Anmerkungen (Wikisource)

  1. Vorlage: Körkraft
  2. Vorlage: gegerade