Das Reisen vor 200 Jahren im Oberharz
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Vor zweihundert Jahren war der Oberharz
recht unwegsam. Nur einige Wege, wie die
wenigen Poststraßen, waren verhältnismäßig
leicht zu befahren, im allgemeinen war eine
Reise im Harz sehr beschwerlich. Recht interessant
ist ein aus dem Anfange des 18. Jahrhunderts
stammender Bericht über das Reisen
im Oberharz, den wir im Auszug folgen lassen:
„Ihrer viele, welche sonst gern die Kuriosität haben würden, den Oberharz zu besuchen, lassen sich durch die schlimmen und oftmals gefährlichen Wege davon abschrecken. Nicht an allen Orten findet man diese schlechten Wege, die Haupt- und Postwege durch den Harz – über Osterode, Clausthal-Zellerfeld und Goslar – sind größtenteils ausgebessert, so daß man mit einem gewöhnliden Wagen wohl fortkommen kann. Auch der Weg von Nordhausent über Lauterberg nach Andreasberg war noch erträglich, andere Wege sind aber sehr beschwerlich und gefährlich. Man gerät bisweilen in solche Felsen und Klüfte, die so enge sind, daß man weder zurück noch vorwärts kommen kann, wenn man nicht Achsen und Räder zerbrechen will. An anderen Orten liegen solche große und hohe Steine im Wege, daß weder die Räder der gewöhnlichen Mietkutschen noch die Kästen der Wagen sie übersteigen können. Wer einmal das Unglück hat, auf eine solche Stelle zu geraten, hat keinen anderen Rat, als daß er die Pferde hinter den Wagen spannt und alsdann mit Mühe und Not aus diesen engen Passagen sich wieder in das Weite begibt. Bisweilen, wo die Wege nicht durch Felsen gehen, sind die Straßen so tief, daß die Räder bis zu den Achsen in den Sumpf und Morast hineinfallen, oder es stemmen sich Wurzeln den Rädern entgegen, so daß viele Stunden zugebracht werden müssen, bis entweder die Wurzeln weggehauen sind oder große Steine herbeigeschafft sind, die den Rädern untergelegt werden.“
Solch unbequeme Straßen fand man von Grund bis Wildemann und Lautenthal, von Goslar bis Altenau und von dort bis Andreasberg und weiter von hier bis Herzberg. Der Verfasser empfiehlt dann den Fremden, die den Harz besuchen wollen, sich einen ehrlichen, der Wege kundigen Boten zu suchen. „Ein solcher weiß oft Nebenwege, wo man die schlimmsten Berge, gefährlichen Felsen und engesten hohlen Wege umfahren kann. Ist der Führer ein bekannter Mann, so haben auch die Kohlenfuhrleute, welche größtenteils ziemlich unglimpfliche Burschen sind, vor einem solchen mehr Respekt als vor dem vornehmsten Herrn, der im Wagen sitzt. Ein freundliches Zureden eines Mannes, den sie kennen, wirket mehr, daß sie mit ihrem Kohlenkarren, wenn sie einem Reisenden auf der Straße begegnen, aus dem Wege fahren, als die stärksten Vorstellungen vieler Passagiere.“ Man solle aber, so schreibt der Verfasser weiter, sich in acht nehmen, daß man nicht einen liederlichen, „versoffenen“ Führer nehme, der nachher, wenn Not am Mann sei, fortlaufe, so daß der Reisende nicht wisse, wo der Führer geblieben sei.
„Es ist am sichersten, wenn man die gewöhnliche Staatskarosse oder den Wagen, den man sonst zu seiner Bequemlichkeit auf seiner Reise bei sich führt, an einem der am Fuße des Harzes gelegenen Orte stehen läßt. Wer vom Reiten kein Liebhaber ist, entschließt sich am besten zu demjenigen Fuhrwerke, welches hier Mode und nach der Beschaffenheit des Harzes eingerichtet ist. Es ist ein Wagen mit zwei Rädern und oben mit einem halben Himmel bebeckt, vor welchen je nach der Last und dem Wege ein, zwei, drei oder auch mehr Pferde hintereinander vorgespannt werden. Der Wagensitz hängt in Riemen, und die Räder stehen auf hohen Achsen und sind nach den engen Gleisen eingerichtet. Wenn man aber in die Städte des Oberharzes mit einem gewöhnlichen Obersächsischen Wagen, der mit einem ganzen Himmel bedeckt ist, ankommt, so bleiben sehr viele Leute stehen, sehen dergleichen Wagen als eine große Rarität und als eine ganz außerordentliche Sache an und wundern sich, wie es möglich gewesen, daß man mit dergleichen Fuhrwerk habe auf den Oberharz kommnen können.“
Über das Verhalten der Oberharzer Bevölkerung gegenüber den Fremden, wie es vor 200 Jahren üblich war, hat der Berichterstatter nicht gerade Lobenswertes zu sagen. Er meint, daß die rauhe und kalte Luft den Oberharzern auch eine rauhere Gemütsbeschaffenheit bringe, wenigstens träfe dies bei einem großen Teile der Bevölkerung zu. Die Fremden erfahren den Satz: „Je rauher der Harz, je gröber der Harzmann“ schon unterwegs, wo die Kohlenbrenner und Fuhrleute, die für die Schmelzhütten Erze fahren, oft wenig Meinung zeigen, auf der Straße für die Vorbeifahrt Platz zu machen. „Sie dünken sich mehr privilegiert zu sein als die Postillione und sagen öffentlich: Es müßten ihnen alle Fürsten und Potentaten, auch ihr Landesherr selbst, wenn sie nicht gutwillig nachgeben wollten, wenn sie mit Kohlen oder Erzen [45] beladen wären, aus dem Wege weichen.“ Sobald der Reisende in Clausthal angekommen ist, „versammelte sich eine große Menge ungezogener Jungen, welche auf ungestüme Art um seine Gabe anhielten, und nicht allein viele Stunden mit ihrem beständigen Zuruf: Herr Vetter! (heute würden sie wohl „Onkel“! rufen) die Fremden beunruhigten, sondern auch eine Gasse auf die andere verfolgten.“
Aber nicht alle Oberharzer kommen in dem Bericht so schlecht weg, die Bergleute sind dem Verfasser wohl freundlicher erschienen. „Die Bergleute sind lustigen Humors und verzehren ihr Geld oft mit Klingen und Singen. Wenn sie in Gesellschaft beisammen und sie keine anderen musikalischen Instrumente bei sich haben, wickeln sie ihre gewöhnlichen halbausgeschnittenen schwarzen Leder, die sie auf dem Hinterteil ihres Leibes führen, zusammen, und wissen mit selbigen einen solchen Ton zu formieren, der von weitem der Musik der Waldhörner ziemlich ähnlich ist.“
So hat der Reisende „viele Kuriositäten“ vor 200 Jahren bei seiner Reise auf dem Oberharze kennen gelernt, und er schreibt zum Schluß von dem Oberharze die auch heute noch zutreffenden Worte: „Die Landesgegend verdienet gewiß vor vielen anderen in Deutschland, daß sie von denjenigen, welche Liebhaber der Merkwürdigkeiten der Natur und Kunst sind, besuchet wird!“