Das Passeyerthal und Hofer’s Wohnhaus
[623] Das Passeyerthal und Hofer’s Wohnhaus. Das Gebirge besteht hier aus lauter Geröll und Conglomerat; es gleicht einem harten Teige, in den eine ungeheuere Masse von Steinen hineingeknetet ist. Sobald nun der Regen diese lockeren Abhänge auflöst, entstehen Erdstürze und Schlammströme. Die Bewohner dieses Thales, wenigstens die Männer, sind schön und stark; durch einen gewissen Stolz und eine ritterliche Haltung, die man jetzt bei den Bergvölkern selten findet, zeichnen sie sich vor ihren Nachbarn aus. Im Oetzthale hörten wir, daß die Passeyer so gesund und frisch seien, weil die Luft und die Quellen so rein wären. Doch wollte es uns bedünken, als ob die Erinnerung an ihre Kriegsthaten unter Hofer diesen einfachen Menschen einen edlen Stolz einflöße. Auch grüßten sie keineswegs so zuvorkommend und freundlich, wie wir es in anderen Thälern gewohnt waren, ein Zeichen ihres Selbstbewustseins. Häßlich war der Kopfputz der Weiber, ein turbanähnlicher Wulst von Wolle; ihre Strümpfe waren in allen Dörfern roth. Nachdem wir etwa 4 Stunden zurückgelegt hatten, betraten wir das Dorf St. Martin, dessen Häuser unsere Aufmerksamkeit [624] in Anspruch nahmen. Da sah man große Frescogemälde in Lebensgröße, nicht schlecht gefertigt und Heiligenbilder darstellend; daneben allerlei Verslein, wie z. B.
„Euch, St. Martin und St. Benedict,
Vertrauen wir dieses Hauses Glück.“
oder:
„Dir, o St. Gertraud,
Dieses Haus sei anvertraut.“
Eine Hochzeit, welche in diesem Dörflein gefeiert wurde und zu der man sich eben versammelte, brachte uns die hübsche Sonntagstracht der Passeyer Burschen recht zu Gesicht. Sie sahen uns aber gar ernst und feierlich aus, und wir machten uns mit ihnen nichts zu schaffen. Nach einer kleinen Stunde erreichten wir das Wirthshaus Am Sand, welches am östlichen Ufer liegt. Es ist bekanntlich der Geburtsort des Andreas Hofer und wird von allen Reisenden, die nicht die Pietät aus den Augen setzen, als eine heilige Stätte besucht. Es liegt einsam, von dem Dorfe St. Leonhardt durch einen bedeutenden Zwischenraum entfernt. Der Eigenthümer führt immer den Namen „der Sandwirth“; jetzt ist es Andreas Erb, Hofer’s Schwiegersohn. Die Frau und die Tochter jenes Helden sind bereits gestorben. Das Gastzimmer ist unten, und man findet darin durchaus nichts, wodurch es sich von der Einfachheit der ländlichen Wirthshäuser unterschiede. Aber eine Treppe hoch gelangen wir in das eigentliche Heiligthum, wo wir die zahlreichen Reliquien des braven Hofer betrachten können. Da finden wir eine große Schachtel mit seinem Gürtel, der da beweist, daß er einen ziemlichen Umfang gehabt hat. Außerdem befindet sich darin seine Jacke und seine rothe Weste. Auf dem Tische liegt unter Glas und Rahmen das Original seines letzten Briefes, den er vor seiner Hinrichtung in Mantua schrieb. Er ist unorthographisch, und nur mit großer Mühe gelingt es uns, ihn zu entziffern, wobei die stete Rücksicht auf den hiesigen Dialekt aushelfen muß. An den weißen Wänden hängen sechs kleine illuminirte Ansichten von Innsbrucker Gegenden, ein kleines farbiges Hautrelief von Hofer, eine Lithographie des Basreliefs zu Innsbruck und der Statue von Professor Schaller. Außerdem bemerken wir auf dem Tische noch die beglaubigte deutsche Uebersetzung von Hofer’s Todtenschein, abgefaßt von einem Geistlichen und datirt aus der Festung Mantua am 26. August 1814. Wir bestellen ein Mittagsessen und blättern inzwischen ein wenig im Fremdenbuch, eine Unterhaltung, welche so oft die unausbleiblichen Lücken auf unseren Fußreisen ausfüllen muß. Da finden wir unter Anderem die Bemerkung eines Franzosen, der da sagt: „Ich bewundere den Helden; aber kommt in unsere Vendee, und statt eines Hofer, werdet ihr deren dort zwanzig finden.“ Ein deutscher Patriot hat sich nun über diesen Franzosen hergemacht und ihm nachdrücklich den Text gelesen, und hinter diesem hat ein deutscher Kosmopolit drei Ausrufungszeichen gesetzt und geschrieben: „Was würde der Franzose sagen, wenn er dieses Gewäsch läse?“