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Das Paradies in Central-Amerika

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Textdaten
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Titel: Das Paradies in Central-Amerika
Untertitel:
aus: Die Gartenlaube, Heft 36, S. 388–391
Herausgeber: Ferdinand Stolle
Auflage:
Entstehungsdatum:
Erscheinungsdatum: 1853
Verlag: Verlag von Ernst Keil
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Erscheinungsort: Leipzig
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Originaltitel:
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Originalherkunft:
Quelle: Scans bei Commons
Kurzbeschreibung: Brief eines Deutschen aus Nicaragua
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[388]

Das Paradies in Central-Amerika.

(Aus dem Briefe eines in Nicaragua lebenden Deutschen.)

Du weißt, ich liebte stets schöne Natur, schöne Mädchen, schöne Kunst, aber nichts so treu und redlich, als das süße, holde Nichtsthun mit Cigarren dazu rauchen. Aber wo das dolce far niente, die süße Gewohnheit des Daseins (am Ende doch das Ideal und Ziel auch des fleißigsten Büffels) finden? Die Engländer haben zu viel zu thun, die Deutschen zu viel zu leiden, die Franzosen zu viel Purpur und köstliche Leinwand (auch bereits mit Baumwolle vermischt) zu bewundern. Unter diesen hielt ich es weder in Europa noch in Amerika aus. Alles ist Laden, Büreau, Geschäft, Schacher, Wucher, Geldmachen, Geldgeben hier wie dort. Ich sehnte mich nach einer Gegend, wo ich mit Ruhe ruhig sein könnte. So ich nicht arbeite, will ich doch essen und genießen, dachte ich. Ich war früher ganz anders, freilich; aber was kann ich dafür, daß mich die Schicksale in Deutschland und auf meinen Reisen so änderten? Ich bin nicht schuld, ich klage die Fleißigen an, daß ich so träge geworden bin. Nirgends kommt ein Mensch mehr zu sich vor lauter Arbeit, Plack und Qual. Nirgends hört man sein eigenes Wort vor all dem Maschinenlärm aus eisernen Rädern und von schwieligen Händen. In Amerika fand ich’s noch ärger wie in Deutschland. Ich dachte an Australien, aber nur eine Minute. Australien ist eben im Bau begriffen und Alles läuft und schreit und liegt durch einander und schneidet sich gegenseitig die Beutel, wohl auch die Hälse ab und steht bis an den Nabel in Schmutz und zerhackt die jungfräuliche Erdenhaut, um ihr das Gold auszuschneiden. Wenn Alles fertig ist, muß es wunderschön sein. Um etwas zu vollenden, muß man arbeiten. Ich aber wollte eine faule Bärenhaut, um von dem Lärm des Lebens auszuruhen und meine vielen innern Wunden zu heilen. Niemand darf sagen, daß man es mit solchen Grundsätzen nicht weit bringe in der Welt. Hab’ ich’s doch damit ziemlich weit gebracht, nämlich bis nach der Republik Nicaragua auf der andern, heitern, noch in seiner natürlichen Fülle und ewig lachenden Sonne mit dem süßesten Nichtsthun beschäftigten Seite Amerika’s, die sich im stillen Ocean spiegelt und immerwährend Confect, das die Natur bäckt und zuckert, dazu genießt. Wenigstens ist’s so bei mir zu Hause. Von Californien, Mexico und was sonst noch Alles auf dieser Seite liegt, rede ich nicht. Ich bin zu Hause, ich bin Bürger der Republik der Schlaraffen, wo man die gütigste, schönste Mutternatur beleidigen würde, wenn man etwas thäte, da sie in diesem Falle glauben könnte, ihre Gaben ständen uns nicht an. „Des Lebens Mai blüht einmal und nicht wieder?“ Unsinn! Hier verblüht er niemals. „Pflücket die Rose, ehe sie verblüht?“ Wozu Rosen, die als Königinnen der Blumen in der Republik des Paradieses ohnehin Unruhe stiften und auf Umsturz der Verfassung duften könnten, da man hier das größte Treibhaus voll schönerer Blumen, Früchte, Vögel und anderer paradiesischer Thiere hat? Das Treibhaus, nicht mit einer Glas-, sondern mit der Himmelsdecke,[1] ist 3000 Geviertmeilen groß und die Republik Nicaragua selbst. Alles ist Garten, Blume, Duft und Frucht in einer stets luftigen Luft, die nie unter 18 Grad Réaumur sinkt und nie über 26 steigt. Letztere sind aber kaum so viel, als 18 in Deutschland, da der heiterste, lebenslustigste Zephyr stets von Westen kommt, er mag herkommen woher er will, nämlich stets vom Meere. Du mußt nämlich wissen, daß mein Paradies sich zwischen zwei Meeren hinzieht, dem stillen Ocean, an welchem Nichtsthun eine Cardinaltugend ist, und dem Nicaraguasee, der keine andere Beschäftigung hat, als dem Himmel, Sonne, Mond und Sternen als Spiegel zu dienen und die ganze Bevölkerung von Granada alle Morgen in seinen molligen Wassern herumplätschern zu lassen. Ich bin in der Regel auch dabei. Erst zögerte ich mit deutscher Tugend lange, mich der ländlichen Sitte anzuschließen; da ich aber bemerkte, daß ganz Granada, Alt und Jung, Arm und Reich (aber Arme giebt’s eigentlich nicht), Masculinum und Femininum mit der größten Naivetät und Anständigkeit in dem Wasser herumjauchzte und nur beim Ein- und Aussteigen überm Wasser von den Damen Stellungen angenommen wurden, die man an der medicäischen Venus bewundert [389] und durch verschiedene Beobachtungen sich als die wahrhaft unmittelbare erwiesen hat, trug ich nach kurzer Zeit kein Bedenken mehr, mich zu der üblichen Zeit Morgens dem Strome anzuschließen und dem kosmopolitischen Elemente anzuvertrauen. Ich erfuhr dabei, daß Rousseau eigentlich recht hat mit seinem Ausspruche, daß gerade die Bekleidung viele Schuld an der Demoralisation habe. Die Sünde ist hier weniger zu Hause als in irgend einer andern großen Stadt, obgleich das weibliche Geschlecht sich blos mit einem „Camisa“ (Hemd) von der feinsten Gaze und einem eben so unmateriellen Hüftenrock, mit Silber und Gold gestickt, bekleidet. Alles Andere, selbst der Hut erscheint überflüssig und lästig, nur daß die Füße in ein Paar farbigen, leichten Schuhen stecken. Zwar hat unsere Landsmännin aus Königsberg in Preußen, die mir gegenüber wohnt, eine Art Putzgeschäft etablirt und die Pariser Tracht einzuführen angefangen; sie dringt aber nicht in das Volk, schon wegen der Temperatur und dann auch, weil es zu viel Mühe macht, sich so einzuschnüren, zuzuheften und eine Menge Luxus mit Bändern und Stecknadeln zu befestigen. Die europäische Damentracht hat hier dasselbe Schicksal, wie die Bloomer-Costüme in England. Man lacht darüber und muß auch darüber lachen, da die hiesigen Damen sich gar nicht in dies Costüm finden zu können scheinen, darin furchtbar schwitzen und mit den Kleidern wedelnd die Straße fegen, als wären sie von Zucker, von welchem man immer die Fliegen wegfegen müßte. Charakteristisch ist’s, daß gerade die Damen, welche sich in europäischer Tracht sehen lassen, in schlechtem Rufe stehen. Im Anfange dachte ich, man könne die Damen in ihrer fabelhaft leichten Kleidung auch leichtfertig behandeln, überzeugte mich aber bald, daß auch hier „die Sittlichkeit, wie eine Mauer, umgiebt das zarte, leicht verletzliche Geschlecht,“ wobei ich natürlich blos an die wirklich gebildeten Kreise denke. Das männliche Geschlecht der ersten Klasse (Spanier, Regierung) trägt feine weiße Jacken, die zugleich das Hemd mit vertreten, eben solche Beinkleider, leichte gelbe Schuhe, einen feinen hohen Strohhut und eine blutrothe Schärpe um die Taille. Solch ein vornehmstes, vollständiges Costüm kostet nach Eurem Gelde etwa 21/2 Thaler. Die zweite Klasse, aus indianisch-spanischen oder indianisch-deutschen und anderen Mischlingen hestehend, trägt sich ebenso, nur ohne die rothe Schärpe, welche der Orden unserer Aristokratie ist. Die Indianer (dritte Klasse) begnügen sich mit Beinkleidern und Hut; alles Andere ist ihnen von Uebel; deren Frauen und Töchter vollenden ihre Toilette, indem sie ein weißes Tuch um die Hüften schlagen und einen Männerhut dazu aufsetzen. Kinder tragen bis zum 10., 11. Jahre gar nichts. Schneider und Kleidermagazine können also nicht hierher speculiren. Die Mädchen sind hier vom 11.–12. Jahre an Jungfrauen und die Knaben vom 13.–14. Jünglinge. Erstere heirathen oft schon im 12. Jahre. Meine schwarzäugige Nachbarin, die noch gar keine Toilette machte, als ich vor etwa vier Monaten hierherkam, trägt jetzt ihr Camisa und ihren goldgestickten Hüftenrock, denn sie ist Frau und feiert erst in etwa sechs Wochen ihren 14. Geburtstag. Die erste Klasse der Bevölkerung hier regiert und thut nichts, die zweite hilft regieren und thut auch nichts, die dritte nur läßt sich regieren und besorgt das Bischen Arbeit sehr heiter, fleißig und treu. Die Indianer und ihre Frauen und Mädchen bieten Früchte feil, Hunderte von kostbaren, süßen, duftigen Fruchtarten, von denen Ihr gar keine Ahnung habt, waschen und nähen, tragen Packete und Briefe, kehren und fegen und putzen, kaufen ein, schaukeln die Damen in ihren Hängematten, besorgen Pferde und Maulesel und was sich sonst für sie zu thun findet. Die zweite Klasse handelt. Fast in jedem Hause giebt’s etwas zu verkaufen, aber meist ohne Laden und Schild. Man kennt sich gegenseitig und Barthels weiß genau, wo er den Most holt. Unser Granada hat kaum 25,000 Einwohner in luftigen, größtentheils fensterlosen Lauben, die manchmal vergittert sind, größtentheils aber nur des Nachts mit vergitterten Läden geschlossen werden. Es ist Alles so offen und frei und durchsichtig, wie ich mir kaum einen größeren Gegensatz zu dem englischen Leben denken kann. Der ewig speculirende Engländer ist bis über den Hut hinaus, über das ganze Gesicht hinweg zugeknöpft und wohnt hinter Eisengittern in seiner stets verschlossenen Burg und hinter noch besonders verschlossener Thür und spricht entweder gar nicht, oder nur mit wenigen, einsilbigen, unarticulirten Stößen; wir Schlaraffen hier wohnen in offenen Gartenlauben, speculiren nicht und rauchen Cigarren dazu und sprechen so volltönig und wohlklingend gravitätisch, daß jedes Wort vokalreich einsetzt und austönt. Wir brauchen zu einem bloßen „Guten Morgen“ mehr Zeit und Worte, als der Engländer zu einem Geschäft um 100,000 Pfund. Er spricht nie, sondern stößt blos unwillig schauderhafte, unverständliche Töne aus; blos der Spanier weiß zu sprechen in der heitern, hellen Luft, die so liebenswürdig zum Müssiggange einladet. Karl der Fünfte hatte Recht, wenn er das Englische zur Unterhaltung mit Gänsen, das Spanische zur Audienz bei Göttern und das Deutsche zum Plaudern mit unsern Freunden empfahl. Deshalb schreibe ich republikanischer Spanier und Schlaraffe auch Dir, lieber Freund, in der reichen Muttersprache, die Du bereits in allen Höhen und Gegenden der Welt findest, wo Civilisation hingedrungen ist, und die jedenfalls das Organ aller Menschen für ihre geistigen und Herzensbedürfnisse werden wird, wie das Englische die Welt- und Geldsprache. Unser bequem und majestätisch austönendes Spanisch bleibt für die Götter der Erde, die holden, höhern Faullenzer von Profession und Genie.

Aber Du wirst nun fragen, was ich eigentlich hier mache? Wie gesagt: Nichts. Cartesius glaubte Wunder was zu sagen mit seinem „Cogito ergo sum“ (ich denke, folglich bin ich). Ich sehe mitleidig auf den großen Philosophen herab mit meiner Philosophie: „Ich bin, folglich brauch’ ich nicht zu denken. Ich bin, ich befinde mich.“ Wie? Das ist schon Luxus. Sich schlecht befinden, ist ein Mangel, sich wohl befinden ein Ueberfluß. Befinden! Befinden! Nichts als Befinden! Doch bin ich offen genug, Dir auch meine Schwachheiten zu bekennen. Ich habe nämlich [390] wirklich etwas gethan und sogar ein Amt bekommen. Es fehlte der Republik an großen Männern und so zog man mich verlornen Sohn Deutschlands aus der Sevilla-Straße in Granada hervor, setzte mich auf ein Pferd und führte mich durch einen prächtigen, 18 Meilen langen Garten voller Früchte und bunter, lärmender Vögel bis nach Managua, dem Regierungssitze des Präsidenten Frutos, und vor diesen selbst. Er trug keine Krone und keine Uniform mit Orden, sondern auch eine Leinwandjacke für 16 Neugroschen. Und doch jeder Zoll ein König mit der Cigarre im Munde! – Sollte ich eingesteckt oder ausgewiesen werden? Man strapazirt sich hier mit solchen Geschäften nicht ab. Nein der wunderschöne, majestätische Mann wies mit seiner Cigarre auf einen Stoß Papier und fragte mich, ob ich aus diesen letzten Congreßakten einen Auszug machen und in’s Englische übersetzen könne und wolle? (Ich erfuhr hernach, daß er der englischen Regierung ein Geschenk damit zu machen beabsichtige.) Meine Schwäche war so stark, daß ich die geheime Unterstaatssecretärstelle annahm und später auch einige Goldmünzen, die sich nachher in ungeheuer viel Silber verwandelten. Ich bin damit fertig und hatte nun ein Staatsgeheimniß in’s Englische zu übersetzen. Nur so viel will ich ausplaudern, daß es sich um das Stück Nicaragua an der atlantischen Seite handelt, welches die Engländer dem König der Mosquitoküste geschenkt haben. Das Aktenstück giebt durch die Blume zu versteben, daß es keine Kunst sei, Geschenke zu machen, wenn man sie vorher andern ehrlichen Leuten wegnähme, ohne sich hinterher wenigstens mit ihnen abzufinden. Frutos verlangt nun im Auftrage des Parlaments oder Congresses Ausgleichung von den Engländern. Was ich thun kann, um die Engländer zur Raison zu bringen, will ich gewiß thun trotz meiner grundsätzlichen Trägheit. Man muß sich doch um’s „Vaterland“ verdient machen. Nicaragua gehörte früher zu dem centralamerikanischen Polen, der berüchtigten Republik, die aus den jetzigen Republiken Guatemala, San Salvador, Honduras und Costarica bestand. Nicaragua’s Verfassung ist ganz der nordamerikanischen ähnlich. Und dieses anglo- sächsische Product scheint nun hier unter dem glücklichsten Klima selbst den Romanen zu bekommen. Das Land ist groß genug und hat auf seinen 3000 Geviertmeilen blos 260,000 Einwohner, so daß der Präsident blos halb so viel Menschen glücklich zu machen hätte als der Bürgermeister von Berlin, wenn Frutos solch ein Narr wäre, seine Urwähler glücklich machen zu wollen und die Urwähler noch größere Narren, ihr Glück nicht selbst zu besorgen und es lieber aus der Fabrik „Staat“ zu beziehen, der unter den besten Verhältnissen nicht ein so reiches Assortiment von Glückssorten fabriciren kann, um Jedes Geschmack zu befriedigen. Wenn jedem Narren seine Kappe gefallen soll, muß er sie selbst machen und nach seinem Willen schief, grade, links oder rechts, vorn- oder hintenüber tragen dürfen.

In Nicaragua (der Stadt, am See weiter im Norden) wohnen mehrere Deutsche und machen Chocolade, das Hauptgetränk der Bewohner (aber dünner gekocht und ohne Gewürz, welches zu sehr erhitzen würde). Ich beschloß, ihnen von Managua aus einen Besuch zu machen, miethete deshalb zwei Pferde und begab mich mit meinem Indianer als Wegweiser auf die Reise. Wir ritten immer durch üppige Wälder und wilde Gärten, die von Früchten und Thieren in allen Farben und Gestalten strotzten. Wenn wir in einem Gasthofe einkehren und „Einen nehmen“ wollten, streckten wir blos die Hand aus und rissen eine Frucht ab, besonders eine kokosnußartige, aber weit süßere, in die man ein Loch stößt, um sofort daraus die herrlichste Limonade trinken zu können. Hat man dabei noch Hunger, genießt man die haselnußartig-schmeckende, dicke Schale und sehnt sich dann nicht nach Braten und Kartoffeln. Fleisch wird hier überhaupt selten genossen, da man selten Appetit darauf bekömmt und es auch unter diesem Himmel bald wie Gift wirkt. Das gelbe Fieber ist eine Folge der Fleischnahrung und hitziger Getränke in heißen, besonders heißen und feuchten Ländern. „Ländlich, sittlich“ ist das erste Gesetz, besonders für die Diät.

Da wir auf unserer Reise durch verschiedene Lagunen und Sümpfe, die von der Regenzeit her noch nicht ausgetrocknet waren, zu Umwegen genöthigt wurden, waren wir nicht im Stande, Nicaragua vor Einbruch der Nacht zu erreichen. Mein Indianer ritt mit mir deshalb nach einem Indianerdorfe, wo er gute Freunde hatte und auch ein Weißer „über dem großen Wasser drüben her“ wohnen sollte. Die Indianer saßen und lagen vor ihren Hütten um einen alten Mann herum, der wie Baumrinde aussah, und ihnen Geschichten erzählte. Gleich in der ersten Minute fiel mir der ungemeine Wohllaut seiner Worte auf. Es klang wie lauter Vocale ohne S’s und R’s und ohne alle Härten. Es war die musikalische Sprache der Mosquito-Indianer, von denen sich einige bis hierher gezogen hatten, um den Handel zwischen den Mosquitodörfern im Innern und Nicaragua zu vermitteln. Ich hörte hernach, daß der ganze Handel (mit Fellen, Vanille, Gewürzen u. s. w.) durch solche Stationen durch’s Land hindurch nach Häfen und die eingetauschten Sachen auf diesem Wege wieder ins Innere geschafft würden. Den Weißen fand ich bald aus der Dunkelheit heraus, obgleich er auch schon ziemlich wie ein abgegriffener Kupferdreier aussah. Wir freuten uns wie Brüder, die sich seit 20 Jahren eben zum ersten Male wiedersehen, und theilten uns unsere Schicksale mit. Es war ein tüchtiger Berliner (geboren in der Mulacksgasse, wenn ich mich recht erinnere). Mit den verunglückten preußischen Mosquitokolonisten war er bis nach einer Insel gekommen, dort ziemlich verhungert und endlich von Engländern nach dem Lande seiner Träume herübergebracht worden, um hier Felle abziehen und zum Export präpariren und trocknen zu helfen. Da es im Königreiche der Mosquito’s Sitte sei, zu große Freundschaft mit verheiratheten Mosquitonerinnen für jeden einzelnen Fall mit 2–3 Stück Vieh zu büßen und er als heerdenlos immer stärker in Schulden gerathen, wär’ er mit der schönsten unverheiratheten davongegangen durch dichte Wälder hindurch, und endlich hier mit seiner jungen Frau (durch den Segen eines Dorf-Aeltesten getraut) als Fell- und [391] Waarenpostpferd angestellt worden. Er hatte einen hübschen Garten vor seiner Thür und rühmte sich, auch Weißbierbrauer zu sein, was ihm besonders viel einbrächte. Er setzte mir denn auch wirklich ein Getränk vor, das wie Weißbier schmeckte, sogar noch viel saurer. Es war Frucht-Most, der gährend sich vom Schaum geläutert, zum Trank geworden, der Geist und Sinn erheitert. Für einen solchen Weißbierbrauer und Kuhhauttreiber war die Frau zu schön. Sie hatte etwas Rührendes in ihren Bewegungen, besonders wenn sie jedesmal, nachdem sie etwas zum Essen oder Trinken angeboten, die Arme kreuzweise über die Brust legte, ihre braunen Augen aufschlug, senkte und sich selbst dazu. So eine Verbeugung könnte in den feinsten Salons Furore machen, wenn sie so natürlich gelänge. Mann und Frau lebten seit etwa sechs Wochen zusammen in der größten Glückseligkeit, ohne daß sie mit einander sprechen konnten. Sie lachte jedesmal, wenn sie Berliner Deutsch nachsprechen sollte und es nicht über die Zunge bringen konnte, und er verwechselte die vielen Vokale ihrer Sprache so oft und verwirrend, daß sie aus dem Lachen nicht herauskam, wobei sie sich öfter zu seinen Füßen warf und ihm ihre schneeweißen Zähne und dunkeln, braunen Augen mit einem solchen glücklichen Uebermuthe zeigte, daß er Mulacksgasse und ganz Berlin und ganz Europa vergaß und es immer noch für einen Traum hielt, mit einer indianischen Schönheit, die mit ihm gar nicht sprechen konnte, so überglücklich zu sein.

Wir blieben zwei Tage bei ihm, auf dem Rückwege noch länger. In Nicaragua verlebte ich bei den republikanischen Chocoladen-Fabrikanten aus Hannover, Baiern u. s. w. auch recht glückliche Tage. Jeden Morgen ging es zu Pferde nach dem etwa ein Stündchen entfernten großen See, wo die Natur alle ihre Schönheit an Bäumen, Blumen, Thieren und Menschen enthüllte, wie in Granada. Doch eine dunkle (wenigstens Dir noch nicht bekannte) Sehnsucht trieb mich bald wieder nach Granada zurück durch böse Affen, bunte Vögel und besonders graziöse, neugierige Giraffen hindurch, die mich mit ihren kleinen Köpfen hoch von Oben beguckten, wenn ich zu Pferde an ihnen vorbei sauste. Es ging schnell; nämlich Du mußt wissen, daß ich verheirathet hin. Ich kam dazu, ich wußte selbst kaum wie, will Dir’s aber erzählen. Eines Morgens war mir das Planschen und Plätschern um mich herum vor Granada etwas zu bunt und dicht. So schwamm ich weit hinaus nach einer der 6 kleinen paradiesischen Inseln, die sich 1/2 bis 3 Stunden weit Granada gegenüber im Nicaraguasee wie große Blumen-Bouquets erheben. Kaum hatte ich die nächste Insel erreicht, so trat eine etwas in’s Bräunliche spielende, ganz lebendige medicäische Venus hervor und bat mich, wenn ich zurückgeschwommen, ihren Vater zu bitten, daß er einen Kahn herübersende; sie getraue sich nicht, wieder hinüber zu kommen, da sie wiederholt einen Krampf in den Fuß bekommen habe. Ich bot ihr an, ihr nachzuschwimmen und sie im Falle der Noth bei den Haaren über Wasser zu halten und so mit hinüber zu bugsiren. Der Einfall gefiel ihr. Sogleich löste sie ihr schönes Haar als den Rettungsanker im Falle der Noth, sprang von dem grünen Hügel hinunter in das blaue, tückische Wasser und ich ihr nach. Sie schwamm wie ein Fisch, so daß ich trotz aller Anstrengung weit zurückblieb. Endlich schrie sie auf und sank, ehe ich sie erreichen konnte, doch beim Auftauchen faßte ich sie, freilich nicht beim Haar, und in ihrer Besinnungslosigkeit klammerte sie sich an meine Füße an, daß ich unfehlbar mit ihr gesunken, wenn nicht vom Ufer her uns ein Mann zu Hülfe gesprungen wäre, der mich ganz kunstgerecht in gehöriger Entfernung bei den Haaren zu halten wußte. Die Geschichte war bald erzählt und der Schreck überwunden, so daß der Vater meiner Unglücksgenossin scherzhaft äußerte, ich müsse seine Tochter nun der Landessitte gemäß heirathen. Die Sitte verbietet nämlich jede Berührung beim Baden und wird ohne alle Polizei freiwillig unverletzt gehalten. Absichtliche Berührung gilt als Entehrung, die nur durch eine eheliche Verbindung gesühnt werden kann, selbst wenn auch in derselben Stunde die Scheidung wieder erfolgen sollte.) Dieser Scherz veranlaßte mich, seine Tochter etwas näher anzusehen. Auch folgte ich seiner Einladung, ihn in seinem Hause zu besuchen. So sah ich denn in Lyda bald eins der liebenswürdigsten Stückchen Erbsünde und erkannte in ihr zugleich den heitersten, gutmüthigsten Charakter. So standen wir eines Tages vor einer Art von Magistratsbeamten, dem wir unsere Absicht mittheilten. Er nahm seine Cigarre aus dem Munde, sagte, es sei gut und werde es heute noch in’s Buch eintragen. Mit diesem einfachen Processe war unsere Ehe geschlossen. Damit es aber nicht ganz an Feierlichkeit fehle, sagte der Vater der Stadt: „Mein hijo (Sohn), ich hoffe, Sie werden sie glücklich machen. Guten Tag, Usted!“ (Herr!) Wir bezogen unser eigenes Häuschen mit zwei Hängematten, einem Tische und ringsherum bankartig aufgeschichteten Teppichen (die sehr gut Stühle und Sopha’s vertreten) und einem treuen Indianermädchen, die Herrin des Hauses in der Wirthschaft des süßesten Nichtsthuns zu unterstützen. Außer der Ehe habe ich einen kleinen Handel mit Häuten und Gewürzen angefangen, mit gelegentlichem Uebersetzen für die Republik.





  1. Und dem 11. Grade nördl. Breite gedeckt.