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Das Opfer (Werfel)

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Autor: Franz Werfel
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Titel: Das Opfer
Untertitel:
aus: Wir sind, S. 97-119
Herausgeber:
Auflage: 1. Auflage
Entstehungsdatum:
Erscheinungsdatum: 1913
Verlag: Kurt Wolff Verlag
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Erscheinungsort: Leipzig
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Quelle: Commons
Kurzbeschreibung:
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[97]

Das Opfer
Dramatisches Gedicht
Nächtliches Flußufer einer Stadt

Der Fremde

Jetzt hinab die letzten Stufen!
Zwischen drohenden Baracken —
Unten klatschen schon die Planken,
Von den Wassern überspült.

5
Laß die schlechten Huren rufen,

Zwischen Licht und Gitterzacken …
Nicht mehr trüben dich Gedanken
Und Gefühl ist ausgefühlt!

Wenn die Welt sich abgewendet,

10
Glaube nicht, du kannst es tragen,

Wenn die Schönen dich verachten
Und die Eltern selbst im Haus.
So nun sei es denn vollendet!
Brüder haben mich geschlagen,

15
Meine zarten Schwestern lachten

Und die Mutter spuckte aus.

[98]

Aber selbst die stummen Sachen,
Schöngebleichte Wäschestücke,
Tisch und Bücher, milde Speisen,

20
Anzug und der helle Hut,

Bester Ort, wo wir nicht wachen,
Selbst das Bett war voller Tücke,
Tuch und Holz und Glas und Eisen,
Nichts war lieb zu mir und gut.

25
Aber bist du auch verstoßen,

Kannst du würdig dich erschließen,
Bietend deine weltgeneigte,
Harterfahrne Herzenslast.
Doch ich bin nicht von den Großen;

30
Nach dem Spiegel, der mich zeigte,

Wütend meine Fäuste stießen.
So war ich mir selbst verhaßt.

Bald zu ruhendem Gestade,
Treib’ ich in dem Flußgestöhne,

35
Ohne Häßlichkeit und Schöne,

Ohne Schwäche, ohne Kraft,
Walle ich die zarten Pfade,
Von der ungebornen Güte,
Unbewußtem Nacht-Gemüte,

40
Leichten Wirbels hingerafft.

[99]

Aber, eh ich mich zerstreue,
Morgenröte, Ätherbläue!
In das Hohe, in das Flache,
Bin ich noch nicht eingestimmt.

45
So ich noch der Form mich freue,

Werf’ ich von mir alle Reue,
Und ich rufe, Rache, Rache ....
Jauchzend bis ins Herz ergrimmt!!

Kommt dort nicht ein Hund gesprungen

50
Über die verfallenen Steine?

Eine schöne, edle Rasse
Scheint er, weiß und wohlgepflegt.
Und nun hält er, wie gezwungen,
Schlank erzittern seine Beine.

55
Spürt er mich in enger Gasse.

Warum bin ich aufgeregt?!

Der weiße und gepflegte Hund

Mein Herr – Mein Herr! Ich wußte es ja.
Darum entsprang ich dem Fräulein und der feinen Kotelette –
Nun bist du da, wie ich dich sah,

60
Im Traume oft. O guter Schlafkorb, neben mächtigem Himmelbette!

[100]

Da bist du ja, der groß am Himmel stand,
Oder über die Baumwipfel hüpfte, die mir unsichtbar blieben.
O oftmals Gefährdeter! Am Teich, an steiler Felsenwand! –
Ich will springen! Ihr Häuser ihr lieben!!

65
Vergaßest du, weißt nimmer die Nacht,

Wo so viele Sterne dich bedrohten?
Ich schützte dich vor den bösen Toten,
Hielt gute Hauswacht.

Weißt? Wie du zum Wasser gestellt,

70
Beim Steinwurf dich wild vorgebogen?

Da hab ich gebellt –
Und Abhang und Welle waren dir gewogen.

So viele Blitze fallen durch den Raum,
So viele Bäume stürzen beim Sturmtosen.

75
Und meine großen, runden, tränenlosen

Augen fürchten für dich, von Traum zu Traum.

Nun bist du da! Spür deinen Nachtgeruch, spür dein Gesicht!
Nun wirst du Flocki rufen, den Einzigen in aller Welt erkennen.
Und wirst mich gar mit einem fernen niegehörten Namen nennen,

80
Der mir wie süßes Feuer in die Seele bricht.

[101]

Rufst du, rufst du mich nicht zu dir her?
Mein Herzchen klopft. Ich zittre. Wirst mich nicht streicheln?
Ich will mich in dein donnerndes Dasein schmeicheln,
In Sonne spielen durch dich her.

85
Du hebst die Hand, du pfeifst, greifst just ans Kinn.

Die Stimme dein hebt an, die altgewaltig neue –
Da bin ich, ach mein Herr, da bin ich. Nichts als Treue,
Da bin ich, Herr mein Herr, da sterb ich vor dir hin!!

Der Fremde

Wie er häßlich sich gebärdet,

90
Blöd unbändig tanzt und hüpft,

Immer heller näher schlüpft,
Kläffend rings die Nacht gefährdet!

Der weiße und gepflegte Hund

Was hält, was befällt mich,
Was wirbelt mich hin?

95
Ein Jauchzen zerschellt mich,

Ich fühl es – Ich bin!!

Der Fremde

Wo die Wäschestücke bleichen,
Wird er manchen Tag noch bellen,
Springen unter Sternenzeichen

100
Und an Baum und Wasserfällen.

[102]

Der weiße und gepflegte Hund

Nun mich zu vereinen,
An mächtigem Ort!
O könnte ich weinen,
O wüßt ich ein Wort!

Der Fremde

105
Kleines Luder, du wirst leben!

Wenn am Abend Karousselle,
An dem alten Walzer schweben,
Unter bunter Rampenschwelle.

Kleines Luder, du wirst leben,

110
Wenn ins Gold der Promenade

Equipagen ohne Gnade
Lautlos himmlisch sich verweben.

Kleines Luder, du wirst leben,
Wenn sich auf Hotelterrassen,

115
Frauen, die sich nie vergeben,

Am Geländer gehen lassen.

Kleines Luder, du wirst leben,
Wenn vor Türen Greise rauchen,
Wenn aus fernstem Meer mit Beben,

120
Schiff und Blasmusiken tauchen,

[103]

Kleines Luder, du wirst leben,
Wenn im Zirkus Tricks erscheinen,
Leben, wenn an Gitterstäben
Arme Radfahräffchen weinen.

125
Kleines Luder, du wirst leben,

Wo sich Stimm’ und Farb’ erheben,
Mitten drunter und daneben,
Kleines Luder, du wirst leben!!

Der weiße und gepflegte Hund

Mein Herr, mein Herr, was sprichst du?

130
Ich werde fliegen!

Mich an dein rauhes Knie schmiegen!
Wirst du mich dulden? Mach dein Reden nicht zu!
Du wirst sehn. – Ich will dir Ehre machen,
Deine Freunde werden meine Künste belachen.

135
Ich will dir große Preise bringen.

Weißt, ich kann springen!

Der Fremde

Foxl!!

Der weiße und gepflegte Hund
(springt rasend an ihm empor)

[104]

Der Fremde

Wer ist einst in einem Saal gesessen?
Von Gleichmut des andern Daseins (höchster Fluch!) gemessen?
Gesetz! Wer hat für mich falsch gebürgt?

140
Genug! Ich bin erwürgt!

Und als ich Teppiche lud und Hanf faserte
     und um mich tausend fremdes Lachen war,
Und als die Sonne aufging – und es Sankt Moritz
     gab – und für mich nichts zu machen war.

145
Als mein volles Leben an Mauern schlug,

Keine Kraft mir half, nicht List und nicht Betrug.
Und war doch geschaffen zu Freud,
An Baum und Turm und Kleid,
Zu freiem, atmendem Leid! …

150
Da wuchs es in mir groß in jagenden Gesichten,

Hier, diese Hand kann andern Schicksal sein,
Die Rache, sie ist mein!
Ward ich gerichtet, will ich richten,
Ward ich vernichtet, will ich auch vernichten!!

155
Ich nehme etwas hinüber,

Meine Augen werden vor Entzücken trüber.
Und meine Finger fühlen eine weiche Wut
Und Sehnsucht nach rinnendem Blut.
Muß ich aufhören,

160
War ich denn niemals mein?!

Hah, will sich Gott in mir zerstören,
Zerstör ich ihn in einem andern Sein.
(Er gibt dem Hund einen Fußtritt, daß dieser zurückfährt.)

[105]

Der weiße und gepflegte Hund

Ach, ich verdiene Strafen,
Ich bin nicht von den Braven,

165
Frech war ich und vermessen,

Bin traurig, will nichts essen.

Der Fremde

Der Ton, mit dem der Vater mich gescholten,
Als ich unschuldig aus der Schule kam,
Der Hieb, der diesem Rücken nicht gegolten

170
Und den ich dennoch stumm entgegennahm.

Das Wort, mit dem das Mädchen mich beschämte,
Als ich vor Blau und Liebe überschmolz,
Die Stunde, wo ich mich zu Gift zergrämte
Und eins ums andre hingab, Scham und Stolz!

175
Der Abend, wo ich auf gepriesenem Balle,

Zerbiß’nen Bartes in der Ecke stand,
Die Walzer und die Frauenstimmen alle
Zerquetschte in der rechten Hand.
Die Wochen, die sich wächsern abgespiegelt

180
Auf Kontoblättern einer kalten Bank

Und jenes Jahr, das meinen Tod besiegelt,
Als erstes Wissen mich besprang.
Ihr tausend kitzlig ungenannten Flammen!
Du letztes auf der Welt, Erhabene Wut!!

185
Ich schlage euch um diesen Stein zusammen,

Nun Stein …… Triff gut!!
(Er verwundet das Hündlein)

[106]

Der weiße und gepflegte Hund
(nachdem er sich dunkel, wimmernd erholt hat)

Mir ist, wie wenn Daisy Klavier spielt schön.
Und doch fiel ein Donner aus Himmelshöhn
Und macht mir Schmerz.

190
Hab nie solch bunte Sterne gesehn,

Sie tanzen vor mir. Was ist geschehn?
Meine Beine sind stumm. – Mein Herz!
Was ist’s, das weh vorüberflieht?
Petroleum-Lampen-Geruch,

195
Die böse Fliege auf einem Buch,

Ein Pferd, das zitternd mich ansieht.
Die Kinder kommen und sagen
‚Gib’s Pfoti her‘ und tragen
Ins Zimmer mich .... dort ist Besuch –
Wo ist auf einmal der Abend her?

200
Man war mit Hühnern lieb

Und der verfluchte Dieb
Steigt wieder übers Gitter schwer.
Was kommt dies alles und sieht mich an?
Was ist’s, das ich nicht atmen kann?

205
Wer hat mir das getan?!

[107]

Der Fremde

Dort zuckt ein Leben, klein im Kreis.
Am Himmel schwillt ein Streifen weiß.
Und eh’ der Streifen noch erlischt,
Wohlan die eigene Form verwischt!

210
Wohlauf sich frisch ins All gemischt,

In Mond und Äther, Wolk und Gischt!!
(Er springt auf das Landungsponton und steht ungeheuer, metallisch schwarz vor dem Lichte der Nacht.)


Der weiße und gepflegte Hund
(kriecht wundersam zu ihm)

Warst dus, der es dem Donner befahl. –
Wer will uns trennen? – O Qual!
Es kommt – Ich kanns nicht glauben

215
Und will mich Kleinen rauben.

Doch du bist groß, du wirst mich halten
In deines Hauchs gleichmäßigen Gewalten.
In dir ist Schlaf,... In dir
Schlagen die Uhren aller alten Zimmer mir.

220
An deiner Brust ist Geruch aller Nacht,

In deiner Brust ein Lämplein, das mir wacht.

Komm, heb mich auf,
Zu deines Atmens Wind-Lauf!
Daß an dem schwellend treuen Ton

225
Ich müdes Tier entträume schon.

[108]

Der Fremde

Hah mein Symbol! O witzige Todesstunde!
In dir, mein Hund, erkenn ich mich im Grunde.
Schlich ich nicht auch zu jenen Mörderhänden,
Liebkosend hin, als sollten sie es wenden.

230
Doch bin ich gut. – Ich werde dich ersaufen!

Sie ließen mich mit schwarzem Brande laufen.
Sieh mich nicht an mit ungeheurem Blick,
Der furchtbar deinem Dasein eigen,
Ich will dir schon das Leben zeigen,

235
Treue für Treue, Schicksal um Geschick!!

Wie gut! Liegts nicht in unsern Händen,
Daß wir hier schuldig werden? Gott sei Dank!
Ausging der Streifen, Zeit wird allzulang,
Auf, Papuschka, wir wollen uns beenden!!
(Er hebt den Hund hoch empor, streckt ihn gegen die Sterne, erwürgt ihn und schleudert ihn weit hinaus ins Wasser).
 
Der Fremde
(bleibt vorgebeugt, die Hände zum Sprung nach rückwärts, in die Nacht hineinhorchend, unbeweglich)

Des Hündleins Geist vom Wasser her

240
Jetzt weiß ich, was Sterne sind,

Worte, sie werden klar....
Mutter ist wunderbar. –
Wie war ich stumm und blind.

[109]

Nun bin ich aufgetan

245
In tiefes Blau und Gold,

Süßes, was ich gewollt,
Sixt’ es, da schwebt’s heran.

Daß ich gestorben bin,
Jetzt kann ich es verstehn.

250
Ich bin, ich bin nicht hin,

Ich werde dich umwehn.

Lamm, ach es lächelt mir,
Lustig und traurig zu.
Kommt klein und sagt mir, du!

255
Alles ist grün hier.


Der dort mit Nacht-Gesicht,
Wo ich nichts sehe, steht,
Liebe, die nicht vergeht,
Liebe verliert ihn nicht.

260
Ja, und mein Wesen weit,

Das jetzt in alles kann,
Füllt ihn bis oben an.
Horch, wie er schreit!!

Der Fremde

Ists ein unterirdisch Lärmen,

265
Das mir jetzt den Sprung verwehrt?

Müssen meine Ohren schwärmen,
Schon dem Tode abgekehrt?

[110]

Doch jetzt kann ichs endlich deuten,
S’ist das alte Tramway-Läuten,

270
S’ist der Lärm von Stuf’ und Hufen,

Kutscherfluch und Kellnerrufen.
Duft verspür ich von Lokalen,
Denen wir entgegenbrennen,
Wo die Frauen, ach zum Flennen,

275
Wechselnd uns entgegenstrahlen.

Und ich fühle süßes Prickeln,
Mich nochmals dareinzuwickeln.

Des Hündleins Geist

     Verzückung,
Darf ich dich fühlen?

280
Wie bin ich frei und ohne Schleim,

Mich durch dies ungeheuere Daheim,
Vergoldet, tönend hin- und herzuspülen!

Nun liegt der kleine Hund,
Auf grauem Wassergrund,

285
Sticht ihn ein Untier an,

Hat es mir nichts getan.
Wohin bin ich geschwellt,
Ach unsere Lebenswelt
Ist voll von meinen jauchzenden Gefühlen!!

[111]

290
Da unten steht mein Held,

Hat er mich auch zerschellt,
Hab ich für ihn mein Dumpfes ausgeblutet,
Bin ich nun doppelt sein,
Fühlt er, wie morgenrein

295
Ein Freudedröhnen herrlich uns durchtutet.

Sein trübgewordenes Bild,
Wie es nach oben schwillt,
Erfüllt von dieses Seelchens Fernen-Güte...
Als ich noch irdisch war,

300
So schmerzlich Liebe war,

Jetzt weiß ich wunderbar,
Daß ich durch mächtig dünnstes Dasein, Kind, dich hüte!

Der Fremde

War ich verrückt?
Was hab ich getan?

305
Einen windigen Hund,

Brachte ich um.
Doch ist mir unendlich zum Lachen!

[112]

Unbekannte Frechheit faßt mich an,
Daß ich mich vor Tat nicht halten kann.

310
Durch die Adern rast mir Lustigkeit,

Lippen sind mir zum Geschrei bereit.
Mit den Fingern möcht’ ich Nobles packen,
Im Triumph, was mich verhöhnte, knacken!
War noch kaum zertreten und zerrissen,

315
Hab ich einen Hund ins Nichts geschmissen,

Hat mein Wesen, noch vom Druck verschandelt,
Sich zu einem Blechquartett verwandelt.

Des Hündleins Geist

Fühlst du, fühlst du jetzt,
Freude, Lust, Unendliches?!

320
Schreite, lache, schlage im Sturm!

Ich starb für dich. –
Nun fügt uns stürzend,
Stärke des Lebens!

Der Revierinspektor
(tritt auf)

Hier zu brüllen, hier zu wüten,

325
Find ich einfach unerhört.

Denn ich muß die Ordnung hüten,
Daß mir nichts die Ruhe stört.
Gehen Sie, ich bin empört!!

[113]

Der Fremde

Mensch, Sie kommen mir gelegen.

330
Meine Brust ist allzuvoll,

Mich durchjagen Wolken toll.
Bitte ziehen Sie den Degen,
Kalt mir auf den Leib zu rücken.
Wonne wär’s, ihn zu zerstücken!

Der Revierinspektor

335
Wüstling, sind Sie denn betrunken,

Spricht man so zur Obrigkeit?!

Der Fremde

Auf dem Helm ein roter Funken,
Ärgert mich die ganze Zeit.
Ist auch bübisch, was ich tue,

340
Schafft es meinem Auge Ruhe!

(Er reißt dem Revierinspektor die Pickelhaube vom Kopf.)

Der Revierinspektor

Dieses werdet Ihr bedauern,
Steckt Ihr hinter Kerkermauern.
Wart’, vielleicht wirst du gehangen,
Ich erklär dich für gefangen.

[114]

Der Fremde

345
Mit den gichtisch, schnapserschlafften,

Fingern willst du mich verhaften?
Heute, wo zum erstenmal
Welt sich mir zu Füßen faltet,
Im Triumph von mir gestaltet,

350
Wo ein neu-barbarischer Strahl,

Mir aus allen Gliedern spritzt?

Der Revierinspektor

Herr, wie Sie, bin ich gewitzt.
Lernens’ meine List begreifen!
Pfeife ist ja da zum Pfeifen.

Der Fremde

355
Ruf’ nur deine Eisen-Menge,

Das bewimpelte Gedränge,
Platter Stiefel, dumpfer Haufen,
Wichtig durch die Nacht zu laufen.
Säbelschlampen, Sporenschmatzen,

360
Daß sie Dunkelheit zerkratzen.

Als ich dumpf die Stadt durchschlichen,
Bin ich ihnen ausgewichen.
Doch jetzt bin ich angewachsen,
Rütt’le an den Erdenachsen,

365
Hab euch bald zu Kasch zerdreht.

In der Hand halt’ ich Orkane
Und die Brust, wie eine Fahne,
Ist von Siegestanz gebläht.
(Zwanzig Polizisten kommen hereingelaufen)

[115]

Der Revierinspektor

Auf ihn,

370
Haltet ihn.

Laßt ihn nicht,
Das Diebsgesicht,
Laßt ihn nicht fliehn.

Die Polizisten

Drauf und dran!

375
Auf den Mann!!

Wir kriegen dich,
Wir biegen dich!
Wir fassen ihn,
Wir lassen ihn

380
Den Schurken nicht entfliehn!

(Sie dringen, vom Revierinspektor fuchtelnd angeeifert, auf den Fremden ein)

Der Fremde
(bis zu den Knien im Wasser, rafft Steine auf und schleudert sie gegen die Polizisten.)

Man hat mich zerplackt,
Da war mir’s zu bunt.
Ich würgt’ einen Hund.
Seht zu, wer mich packt?!

385
Ihr Steine zerzackt,

Fliegt Raubvogeltakt,
Mit kantigem Schnabel
Zerfleischt und zerhackt!

[116]

Die Polizisten
(schießen)

Der Fremde
(hat mit den Steinen den an den Rand gespülten Kadaver des Hundes aus dem Wasser gerissen.)

Der Fremde

     Dieser Hund ist meine Beute.

390
Daß ich heut’ mein Blut befreite,

Mußte ich das Kleine morden,
Ratten wären fett geworden.
Doch für euer Angesicht,
Dünkt es mich zu schade nicht.
(Er trifft mit der Hundsleiche den Revierinspektor. Dieser schreit kläglich. Der Fremde ist in ein Boot gesprungen und stemmt schon das Ruder gegen die Uferverkleidung. Der Revierinspektor hält plötzlich eine elektrische Taschenlampe mit starkem Reflektor hoch, die alle Bewegungen des Fremden kreisrund beleuchtet. Das Schießen wird infolgedessen heftiger.)

Des Hündleins Geist
(schon entrückter)

395
Geliebter, Geliebter, du siegst!

Ich siege mit dir.
Die Welt ist voll Wonne,
Dir und mir.
Wann wirst du auferstehn?

400
O jüngster Tag! O Wiedersehn!

[117]

Der Fremde
(schon ans andere Ufer stoßend)

Wie die Kugeln um mich jagen,
Blitze frisch ins Wasser schlagen,
Fühle ich mich schon gerettet,
Grenzenlos in Welt gebettet.

405
Und aus meinem alten, tauben

Herzen jauchzt ein neuer Glauben,
Gott, ich war Dir so entrissen,
Wollte denken, wollte wissen,
Statt ins Wetter mich zu mischen,

410
Wollt’ ich Dich im Wort erwischen.

Ach, sie müssen Dich verfehlen
Alle abgeschlossnen Seelen!
Und wer Rechnung führt und Gründe
Und wer sagt, daß er verstünde,

415
Ist der Ausbund aller Sünde.


Doch ich treuer Gottes-Knecht,
Bin gesteigert, bin im Recht.
Will auf tausend angefachten
Feuerständen Opfer schlachten.

420
Du mein Außen, Du mein Innen

In Dir jedes Wort beginnen!
Und weil ich es nicht verstehe,
Daß ich herrlich weiterwehe,

[118]

Statt zergangen und zerschollen,

425
Durch die Schleußen hinzurollen,

Will ich beten, will ich jubeln,
Ewig durch Dein Nichts mich trudeln!!
(er ist gelandet und entweicht)

Des Hündleins Geist vom letzten Firmament

Geliebter, den ich nicht verlor,
Ich weiß Dich nicht mehr.

430
Doch leb ich hier so sehr

Und ahne von Erden her,
Wettrennen golden und Kirchen-Chor.

Alles, von dem ich nicht wußte
In meinem Jahr,

435
Was es war, ist da.

Ich bin dort, wo es beginnt,
Wo auch Du beginnst,
Geliebter! – Kind:
Und ich fließe vor Seligkeit,

440
Weil ich hier ohne Zeit

Auffand, was ich nie genannt. –

[119]

Als ich einmal stand,
Vor meines Fräuleins Haus,
Ging die Sonne unter

445
Und ein Leierkasten spielte was.

Man sagte dazu
Sextett aus Lucia di Lammermoor.
Und auch dies entspringt hier und fließt.
Ich weine mit allen Seelen...

450
Denn die Liebe, die Liebe fängt an.