Das Opfer (Werfel)
[97]
Der Fremde
Jetzt hinab die letzten Stufen!
Zwischen drohenden Baracken —
Unten klatschen schon die Planken,
Von den Wassern überspült.
Zwischen Licht und Gitterzacken …
Nicht mehr trüben dich Gedanken
Und Gefühl ist ausgefühlt!
Wenn die Welt sich abgewendet,
Wenn die Schönen dich verachten
Und die Eltern selbst im Haus.
So nun sei es denn vollendet!
Brüder haben mich geschlagen,
Und die Mutter spuckte aus.
[98]
Aber selbst die stummen Sachen,
Schöngebleichte Wäschestücke,
Tisch und Bücher, milde Speisen,
Bester Ort, wo wir nicht wachen,
Selbst das Bett war voller Tücke,
Tuch und Holz und Glas und Eisen,
Nichts war lieb zu mir und gut.
Kannst du würdig dich erschließen,
Bietend deine weltgeneigte,
Harterfahrne Herzenslast.
Doch ich bin nicht von den Großen;
Wütend meine Fäuste stießen.
So war ich mir selbst verhaßt.
Bald zu ruhendem Gestade,
Treib’ ich in dem Flußgestöhne,
Ohne Schwäche, ohne Kraft,
Walle ich die zarten Pfade,
Von der ungebornen Güte,
Unbewußtem Nacht-Gemüte,
[99]
Aber, eh ich mich zerstreue,
Morgenröte, Ätherbläue!
In das Hohe, in das Flache,
Bin ich noch nicht eingestimmt.
Werf’ ich von mir alle Reue,
Und ich rufe, Rache, Rache ....
Jauchzend bis ins Herz ergrimmt!!
Kommt dort nicht ein Hund gesprungen
Eine schöne, edle Rasse
Scheint er, weiß und wohlgepflegt.
Und nun hält er, wie gezwungen,
Schlank erzittern seine Beine.
Warum bin ich aufgeregt?!
Der weiße und gepflegte Hund
Mein Herr – Mein Herr! Ich wußte es ja.
Darum entsprang ich dem Fräulein und der feinen Kotelette –
Nun bist du da, wie ich dich sah,
[100]
Da bist du ja, der groß am Himmel stand,
Oder über die Baumwipfel hüpfte, die mir unsichtbar blieben.
O oftmals Gefährdeter! Am Teich, an steiler Felsenwand! –
Ich will springen! Ihr Häuser ihr lieben!!
Wo so viele Sterne dich bedrohten?
Ich schützte dich vor den bösen Toten,
Hielt gute Hauswacht.
Weißt? Wie du zum Wasser gestellt,
Da hab ich gebellt –
Und Abhang und Welle waren dir gewogen.
So viele Blitze fallen durch den Raum,
So viele Bäume stürzen beim Sturmtosen.
Augen fürchten für dich, von Traum zu Traum.
Nun bist du da! Spür deinen Nachtgeruch, spür dein Gesicht!
Nun wirst du Flocki rufen, den Einzigen in aller Welt erkennen.
Und wirst mich gar mit einem fernen niegehörten Namen nennen,
[101]
Rufst du, rufst du mich nicht zu dir her?
Mein Herzchen klopft. Ich zittre. Wirst mich nicht streicheln?
Ich will mich in dein donnerndes Dasein schmeicheln,
In Sonne spielen durch dich her.
Die Stimme dein hebt an, die altgewaltig neue –
Da bin ich, ach mein Herr, da bin ich. Nichts als Treue,
Da bin ich, Herr mein Herr, da sterb ich vor dir hin!!
Der Fremde
Wie er häßlich sich gebärdet,
Immer heller näher schlüpft,
Kläffend rings die Nacht gefährdet!
Der weiße und gepflegte Hund
Was hält, was befällt mich,
Was wirbelt mich hin?
Ich fühl es – Ich bin!!
Der Fremde
Wo die Wäschestücke bleichen,
Wird er manchen Tag noch bellen,
Springen unter Sternenzeichen
[102]
Der weiße und gepflegte Hund
Nun mich zu vereinen,
An mächtigem Ort!
O könnte ich weinen,
O wüßt ich ein Wort!
Der Fremde
Wenn am Abend Karousselle,
An dem alten Walzer schweben,
Unter bunter Rampenschwelle.
Kleines Luder, du wirst leben,
Equipagen ohne Gnade
Lautlos himmlisch sich verweben.
Kleines Luder, du wirst leben,
Wenn sich auf Hotelterrassen,
Am Geländer gehen lassen.
Kleines Luder, du wirst leben,
Wenn vor Türen Greise rauchen,
Wenn aus fernstem Meer mit Beben,
[103]
Kleines Luder, du wirst leben,
Wenn im Zirkus Tricks erscheinen,
Leben, wenn an Gitterstäben
Arme Radfahräffchen weinen.
Wo sich Stimm’ und Farb’ erheben,
Mitten drunter und daneben,
Kleines Luder, du wirst leben!!
Der weiße und gepflegte Hund
Mein Herr, mein Herr, was sprichst du?
Mich an dein rauhes Knie schmiegen!
Wirst du mich dulden? Mach dein Reden nicht zu!
Du wirst sehn. – Ich will dir Ehre machen,
Deine Freunde werden meine Künste belachen.
Weißt, ich kann springen!
Der Fremde
Foxl!!
Der weiße und gepflegte Hund
(springt rasend an ihm empor)
[104]
Der Fremde
Wer ist einst in einem Saal gesessen?
Von Gleichmut des andern Daseins (höchster Fluch!) gemessen?
Gesetz! Wer hat für mich falsch gebürgt?
Und als ich Teppiche lud und Hanf faserte
und um mich tausend fremdes Lachen war,
Und als die Sonne aufging – und es Sankt Moritz
gab – und für mich nichts zu machen war.
Keine Kraft mir half, nicht List und nicht Betrug.
Und war doch geschaffen zu Freud,
An Baum und Turm und Kleid,
Zu freiem, atmendem Leid! …
Hier, diese Hand kann andern Schicksal sein,
Die Rache, sie ist mein!
Ward ich gerichtet, will ich richten,
Ward ich vernichtet, will ich auch vernichten!!
Meine Augen werden vor Entzücken trüber.
Und meine Finger fühlen eine weiche Wut
Und Sehnsucht nach rinnendem Blut.
Muß ich aufhören,
Hah, will sich Gott in mir zerstören,
Zerstör ich ihn in einem andern Sein.
(Er gibt dem Hund einen Fußtritt, daß dieser zurückfährt.)
[105]
Der weiße und gepflegte Hund
Ach, ich verdiene Strafen,
Ich bin nicht von den Braven,
Bin traurig, will nichts essen.
Der Fremde
Der Ton, mit dem der Vater mich gescholten,
Als ich unschuldig aus der Schule kam,
Der Hieb, der diesem Rücken nicht gegolten
Das Wort, mit dem das Mädchen mich beschämte,
Als ich vor Blau und Liebe überschmolz,
Die Stunde, wo ich mich zu Gift zergrämte
Und eins ums andre hingab, Scham und Stolz!
Zerbiß’nen Bartes in der Ecke stand,
Die Walzer und die Frauenstimmen alle
Zerquetschte in der rechten Hand.
Die Wochen, die sich wächsern abgespiegelt
Und jenes Jahr, das meinen Tod besiegelt,
Als erstes Wissen mich besprang.
Ihr tausend kitzlig ungenannten Flammen!
Du letztes auf der Welt, Erhabene Wut!!
Nun Stein …… Triff gut!!
(Er verwundet das Hündlein)
[106]
Der weiße und gepflegte Hund
(nachdem er sich dunkel, wimmernd erholt hat)
Mir ist, wie wenn Daisy Klavier spielt schön.
Und doch fiel ein Donner aus Himmelshöhn
Und macht mir Schmerz.
Sie tanzen vor mir. Was ist geschehn?
Meine Beine sind stumm. – Mein Herz!
Was ist’s, das weh vorüberflieht?
Petroleum-Lampen-Geruch,
Ein Pferd, das zitternd mich ansieht.
Die Kinder kommen und sagen
‚Gib’s Pfoti her‘ und tragen
Ins Zimmer mich .... dort ist Besuch –
Wo ist auf einmal der Abend her?
Und der verfluchte Dieb
Steigt wieder übers Gitter schwer.
Was kommt dies alles und sieht mich an?
Was ist’s, das ich nicht atmen kann?
[107]
Der Fremde
Dort zuckt ein Leben, klein im Kreis.
Am Himmel schwillt ein Streifen weiß.
Und eh’ der Streifen noch erlischt,
Wohlan die eigene Form verwischt!
In Mond und Äther, Wolk und Gischt!!
(Er springt auf das Landungsponton und steht ungeheuer, metallisch schwarz vor dem Lichte der Nacht.)
Der weiße und gepflegte Hund
(kriecht wundersam zu ihm)
Warst dus, der es dem Donner befahl. –
Wer will uns trennen? – O Qual!
Es kommt – Ich kanns nicht glauben
Doch du bist groß, du wirst mich halten
In deines Hauchs gleichmäßigen Gewalten.
In dir ist Schlaf,... In dir
Schlagen die Uhren aller alten Zimmer mir.
In deiner Brust ein Lämplein, das mir wacht.
Komm, heb mich auf,
Zu deines Atmens Wind-Lauf!
Daß an dem schwellend treuen Ton
[108]
Der Fremde
Hah mein Symbol! O witzige Todesstunde!
In dir, mein Hund, erkenn ich mich im Grunde.
Schlich ich nicht auch zu jenen Mörderhänden,
Liebkosend hin, als sollten sie es wenden.
Sie ließen mich mit schwarzem Brande laufen.
Sieh mich nicht an mit ungeheurem Blick,
Der furchtbar deinem Dasein eigen,
Ich will dir schon das Leben zeigen,
Wie gut! Liegts nicht in unsern Händen,
Daß wir hier schuldig werden? Gott sei Dank!
Ausging der Streifen, Zeit wird allzulang,
Auf, Papuschka, wir wollen uns beenden!!
(Er hebt den Hund hoch empor, streckt ihn gegen die Sterne, erwürgt ihn und schleudert ihn weit hinaus ins Wasser).
Der Fremde
(bleibt vorgebeugt, die Hände zum Sprung nach rückwärts, in die Nacht hineinhorchend, unbeweglich)
Des Hündleins Geist vom Wasser her
Worte, sie werden klar....
Mutter ist wunderbar. –
Wie war ich stumm und blind.
[109]
Nun bin ich aufgetan
Süßes, was ich gewollt,
Sixt’ es, da schwebt’s heran.
Daß ich gestorben bin,
Jetzt kann ich es verstehn.
Ich werde dich umwehn.
Lamm, ach es lächelt mir,
Lustig und traurig zu.
Kommt klein und sagt mir, du!
Der dort mit Nacht-Gesicht,
Wo ich nichts sehe, steht,
Liebe, die nicht vergeht,
Liebe verliert ihn nicht.
Das jetzt in alles kann,
Füllt ihn bis oben an.
Horch, wie er schreit!!
Der Fremde
Ists ein unterirdisch Lärmen,
Müssen meine Ohren schwärmen,
Schon dem Tode abgekehrt?
[110]
Doch jetzt kann ichs endlich deuten,
S’ist das alte Tramway-Läuten,
Kutscherfluch und Kellnerrufen.
Duft verspür ich von Lokalen,
Denen wir entgegenbrennen,
Wo die Frauen, ach zum Flennen,
Und ich fühle süßes Prickeln,
Mich nochmals dareinzuwickeln.
Des Hündleins Geist
Verzückung,
Darf ich dich fühlen?
Mich durch dies ungeheuere Daheim,
Vergoldet, tönend hin- und herzuspülen!
Nun liegt der kleine Hund,
Auf grauem Wassergrund,
Hat es mir nichts getan.
Wohin bin ich geschwellt,
Ach unsere Lebenswelt
Ist voll von meinen jauchzenden Gefühlen!!
[111]
Hat er mich auch zerschellt,
Hab ich für ihn mein Dumpfes ausgeblutet,
Bin ich nun doppelt sein,
Fühlt er, wie morgenrein
Sein trübgewordenes Bild,
Wie es nach oben schwillt,
Erfüllt von dieses Seelchens Fernen-Güte...
Als ich noch irdisch war,
Jetzt weiß ich wunderbar,
Daß ich durch mächtig dünnstes Dasein, Kind, dich hüte!
Der Fremde
War ich verrückt?
Was hab ich getan?
Brachte ich um.
Doch ist mir unendlich zum Lachen!
[112]
Unbekannte Frechheit faßt mich an,
Daß ich mich vor Tat nicht halten kann.
Lippen sind mir zum Geschrei bereit.
Mit den Fingern möcht’ ich Nobles packen,
Im Triumph, was mich verhöhnte, knacken!
War noch kaum zertreten und zerrissen,
Hat mein Wesen, noch vom Druck verschandelt,
Sich zu einem Blechquartett verwandelt.
Des Hündleins Geist
Fühlst du, fühlst du jetzt,
Freude, Lust, Unendliches?!
Ich starb für dich. –
Nun fügt uns stürzend,
Stärke des Lebens!
Der Revierinspektor
(tritt auf)
Hier zu brüllen, hier zu wüten,
Denn ich muß die Ordnung hüten,
Daß mir nichts die Ruhe stört.
Gehen Sie, ich bin empört!!
[113]
Der Fremde
Mensch, Sie kommen mir gelegen.
Mich durchjagen Wolken toll.
Bitte ziehen Sie den Degen,
Kalt mir auf den Leib zu rücken.
Wonne wär’s, ihn zu zerstücken!
Der Revierinspektor
Spricht man so zur Obrigkeit?!
Der Fremde
Auf dem Helm ein roter Funken,
Ärgert mich die ganze Zeit.
Ist auch bübisch, was ich tue,
(Er reißt dem Revierinspektor die Pickelhaube vom Kopf.)
Der Revierinspektor
Dieses werdet Ihr bedauern,
Steckt Ihr hinter Kerkermauern.
Wart’, vielleicht wirst du gehangen,
Ich erklär dich für gefangen.
[114]
Der Fremde
Fingern willst du mich verhaften?
Heute, wo zum erstenmal
Welt sich mir zu Füßen faltet,
Im Triumph von mir gestaltet,
Mir aus allen Gliedern spritzt?
Der Revierinspektor
Herr, wie Sie, bin ich gewitzt.
Lernens’ meine List begreifen!
Pfeife ist ja da zum Pfeifen.
Der Fremde
Das bewimpelte Gedränge,
Platter Stiefel, dumpfer Haufen,
Wichtig durch die Nacht zu laufen.
Säbelschlampen, Sporenschmatzen,
Als ich dumpf die Stadt durchschlichen,
Bin ich ihnen ausgewichen.
Doch jetzt bin ich angewachsen,
Rütt’le an den Erdenachsen,
In der Hand halt’ ich Orkane
Und die Brust, wie eine Fahne,
Ist von Siegestanz gebläht.
(Zwanzig Polizisten kommen hereingelaufen)
[115]
Der Revierinspektor
Auf ihn,
Laßt ihn nicht,
Das Diebsgesicht,
Laßt ihn nicht fliehn.
Die Polizisten
Drauf und dran!
Wir kriegen dich,
Wir biegen dich!
Wir fassen ihn,
Wir lassen ihn
(Sie dringen, vom Revierinspektor fuchtelnd angeeifert, auf den Fremden ein)
Der Fremde
(bis zu den Knien im Wasser, rafft Steine auf und schleudert sie gegen die Polizisten.)
Man hat mich zerplackt,
Da war mir’s zu bunt.
Ich würgt’ einen Hund.
Seht zu, wer mich packt?!
Fliegt Raubvogeltakt,
Mit kantigem Schnabel
Zerfleischt und zerhackt!
[116]
Die Polizisten
(schießen)
Der Fremde
(hat mit den Steinen den an den Rand gespülten Kadaver des Hundes aus dem Wasser gerissen.)
Der Fremde
Dieser Hund ist meine Beute.
Mußte ich das Kleine morden,
Ratten wären fett geworden.
Doch für euer Angesicht,
Dünkt es mich zu schade nicht.
(Er trifft mit der Hundsleiche den Revierinspektor. Dieser schreit kläglich. Der Fremde ist in ein Boot gesprungen und stemmt schon das Ruder gegen die Uferverkleidung. Der Revierinspektor hält plötzlich eine elektrische Taschenlampe mit starkem Reflektor hoch, die alle Bewegungen des Fremden kreisrund beleuchtet. Das Schießen wird infolgedessen heftiger.)
Des Hündleins Geist
(schon entrückter)
Ich siege mit dir.
Die Welt ist voll Wonne,
Dir und mir.
Wann wirst du auferstehn?
[117]
Der Fremde
(schon ans andere Ufer stoßend)
Wie die Kugeln um mich jagen,
Blitze frisch ins Wasser schlagen,
Fühle ich mich schon gerettet,
Grenzenlos in Welt gebettet.
Herzen jauchzt ein neuer Glauben,
Gott, ich war Dir so entrissen,
Wollte denken, wollte wissen,
Statt ins Wetter mich zu mischen,
Ach, sie müssen Dich verfehlen
Alle abgeschlossnen Seelen!
Und wer Rechnung führt und Gründe
Und wer sagt, daß er verstünde,
Doch ich treuer Gottes-Knecht,
Bin gesteigert, bin im Recht.
Will auf tausend angefachten
Feuerständen Opfer schlachten.
In Dir jedes Wort beginnen!
Und weil ich es nicht verstehe,
Daß ich herrlich weiterwehe,
[118]
Statt zergangen und zerschollen,
Will ich beten, will ich jubeln,
Ewig durch Dein Nichts mich trudeln!!
(er ist gelandet und entweicht)
Des Hündleins Geist vom letzten Firmament
Geliebter, den ich nicht verlor,
Ich weiß Dich nicht mehr.
Und ahne von Erden her,
Wettrennen golden und Kirchen-Chor.
Alles, von dem ich nicht wußte
In meinem Jahr,
Ich bin dort, wo es beginnt,
Wo auch Du beginnst,
Geliebter! – Kind:
Und ich fließe vor Seligkeit,
Auffand, was ich nie genannt. –
[119]
Als ich einmal stand,
Vor meines Fräuleins Haus,
Ging die Sonne unter
Man sagte dazu
Sextett aus Lucia di Lammermoor.
Und auch dies entspringt hier und fließt.
Ich weine mit allen Seelen...