Das Narrengericht zu Stockach
Die kleine Hauptstadt der Landgrafschaft Nellenburg, Stockach, besitzt das merkwürdige, in der Tat originelle Privilegium, – so schreibt die Schwäb. Chronik von 1792, Seite 118, – alle Jahre in der Fastnacht ein Narrengericht zu halten, das genau wie das Landgericht daselbst organisirt und besetzt ist. Ein Kaiser aus dem Habsburger Hause, Albrecht nach der Tradition, wollte dadurch seinem aus Stockach gebürtigen Hofnarren, der in einer wichtigen Kriegsangelegenheit der Klügste seiner Räte gewesen war, ein Denkmal setzen und mit seltener Dankbarkeit die Verdienste desselben bis ins tausendste Glied belohnen.
Das Narrengericht hielt am Fastnachtsdienstag auf öffentlichem Marktplatz seine Sitzung, in welcher aus dem Narrenbuch, dem Protokollbuch der Geckenzunft zu Stockach, „die Sottisen und Lächerlichkeiten großer und kleiner Menschen des Bezirks umher, größtentheils in Bänkelsänger-Poesey abgelesen und durch schnurrige Sentenzen entschieden wurden.“ Es versteht sich, fährt jener Bericht fort, „dass diese Publizität des Lächerlichen manche verdrüßliche Scenen schon veranlasste.“ Indessen behauptete die Stockacher Bürgerschaft – was vielleicht eines Plätzchens im Narrenbuch nicht unwert war – dieses angebliche Kaiserliche Privilegium mit eifersüchtiger Wachsamkeit. Als in den Jahren 1720 bis 1730 ein wichtiger Prozess darüber zwischen dem wirklichen Landgericht und den Assessoren des Narrengerichts entstand, entschied die Landesstelle in salomonischer Weisheit folgendermaßen: „man solle die Bürgerschaft mit Abschaffung des Missbrauchs beim alten Herkommen lassen.“
Dies scheint denn auch geschehen zu sein, da die von der Schwäb. Chronik a. a. O. genannten „Briefe eines Reisenden“ zu erzählen wissen, dass vor zwei Jahren, also anno 1790 das Narrengericht auf dem Marktplatz mit größter Feierlichkeit stattfand.
Freiburg i. B. | JOSEPH SARRAZIN. |