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Das Mittagsschläfchen (1893/3)

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Textdaten
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Autor: W. Berdrow
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Titel: Das Mittagsschläfchen
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aus: Die Gartenlaube, Heft 3, S. 43–46
Herausgeber: Adolf Kröner
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Erscheinungsdatum: 1893
Verlag: Ernst Keil’s Nachfolger in Leipzig
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Erscheinungsort: Leipzig
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Quelle: Scans bei Commons
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Das Mittagsschläfchen.

Von W. Berdrow.

Nein – diese Müdigkeit nach dem Essen! Nur zehn, höchstens zwanzig Minuten möchte ich schlafen, aber ja nicht länger!“

Wer kennt es nicht aus Erfahrung, dieses je nach der Jahreszeit, Gewohnheit und Individualität mehr oder weniger dringende oder auch geradezu unbezwingliche Bedürfniß, nach Tisch einer kurzen Ruhe zu pflegen? Wer kennt nicht auch die üblen Wirkungen, die es fast immer nach sich zieht, wenn man diese an und für sich so gerechtfertigte Pause in der täglichen Arbeit über das gewohnte Maß hinaus verlängert?

Es sind gewiß auffallende Erscheinungen, daß sich nach der Mittagsmahlzeit viele Menschen außer stande fühlen, wach zu bleiben, welche nach dem Abendessen, wo doch die Arbeit des ganzen abgelaufenen Tages weit schwerer auf Kopf und Muskeln lastet, noch stundenlang ohne Schwierigkeiten den Schlaf entbehren können; daß ferner ein kurzer viertelstündiger Schlaf nach Tische sich erquickend und gedeihlich erweist, ja für geistig stark beschäftigte Menschen zu einem wahren Elixir und einer Bedingung der Gesundheit werden kann – während derselbe Schlaf, sobald er über dieses Maß gesteigert wird, Müdigkeit statt Frische, Uebelbefinden und Verdrießlichkeit statt Erquickung im Gefolge hat, bei allzu langer Ausdehnung sogar nachweislich höchst gesundheitsschädlich wirkt. Es ist gewiß etwas Eigenthümliches um diese verschiedenartigen Wirkungen, welche das Mittagsschläfchen keineswegs als das unschuldige Vergnügen erkennen lassen, für das es vielfach gilt, sondern im Gegentheil als eine sehr ernsthaft zu nehmende und – falsch gehandhabt – höchst zweischneidige hygieinische Maßregel.

Bedenkt man, daß schon die Weisheit aller alten Kulturvölker über den Räthseln des Schlafes gebrütet und gesonnen hat, und daß noch die neuere Physiologie sich zu dem Geständniß gezwungen sieht, daß wir ungeachtet verschiedener eingehender Vermuthungen über seine Ursachen von dem eigentlichen Wirken und Wesen des Schlafes noch sehr wenig Sicheres wissen; ja daß, nach Professor Exners Worten, bisher über kein Kapitel der Physiologie so vieles mit so wenig Erfolg geschrieben worden ist, als über dieses – so leuchtet es ein, daß wir unverbrüchliche Gewißheit und unabänderliche Ergebnisse auch für das Nachmittagsschläfchen noch nicht zu bieten imstande sind. Immerhin aber wissen wir von den Lebensvorgängen im Menschen beim Wachen und Schlafen bereits genug, um wenigstens einiges Licht über unsere Frage zu verbreiten und vielleicht manchen Leser zu veranlassen, an sich selbst und an der Hand seiner eigenen Erfahrungen dem Problem des Schlafes weiter nachzuspüren.

Mit der früher wohl üblichen und anscheinend sehr einfachen und einleuchtenden Anschauung, daß der Schlaf nichts weiter sei als die „Erholung“ des „ermüdeten“ Körpers, ist nach dem heutigen Stande unseres Wissens nichts erklärt. Einmal besagen die Ausdrücke „ermüden“ und „sich erholen“, als Erklärung genommen, gar nichts; dann aber ist es bei aufmerksamer Beobachtung einleuchtend, daß die Vorgänge des Schlafes vielmehr ans Gehirn als an den Körper gebunden sind. Denn es ist eine Erfahrungsthatsache, daß geistig beschäftigte Menschen des Schlafes eben so sehr und so lange, ja noch mehr bedürftig sind wie körperliche Arbeiter; und dann liegt es sowohl für die unbefangene Anschauung als auch nach den neuesten wissenschaftlichen Annahmen über die Ursachen der Muskelerschlaffung auf der Hand, daß zur körperlichen Erholung auch die einfache körperliche Ruhe vollständig ausreichend sein müßte, ohne daß es dabei des eigenthümlichen Zustandes von Bewußtlosigkeit bedürfte, der eben den Schlaf kennzeichnet. In der That kann ein Mensch, der körperlich gar nicht arbeitet, den Schlaf keineswegs entbehren – es ist im Gegentheil bekannt, daß andauernde Schlaflosigkeit, selbst bei völliger körperlicher Ruhe, den kräftigsten Organismus in kurzer Zeit zu Grunde richtet. Andererseits bedarf der Arbeiter, der in fünf- bis sechsstündiger Schicht seine Muskeln erschöpft, oder der Wanderer, den ein Marsch von einigen Meilen ermüdet hat, zur Neustärkung seines Körpers nicht des Schlafs, vielmehr genügt beiden eine kräftige Mahlzeit und eine ein- bis zweistündige Ruhepause, um munter weiterschaffen oder weiterwandern zu können, bis der Abend kommt und auf Geistes- wie Muskelarbeiter gleichmäßig seine Fittiche senkt. Weiter ist es bekannt, daß eine heftige Gemüthsaufregung, ein eingehendes Betrachten fremder interessanter Gegenstände und viele andere, lediglich den Geist beanspruchende Vorgänge imstande sind, uns so müde zu machen, daß wir uns „wie zerschlagen“ fühlen. Endlich haben zahlreiche Versuche und Beobachtungen erwiesen, daß es zum Schlafen nicht einmal der körperlichen oder geistigen Erschöpfung bedarf – die bloße Abschließung von den Eindrücken der Außenwelt durch Verdunkeln des Zimmers, Fernhaltung von Geräuschen etc. genügt schon, um die meisten Menschen in Schlummer zu versetzen, wenn auch nervöse oder geistig sehr rege Persönlichkeiten solchen Beeinflussungen nicht leicht nachgeben. Es ließe sich noch eine ganze Reihe anderer Umstände hinzufügen, die gegen eine Erklärung des Schlafes als einer körperlichen Erscheinung Einspruch erheben, doch sei es an den vorstehenden genug.

Die eigentliche Erklärung des Schlafes wird nun freilich dadurch, daß wir gezwungen sind, seine Grundursachen vom Gebiet des Körperlichen in das des Geistigen zu verschieben, nicht eben erleichtert, denn unter allen Wissenschaften, welche sich die Erforschung der Lebensvorgänge zur Aufgabe gestellt haben, ist keine von so jugendlichem Alter und dementsprechend von so lückenhaften Ergebnissen wie die „Phrenologie“ oder Geisteskunde, deren Beschäftigung es ist, das Gehirn und seine Thätigkeit zu studieren und an der Hand kühler anatomischer Untersuchungen die Ansichten der älteren, mehr spekulativ vorgehenden Seelenlehre zu vergleichen, zu bestätigen oder zu verwerfen. Was den Schlaf betrifft, so haben nun die bisherigen Arbeiten, wie bemerkt, wohl eine ganze Reihe von Vermuthungen, aber herzlich wenig sichere Ergebnisse geliefert, und uns bleibt daher, um die Erscheinungen der Müdigkeit und des Einschlafens zu erklären, nur übrig, die gründlichste aller bis jetzt gegebenen Theorien hier in kurzen Zügen hervorzuheben. Wenn wir dabei von unserem eigentlichen Gegenstand noch ferner ein Weilchen abschweifen, so mag uns die Unmöglichkeit entschuldigen, ohne eine Erklärung des Schlafes im allgemeinen den besonderen Erscheinungen des Mittagsschlafes näher zu kommen; wir dürfen dabei um so eher auf die Verzeihung unserer Leser rechnen, als wir ja mit unserer Abschweifung ein Gebiet berühren, das zu den fesselndsten Kapiteln der ganzen Wissenschaft von den Lebenserscheinungen zählt.

Professor Pflüger scheint es uns zu sein, dessen Erklärung das eigentliche Wesen des Schlafes am tiefsten trifft, eben weil dieser Gelehrte, den zwingenden Gründen der täglichen Beobachtung folgend, alle auf die Ermüdung bezüglichen Vorgänge in den Sitz des geistigen Lebens oder in die Substanz der Nerven, des Gehirns und Rückenmarks verlegt. Alle sogenannten Erregungen, d. h. die Gehirnvorgänge und die Thätigkeit der Nerven, welche die Wahrnehmungen des Gehirns von und zu den Sinnes- und Bewegungsorganen übertragen, beruhen nach Pflügers Erklärung auf chemischen Prozessen, und zwar des genaueren auf Verbrennungserscheinungen. So wie beispielsweise die Thätigkeit einer Dampfmaschine nur dadurch zu unterhalten ist, daß fortwährend unter dem Kessel derselben Kohle verbrannt wird, und so wie die Verbrennung der Kohle nur eine chemische Verbindung derselben mit dem Sauerstoff der Luft bedeutet, so beruht auch die Energie, welche während des wachen Zustandes in unseren Sinnen, Nerven und unserem Hirn verbraucht wird, nur auf dem Verbrennen und Auszehren der Kohlenstoffverbindungen, aus denen die Substanz unseres Gehirns und unserer Nerven besteht. Diese Verbrennung, mit unwahrnehmbaren, aber nichtsdestoweniger sehr heftigen Schwingungen der Massentheilchen oder Atome des betreffenden Organs verbunden, verzehrt außer der Substanz derselben naturgemäß auch SaUerstoff, Und zwar weit mehr, als der tägliche Stoffwechsel dem arbeitenden Gehirn zuzuführen vermag. Somit muß im letzteren schließlich ein Mangel an Sauerstoff eintreten, und dieser Mangel, mit der mehr oder minder großen Erschöpfung an Kohlenstoff, d. h. Brennmaterial, zusammentreffend, macht sich in der Form bemerkbar, daß die Verbrennung langsam nachläßt, daß die Atomschwingungen des Gehirns [44] allmählich schwächer werden und schließlich ganz aufhören – das Denkorgan stellt seine Arbeit ein, das Lebewesen, Thier oder Mensch, schläft. Damit ist dem Gehirn gleichzeitig die äußere Erregung durch die Sinnesorgane abgeschnitten, welche beim Wachen unablässig auf dasselbe einwirkt, die Hirnthätigkeit anfacht, die Verbrennungsarbeit vermehrt und in erster Linie im Großgehirn jenen starken Stoffverbrauch hervorruft. Zwei Fesseln, Stoffmangel und das Fehlen äußerer Anreize, lähmen nun gleichzeitig das Centralorgan.

Daß diese Erklärung des Einschlafens von der Wahrheit nicht weit entfernt sein kann, beweisen viele Beobachtungen und mannigfache Versuche, von denen hier nur der eine Erwähnung finden mag, daß man Frösche durch allmähliche Sauerstoffentziehung in einen schläfrigen Zustand versetzen, ja bald zum völligen Schlafe und schließlich zum Scheintod, der die tiefste und dem Tode unmittelbar vorangehende Art des Schlafes darstellt, zwingen kann. Auch daß Blutarmuth eine Quelle steter Müdigkeit ist, weist auf denselben Zusammenhang hin, insofern es eben das Blut ist, welches dem Gehirn den nothwendigen Sauerstoff zuführt. Endlich wollen wir nicht unbemerkt lassen, daß man die beginnende Müdigkeit recht wohl eine Weile hinauszuschieben vermag, wenn man sich beeilt, durch kräftige Bewegung, womöglich in freier Luft, und tiefes Einathmen dem Gehirn einen erneuten sauerstoffhaltigen Blutstrom zuzusenden, während das gegentheilige Verhalten, nämlich Stillsitzen, besonders bei gebückter Haltung und geringer Athembewegung, bekanntlich die Müdigkeit beschleunigt.

Während des Schlafes nun geht die Erfrischung der erschöpften Hirn- und Nervensubstanz vor sich. Dem Einschlafen jener Organe folgt natürlich von selbst die Ruhe der Muskeln und Glieder, da diese ihre gesammten Bewegungen nur auf das Kommando des Gehirns auszuführen gewohnt sind, und die gesammte Lebensthätigkeit wirft sich nunmehr auf das unbewußte Geschäft der Ernährung und Stoffbildung und betreibt dieses um so nachhaltiger. Diejenigen Organe nämlich, welche diesem Theile des leiblichen Daseins dienen, also in erster Linie Magen, Herz und Lunge, stehen mit dem Großgehirn nur in sehr losem Zusammenhang, erhalten ihren Antrieb vielmehr, als sogenannte Reflexbewegungen, von gewissen im Körper vertheilten und die ganze Lebenszeit hindurch in gleichmäßiger Thätigkeit bleibenden Nerven- und Markanhäufungen. So ist die Kraft ausgabe des Centralorgans im Schlafe auf das geringste Maß eingeschränkt, während die Zufuhr von Blut und, in diesem enthalten, von Sauerstoff und Kohlenstoffverbindungen im regsten Grade vor sich geht, um Gehirn und Nerven für die Arbeiten des nächsten Tages von neuem zu stärken. Somit ergiebt sich der Wechsel von Wachen und Schlafen gleichzeitig als ein abwechselndes Hervortreten der bewußten geistigen oder körperlichen Lebensthätigkeit am Tage und der unbewußten ernährenden Thätigkeit der unwillkürlich arbeitenden Organe während der Nacht.

Es soll an dieser Stelle nicht unerwähnt bleiben, daß die Grundzüge dieser Lehre vom Schlafen bereits in der ersten Hälfte unseres Jahrhunderts, als die Physiologie im allgemeinen noch weit hinter ihrem heutigen Stande zurück war, von Schopenhauer in sehr klarer Weise aufgestellt worden sind. Der scharfsinnige Philosoph war, unbeschadet seiner sonstigen Geistesrichtung, unermüdlich in dem Bestreben, die naturwissenschaftlichen Fortschritte seiner Zeit zu verfolgen und sich anzueignen, und namentlich auf dem Gebiet der Physiologie verrathen seine Schriften ein hervorragendes Wissen und eine unübertreffliche Kombinationsgabe. Nachdem er als Zeugen für die mehr geistige, d. h. auf das Gehirn bezügliche, Bedeutung des Schlafes eine Reihe der größten Denker aller Zeiten aufgeführt hat, deren fester und langer Schlaf mit ihrer eindringenden Geistesarbeit Hand in Hand ging, spricht er sich folgendermaßen aus: „Vieles Denken wird demnach das Bedürfniß des Schlafes vermehren. Daß aber auch fortgesetzte Muskelanstrengung schläfrig macht, ist daraus zu erklären, daß bei dieser das Gehirn fortdauernd, vermittelst des verlängerten Marks, des Rückenmarks und der motorischen Nerven, den Muskeln den Reiz ertheilt, der auf ihre Beweglichkeit wirkt, dasselbe also dadurch seine Kraft erschöpft: die Ermüdung, welche wir in Armen und Beinen spüren, hat demnach ihren eigentlichen Sitz im Gehirn; ebenso wie der Schmerz, den diese Theile fühlen, eigentlich im Gehirn empfunden wird ... Die Muskeln, welche nicht vom Gehirn aktuiert (bewegt) werden, z. B. die des Herzens, ermüden eben deshalb nicht. Eben deshalb ist es erklärlich, daß man sowohl während als nach großer Muskelanstrengung nicht scharf denken kann.“

Soviel über die Natur des Schlafes im allgemeinen. Kommen wir nunmehr zum Mittagsschlaf im besonderen.

Den besten Anhalt zu seiner Erklärung bietet die obenerwähnte Spaltung der Lebensvorgänge in bewußte und unbewußte; unter die ersteren rechnen wir sowohl die geistigen als die körperlichen, mit Absicht und Bewußtsein ausgeführten Willensakte, während die letzteren alle der Ernährung und dem Wachsthum des Körpers dienenden, unwillkürlichen Vorgänge umfassen. Scheinbar besteht ja auch schon zwischen den beiden Arten der bewußten Thätigkeit eine tiefgehende Spaltung, indem man bei starkem Nachdenken nicht zu körperlicher Arbeit geneigt ist und umgekehrt, doch dürfen wir mit Schopenhauer als ziemlich gewiß annehmen, daß beide, vom Gehirn gelenkt, auch in annähernd gleicher Weise auf dasselbe zurückwirken und somit voneinander weniger verschieden sind, als es den Anschein hat. Es erklärt sich ja auch bei dieser Annahme sehr ungezwungen, weshalb das Gehirn, dessen Arbeit sich größtentheils in Bewegungsreize umsetzt, für geistige Thätigkeit keine Spannkraft mehr besitzt, und weshalb umgekehrt der geistige Arbeiter nicht in derselben Weise über seine Muskeln verfügen kann wie der Turner oder der Schmied. Ganz anders aber ist es mit der unbewußten, „reproduktiven“, d. h. mit derjenigen Lebensthätigkeit, welche unausgesetzt bemüht ist, den im Kampf ums Dasein sich verzehrenden Körper wiederherzustellen. Sie ist in ihrem Wirken der bewußten Thätigkeit gerade entgegengesetzt: diese verzehrt, jene aber baut auf, und es ist leicht erklärlich, daß sie ihre stille Wirksamkeit dann am besten entfalten kann, wenn das Gehirn seine verzehrende Arbeit auf kurze Zeit einstellt, daß sie also im Schlafe ihre größte Kraft entfaltet und ihre größten Erfolge, sei es in der bloßen Kräftigung des gesunden, sei es in der Heilung des kranken Körpers, erzielt.

Unter allen Zweigen der unwillkürlichen Lebensthätigkeit – hier treffen wir plötzlich den wahren Grund des Mittagsschlafs – ist [45] nun die Verdauung und Blutbildung die wichtigste und den Organismus am stärksten beanspruchende. Denn was es auch für Stoffe sind, deren die Einzelorgane zu ihrer Erhaltung bedürfen, stets muß es der kreisende Strom des Blutes sein, dem sie entnommen werden, und stets ist es die Thätigkeit des Magens und Darms, die das verbrauchte Blut mit frischen Verbrennungsstoffen sättigt. Kein Wunder also, wenn wir beständig mehr, als wir es eingestehen mögen, unter der Herrschaft unseres Magens stehen! Dazu kommt, daß mit der je nach den Mahlzeiten regelmäßig ab- und zunehmenden Verdauungsarbeit, der sogenannten Chylus- oder Speisesaftbildung, auch die übrigen Zweige der inneren Körperthätigkeit eine gleichmäßige Verlangsamung oder Beschleunigung erfahren; daß die Herzthätigkeit ebenso wie die Lungenarbeit sich nach der Hauptmahlzeit bedeutend steigert. Man findet an der Hand von E. Smiths Untersuchungen, daß die durch eine einzelne Atmung in die Lungen gezogene Luftmenge mittags, im Höhepunkt der inneren Lebenstätigkeit, 32 Kubikzoll, in den ruhigsten Stunden der Nacht dagegen nur 18, im Durch- schnitt aber 26 Kubikzoll beträgt. Weit weniger schwankt der Blutumlauf, immerhin aber erweist auch er sich von der Thätigkeit der Verdauungsorgane in hohem Maße abhängig – z. B. stieg beim Verfasser dieses Aufsatzes die Anzahl der Pulsschläge mehrfachen Beobachtungen zufolge nach dem Mittagsmahl um volle zehn Schläge in der Minute – und trägt ebenfalls dazu bei, in den Stunden der Verdauung das ganze unbewußte Arbeiten des Körpers auf den Höhepunkt seiner Leistungen zu treiben. Daß unter diesen Umständen für die Thätigkeit der bewußten Organe wenig Spannkraft übrig bleibt, ist begreiflich; jedermann weiß, wie wenig Geist und Gliedmaßen unmittelbar nach der Hauptmahlzeit zur Arbeit geneigt sind, ja daß schon die Lust zur Führung angeregter Gespräche, möge sie auch während des Essens noch so lebhaft sein, bald nach der Mahlzeit, wenn die Verdauung beginnt, wesentlich erlahmt.

So läßt sich die Schläfrigkeit nach Tische ungezwungen erklären, und es ist durchaus gerechtfertigt, ihr nachzugeben, indem man dem Geiste für kurze Zeit unbedingte Ruhe gewährt und den Körper gänzlich den inneren Kräften zum Tummelplatz überläßt – wohlverstanden, auf ein Viertelstündchen. Denn übertritt man dieses Gebot, so stellt sich in engstem Zusammenhange mit dem Schlafe flugs eine andere Erscheinung ein, welche innerhalb kurzer Zeit genau das Gegentheil von dem herbeiführt, was man beabsichtigt, nämlich den Ernährungsprozeß, anstatt ihn zu begünstigen, geradezu hemmt.

Wir sagten oben, daß die Thätigkeit des Herzens und der Lunge ihren Anreiz anstatt aus dem Gehirn aus anderen, von diesem unabhängigen Nervencentren erhält. Nichtsdestoweniger besteht aber doch ein gewisser Zusammenhang zwischen dem Gehirn und diesen Organen, deren Arbeit deshalb durch geistige Vorgänge immerhin etwas beeinflußt werden kann und anscheinend auch beständig beeinflußt wird. So wissen wir, daß die seelisch anregenden Stoffe Wein, Kaffee, Narkotika, auch anstrengendes Denken – den Herzschlag beschleunigen. Carl Vogt erinnert in seinen physiologischen Briefen nach dem römischen Schriftsteller Valerius Maximus an einen Fall von Selbstmord durch willkürliche Verlangssamung und endliches Stocken des Herzschlages. Dasselbe sollen sehr willenskräftige Naturen durch Anhalten des Athems vollbracht haben, während die gewöhnliche Natur lediglich hemmend oder antreibend auf die Thätigkeit der Lunge einzuwirken, nicht aber sie ganz zum Stillstand zu bringen vermag.

Die äußere oder willkürliche Erregung von Herz und Lunge muß nun während des Schlafs, wenn also das Gehirn unthätig ist, ausfallen; in der That geht der Herzschlag und, wie oben gezeigt, noch weit mehr die Athmung während des Schlafs bedeutend zurück, ohne daß dadurch die heilsame Wirkung desselben wesentlich beeinträchtigt würde, denn für den ruhenden, nichts verausgabenden Körper ist auch diese eingeschränkte Thätigkeit der inneren Lebenskraft von Vortheil. Ganz anders aber, um auf unser Thema zurückzukommen, stellt sich die Sache, wenn diese verminderte Thätigkeit von Herz und Lunge bald nach der Hauptmahlzeit eintritt. Während der ersten Viertelstunde Schlafs wird sich ein solches Herabgehen kaum bemerkbar machen, weil die regelmäßig schwingenden Massentheilchen des Gehirns und der Nerven ihre Bewegung nicht mit dem Einschlafen ohne weiteres abbrechen, sondern sie gleichsam ganz allmählich ausklingen lassen und durch diese Nachklänge ihrer früheren Erregung den Organen der Athmung und des Blutumlaufs über die erste Zeit hinweghelfen. Allmählich aber nimmt dieses Nachschwingen der Bewegungsnerven und mit ihm die bewußte Erregung der betroffenen Organe ab, hört gänzlich auf und das Herz, vor allem aber die Lunge, verfallen in ein matteres Tempo gerade zu der Zeit, da der Körper ihrer am meisten bedarf.

Denn die Verdauung, gänzlich unabhängig vom Gehirn, arbeitet im Schlafe ungestört weiter, führt den Geweben immer neue Mengen von Speisesaft zu und verlangt gebieterisch deren Weiterschaffung durchs Blut und ihre Speisung mit Sauerstoff in den Lungen. Kommt schon das Herz des Schlafenden dieser Forderung nur träge nach, so versagen die Lungen vollends den ausreichenden Dienst, denn abgesehen von ihrer Behinderung durch den Schlaf an sich, hemmt obendrein das nach dem Essen durch den angefüllten Unterleib nach oben getriebene Zwerchfell ihre Bewegung. Die Folgen dieses ungünstigen Zusammentreffens sind leicht einzusehen. Zunächst müssen durch die Stauung des neugebildeten und durch den Pulsschlag nicht genügend schnell fortgeschafften Blutes Kongestionen entstehen, welche uns, anstatt frisch und gestärkt, müde und mit dem Gefühl von Ueberfüllung aus einem solchen ausgedehnten Mittagsschlaf erwachen lassen; dann aber strömt das wirklich in Umlauf versetzte Blut immerhin noch in einer Menge durch die Lungen, die viel zu groß ist, um mit Sauerstoff hinreichend gesättigt zu werden. Erinnern wir uns nun, daß wir gerade die Ernährung des Gehirns mit sauerstoffhaltigem Blute als Zweck des Schlafes und den Mangel des Gehirns an Sauerstoff als Ursache der Ermüdung gefunden haben, so begreifen wir, weshalb man nach einem zu langen Nachmittagsschlaf eher Ermüdung als Erholung empfindet. Kann sich doch nach Versuchen und Erfahrungen schließlich tiefe Ohnmacht als Folge eines andauernden Sauerstoffmangels im Blute einstellen, während als anderes Extrem das Einathmen stark sauerstoffhaltiger Gase (Lustgas) eine unbezwingbare und übermäßige Erregung des Gehirns und der Nerven hervorruft. Es ist nun auch verständlich, weshalb – eine vom Verfasser und gewiß von vielen Lesern am eigenen Leibe beobachtete Thatsache – [46] das aus einer unvorsichtigen Ausdehnung des Mittagsschlafes erwachsende Unbehagen leicht für Stunden, wenn nicht für den ganzen Rest des Tages bestehen bleibt. Da nämlich die Ernährung des Centralapparates im Schlaf ausschließlich mit kohlenstoffüberfülltem Blute vor sich ging, so ist beim Erwachen das Gehirn von Sauerstoff so sehr entblößt und mit Kohlenstoff so sehr überladen, daß die Lunge im Laufe des ganzen Nachmittags nicht imstande ist, durch nachträgliche Sauerstoffzufuhr das Gleichgewicht wiederherzustellen. Wir sind demnach verurtheilt, die Unvorsichtigkeit einer halben oder ganzen Stunde durch das Unwohlsein und die schlechte Laune eines ganzen Nachmittags zu sühnen Ist aber ein solcher Mißgriff einmal begangen, so giebt es allerdings ein Mittel, seine unangenehmen Folgen wenigstens teilweise zu unterdrücken, nämlich rasche, mit tiefer Einathmung verbundene Bewegung in frischer Luft, durch welche dem Blute eine kräftige Sauerstoffzufuhr und dem Gehirn eine lebhaftere Verbrennung mindestens innerhalb gewisser Grenzen geboten werden kann. Niemand, der in die erwähnte Lage geräth, sollte versäumen, dieses Mittel anzuwenden. Besser freilich ist es in allen Fällen, die alte goldene Regel nicht zu übertreten: „Nur ein Viertelstündchen!“