Das Milchmädchen von Trianon
Das Milchmädchen von Trianon.
Die prachtvolle ehemalige Residenz des Sonnenkönigs Ludwig’s XIV. mit ihren Gärten, Wasserkünsten und den beiden Trianon, übt stets einen geheimnißvollen, mächtigen Reiz auf den Fremden aus, denn Versailles ist der Schauplatz, auf dem sich während eines Jahrhunderts nicht allein Ereignisse von weltgeschichtlicher Bedeutung vollzogen, sondern auch ein buntes, interessantes Leben, reich an phantastischen, blendenden Festen, heimlichen Intriguen und pikanten Scenen entwickelte. Besonders sind es die beiden Trianon, welche die Phantasie des Neulings in Paris vorzugsweise beschäftigen: findet er doch heute noch in „Petit Trianon“ einen ganzen Sagenkreis um die Person der unglücklichen Königin Marie Antoinette gewoben, von dem die Wissenden sich nur flüsternd zu erzählen wagen.
Das letzte Mal, als ich Paris besuchte – nur wenige Jahre sind es her – da verbrachte ich mehrere Tage in „Petit Trianon“, das damals in liberalster Weise dem Besucher täglich offen stand – und doch so wenig besucht wurde! Der geheimnißvolle Zauber des Orts hielt mich gebannt und wirkte um so mächtiger auf mich ein, als ich mich ganz allein in dem weiten Parkbereich sah. Kein Besucher störte mich in meinem Wandeln und Träumen, kaum daß ich in der Ferne einen Gartenarbeiter bemerkte. Nur am Eingange des Dörfchens, in dem Häuschen des „Feldhüters“, fand ich einen rothhosigen Infanteristen, der, mit seinem Seitengewehr bewaffnet, die historisch interessanten ländlichen Bauten, deren Inneres zu betreten verboten war, bewachte.
Mit Hilfe freundlicher Worte und besonders einiger Regiecigarren gelang es mir, den harmlosen Troupier zu gewinnen, und an seiner Seite durchwanderte ich die sämmtlichen Häuschen des Dörfchens. In der Mühle ließ mein Gefährte das Rad sich drehen, und es sang heute noch dasselbe melancholische „Klipp-Klapp“ wie zur Zeit, als Ludwig XVI. dort als „Müller“ hantirte. In der „Laiterie“, der Milchkammer, sah ich die weiße Marmortafel, wo Marie Antoinette als Bäuerin die von ihr oft selbstgemolkene Milch in einfachen Gefäßen ihrem intimen Hofstaat, den zeitweiligen Bewohnern des Dörfchens, auftischte; wo man vermittelst Leitern von Mahagoni auf die niedlichen Futterspeicher stieg, mit Waschbläuel von Ebenholz die Wäsche reinigend schlug – mit „goldenen Scheren“ die Schäfchen schor! Ich sah das Schulhaus, in welchem der junge, doch ernste und gelehrte Graf von Provence, später Ludwig XVIII., als Dorfschullehrer fungirte, während sein Bruder, der Graf von Artois, später Karl X., das Amt eines Flurschützen versah und in dem Häuschen wohnte, das heute meinem republikanischen Führer als Aufenthalt diente. Ich sah die Wohnung des „Bailly“ (Landvogt), ein wichtiges Amt in dieser arkadischen Maskerade, das meistens in den Händen des gewandten Grafen d'Adhémar ruhte, den „Marlborough-Thurm“, das Pfarrhaus und endlich das „Boudoir“ und den Pachthof, das größte und schönste Gebäude des Dörfchens, den Wohnort der königlichen Pächterin, mit seinen Lauben und Laubgängen, mit den Vasen, in denen einstens die von der Herrin des Orts gepflegten Blumen blühten.
Dann verabschiedete ich dankend meinen Führer, warf mich am Ufer des kleinen Sees auf den Rasen nieder, und, das Dörfchen vor mir, versenkte ich mich in Erinnerungen längst vergangener Zeiten und überließ mich meinen Träumereien, und was ich damals in der Idylle des „Petit Trianon“ träumend geschaut, bereits wußte und sonst noch erfahren habe, will ich jetzt der Reihe nach erzählen.
Im Jahre 1774 starb Ludwig XV. und sein Enkel bestieg als Ludwig XVI. den Thron Frankreichs. Als Angebinde schenkte der König seiner jungen, damals neunzehnjährigen Gemahlin das Schlößchen „Petit Trianon“ mit seinen Gärten, und dankbar nahm die lebensfrohe Königin die Gabe an, jedoch mit der halb ernstlich, halb schelmisch gestellten Bedingung, daß der König nur dann dort erscheinen dürfte, wenn man ihn dazu einladen würde. Nun begann sie Schlößchen und Garten, die ihr von Anfang an ein Lieblingsaufenthalt waren, nach ihrem Geschmack, ihren Neigungen zu verschönern und umzuwandeln. Jedem Zwange abhold, war sie auch eine Gegnerin der steifen altfranzösischen Gartenkunst Le Nôtre’s, und während der Architekt Micque das Schlößchen, das kleine Theater und die verschiedenen Pavillons umbaute und errichtete, zeichneten der Architekt Leroy und der Maler Hubert Robert, nach Anordnung der Königin, den neuen landschaftlichen Garten im englischen Geschmack, mit seinen Wiesen und Wäldchen, seinen natürlichen Felspartien, Grotten und Wasserfällen, seinem Bächlein, dem See und dem kleinen koketten Dörfchen, welche Arbeiten dann auch unter Leitung der beiden Künstler ausgeführt wurden. Es dauerte dies indessen mehrere Jahre, und erst 1781, beim Besuche Josef’s II. in Versailles, fand die eigentliche Einweihung des kleinen selbstgeschaffenen Paradieses der Königin Marie Antoinette statt.
Nun begannen auch die ländlichen Maskeraden der Königin und der Intimen ihres Hofstaats, welche, außer dem König und dessen Geschwistern, den Grafen von Provence und von Artois und Madame Elisabeth, nur noch aus wenigen Personen, mehreren Damen und älteren Herren bestand, unter denen Baron von Besenval, die Grafen d'Adhémar und Vaudreuil die bevorzugtesten waren. Der einzige jüngere Kavalier dieses intimen Hofstaats war der etwa zwanzigjährige Graf Artois – sein nur um zwei Jahre älterer Bruder, der Graf von Provence, zählte, weil er zu ernst war, nicht mit.
Das Dörfchen erhielt erst gegen 1783 die volle Ausdehnung. Die ersten der ländlichen Bauwerke waren die Meierei und die Milchkammer mit ihrem marmorgepflasterten Stalle. Marie Antoinette verlangte aus Gesundheitsrücksichten und weil es zugleich ihrem Geschmack entsprach, nach frischer süßer Milch, die unter ihren Augen gemolken werden sollte – bis sie später solche ländliche Arbeit selber besorgte. Als die beiden Bauten fertig waren, als ihr hübsches malerisches Aeußere, die kokette und einladende innere Einrichtung und Ausstattung der jungen Königin größte Freude machten, ließ sie durch ihren Agenten in der Schweiz und im Kanton Freiburg zwei prächtige Schweizerkühe aufkaufen und nach Versailles senden. Da die kostbaren Thiere auch gute und besonders richtige Pflege haben mußten, so wurde dem französischen Agenten bald der weitere Auftrag, auch eine junge hübsche Schweizerin, in solchen ländlichen Arbeiten wohlerfahren, zu suchen, zu engagiren und ebenfalls nach Versailles zu schicken. Rasch wurde der Befehl der Königin erfüllt, und noch waren die beiden Schweizerkühe in ihrem Marmorstalle zu Trianon nicht heimisch geworden, da langte auch schon eine Landsmännin von ihnen an, eine junge frische und sehr hübsche Dirne aus dem Kanton „Fribourg“ mit Namen Emmi. Das Mädchen sah in seiner volksthümlich ländlichen Tracht, mit dem blendend weißen bauschigen Linnenhemde, dem schwarzen, mit silbernen Kettlein verzierten Mieder ganz allerliebst aus. Der flache Strohhut, den sie stets mit Blumen verzierte, hob das rothwangige Gesichtchen mit den großen braunen Augen äußerst vortheilhaft hervor. Eine besondere, auffallend schöne und überraschende Zierde bildeten die beiden braunen, bis weit unter die Taille niederhängenden Haarzöpfe, die den hochauftoupirten und gepuderten Hofdamen erst ein Gegenstand des Lächelns, sehr bald aber der Bewunderung und sogar des stillen Neides wurden. Daß die hübsche frische Schweizerin auf die Herren des kleinen Kreises einen noch lebhafteren Eindruck machen mußte, konnte nicht ausbleiben, doch war hierbei wohl nichts für Emmi zu fürchten, denn Marie Antoinette hatte, wie schon angedeutet, nur ältere Kavaliere zu ihrer „Société intime“ zugezogen.
[638] War doch Graf d'Adhémar, der auf dem Privattheater der Königin die Liebhaberrollen spielte – den Schäfer Collin im „Dorfwahrsager“ von J. J. Rousseau, Graf Almaviva in Beaumarchais’ „Barbier von Sevilla“ – ein Sechziger, dessen Stimme beim Deklamiren bedenklich zitterte, worüber die Königin, als Colette und Rosine, sogar oftmals auf der Scene laut auflachen mußte. Nur Graf Artois, ein lebensfroher Kavalier, zu allen lustigen und galanten Abenteuern aufgelegt, konnte gefährlich werden. Doch auch diesem geboten der Ort und dessen königliche Herrin Schranken, die er offen niemals zu überschreiten gewagt haben würde. Desto eifriger bemühte er sich bald im Geheimen um die schöne Schweizerin, wie dies denn auch, und wohl noch heimlicher, doch getreu seinem Fach als „jugendlicher Liebhaber“ und ehemaliger wirklicher Roué, der alte Graf d'Adhémar that, nur daß Ersterer dabei den feuerigen Bewunderer spielte, während sein stiller Rivale den Liebhaber geschickt unter dem väterlichen Freunde zu verbergen wußte. Und Ursache und Gelegenheit zu solcher heimlichen Annäherung und Bewerbung sollte sich mit der Zeit, sogar recht bald ergeben. Die kleine Emmi hatte ihr neues Amt als königliche Kuhhirtin und Melkerin in Trianon mit der vollen Unbefangenheit und Lust eines fröhlichen Kindes der Schweizerberge begonnen, den ganzen Tag und überall, wo sie sich auch befand, erklang ihre helle Stimme. Bald sang sie französische, bald deutsche Liedlein, denn beide Sprachen waren ihr geläufig; jodelte bald einen französischen „Ranz des vaches“, bald einen deutschen Kuhreigen, zum größten Vergnügen der heimlich horchenden Königin und ihrer Gesellschaft. Doch nur zu bald änderte sich dies. Emmi wurde stiller – immer stiller und einsilbiger, bis endlich Stimme und Gesang vollständig verstummten und auch die Rosen ihrer Wangen zu erbleichen begannen. Eines Tages überraschte die Königin das Mädchen sogar in Thränen, und als Marie Antoinette sich mit Worten wahrer Theilnahme nach der Ursache dieser plötzlichen Traurigkeit erkundigte, da entfloh Emmi, ohne nur eine Silbe zu erwiedern der Milcherei und eilte hinaus zu ihren beiden Kühen, die draußen auf der duftenden Wiese weideten.
„Sie hat das Heimweh,“ sagte Marie Antoinette sinnend vor sich hin, dabei an ihre eigene österreichische Heimath denkend. „Nur dies kann die Ursache ihrer Traurigkeit, ihrer Neigung zur Einsamkeit sein, denn hier fehlt es ihr doch an nichts. Nun, es wird vorübergehen,“ fuhr sie wieder heiterer in ihrem Selbstgespräch fort. „Auch ich habe es kennen lernen, dieses böse Heimweh, und ich zählte erst fünfzehn Jahre, als ich mein liebes Wien und Schönbrunn verlassen mußte, während Emmi älter ist und auch nur ein armes Dörfchen, öde Thäler und Höhen zu betrauern hat, wogegen Trianon ein wahres Paradies ist. – Es wird vorüber gehn!“
Doch bei der armen Emmi ging es nicht vorüber; das böse „Heimweh“ wurde sogar tagtäglich schlimmer, denn nun ließ sie ungehindert ihren Thränen freien Lauf, gleichviel, ob ihre königliche Herrin oder die andern Damen des Hofes zugegen waren oder nicht. Jetzt wurde auch die Theilnahme eine allgemeine, und von allen Seiten versuchte man das arme Kind, von dem Marie Antoinette sich nicht trennen wollte, zu trösten. Dadurch erhielten die beiden Herren, welche sich von Anfang an für die ländliche Schöne interessirt hatten, einen Vorwand, sich Emmi zu nähern, um, ein jeder auf seine Weise, den Tröster zu spielen. Am Tage weilte Emmi mit Vorliebe auf den einsamen, zwischen Baummassen und Gebüsch versteckten Rasenflächen des Parkes, die sie als Weideplätze für ihre Kühe benutzte. Es war, als ob sie sich von den beiden schönen Thieren nicht hätte trennen können, denn Abends saß sie wiederum und bis spät in die Nacht hinein bei ihnen im Stalle, stets sinnend und weinend. Auf diesen Umstand bauend, hatten die beiden Bewerber um die Gunst Emmi’s ihren Belagerungsplan entworfen. Glaubte das Mädchen sich in seiner Waldeinsamkeit allein, dann trat plötzlich der junge hübsche und unternehmende Graf Artois zwischen den Bäumen hervor und war bald an Emmi’s Seite, in feurigen Worten ihr zuraunend, das böse Heim- und Herzensweh sei sicher durch ein anderes, weit süßeres Weh: die Liebe, zu bekämpfen und in die Flucht zu schlagen. Das Mädchen schaute wohl auf bei solcher unerwarteter Annäherung; doch floh sie nicht, bangte nicht einmal, sondern ließ den Prinzen reden, als ob er ihr die allerunschuldigste und gleichgültigste Geschichte erzählt hätte, ohne daß sie dabei irgend eine Bewegung machte oder nur eine Silbe erwiederte. Wenn endlich der junge Prinz auf eine Antwort drang, dann schaute Emmi ihm mit ihren großen thränennassen Augen fragend und dabei so tief traurig in das Antlitz, daß dieser Blick dem enttäuschten Liebhaber nur zu deutlich kündete, wie wenig seine schönen feurigen Reden von dem Mädchen verstanden – daß sie vielleicht nicht einmal beachtet worden waren!
Weit glücklicher war der alte geistvolle Roué Graf d'Adhémar, der nicht umsonst den Ruf eines vorzüglichen Schauspielers genoß, in seinen Bestrebungen. Er hatte sich dafür den Abend und die Milchkammer, ja, wenn es sein mußte, sogar den Stall, erwählt; er redete dem armen Mädchen zu wie ein väterlicher Freund, erfaßte ihre Hand, drückte das Köpfchen der Weinenden mit inniger Theilnahme an seine Brust, und Emmi verstand ihn, ließ es nicht allein geschehen, sondern nachdem sie sich an der Brust des alten guten Herrn ausgeweint hatte, redete sie zu ihm und öffnete ihm endlich auch [639] ganz ihr Herz. Da erlebte nun freilich der gar zu kluge Graf eine arge Enttäuschung, denn was bekam er da zu hören!
Es war an einem Abend und im Stalle mit dem weißen Marmorboden und der gleich kostbaren Krippe, Graf d'Adhémar hatte sich auf den dreibeinigen blankpolirten Schemel von Mahagoni, der zwischen den beiden Kühen stand und für gewöhnlich der Melkerin bei ihrem Geschäft diente, niedergelassen, und neben ihm kauerte die hübsche, interessante Emmi, stützte sogar ihren Arm mit sammt dem allerliebsten Köpfchen auf die lebhaft zitternden Kniee des alten Herrn und erzählte. Wohl habe sie Heimweh, so berichtete sie unter Thränen, doch hauptsächlich nur nach ihrem – lieben armen Jakob, ihrem „pauvre Jacques“, den sie mehr als die Heimath – mehr als das Leben liebe, der sterben würde – wie sie nicht mehr leben könne – wenn sich Beide nicht wiedersehen, nicht einander in die Arme fliegen, sich nicht nach Herzenslust küssen und lieben dürften!
Es war eine einfache, alltägliche Geschichte und doch eine Geßner’sche Idylle, oder eine der ländlichen Erzählungen Florian’s, von denen die Königin oft gesagt, es wäre ihr beim Lesen zu Sinne, als ob sie eine köstliche Milchsuppe verspeise. Emmi berichtete, wie sie früher die Kühe eines einfachen Bauern ihres Heimathdorfes gehütet, während Jakob jeden Morgen mit der dörflichen Ziegenherde ausrückte. Auf den Weideplätzen lernten Beide sich schon als Kinder kennen, spielten anfänglich mit einander, um sich dann später, was eben nicht ausbleiben konnte, zu lieben. Hätte Emmi gewußt, welch Herzeleid ihr nach der Trennung bevorstehe, sie würde nun und nimmer ihre Berge, ihren lieben armen Jakob verlassen haben, und wäre der Weg nach Paris und Versailles auch mit Gold gepflastert gewesen. Aber das wußte sie eben nicht und nun, nachdem sie Alles habe, was man nur wünschen könne, fühle sie sich tief unglücklich, Nichts erfreue sie mehr. Zu singen sei sie nicht mehr im Stande; nur zu weinen – zu weinen vermöge sie, von Morgens bis Abends und sogar des Nachts in ihren Träumen. Der Sonnenschein quäle sie, und suche sie die Schatten des Waldes auf, so treibe es sie auch von dort wieder fort. Die Sehnsucht nach ihrem armen Jakob drücke ihr eben das Herz ab und Ruhe finde sie wohl nur noch im Grabe.
So weit war Emmi mit ihren Schilderungen und Klagen gekommen, da versagte ihr plötzlich die Stimme und die letzten Worte erstarben in einem herzbrechenden Schluchzen. Arme Emmi! Armer Jakob! Graf d'Adhémar, der sich schließlich von dem tiefen Schmerz, von der naiven Hingabe des lieben, ihm vertrauenden Kindes wahrhaft und seltsam ergriffen fühlte, wollte nun sein Amt als Tröster beginnen und hätte jetzt gewiß auch Worte gefunden, die vom Herzen gekommen, zum Herzen gedrungen wären. Doch es sollte nicht sein! Kaum öffnete er die Lippen, um zu reden, als er in seiner Nähe ein Geräusch vernahm, das nicht von der Gesellschaft ihm zur Rechten und zur Linken, den beiden königlichen Schweizerkühen, herrühren konnte, und als er überrascht aufschaute, wäre er bald vor Schreck mit sammt seinem Mahagonimelkstuhl umgesunken, denn vor ihm stand Marie Antoinette und derselbe Blick zeigte ihm in der offenen Thür des Stalles und draußen den ganzen kleinen Hofstaat der Königin, zugleich auch das schadenfroh lächelnde Antlitz seines Nebenbuhlers, des Grafen von Artois, der allein ihn verrathen haben, der Urheber dieser Scene gewesen sein konnte.
Wie war das zugegangen?
Die Königin hatte an diesem Abend eine musikalische Unterhaltung angeordnet und dazu Einladungen an mehrere Damen des Hofes von Versailles ergehen lassen, unter Anderen auch an die Marquise von Travanet, die nicht allein das Klavier vortrefflich spielte und dabei sang, sondern auch hübsche Romanzen und Lieder dichtete und komponirte, die dem damaligen Geschmack entsprachen und in glücklicher Erfindung den melodisch sentimentalen Weisen Monsigny’s und Gretry’s nachstrebten. Das kleine Koncert fand in einem Musikpavillon statt, dessen offene Thüren nach dem umgebenden Park gingen, und da es gestattet war, den Produktionen auch draußen unter den Bäumen zu lauschen, so glaubte Graf d'Adhémar die beste Gelegenheit gefunden zu haben, sich unbemerkt zu seiner kleinen Schweizerin zu stehlen.
Doch unglücklicher Weise beschäftigten gleiche Gedanken auch den jungen Grafen von Artois. Da sein galantes Abenteuer am Tage keinen Erfolg gehabt, hoffte er, am Abend glücklicher zu sein, und so trat denn auch er, sobald es ohne Aufsehen geschehen konnte, seine heimliche Wanderung nach der königlichen Meierei und der schönen Emmi an. Er kam zu spät. Nach einigem Spähen zeigte ihm endlich ein Blick durch die kleinen bleigefaßten Scheiben des Stallfensters die junge Schweizerin, doch zugleich auch seinen glücklicheren Rivalen und Beide, im Verein mit den Kühen, in einer solchen originellen Gruppe, daß dies noch mehr seine Lachlust als seinen Aerger reizte. Eiligst kehrte er nach dem Musikpavillon zurück und begann dort heimlich und dringend auf Marie Antoinette einzureden, sie möge ihm nach der Meierei folgen, wo sie den eigentlichen Grund des Kummers und der Schwermuth der jungen Schweizerin kennen lernen würde. Nur müßte man vorsichtig zu Werke gehen, [640] um die arme Emmi und ihren Schmerz unbemerkt beobachten zu können. Marie Antoinette, die sich lebhaft für das junge Mädchen interessirte, fand nichts Bedenkliches in diesem Vorschlag ihres Schwagers. Die musikalischen Produktionen wurden unterbrochen und die Königin mit ihrer ganzen Gesellschaft machte sich, von dem Grafen Artois geführt, von einigen Lakaien mit Windlichtern gefolgt, auf den Weg nach der Meierei. Unbemerkt langten sie dort an und sahen allerdings die arme Emmi – und bei ihr – den Grafen d'Adhémar. Die Königin, im ersten Augenblick sprachlos vor Staunen und Entrüstung, blieb wie gebannt unter der offenen Thür des Stalles stehen und mußte der Erzählang Emmi’s horchen, wie auch der ganze kleine Hofstaat, der sich neugierig leise – leise näher drängte, kein Wort davon verlor. Da wurde es Marie Antoinette weich um das Herz; sie sah, daß das junge Mädchen keine Schuld traf und den Grafen d'Adhémar wohl auch nicht, ihr Zürnen wandelte sich rasch in innige Theilnahme mit dem armen Kinde, dessen Herzensweh ihren Augen Thränen entlockte. Da war die Erzählung Emmi’s zu Ende, die Königin trat vor und Graf d'Adhémar schaute auf.
Der Schreck, den er empfand, war ein ganz gewaltiger, doch rasch faßte sich der geistvolle Höfling, dem jetzt die theatralische Routine zu Statten kam. Mit einem Blick überschaute er die ganze Situation, und die theilnahmvolle Miene, die thränennassen Augen der Königin sagten ihm sofort, daß er sich mit Vortheil aus der bedenklichen Affaire ziehen könne. – Noch bevor Marie Antoinette ein Wort geredet, hatte Graf d'Adhémar sich schon erhoben, Emmi bei der Hand genommen und der Königin entgegen geführt. Ein kräftiger, vielsagender Druck, und das junge Mädchen sank vor ihrer hohen Beschützerin nieder, umfaßte weinend deren Kniee, und während sie schamvoll verlegen und bittend zu ihr aufschaute, sprach Graf d'Adhémar mit der vollendeten Kunst eines Schauspielers, der die Herzen zu ergreifen versteht:
„Der Kummer Emmi’s rührte mich, ich suchte ihr Vertrauen zu gewinnen, um ihr helfen zu können, und wie an dem Herzen eines Vaters hat das gute Kind sich ausgeweint, mir nicht allein ihre Liebe zu ihrem armen Jakob gestanden, sondern auch daß sie sterben würde, müßte sie länger fern von ihm sein. Ich hoffe, daß unsere angebetete gütige Königin,“ also fuhr er mit einem schelmischen Seitenblick auf seinen geschlagenen jüngeren Nebenbuhler fort, „Mitleid mit dem Heim- und Herzensweh ihrer getreuen Dienerin haben und der guten Emmi ihren ‚pauvre Jacques‘ zurückgeben wird.“
„Ich danke Ihnen, mein lieber Graf,“ entgegnete Marie Antoinette, mit huldvollem Lächeln Graf d'Adhémar zunickend, und das Mädchen vom Boden empor ziehend, „daß wir durch Ihre freundliche und geschickte Fürsorge endlich die wirkliche Ursache des Kummers unserer armen Emmi kennen gelernt haben, und Sie wie das gute Kind dürfen versichert sein, daß ich Alles aufbieten werde, die nun glücklich entdeckte Herzenswunde zu heilen.“ Sodann sich zu dem Mädchen wendend, fuhr sie fort: „Tröste Dich, Emmi, und vertraue den Worten Deiner Herrin! Sei wieder fröhlich und singe wie früher. Ist Dein ‚armer Jakob‘ Dir ebenso zugethan geblieben, wie Du ihm, dann soll der Lohn Eurer treuen Liebe nicht ausbleiben. Deine Königin verspricht es Dir.“
Wiederum wollte Emmi, diesmal in dankbarer Rührung, das Herz voll hoffender Freude, der gütigen Königin zu Füßen fallen, doch diese entzog sich solchem Dank, indem sie mit einem freundlichen Lächeln von dem Mädchen Abschied nahm und, von ihrer Umgebung gefolgt, den Rückweg nach dem Schlößchen antrat.
„Diese glückliche Wendung ihres Schicksals hat meine kleine Schutzbefohlene im Grunde wohl nur Ihnen, Monseigneur, zu verdanken,“ sagte Graf d'Adhémar im Dahinschreiten zum Grafen Artois, indem er sich mit einer leichten Verbeugung und mit einem schelmischen Lächeln dem jungen Prinzen näherte.
„Dafür wird Ihnen die gewiß noch weit angenehmere Aufgabe werden, jenen ‚Pauvre Jacques‘ in die Arme Ihrer Schutzbefohlenen legen und das junge Paar in das Brautgemach – ihres Stalles geteiten zu dürfen. Viel Vergnügen, Herr Graf!“ entgegnete Graf Artois mit beißendem Spott in Ton und Blick, außer Stande, seinen Aerger über die verfehlte Rache zu verbergen. Dann eilte er rasch weiter, um in die Nähe der Königin zu gelangen. Marie Antoinette kehrte nicht nach dem Musikpavillon zurück; es war spät geworden und die Stunde des Soupers gekommen. So zog sie denn mit ihrer kleinen Gesellschaft nach dem Schlößchen, wo die Abendtafel bereits ihrer Gäste harrte. Das Souper verlief in belebter Stimmung; die kleine Emmi, ihr armer Jakob und das Herzensweh der hübschen Schweizerin lieferten den Stoff der Gespräche. „Pauvre Jacques“ klang es allwärts mit gefühlvollstem Ausdruck, doch auch hie und da mit einer leichten Ironie. Nur eine der Damen machte eine Ausnahme, sie allein blieb bei dieser allgemeinen lebendigen Unterhaltung stumm oder doch auffallend wortkarg und schien mit ganz anderen Gedanken beschäftigt zu sein. Es war die Marquise von Travanet. Als die Königin dies endlich bemerkte, wendete sie sich erstaunt an die sonst so lebhafte und zugleich sehr gefühlvolle Dame mit der Frage, ob denn das Schicksal des armen Kindes der Schweizerberge nicht auch ihr Herz gerührt habe. Die Marquise lächelte und erwiederte, es sei dies in einem solchen Grade der Fall gewesen, daß sie bereits das Herzweh Emmi’s, sogar deren eigene Worte in Verse gebracht, auch schon die passende Melodie dafür gefunden habe. Wenn Ihre Majestät es gestatteten, meinte sie schließlich, so würde sie sich glücklich schätzen, dies soeben entstandene Liedchen vom „Pauvre Jacques“ vortragen zu dürfen.
Marie Antoinette war sehr erfreut über diese Mittheilung der poetisch und musikalisch begabten Marquise und bat sogleich [641] dringend um den Vortrag des Liedes. Sie hob die Tafel auf und schritt mit der Marquise in den kleinen Musiksalon, der sich rasch mit der übrigen Gesellschaft füllte. Die Marquise von Travanet setzte sich an das Clavecin der Königin (heute noch in „Petit Trianon“ befindlich!) und unter lautloser Stille, bei gespannter Erwartung ihrer gefühlvollen Zuhörerschaft, sang sie das von ihr gedichtete und komponirte – im Grunde improvisirte Lied vom „Armen Jakob“.
Das kleine Lied mit seiner hübschen Melodie erfreute und rührte die Königin und deren Hofstaat so sehr, daß seine Urheberin es mehrmals wiederholen mußte, und als die Gesellschaft endlich aufbrach, hörte man von allen Seiten, mehr oder minder gefühlvoll die rührende Weise des Refrains:
„Pauvre Jacques, quand j’étais près de toi
Je ne sentais pas ma misère;
Mais à présent que tu vis loin de moi,
Je manque de tout sur la terre!“
(„Armer Jakob, als ich in Deiner Näh’,
Fremd war mir des Kummers Beschwerde.
Nun Du mir ferne und ich Dich nimmer seh’,
Fehlt mir Alles – Alles auf der Erde!“)
Die Damen des Hofes brachten das Lied nach Versailles, von dort wanderte es nach Paris, von wo aus „Pauvre Jacques“</t> sich rasch durch ganz Frankreich verbreitete und eine Lieblingsromanze der damals, vor 1789, mehr empfindsamen als revolutionären Bewohner des schönen Landes wurde.
Am Schluß unserer kleinen Erzählung geben wir das Lied der Marquise von Travanet mit seiner Melodie, die in ihrer eigenartigen Färbung jene Zeit der Empfindsamkeit, in welche die glücklichen Tage Marie Antoinette’s fallen, treffend charaktertsirt.
Während „Pauvre Jacques“ in Trianon mit Vorliebe gesungen wurde und von Versailles und Paris seine Wanderung durch Frankreich antrat, arbeitete Marie Antoinette eifrigst an der Erfüllung ihres der armen Emmi gegebenen Versprechens. Der bereits zweimal für die Königin thätig gewesene französische Agent in der Schweiz erhielt nun den weiteren Auftrag, den bewußten „armen Jakob“ aus seinem Freiburger Dörfchen ebenfalls und so rasch wie möglich nach Versailles und Trianon zu expediren. Doch Enttäuschung und Schrecken! Der Agent berichtete umgehend Ihrer Majestät der Königin, daß besagter Jakob sich nicht mehr daheim aufhalte, sondern aus seinem Dorfe spurlos verschwunden sei. Doch glaube man, und wohl nicht mit Unrecht, daß selbiger sich heimlich nach Paris gewendet und dazu den Weg eingeschlagen habe, den kurze Zeit vorher zwei Kühe und dann eine junge Hirtin genommen hätten.
Diese unerwartete Nachricht verursachte dem guten Herzen der Königin rechten Kummer, denn wenn sie auch wohl hoffen durfte, daß der ersehnte Jakob eines Tages anlangen könne, so stand dies doch nicht ganz außer Zweifel. Der Weg von Freiburg nach Paris war ein sehr weiter und mußte für einen Fußwanderer lange – lange Zeit in Anspruch nehmen. Und dann, welchen Gefahren konnte ein solcher unterwegs ausgesetzt sein und dies erst recht in dem großen Paris, wo die Spuren, welchen Jakob gefolgt, sich verlieren mußten. Denn wer wußte dort etwas von dem versteckten Winkel der königlichen Meierei in Versailles, wo die arme Emmi sich in ihrem Heim- und Herzensweh verzehrte? Doch Marie Antoinette rechnete ohne die Liebe, von der ein anderes, doch deutsches Volksliedchen singt:
„Die Liebe hat Flügel
Und Zaubergewalt,
Sie fliegt über Hügel
Und Berge und Wald.
Ueber Ströme und See’n,
Ueber Abgrund und Steg,
Ueber Felsen und Höh’n
Findet Liebe den Weg!“ –
Die Königin sollte die Wahrheit dieser Worte erproben.
Wochen vergingen; Marie Antoinette mußte mit dem König und dem ganzen Hofe nach Marly. Als sie wiederum in ihrem Paradiese, dem kleinen Schlößchen von Trianon, zu längerem Aufenthalt einziehen durfte und ihren ersten Morgenspaziergang nach der Meierei machte, um nach ihrer Emmi zu schauen, war sie nicht wenig und auf das Freudigste überrascht, schon aus der Ferne die lange entbehrte Stimme des Mädchens zu hören, die heute noch weit lustiger sang und jodelte als dies in jener ersten glücklichen Zeit ihres Einzugs in Trianon der Fall gewesen war. Doch – neue Ueberraschung! – jetzt setzte auch eine zweite, eine männliche Stimme ein, und nun erklang der Gesang so hell und jubelnd, wie er nur der Brust und dem Herzen zweier Glücklichen zu entströmen vermag. Die Königin beflügelte ihren Schritt, und als sie unerwartet die Milchkammer betrat, da warfen sich in der That zwei wahrhaft Glückliche mit hellem Freudenruf und Thränen der Dankbarkeit ihr zu Füßen. Der arme, doch auch recht kluge Jakob hatte – von seiner Liebe geleitet – ganz allein den Weg nach Trianon und zu seiner Emmi gefunden, und würde die Marquise von Travanet jetzt ein Lied auf das Paar gedichtet und gesungen haben, so hätte es nur „der glückliche Jakob“ heißen können.
Marie Antoinette vermählte das junge Paar, stattete es reichlich aus und wies ihm die größere Meierei als Wohnstätte an. Die Hochzeit wurde in ein ländliches Fest umgewandelt und als solches von der Königin und ihrem intimen Hofstaat gefeiert. Die beiden ehemaligen Rivalen und Bewerber um die Gunst der hübschen jungen Braut, Graf Artois und Graf d’Adhémar, [642] fehlten dabei nicht und schienen den fröhlichsten Antheil an der ländlichen Maskerade zu nehmen, denn Hochzeit und Fest fanden mit der früher angedeuteten Vertheilung der Rollen und entsprechender Kostümirung statt, wie dies von nun an oft der Fall war, wodurch das hübsche Phantasie-Dörfchen der Königin erst seine volle Bedeutung und auch das rechte Leben erhielt.
Nur wenige Jahre erfreute sich das junge Paar in ungetrübter Heiterkeit der Idylle Trianons, die Zeiten wurden nur zu bald ernster und die ländlichen Maskeraden in dem Dörfchen fanden ein schnelles Ende. Da entließ die Königin fürsorglich und reichbeschenkt ihre Schützlinge, die in ihre heimischen Schweizerberge zurückkehrten, um dort wohl im Alter in der Erinnerung noch einmal das schöne Märchen ihrer Jugend, ihr Liebesleid und die glücklichen Tage von „Petit Trianon“ zu durchleben.
Das Lied „Pauvre Jacques“ wurde noch manches Jahr von dem französischen Volke mit Vorliebe gesungen, doch verstummte es endlich und vollständig vor den wüsten Gesängen der Schreckenszeit und den heroischen Klängen der „Marseillaise“. Erst nachdem wiederum Ruhe in Paris und Frankreich eingekehrt war, die blutigen Wogen der Revolution von starker Hand eingedämmt worden waren, erinnerte man sich auch wieder des Liedes der Marquise und des Vorfalls in „Petit Trianon“, durch den es hervorgerufen worden war. Beide, das Lied und das Schicksal der jungen Schweizerin, wurden 1807 in einem „Vaudeville“ unter dem Titel „Pauvre Jacques“ auf eine der Pariser Bühnen gebracht. Das Stück gefiel, wurde oftmals aufgeführt und wanderte dann wie so manches andere französische Bühnenwerk, nach Wien, um dort umgeformt wieder als „deutsche Oper“ ins Leben zu treten. Es war der fruchtbare Wiener Dichter I. F. Castelli, welcher die Umarbeitung von „Pauvre Jacques“ unternahm und nach diesem Vaudeville den Text der „Schweizerfamilie, lyrische Oper in drey Aufzügen“ dichtete, „frey nach dem Französischen“. Josef Weigl, der damalige „Operndirettor und Kapellmeister der k. k. Hoftheater“, setzte das Buch in Musik, und am 14. December 1809 wurde „Die Schweizerfamilie“ in Wien zum ersten Male aufgeführt, eine Oper, die mit größtem Glücke die Runde über alle deutschen Bühnen machte, das damalige Opernpublikum in Entzücken versetzte – besonders nachdem die Schröder-Devrient die Emmeline mit unerreichter Meisterschaft und größter Wirkung dargestellt hatte. Die aus einem französischen Vaudeville entstandene deutsche „Schweizerfamilie“ wanderte von Wien nach Paris. 1812 wurde sie auf Veranlassung der Kaiserin Marie Luise ins Französische zurückübersetzt und als „Vallée suisse“ in der „Opéra-comique“ zur Aufführung gebracht. 1827 erschien sie unter ihrem rechten Titel „La famille suisse“ auf der Bühne des Odeontheaters, wo drei Jahre später, 1830, eine deutsche Operngesellschaft, mit der Schröder-Devrient an der Spitze, die echte deutsche „Schweizerfamilie“ den Parisern und zwar mit größtem Erfolge vorführte.
Der Stoff wurde noch mehrfach für die Bühne benutzt. 1829 gelangte eine Oper „Emmeline“ von Herold in Paris zur Aufführung, die ihn, nach England verlegt und vielfach verändert, ihrem Publikum vorführte, und 1858 wurde in den Salons Rossini’s zu Passy-Paris eine Operette für zwei Personen gesungen und gespielt (Musik von Weckerlin), in der Emmi und ihr Jakob unter Anderm auch das Lied vom „Pauvre Jacques“ vorzutragen hatten.
Marie Antoinette verbrachte noch glückliche Tage in ihrem kleinen Paradiese von „Petit Trianon“, doch endlich nahte der für sie und die Ihrigen so verhängnißvolle 6. Oktober 1789 heran. Am Tage vorher befand sich der noch immer sorglose König auf der Hirschjagd im Walde von Meudon, und die Königin, das ihr und den Ihrigen drohende Unheil ahnend, flüchtete Trost und Ruhe suchend nach ihrem geliebten Trianon. Marie Antoinette befand sich mutterseelenallein in dem Schlößchen, in dem weiten Garten. Durch alle Gemächer schritt sie, die so frohe und schöne Tage gesehen hatten! Alle ihre Lieblingsplätzchen im Garten und Park, die Häuschen ihres Dörfchens besuchte sie. Doch heute lächelte die arme Königin nicht wie früher; sie weinte, ließ den Thränen ungehindert ihren Lauf; es war, als ob sie Abschied nehmen wollte von all den lieben Orten, denen sie das einzige Glück ihres schwergeprüften Lebens verdankte – von all den stillen Freuden, die sie hier genossen hatte! O, es müssen bittere Stunden gewesen sein, die Marie Antoinette an diesem 5. Oktober in der Einsamkeit von Trianon zubrachte, und doch ahnte sie noch nicht, wie schrecklich sich ihr Schicksal binnen Kurzem wenden sollte. Gegen Abend saß sie lange – lange in der Grotte und ließ wohl noch einmal all die heiteren Bilder und Scenen einer unschuldigen Freude, die sie hier geschaut und erlebt hatte, an ihrem inneren Auge vorüberziehen. Da wurde sie plötzlich gewaltsam aus ihren schmerzlichen – und doch so süßen Träumen geweckt. Man überbrachte ihr ein Briefchen des Marquis von Saint Priest aus Versailles, der die Königin beschwor, sofort nach dem Schlosse zurückzukehren, da „Paris im Anzuge gegen Versailles“ sei.
Marie Antoinette schüttelte gewaltsam die Gedanken, welche sie bis jetzt übermächtig beherrscht hatten, von sich ab, erhob sich energisch und kehrte nach Versailles zurück.
Ihr Ahnen sollte in Erfüllung gehen. – In der Nacht mußte sie, nur mit einem Hemde bekleidet, aus ihrem Schlafgemach vor den Mördern fliehen, die ihr den Untergang geschworen hatten, und am andern Tage, dem verhängnißvollen 6. Oktober 1789, fuhr sie mit Ludwig XVI., ihren beiden Kindern und Madame Elisabeth, von Horden betrunkener blutgieriger Weiber, dem Pöbel und Abschaum der Pariser Bevölkerung begleitet, verhöhnt und geschmäht, nach Paris und den Tuilerien zu. Es war der Anfang vom Ende. Arme Königin!