Zum Inhalt springen

Das Märchen vom Schicksalskind

aus Wikisource, der freien Quellensammlung
Textdaten
Autor: Václav Tille
Illustrator: {{{ILLUSTRATOR}}}
Titel: Das Märchen vom Schicksalskind
Untertitel:
aus: Zeitschrift des Vereins für Volkskunde, 29. Jahrgang, S. 22–40
Herausgeber: Fritz Boehm
Auflage:
Entstehungsdatum:
Erscheinungsdatum: 1919
Verlag: Behrend & Co.
Drucker: {{{DRUCKER}}}
Erscheinungsort: Berlin
Übersetzer:
Originaltitel:
Originalsubtitel:
Originalherkunft:
Quelle: Michigan-USA*, Commons
Kurzbeschreibung:
Die Übersicht der Motive in den ältesten literarischen Fassungen wurde an den Schluss gesetzt
Eintrag in der GND: {{{GND}}}
Bild
[[Bild:|250px]]
Bearbeitungsstand
fertig
Fertig! Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle Korrektur gelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
Um eine Seite zu bearbeiten, brauchst du nur auf die entsprechende [Seitenzahl] zu klicken. Weitere Informationen findest du hier: Hilfe
Indexseite
[22]
Das Märchen vom Schicksalskind.
Randglossen von Václav Tille.
I. Die ältesten literarischen Fassungen.

Mit der unter den Namen ‘das Findelkind’, ‘das Glückskind’, ‘l’empereur Coustant’ usw. bekannten Erzählung haben sich im vorigen Jahrhundert viele Forscher, wie Grimm, Köhler, Weber, Wesselofsky, Dragomanov, Sumcov, Heydenreich, Kuhn u. a., eingehend befasst. In den letzten zwei Jahrzehnten wurden ihre Studien durch neue Arbeiten wesentlich ergänzt. J. Schick veröffentlichte in seinem breit angelegten [23] Werke ‘Corpus Hamleticum I, 1: Das Glückskind mit dem Todesbrief’ (Berlin, Felber 1912) die sämtlichen orientalischen Texte in den Originalsprachen mit beigefügten Übersetzungen. E. Cosquin behandelte in zwei Aufsätzen (La légende du Page de Sainte-Elisabeth, Revue des questions historiques 1903. 1912) das Motiv der Todesbotschaft (‘der Gang nach dem Eisenhammer’), indem er den orientalischen Ursprung desselben, seine spätere selbständige Entwicklung und seine Unabhängigkeit von dem Motiv des Todesbriefes klarlegte. S. Grudzinski analysierte in der ‘Vergleichenden Untersuchung und Charakteristik der Sage vom Findelkind, das später Kaiser wird’ (Zs. f. rom. Phil. 36, 546. 1912) die mittelalterlichen Fassungen Westeuropas. Seine Arbeit wurde von W. Benary (ebd. 37, 617. 1913) besprochen und ergänzt. J. Bolte und J. Polívka stellten in den Anmerkungen zu den Kinder- und Hausmärchen der Brüder Grimm (I, 276 nr. 29. 1913) die sämtlichen bisher bekannten literarischen und volkstümlichen Texte übersichtlich zusammen. Antti Aarne zerlegte in seiner Studie ‘Der reiche Mann und sein Schwiegersohn’ (Hamina 1916) dieses, durch die handschriftlichen Sammlungen Finnlands ergänzte Material in die einzelnen Motive und stellte darauf die Ergebnisse über Urform, Entwicklung und Verbreitung der Erzählungsstoffe und Motive zusammen.

Die Geschichte vom Schicksalskind zeigt an einem konkreten Beispiel die Ohnmacht des menschlichen Willens, wenn dieser sich der Entscheidung des Schicksals widersetzen will. Ein Kind wird von seiner Geburt an zu einer Machtstellung in der Welt bestimmt. Der Machthaber bemüht sich erfolglos durch eine Reihe von Anschlägen gegen den Säugling, den Knaben, den Jüngling (den Bräutigam oder Gatten seiner Tochter) die Entscheidung des Schicksals zu vereiteln. Das Schicksalskind gelangt zu seiner Bestimmung: sein Feind muss sich beugen, wird bestraft, stirbt.

Die literarischen Texte dieser Erzählung bilden vier Gruppen: die indische, die (griechisch-)aethiopische, die westeuropäische und die türkische. Die indische Gruppe enthält die bisher ältesten Texte und zeigt drei Entwicklungsstufen.

Die buddhistischen Versionen tauchen bereits im dritten und fünften Jahrhundert auf, ihre Helden sind Boddhisattva selbst und sein Zeitgenosse Ghosaka. Die Boddhisattva-Legende ist nur in einer chinesischen Übersetzung aus dem 3. Jahrhundert bekannt. Boddhisattva wird als Kind eines armen Mannes geboren und von demselben während eines Festes auf einem Kreuzwege ausgesetzt. Ein Brahmane prophezeit dem an diesem Festtage geborenen Kinde Würde und Weisheit. Ein reicher Mann nimmt sich des Findelkindes an, trachtet ihm jedoch, nachdem ihm selbst ein Sohn geboren ist, nach dem Leben. Der Säugling wird in einen Graben geworfen, auf einem Fahrwege ausgesetzt, in ein Bambusdickicht geschleudert. Er wird jedoch von Schafen und Ziegen [24] gestillt, von dem Gespann der Fuhrleute verschont, von barmherzigen Menschen aufgehoben. Nachdem er zu einem Knaben heranwachsen ist, schickt ihn der reiche Mann zu einem Metallgiesser, welcher den Befehl erhalten hat, den mit einem Auftrag kommenden Knaben in die Esse zu werfen. Der eigene Sohn des Reichen befiehlt jedoch dem Knaben, ihn beim Spiel mit den Knaben zu vertreten, überbringt selbst den Auftrag und wird in die Esse geworfen. Das Schicksalskind wird als Jüngling von dem reichen Mann zu seinem Verwalter mit einem Todesbrief geschickt. Er übernachtet unterwegs bei einem Brahmanen, dessen Tochter sich in den schlafenden Boten verliebt und den Todesbrief durch einen Heiratsbefehl ersetzt. Der Reiche stirbt von Zorn, der Jüngling erbt. Die Ghosakageschichte zeigt dieselbe Zusammensetzung: es folgen der Reihe nach der ausgesetzte Hurensohn, die Prophezeihung eines Geistlichen, der reiche Kaufmann, wiederholte erfolglose Aussetzungen des Säuglings, die Todesbotschaft des Knaben, der Todesbrief des Jünglings und die Heirat mit der Tochter des Gastgebers.

Die zweite Entwicklungsstufe bilden zwei schöne Liebesromane der Jainas und der Visnuiten, die von Dâmannaka und Čandrahâsa handeln und sich von der buddhistischen Fassung erheblich unterscheiden. Die Helden sind Waisen aus reichen Häusern, ein Kaufmanns- und ein Königssohn. Die wiederholten Aussetzungen des Säuglings und die Todesbotschaft des Knaben sind verschwunden. Als der Reiche die Prophezeiung hört, gibt er einem Mörder den Auftrag, den als seinen Erben bezeichneten Knaben umzubringen. Der Mörder lässt den Knaben im Walde am Leben und bringt dem Reichen seinen Finger (seine Zehe). Der Knabe wird von einem Hirten (einem Fürsten) gefunden und erzogen. Der reiche Mann kommt dann mit dem Jüngling zusammen und schickt ihn mit einem Todesbrief zu sich nach Hause. Die eigene Tochter des Reichen findet den schlafenden Boten in einer Parkanlage (im Walde) und ändert den Todesbrief in einen Heiratsbefehl ab. Ihr Vater kehrt erst während der Hochzeit nach Haus und schickt einen Mörder in den Tempel, wohin der Schwiegersohn abends zum Opfern kommen soll. Dieser wird jedoch unterwegs von dem Sohn seines Schwiegervaters seiner Pflicht enthoben, und der Sohn fällt dem Mordanschlage seines Vaters zum Opfer. Die wiederholten Aussetzungen sind hier durch den ersten Mordanschlag ersetzt, während der zweite sichtlich die Todesbotschaft vertritt.

Die dritte Entwicklungsstufe ist durch den jainistischen Čampakaroman vertreten. Die Prophezeiung, welche in den ältesten Texten das neugeborene Kind betraf und später sich auf den verwaisten Knaben bezog, warnt hier den reichen Mann vor dem noch ungeborenen Sohn einer Sklavin. Der Reiche erbittet sich die schwangere Sklavin von ihrem Herrn und tötet sie im Walde. Das ungeborene Kind bleibt jedoch [25] am Leben und wird im Auftrage des Königs bei einem Kaufmann erzogen. Der Reiche kommt mit dem Jüngling zusammen, schickt ihn mit dem Todesbrief zu sich nach Haus, seine Tochter nimmt den Brief von dem Boten in Empfang und ersetzt ihn durch einen Heiratsbefehl, welcher von der Mutter ausgeführt wird. Der Vater beschliesst mit seiner Frau den Schwiegersohn zu vergiften: dieser wird jedoch von seiner Frau gewarnt. Der Schwiegervater mietet Mörder, wird jedoch selbst von denselben aus Versehen erschlagen.

Die zweite Gruppe beruht auf einer unbekannten griechischen Quelle, für welche nur Abbildungen in Manuskripten des Athosklosters Zeugnis ablegen, und hat sich in Ägypten und Abessynien arabisch und koptisch verbreitet. Die vier bekannten Texte sind zu Ehren des Erzengels Michael verfasst und tragen einen ausgesprochen legendarischen Charakter. Obwohl mit der indischen Gruppe sichtlich verwandt, können sie doch unmöglich aus dieser abgeleitet werden. Das Schema bleibt zwar dasselbe: die Geburt des Knaben, die Prophezeiung, die Aussetzung, der Todesbrief. Die Ausgestaltung der Motive deutet jedoch entschieden auf eine andere Quelle. Eine arme Frau fleht in Geburtswehen den Erzengel Michael an. Dieser erscheint (mit Jesus oder Gabriel) und verspricht dem Kinde die Erbschaft des benachbarten reichen Manne (Markianos). Dieser hört die Prophezeiung, bemächtigt sich des Kindes und wirft es (in einem Sack oder Kasten) ins Meer. Die wiederholten Aussetzungen und die Todesbotschaft fehlen. Das Kind wird von einem Hirten (und Fischer) gefunden und erzogen, mit Anspielung auf seine Auffindung Thalassion (Talâsôn, Talâfinôs, Bâherej, Bâhrân) genannt. Der reiche Mann kommt nach Jahren zu dem Hirten (den Fischern), erkennt den Jüngling und schickt ihn mit dem Todesbrief zu seiner Frau. Diese Form des Todesbriefmotivs erinnert an die späteren indischen Versionen (Dâmannaka, Čandrahâsa, Čampaka), der Brief wird jedoch nicht von der Tochter des Reichen, sondern von dem hl. Michael abgeändert. Dieser erscheint unterwegs dem Boten als Kriegsmann und ändert den Inhalt des Briefes durch seinen Hauch. Auf die Nachricht von der Hochzeit besteigt der Reiche sein Pferd, verwundet sich dabei durch sein Schwert und stirbt. (Die Varianten der Talâfinos- und Bâhrângeschichte können hier unberücksichtigt bleiben.) Der Hauptunterschied zwischen der indischen und der (griechisch-)äthiopischen Gruppe besteht in der mehrfachen Aussetzung und dem Werfen ins Meer. Die dramatische Prophezeiung während der Geburtswehen der Frau sowie die Abänderung des Todesbriefes durch den Erzengel sind wohl dem legendarischen Charakter der neuen Umarbeitung zuzuschreiben. Mit dem Werfen ins Meer hängt auch die auffallende Benennung des Helden zusammen, welche später den reichen Mann auf den Jüngling aufmerksam macht.

[26] Die dritte, westeuropäische Gruppe taucht zuerst im 13. Jahrhundert in Deutschland und Frankreich auf, hat auch einen ausgesprochen christlichen Charakter, lenkt jedoch das Interesse hauptsächlich auf die Person des Kindes selbst, indem sie die Geschichte auf bestimmte historische Persönlichkeiten anwendet. Zwei lateinische Quellen (das Pantheon des Gottfried von Viterbo und einige Handschriften der Gesta Romanorum) erzählen vom deutschen Kaiser Heinrich III., zwei altfranzösische Texte von dem byzantinischen Kaiser Konstantin (vgl. P. Ernst, Altfranzösische Novellen 1909 I, 1). Dabei ist die Heinrichsgeschichte eine Legende von der Gründung des Klosters Hirschau im Schwarzwald, die Konstantingeschichte eine Legende von der Entstehung des Namens Konstantinopel (und von der Verbreitung des Christentums). Die beiden Legenden zeigen eine sonderbare Kreuzung von Motiven der beiden anderen Gruppen: die Prophezeiung geschieht, während die Frau in Geburtswehen liegt, also in der Weise der Markianoslegende. Der Mordanschlag gegen den Säugling wird jedoch in der Weise, wie er in den späteren indischen Texten (Dâmannaka, Čandrahâsa) vorkommt, ausgeübt.

In der Konstantinlegende will der Kaiser nach der Prophezeiung (welche dem Kinde auch die Kaiserstochter zur Frau verspricht) das Kind mit eigener Hand töten und befiehlt dann, den schwerverwundeten Knaben ins Meer zu werfen. Der Höfling setzt jedoch das Kind in der Nähe eines Klosters aus. In der Heinrichslegende lässt der Kaiser das Kind von Dienern im Walde töten: das Kind wird jedoch von ihnen ausgesetzt. Konstantin wird von den Klosterbrüdern gefunden und – weil seine Heilung viel gekostet hat – ‘Coustant’ genannt. Der Befehl des Kaisers, das Kind ins Meer zu werfen, sowie die Erklärung seines Namens deuten auf eine nähere Verwandtschaft mit der Thalassionlegende. Heinrich wird von einem Herzog gefunden und erzogen und ist nicht niederer Herkunft, sondern der Sohn eines Adeligen, welcher sich vor dem Zorn des Kaisers in den Wald geflüchtet hat. Die vornehme Herkunft sowie die Erziehung des Knaben durch einen Herzog kommen auch in der Čandrahâsageschichte vor. Das Todesbriefmotiv ist in der Konstantinlegende entschieden mit den Dâmannaka- und Čandrahâsaromanen verwandt.

Für die anmutige Gartenszene, in welcher das Mädchen sich in den schlafenden Boten verliebt und den Brief ändert, müssen wohl die drei Versionen eine gemeinsame Quelle haben. Die Heinrichslegende schildert die Botschaft mit dem Todesbrief anfangs wie die Boddhisattvageschichte: der Bote übernachtet unterwegs bei einem Priester. Der Brief wird jedoch von dem Priester selbst gelesen und abgeändert (der Held heiratet nicht die ‘Brahmanentochter’, sondern die Prinzessin, also die Tochter des ‘reichen Mannes’). Die weitere literarische Nachkommenschaft der beiden Legenden bringt für ihre Abstammung nichts Neues.

[27] Ausserdem finden sich in Westeuropa noch zwei andere Erzählungen von dem Schicksalskind: die italienische Novelle von Florindo und Chiarastella aus dem 16. Jahrhundert, welche eine entfernte Ähnlichkeit mit der Konstantinlegende aufweist, und eine bisher unbeachtet gebliebene Geschichte ‘Von eynem vorster und von seynem son, den eyn Kaiser (Hanybal) töten wolt’, welche in einigen Handschriften der Gesta Romanorum die Heinrichslegende ersetzt und eng mit ihr verwandt scheint. Dieselbe findet sich lateinisch bei W. Dick (cap. 149 S. 106), deutsch bei Keller (nr. 40 S. 59), böhmisch bei J. V. Novák (nr. 41 S. 48). Wir können uns mit derselben in dieser knappen Übersicht leider nicht näher befassen, obwohl sich ein Vergleich derselben mit der Heinrichslegende lohnen würde.

Der türkische Roman, welcher zuerst im 17. Jahrhundert in dem Buche der Wundergeschichten von Suhaili erscheint und als Beispiel für das Sprichwort: ‘Wer einem anderen die Grube gräbt…’ dienen soll, zeigt eine sonderbare Kreuzung der indischen und äthiopischen Motive. Dem Schema nach steht er am nächsten dem jainistischen Čampakaroman. Ein reicher Kaufmann tötet (seine eifersüchtige Frau fürchtend) eine Sklavin, welche ihm einen Knaben geboren hat, und setzt den Säugling in der Wüste aus. Der Knabe wird von einem Hirten gefunden, nach 4–5 Jahren von dem Vater erkannt und ins Meer geworfen. Der Reiche ist hier also selbst Vater des unehelichen Kindes, und die Aussetzung der indischen Texte wird mit dem Werfen ins Meer verbunden. Der Knabe wird von Fischern gerettet und bekommt seinen Namen nach dem Sack, in welchem er gefunden wurde. Nach Jahren kommt der Kaufmann zu den Fischern und schickt den Jüngling mit dem Todesbrief zu sich nach Hause. Der Brief wird von seiner Tochter abgeändert, der Heiratsauftrag von der Mutter ausgeführt. Nach seiner Rückkehr dingt der Kaufmann Mörder; die junge Frau warnt jedoch ihren Gatten, und der Schwiegervater fällt selbst dem Anschlag zum Opfer. Diese Geschichte scheint einen älteren Text erhalten zu haben, als die äthiopische Legende. Die Verbindung der Aussetzung mit dem Werfen ins Meer war allem Anscheine nach auch in der Vorlage der Legende (der Knabe wird von einem Hirten gefunden) vorhanden. Das in der Einleitung erwähnte Sprichwort erscheint auch in dem Schlusskapitel des Čandrahâsaromans. Schick führt noch eine andere westeuropäische Fassung, aus dem 12. Jahrhundert, an: die Amlethgeschichte des Saxo Grammatikus. Diese betrifft aber hauptsächlich das Motiv des Todesbriefes und kann für die Entwicklungsgeschichte der Erzählung von dem Schicksalskind nicht verwendet werden.

Es findet sich jedoch in Europa eine andere Erzählung, welche die buddhistischen Texte an Alter übertrifft und für die ursprüngliche Zusammensetzung des Stoffes neue Anhaltspunkte liefern kann. Dieselbe [28] ist in dem 4. Kapitel des letzten, 44. Buches der Philippischen Geschichte enthalten, welche Junianus Justinus nach dem aus dem Zeitalter des Kaisers Augustus stammenden Werke von Trogus Pompejus im 2. bis 3. Jahrhundert geschrieben hat. In dem letzten Kapitel wird Spanien beschrieben, jenes Land, welches an der äussersten westlichen Grenze der Welt, an den Herkulessäulen, lag. Der Verfasser erwähnt die alten Fabeln, welche von Titanen, Herkules, Geryon erzählen, und schildert, wie Habis, der König von Gallaecien, zur Herrschaft kam und sein Reich regierte. Da diese Erzählung[1] für die Schicksalskindgeschichte nicht unwichtig erscheint, lasse ich dieselbe hier ungekürzt in der Übersetzung von Chr. Schwarz folgen:

Die Wälder der Tartesier, in welchen nach der Sage die Titanen gegen die Götter Krieg geführt haben, bewohnten die Cuneten, deren ältester König Gargoris zuerst den Gebrauch Honig zu sammeln erfand. Als diesem durch die Unzucht seiner Tochter ein Enkel zur Welt kam, wollte er aus Scham über die Schandtat auf mancherlei Weise dem Kleinen das Leben nehmen lassen; aber durch alle Begegnisse hindurch von einem besonderen Geschick erhalten, gelangte dieser endlich durch Mitleid mit so vielen Gefahren auf den Thron.

Zu allererst, als er ihn auszusetzen befohlen und nach einigen Tagen hingeschickt hatte, den Leichnam des Ausgesetzten zu holen, fand man ihn von verschiedenen[WS 1] wilden Tieren gesäugt. Nachdem er darauf wieder nach Hause gebracht war, lässt er ihn auf einen Fusssteig hinwerfen, durch welchen das Vieh zu gehen pflegte; ein wahrer Wüterich, der den Enkel lieber zertreten, als durch einfachen Tod umbringen lassen wollte. Da er auch hier unverletzt blieb und an Nahrungsmitteln keinen Mangel hatte, warf er ihn zuerst hungrigen und durch vieltägige Entziehung der Nahrung gequälten Hunden, bald sogar Schweinen vor. Und da er so nicht nur nicht beschädigt, sondern sogar von einigen gesäugt wurde, liess er ihn endlich in das Meer werfen.

Hierauf wird er durch eine augenscheinliche Fügung der Gottheit mitten in der tobenden Brandung und dem wogenden Gewässer, als würde er von einem Schiffe, nicht von der Flut getragen, von einer sanften Welle an das Ufer gesetzt; und nicht lange nachher war eine Hirschkuh da, welche dem Kleinen die Brust hinhielt. Daher erhielt der Knabe zuletzt, weil er seiner Amme beigestellt war, eine ausserordentliche Behendigkeit; und unter den Herden der Hirsche durchstreifte er lange Zeit Berge und Waldtriften, ohne ihnen an Schnelligkeit nachzustehen.

Endlich wurde er in einer Schlinge gefangen und dem Könige zum Geschenke gegeben. Da wurde er teils an der Ähnlichkeit der Gesichtszüge, teils an den Körpermalen, welche dem Kleinen eingebrannt worden waren, als der Enkel erkannt. Aus Verwunderung sodann über so viele Begegnisse und Gefahren wird er von demselben zum Thronfolger bestimmt. Es wurde ihm der Name Habis gegeben; und als er die Herrschaft erhielt, erschien er in einer solchen Grösse, dass man sah, er sei nicht umsonst durch der Götter Hoheit so vielen Gefahren entrissen worden; denn das rohe Volk band er an Gesetze und lehrte zuerst die Stiere durch den Pflug zähmen und durch das Pflügen Früchte gewinnen; und [29] aus Widerwillen gegen das, was er selbst erlitten hatte, zwang er die Menschen, von der rohen Kost zu einer milderen Nahrung überzugehen. Seine Schicksale würden fabelhaft scheinen, wenn nicht auch von den Stiftern der Römer erzählt würde, dass sie von einer Wölfin ernährt, und von Cyrus, dem Könige der Perser, dass er von einer Hündin gepflegt worden sei. Von ihm wurden auch die Sklavendienste dem Volke untersagt und das gemeine Volk in sieben Städte verteilt. Nach Habis Tode behielten seine Nachfolger das Königtum viele Jahrhunderte hindurch.

Justinus, welcher in seinem Werke auch die Kyros- und Romulus- und Remusgeschichte erzählt (I, 4. XLIII, 2), hat bereits erkannt, dass die Habisgeschichte zu diesen Sagen von der Herkunft der Herrschergeschlechter und der Gründung mächtiger Reiche gehört. Sie bildet jedoch auch einen Übergang von diesen Sagen zu der Erzählung von dem Schicksalskind. Die Prophezeiung fehlt, die Gunst der Göttin des Schicksals dem Knaben gegenüber wird jedoch zweimal ausdrücklich erwähnt. In den ältesten buddhistischen Texten ist der Knabe niedriger (unehelicher) Herkunft, dabei aber der wiedergeborene Buddha (Ghosaka) selbst. Habis ist vornehmer Herkunft, aber ein uneheliches Kind und deswegen von seinem Grossvater verstossen. Die Geschichte seiner Schicksale verbindet die mehrfache Aussetzung der ältesten buddhistischen Texte mit dem Werfen ins Meer der Thalassiongeschichte – eine Verbindung, welche auch in dem türkischen Roman vorkommt. Die weitere Handlung, das Leben des Knaben in der Hirschherde, hat in keiner anderen Fassung die mindeste Analogie.

Obwohl die Habisgeschichte nicht als direkte Grundlage für die späteren Fassungen gelten kann, so bringt sie doch den Beweis, dass ursprünglich eine Herkunftsage existierte, welche die zwei Verfolgungsmotive (die mehrfache Aussetzung und das Werfen ins Meer) enthielt, und erst später mit dem Todesbriefmotiv verbunden wurde. Der türkische Roman, obzwar späterer Herkunft, behielt diese Form, während in Indien das Meer und in Ägypten und Abessynien die Aussetzung weggelassen wurde. In den westeuropäischen Fassungen erwacht die alte Herkunft- und Gründungsage wieder.

Die ältesten Fassungen des Märchens von dem Schicksalskind sind die altgriechischen und lateinischen Erzählungen von den königlichen Schicksalskindern Oidipus, Kyros, Romulus und Remus.

Die für den Helden unheilvolle Prophezeiung der Oidipussage gab in der christlichen Literatur zu einer Reihe von Legenden (Judas, Gregorius auf dem Stein, Paulus von Caesarea, Albanus, Andreas usw.) Anlass. Die einzelnen Motive jedoch: die Aussetzung im Gebirge, die Auffindung durch den Hirten, das Werfen ins Meer, die Erziehung durch einen König, lassen eine Verwandtschaft dieser Sage mit der Geschichte des zu Macht und Glück bestimmten Schicksalskindes vermuten. In der Kyros- und Romulus- und Remussage überwiegt das Motiv der Gründung [30] eines Reiches und des Ursprungs eines königlichen Geschlechtes, obwohl auch in diesen beiden Erzählungen die stofflichen Motive ihre Ähnlichkeit mit den späteren Märchen nicht verleugnen. Die Habisgeschichte bildet durch die Art und Weise der wiederholten Aussetzungen einen Übergang von diesen älteren Sagen, welche durchwegs einen künftigen König zum Helden haben, zu den ersten (buddhistischen) Fassungen, in welchen bereits der Stoff durch die Todesbotschaft und den Todesbrief erweitert wird. Das Verhältnis der alten königlichen Schicksalskinder zu den Helden der späteren Märchen und Legenden muss einer besonderen Untersuchung vorbehalten bleiben. Das gesamte Material für die Oidipus- und Romulus- und Remussage findet sich in Roschers Lexikon unter ‘Oidipus’, ‘Numitor’, ‘Rea Silvia’ und ‘Romulus’ (III, 1, 703, 478. IV, 63, 164). Die Kyrosgeschichte liegt hauptsächlich in zwei Varianten bei Herodot (I, 107–122) und Justin (I, 4) vor; vgl. A. Bauer, Die Kyrossage und Verwandtes (SB. der Wiener Akad. phil. Kl. 100, 495–578. 1882).


II. Die Volksmärchen.     Die Fahrt ins Jenseits.

Aus der Volksüberlieferung Asiens und Europas haben Bolte, Polívka und Aarne weit über hundert Texte des Schicksalskindes gesammelt. Die Hälfte davon sind selbständige Versionen, welche sich manchmal als Nachklänge von Volksbüchern (in Italien und Böhmen z. B.) feststellen lassen, die andere Hälfte dient als Einleitung der überseeischen Fahrt des Helden zu einem übernatürlichen Wesen und kommt nur in Europa vor. Nur höchst selten wird das Schicksalskind auch mit anderen Stoffen (z. B. mit dem klugen Knaben, in Polen) verbunden. Die überseeische Fahrt zu dem übernatürlichen Wesen kommt ausserdem häufig auch selbständig vor; diese selbständigen Versionen zeigen deutlich, dass dieser Stoff ursprünglich unabhängig von dem Schicksalskinde existierte.

Das Schicksalskind erscheint in Europa selbständig am häufigsten bei den Serbokroaten, Bulgaren, Polen, in Klein-, Weiss- und Grossrussland, Deutschland, Italien, Griechenland, Litauen und auf dem Kaukasus. Die zusammengesetzten Texte in Deutschland, Klein- und Weissrussland und Dänemark; mehr als einmal auch in Polen, Grossrussland, Böhmen, Schweden und Spanien. Die selbständige Fassung der überseeischen Reise findet sich häufiger nur in Deutschland, Finnland[2] und bei den Čechoslawen; mehr als einmal auch bei den Vlamen, Serbokroaten, Schweden und Wallisern, und ohne Rücksicht auf die vereinzelten Texte, welche sich von Island bis nach Asien erstrecken, kann für die [31] selbständigen und zusammengesetzten Texte des Schicksalskindes als sein eigentliches Gebiet Deutschland, Gross-, Klein- und Weissrussland, Polen, Serbien, Kroatien und Bulgarien mit den angrenzenden Nachbarländern gelten.

[32] Die Geschichte des Schicksalskindes kommt in der Volkstradition, besonders in den zusammengesetzten Texten, nur in gedrängter und verhältnismässig späterer Form vor. Ihre Varianten hat Aarne in seinem Buche sorgfältig zusammengestellt und analysiert. Ohne uns hier mit den Ergebnissen dieser fleissigen Arbeit näher zu befassen, wollen wir unsere Aufmerksamkeit dem anderen Stoffe, der überseeischen Reise zu dem übernatürlichen Wesen, zuwenden.

Dieser Stoff hat in den europäischen volkstümlichen Versionen den Mordanschlag des Schwiegervaters, welcher sich in der Dâmannaka-, Čandrahâsa- und Čampakageschichte sowie in dem türkischen Roman am Schluss befindet, ersetzt. Der reiche Mann schickt den Liebhaber oder Gatten seiner Tochter, nach dem misslungenen Mordversuch mit dem Todesbrief, mit einem (gefährlichen) Auftrage zu einem übernatürlichen (bösen) Wesen, in der Hoffnung, dass derselbe von dieser Fahrt nicht mehr zurückkehren wird. Der Jüngling trifft unterwegs verschiedene, durch schweres Unglück heimgesuchte Städte: ein Lebensbaum welkt, ein Lebensbrunnen versiegt, Prinzessinnen liegen krank darnieder, eine Prinzessin ist verschwunden usw. Ein Fährmann (ein Weib, ein Wassertier) setzen den Helden an das andere Ufer des Meeres (des Flusses) über. Der Held verspricht den Bedrängten, das übernatürliche Wesen nach einer Abhilfe zu fragen, und wird auch von dem Fährmann (dem Weib, dem Wassertier) nur unter der Bedingung hinübergebracht, dass er für ihre Not ein Mittel erfragen werde (wie lange der Fährmann, das Weib noch ihren Dienst verrichten müssen, wie dem leidenden Tiere geholfen werden kann). Der Held kommt zu dem (bösen) Wesen (wird von dessen Frau oder Mutter versteckt), richtet seine Aufträge aus, erhält die Antworten und kehrt, auf der Rückreise überall Hilfe spendend und mit Geschenken überhäuft, glücklich zurück. (Die zahlreichen Variationen und Zusätze sind von Aarne übersichtlich zusammengestellt worden.)

Aarne unterscheidet in den volkstümlichen Texten dieses Stoffes drei Haupttypen (S. 124–132). In Asien und im Südosten Europas begibt sich ein armer Mann zu Gott oder zu dem Glück, um Linderung seines harten Schicksals zu finden. Weiter im Osten Europas (und in einem westsibirischen Texte) ist hauptsächlich die Sonne das Ziel der Reise, und ihr Zweck ist eine die Sonne betreffende Frage. Die Antwort der Sonne stellt manchmal einen Vergleich auf zwischen der Wanderung der Sonne am Himmel und den Altersstufen des menschlichen Lebens. Im westlichen Europa wird die Reise zu dem bösen Wesen meist unternommen, um drei Haare von ihm zu holen. Das böse Wesen ist ein Vogel, ein Menschenfresser, ein Drache usw.; in einer besonders zahlreichen Gruppe von Texten soll der Held die drei (goldenen) Haare des Teufels aus der Hölle holen.

[33] Für dieses Märchen sind noch keine literarischen Vorlagen in der älteren Literatur vorhanden. Die Fahrt Thorkills zum Utgarthiloki in die Hölle, von welcher Saxo Grammaticus im achten Buche seiner dänischen Geschichte berichtet, zeigt nur insofern eine Ähnlichkeit mit demselben, dass Thorkill dem angeketteten Unhold ein Haar ausreisst und dasselbe zum Andenken mitnimmt. Die Fahrt Huons de Bordeaux um die Bartlocke und die vier Backenzähne des Emirs von Bagdad, von welcher bereits ein altfranzösischer Roman der ersten Hälfte des 13. Jahrhunderts berichtet, kann nur als fern mit dem Märchen verwandt gelten. Auch die vier von Aarne (S. 116–124) angeführten Texte sind keineswegs literarische Vorlagen der volkstümlichen Versionen. Die Geschichte des tibetischen Dsanglun gehört zu dem unter dem Schlagwort ‘Das Urteil Schemjakins’ bekannten Stoff, welcher sich, ohne jede Verwandtschaft mit unserem Märchen, selbständig in der Volksüberlieferung weiterentwickelt. Die Geschichten aus dem Tuti-Nameh und aus einer serbo-slowenischen Handschrift des 16. Jahrhunderts sind einfache Fragenmärchen, welche nur eine entfernte Analogie mit der überseeischen Reise zu dem bösen Wesen aufweisen. Dasselbe gilt auch von dem 38. Märchen des Pentamerone, in welchem von der Erlösung der in Vögel verwandelten Brüder durch ihre Schwester erzählt wird.

Die dem Märchen ursprünglich zugrunde liegende Idee scheint, wie Aarne bereits erkannt hat, die Fahrt ins Jenseits zu sein, und zwar ins Jenseits, welches hinter dem die Erde umfliessenden Ozean liegt. In den volkstümlichen Texten, soweit dieselben nicht ausdrücklich vom Jenseits sprechen, ist die regelmässig wiederkehrende Überfahrt des Helden aber ein grosses Wasser als Erinnerung an diese ursprüngliche Fassung geblieben.

In den Keilschriftfragmenten der Asurbanipalschen Bibliothek in Niniveh finden sich nun aus dem 7. Jahrhundert v. Chr. 12 Tafeln, welche von einer Reise des göttlichen Helden Izdubar zu seinem Ahn ‘an die Mündung der Ströme’ berichten. In der Beschreibung dieser Fahrt – so weit dieselbe erhalten ist und entziffert werden konnte – finden sich so auffallend ähnliche Züge mit unserem Märchen, dass es sich lohnt, dieselbe in der sorgfältigen Übersetzung von A. Jeremias (Izdubar-Nimrod, Leipzig 1891, S. 14ff.) mit dem Märchen zu vergleichen.

Tafel IX. Izdubar klagt um seinen im Kampfe gefallenen Freund Eabani und fasst den Entschluss zu seinem Ahn Sît-napištim zu gehen, um das Geheimnis seiner Apotheose zu erfahren und Heilung vom Aussatz, mit dem ihn die Götter geschlagen, von ihm zu erlangen. Er kommt nachts in eine Gebirgsschlucht, sieht Löwen, betet zum Mondgott und wird von ihm beschützt. Nach einem Traum nimmt er die Axt in seine Hand und zieht das Schwert aus seinem Gürtel. Er kommt zu dem Gebirge Mâšu, dessen Torausgang von zwei riesigen Skorpionenmenschen, einem Manne und seinem Weibe, bewacht wird. Der Anblick dieser Ungeheuer raubt ihm die Besinnung. (Mâšu liegt an der Süd- und Südostgrenze [34] des Euphrat- und Tigrisgebietes.) Die Skorpionenmenschen erkennen Izdubar als einen Gottmenschen (und lassen ihn durch). Der Weg führt durch das Dunkel des Berges, an dessen Tor die Skorpionenmenschen gleich zwei gewaltigen Sphinxen Wache halten. Der Skorpionmensch schildert dem Helden die Schwierigkeit des Weges durch die zwölf Meilen dichte Finsternis. Nachdem Izdubar die Finsternis durchwandelt hat, tritt er hinaus und sieht (am Gestade des Meeres) einen herrlichen Baum: Edelsteine trägt er als Frucht, Kristall tragen die Zweige. Auch andere Bäume stehen in diesem Götterpark. (X.) Izdubar kommt, mit dem Fell bekleidet, am Meere an, das Mädchen Sabitu sitzt auf dem Thron des Meeres, sieht von ferne den Helden, welcher erzürnt über die fernen Wege klagt, zieht sich in ihr Meerschloss zurück und verriegelt ihr Tor. Izdubar droht ihr, das Tor zu zerschmeissen. (Hier ist eine Lücke.) Izdubar bittet das Mädchen, ihm doch den Weg zu seinem Ahn zu zeigen. Sabitu antwortet, dass niemand ausser dem (Sonnengott) Šamaš das Meer überschritten hat, die Gewässer des Todes sind als Riegel vorgeschoben. Arad-Ea ist der Schiffer des Sît-napištim, der Held soll versuchen, mit ihm zu fahren. [„Wichtig ist die Erwähnung des Mythus vom Sonnengott; in einem Hymnus an den Sonnengott heisst es: Du hast das weite, breite Meer überschritten, dessen Inneres die Himmelsgeister nicht kennen.“ Jeremias S. 31.] Izdubar erzählt dem Arad-Ea sein Leid. Arad-Ea befiehlt ihm, in den Wald hinabzusteigen, ein langes Ruder anzufertigen und andere Vorkehrungen zur Reise zu treffen. Dann besteigen sie das Schiff und fahren 45 Tage; das Schiff schwankt und schleudert sie hin und her, während sie fahren. Sie kommen in die Gewässer des Todes, wo die eigentliche Gefahr erst zu beginnen scheint. Arad-Ea mahnt den Helden, nicht abzulassen (und tüchtig zu rudern). Das Schiff naht den Ufern der Seligengefilde; Sît-napištim stellt Betrachtungen über den Gast an. Izdubar erzählt vom Schiffe aus den Ahnen seine Taten und klagt über den Tod des Freundes. Der Ahn antwortet ihm und erzählt dann (XI) die Geschichte von dem grossen Flutsturm. (Diese äusserst wichtige Beschreibung der Sintflut kann hier wegfallen, da sie mit der Erzählung selbst in keinem direkten Zusammenhang steht.) Sît-napištim hat sich und seinem Weib auf einem Schiff aus der Sintflut gerettet – sie wurden dann von dem Gott Bel an die Mündung der Ströme geführt, um daselbst, den Göttern gleich, zu wohnen. Nachdem der Ahn seine Geschichte zu Ende erzählt hat, versenkt er Izdubar in einen tiefen Schlaf. Izdubar schläft auf seinem Schiff sechs Tage und sieben Nächte. Das Weib fordert ihren Mann auf, Izdubar zu bezaubern, und vollzieht selbst den Zauber. Sie bereitet die Zauberspeise, welche von Izdubar gegessen wird. Sît-napištim sorgt hierauf dafür, dass der Kranke aus dem Gewässer des Todes vom Fährmann zum Lebensquell geführt wird. Arad-Ea nimmt Izdubar zu dem Reinigungsort mit, wäscht seine Beulen im Wasser, tut seine Häute ab, das Meer trägt sie fort. Der geheilte Izdubar bekommt eine neue Kopfbinde und ein neues Kleid, besteigt mit Arad-Ea das Schiff (und kehrt zu seinem Ahn zurück). Sît-napištim teilt ihm das Geheimnis einer Pflanze, ähnlich dem Stechdorn, mit. Izdubar verlässt das Schiff, schleppt Steine herbei, trägt zuletzt die erbeutete Wunderpflanze ins Schiff und erzählt dem Fährmann, dies sei die Pflanze, durch welche ein Mensch sein Leben erlangt. Er will sie nach Uruk-Supuri mitnehmen und von ihr essen. Ihr Name soll sein ‘als Greis wird der Mensch verjüngt’. Sie legen 10 Meilen zurück, nach 20 Meilen machen sie Station. Izdubar steigt in einen Brunnen mit kühlem Wasser, bemüht sich das Wasser auszugiessen (den Wasserbehälter zu öffnen), die Pflanze entgleitet ihm und wird von einem Dämon weggenommen. Izdubar weint … die Fortsetzung der XI. Tafel bleibt unverständlich. [35] Izdubar kommt mit Arad-Ea nach Uruk-Supuri. Auf der XII. Tafel beweint und beschwört Izdubar seinen Freund Eabani. Der Geist des Toten steigt endlich aus seinem Grab und berichtet über das Schicksal des Menschen nach dem Tode.

Diese überseeische Fahrt des Helden Izdubar ins Jenseits kann wohl nicht als die unmittelbare Vorlage des Mârchens gelten: es fehlen ihr die unterwegs von Helden gesammelten Fragen, auf welche Aarne ein besonderes Gewicht legt. Trotzdem lassen sich auffallende Ähnlichkeiten zwischen diesem alten Text und dem Märchen nicht verkennen. Aarne selbst hat für die Urform des Märchens (S. 180) ausdrücklich nur jene Einleitung als massgebend gefunden, in welcher ‘ein armer Mann, dem alles misslingt, in die weite Welt wandert, um Gott (das Glück) aufzusuchen, um von ihm Linderung seines schweren Lebens zu erhalten’. Diese Einleitung stimmt überraschend mit jener des Izdubar-Epos überein. Izdubar findet auch, dem Helden des Märchens gleich, unterwegs einen köstlichen Baum, ein Mädchen in einem Schloss an dem Ufer des Meeres, unternimmt mit dem Fährmann der Gottheit eine gefährliche Überfahrt zu seinem göttlichen Ahn, von welchem er ‘Linderung seines schweren Lebens’ erhält. Selbst der (versiegende?) Brunnen wird auf dem Heimwege erwähnt. Der Held kehrt geheilt und in einem neuen Gewande zurück.

Durch eine sorgfältige Vergleichung sämtlicher Einzelheiten der volkstümlichen Texte liesse sich wohl noch manches finden, was an die uralte literarische Fassung erinnert. Diese spezielle Arbeit der weiteren Forschung überlassend, erlaube ich mir nur auf zwei auffallende Züge der čechoslawischen Volksüberlieferung aufmerksam zu machen. In der handschriftlichen Sammlung walachischer Märchen von Peck, welche in dem Archiv des Čechoslawischen ethnographischen Museums in Prag aufbewahrt wird, findet sich ein Text (Nr. 22), in welchem der König seinen vorbestimmten Schwiegersohn auf eine Insel um eine Wunderblume schickt. Der Knabe wird auf der Insel von bösen Frauen bedroht, von seinem Gevatter gerettet, bringt jedoch die Blume nicht. In der Sammlung von slowenischen Märchen aus der ungarischen Slowakei (Škultety und Dobšinský, 2. Aufl. von K. Salva, Ružomberk 1891 Heft 6, S. 163) kommt der Held zu zwei zusammenstossenden Felsen, welche ihn anfangs nicht durchlassen wollen. Er lässt sich dann ein Schiff bauen, fährt über ein gefährliches Meer und landet in einer ‘anderen Welt’.

Die endgültige Lösung der Frage, auf welcher Grundlage, oder richtiger auf welchen Grundlagen, die drei Typen des Märchens von der überseeischen Fahrt zu dem übernatürlichen Wesen entstanden sind, wird wohl noch viel Arbeit erfordern.


III. Zwei böhmische Volksbücher.

Die Heinrichslegende und die italienische Novelle von Florindo und Chiarstella sind zu Volksbüchern geworden, welche auch in der Volkstradition [36] Nachklang gefunden haben. Auch die russischen und finnischen Märchen zeigen deutliche Spuren einer volkstümlichen literarischen Überarbeitung der Thalassionlegende. Es wäre der Mühe wert, die europäischen Volksbücher nach dem Schicksalskind und der überseeischen Fahrt zu durchsuchen.

Unter den böhmischen Volksbüchern fand ich zwei Texte, welche, nach unbekannten, sichtlich literarischen Vorlagen zwei Varianten des mit der überseeischen Fahrt verbundenen Schicksalskindes wiedergeben und sich, soviel ich ermitteln kann, von allen bisher bekannten Texten deutlich unterscheiden. Dieselben sind nur in Neudrucken der Škarnielbuchdruckerei von Skalice (in der ungarischen Slowakei) erhalten. Ich lasse hier die beiden Texte in kurzen Auszügen folgen.

Rybrcol na Krkonoských Horách (Rübezahl in dem Riesengebirge, Neudruck aus dem Jahre 1876).

Zwei Zauberer übernachten bei einem Bauer, dessen Frau in Geburtswehen liegt und einen Sohn gebiert. Die beiden Fremden werden um Gevatterschaft gebeten und lassen die Mutter wählen, ob sie als Patengeschenk eine immer volle Truhe mit Geld oder mit Getreide gefüllt haben will. Die Frau wählt das Getreide. Die Paten prophezeien noch dem Kinde, dass es die zu gleicher Zeit geborene Kaufmannstochter zur Frau bekommen werde, und verabschieden sich. Der Kaufmann erfährt von der Prophezeiung, besucht den Bauer und nimmt den Knaben zu sich, indem er verspricht, für ihn zu sorgen. Er wirft ihn jedoch auf dem Rückwege in einer Truhe in einen Fluss. Ein Müller fängt die Truhe auf, erzieht den Knaben und nennt ihn Rudolf. Nach 20 Jahren erfährt der stolze Kaufmann, welcher soeben in den Ritterstand erhoben werden soll, von dem Jüngling, besucht den Müller und schickt Rudolf mit einem Todesbrief zu seiner Frau. Unterwegs begegnet dem Boten einer der beiden Paten, nimmt ihm den Brief ab, zeigt ihm den Inhalt desselben und übergibt ihm einen anderen Brief, welcher den Befehl zur Heirat des Boten mit der Kaufmannstochter enthält. Der Kaufmann schickt nach seiner Rückkehr den Schwiegersohn in das Riesengebirge, um drei Goldfedern aus dem Haupte Rübezahls zu holen.

Rudolf kommt auf seiner Reise zu einem Fluss: der wilde, verzauberte Fährmann ersucht ihn, bei Rübezahl nachzufragen, wie lange noch seine Strafe dauern soll. Auf der weiteren Fahrt durchreist Rudolf drei Städte: in der ersten Stadt liegt eine unheilbar kranke Prinzessin, in der zweiten ist ein Heilbrunnen versiegt, in der dritten (Prag!) trägt ein Wunderbaum kein Heilobst mehr.

In der Nähe des Riesengebirges hört Rudolf von Rübezahl erzählen. Dieser hat die Gestalt eines fünfjährigen Knaben mit goldbefiedertem Haupt und ist mit einem weissen Hemdchen bekleidet. Soeben hat er seine Burg Kolešec auf sechs Tage verlassen, um seinen geliebten Papagei, welcher von einem Jäger gefangen wurde, zu befreien. Rudolf besucht die Burg Rübezahls, welche in der Mitte eines Teiches steht. Als er über die Brücke schreitet, drängen sich aus dem Wasser viele Fische zu der Brücke (es sind dies verzauberte Höflinge und Leute, welche sich der Burg nähern wollten). In der Burg empfängt Rudolf die Prinzessin Papilena und erzählt ihm ihre Geschichte: Rübezahl ist der Sohn des böhmischen Ritters Holdekron und einer sächsischen Gräfin. Die Hexe Medulina hatte ihn verzaubert, so dass er von seinem fünften Jahre an nicht mehr wuchs. Der Feind der Hexe, der mächtige Zauberer Trabison, hat ihn mit seinen Gehilfen [37] in der Zauberkunst unterrichtet. Er wird von dem Volke entweder mit dem Kosenamen Goldkopf, oder mit dem Spitznamen ‘Überzoll’ genannt. (Mit dem Namen Überzoll werden die strengen Zollbeamten beschimpft.)

Rübezahl wurde einmal als Arzt zu einer kranken Prinzessin gerufen, derselben, welche Rudolf in der ersten Stadt traf. Er erkannte sofort, dass die echte Prinzessin von der Medulina für ihren Sohn Bagidan geraubt und durch das kranke Mädchen heimlich ersetzt worden war. Trabison half ihm, die Prinzessin von der Hexe zu befreien und auf die Burg Karandat zu führen. Diese Prinzessin ist die Erzählerin selbst. Das untergeschobene Mädchen sollte nachher durch das Heilwasser der zweiten Stadt und durch das Heilobst der dritten Stadt geheilt werden. Medulina hat, um das Mädchen zu töten, den Brunnen und den Baum vergiftet. Rübezahl rettete die Kranke, indem er den Brunnen versiegen und den Baum welken liess.

Rudolf wird von Papilena durch einen unterirdischen Gang zu den Freunden Rübezahls, den Zauberern, geführt. Diese schicken ihn bewaffnet gegen die Hexe. Rudolf tötet einen Löwen, befreit mit Hilfe von zwei Bergknappen den von der Hexe verzauberten Zauberer Bucefalus aus seinem Grab und erlöst die ganze Gegend samt vielen in Tiere verzauberten Menschen. Medulina wird gefangen und auf die Burg Rübezahls gebracht.

Rübezahl kehrt eben mit seinem Papagei zurück, sieht den Zug, welcher die Hexe in die Burg führt, und übernachtet aus Furcht unter einem Baum. Bucefalus verwandelt Medulina in ein altes Weib und schickt sie in den Schwarzwald zu dem ‘Fabian’ (?) oberhalb der Altfrauenmühle. Eine Schlange führt Rudolf zu dem Baum, unter welchem Rübezahl schläft. Rudolf reisst ihm die drei Goldfedern aus, erklärt ihm, was mit der Hexe geschehen sei, und begleitet ihn in die Burg. Rübezahl schickt dann Rudolf zu jenem Baum zurück. Unter diesem sind zwei Schachteln mit Zaubermitteln vergraben, mit welchen dem welkenden Baume und dem versiegten Brunnen geholfen werden kann. Rudolf wird dann belehrt, wie er dem kranken Mädchen, dem Baum, dem Brunnen und dem Fährmann Hilfe bringen kann. (Der Fährmann ist der verzauberte Sohn der Hexe Medulina, Bagidan.) Rudolf verrichtet diese Arbeiten, Rübezahl wird inzwischen in einen schönen Ritter verwandelt und heiratet Papilena, der erlöste Bagidan vermählt sich mit dem geheilten Mädchen. Rudolf kehrt mit einem grossen Heer in seine Heimat zurück und findet mit Hilfe der drei Goldfedern Rübezahls in dem nahen Berge ‘Kahlrücken’ grosse Schätze, welche er an sein Volk verteilt.[3]

Dieses Volksbuch ist in der böhmischen Märchenliteratur nur einmal, und zwar höchst mangelhaft, nacherzählt worden (I. Vyhlídal, Z hanáchých dédin, Olomúc, nr. 32 S. 137). Der erste Teil von dem Schicksalskind findet sich in derselben Fassung wie im Volksbuche bei Radostov (3. Aufl. S. 286), ohne Fortsetzung. Das von Peck in seiner handschriftlichen Sammlung verzeichnete Märchen (nr. 22), welches die Fahrt ganz anders erzählt, leitet die Erzählung in ähnlicher Weise ein: Ein Fremder [38] als Pate des armen Kindes lässt den Vater wählen, ob er Dukaten oder eine immer volle Scheune als Patengeschenk bekommen will. Der Mann wählt die Scheune, und der Fremde bestimmt dem Knaben die gleichzeitig geborene Prinzessin zur Frau.

Die Fahrt zu dem übernatürlichen Wesen ist in dem Volksbuche zu einem recht unbeholfenen Roman über den bereits seit der Zeit des abergläubischen Praetorius bekannten Geist des Riesengebirges umgearbeitet worden. Auffallend wirkt, dass Rübezahl in einer von der Volksüberlieferung ganz verschiedenen Weise als kleines Kind und verzauberter Prinz geschildert wird. Es wäre gewagt, in dieser Schilderung einen Zusammenhang mit dem Auberon im Huon de Bordeaux zu suchen: eine Ähnlichkeit zwischen den beiden lässt sich jedoch nicht leugnen.

Das zweite Volksbuch heisst: Zlatý strom, ztracená voda a zaklená hora (Der Goldbaum, das verlorene Wasser, der verzauberte Berg, bei Škarnicl ohne Jahreszahl. Doucha führt in seinem Lexikon noch einen anderen Druck aus dem J. 1863 in Neuhaus und Tabor bei Laudfrass an).

Ein armer Schuster, Namens Georg Pivoňka, wohnt gegenüber dem reichen Kaufmann Otomar. Sein Sohn Mathias hilft der Kaufmannstochter Christine in der Schule und wird später in dem Geschäft des Kaufmanns angestellt. Christine liebt ihn, Otomar wünscht ihn los zu werden. Er schickt den Jüngling auf eine Seereise, fordert jedoch den Schiffspatron auf, den jungen Burschen während der Fahrt ins Meer zu werfen. Christine gibt Mathias einen Ring und verspricht, drei Jahre auf ihn zu warten. Der Schiffspatron findet an dem Jüngling Gefallen, klärt ihn über die feindliche Gesinnung Otomars auf und behält ihn als Schreiber.

Das Schiff landet bei einer von sonderbaren Menschen bewohnten Zauberinsel. Der Herrscher derselben hat einen Goldapfelbaum, welcher durch die Zauberkünste seines Bruders unfruchtbar geworden ist. Mathias verspricht ein Mittel gegen dieses Übel zu suchen. Das Schiff wird dann durch ein Gewitter auf eine andere Insel verschlagen, wo der einzige Trinkwasserbrunnen versiegt ist. Mathias verspricht auch diesmal Abhilfe zu suchen und gelangt zuletzt mit seinem Schiffspatron nach Alexandrien. Ein fremdländischer Kaufmann erzählt, wie seine Heimat vor zwei Jahren von dem Bruder des Fürsten der Zauberinsel heimgesucht wurde. Dieser Zauberer entführte die Königstochter auf den Verzauberten Berg und verwüstete das Land mit seinen Zauberkünsten. Mathias nimmt von seinem Schiffspatron Abschied, reist mit dem fremden Kaufmann in dessen Heimat, kommt in der schwarzbehängten Hauptstadt an und verspricht dem König, seine Tochter zu befreien. Zwei Führer begleiten ihn bis zu dem letzten Dorf vor dem Verzauberten Berge. Den Ratschlägen des Kaufmanns folgend, versorgt sich Mathias mit Nahrung und geht bis zu dem Fluss, welcher den Berg umfliesst und von Schlangen und Skorpionen wimmelt. Er legt sich, in eine Pferdehaut gehüllt, an das Ufer und wird von einem Greifen in dessen auf dem Berge befindliches Nest getragen. Sobald der Greif sich entfernt, tötet Mathias dessen Junge, geht in den Wald und kommt in der Frühe in das Haus der gefangenen Prinzessin, welche ihn unter ihrem Bett versteckt. Bevor der Zauberer erscheint, bittet Mathias die Prinzessin, den Zauberer zu fragen, wie man dem Goldapfelbaum und dem Trinkbrunnen helfen könnte. Der Zauberer kommt [39] am Abend, spürt Menschengeruch, legt nach dem Essen seinen Kopf auf den Schoss der Prinzessin und schläft ein. Die Prinzessin weckt ihn, indem sie ihm ihre ‘Träume’ von dem Brunnen und dem Apfelbaum erzählt; der Zauberer bekennt, in den Brunnen einen Riesenfrosch und unter den Baum eine rote Schlange gesteckt zu haben. Zuletzt fragt die Prinzessin, wie sie, wenn er sterben würde, den Verzauberten Berg verlassen könnte. Der Unhold warnt sie vor einem benachbarten Zauberer und rät ihr, einen Gürtel aus Lindenbast zu tragen. Mit solchem Gürtel und einem Tropfen Menschenblut kann jeder Zauberer besiegt werden. Mathias richtet sich nach diesem Wink, bindet den Zauberer, versöhnt sich jedoch mit ihm und bekommt eine Schachtel mit Wundersalbe.

Alle drei kehren zusammen von dem entzauberten Berg in die mit rotweissen Fahnen geschmückte Hauptstadt zurück. Mathias verzichtet, mit Hinweis auf ein älteres Versprechen, auf die Hand der Prinzessin, wird zum ‘Ritter des Verzauberten Berges’ geschlagen und mit einem Fürstentum beschenkt. Auf der Rückreise hilft er den beiden Inselfürsten und versöhnt den Zauberer mit seinem Bruder.

Christine hat inzwischen durch einen Brief von Mathias den Verrat ihres Vaters erfahren. Dieser lässt jedoch seiner Tochter einen gefälschten Brief, welcher von dem Tode Mathias berichtet, einhändigen und zwingt sie zu einer Heirat.

Den Schluss des Volksbuches bildet eine Variante der bereits bei Thomas von Cantimpré vorkommenden Geschichte von der scheintoten Braut.[4]

Mathias wird nach seiner Rückkehr nicht erkannt, als vornehmer Kaufmann jedoch zu der Hochzeit seiner Geliebten mit einem reichen Jüngling eingeladen. Bei der Hochzeitstafel sitzt er neben der Braut und wirft ihr heimlich den ihm vor seiner Abreise geschenkten Ring in ihren Becher. Christine, welche von dem Tode ihres Geliebten überzeugt war, erkennt den Ring, erkrankt und stirbt. Sie wird auf dem Friedhof in der Familiengruft beigesetzt. Mathias nimmt an dem Begräbnis teil, in der nachfolgenden Nacht sieht er im Traume den Zauberer des Verzauberten Berges und wird von diesem aufgefordert, die Tote mit der ihm seinerzeit geschenkten Wundersalbe zu wecken. Er fährt sofort nach dem Friedhof, der Totengräber öffnet ihm gegen reiche Belohnung die Gruft. Christine, sobald sie mit der Wundersalbe gesalbt wird, öffnet die Augen, wird von Mathias in seine Wohnung geführt und von einem berühmten Arzt gerettet. Der reiche Kaufmann bereut inzwischen, dass er Mathias als Sklaven verkauft und Christine zur Heirat mit einem ungeliebten Manne gezwungen habe. Mathias veranstaltet ein Festessen, erzählt bei der Tafel von seinen Reisen und unterbreitet seinen Gästen einen ihn betreffenden Rechtsstreit zur Entscheidung: ‘Ich habe als Knabe die Gärtnerei erlernt und einem reichen Herrn einen jungen Baum gepflegt, welcher mir von ihm versprochen wurde. Aber der Herr hat mich, um sein Versprechen nicht einlösen zu müssen, in die weite Welt geschickt und den Baum einem reichen Jüngling versprochen. Da jedoch der Baum bereits verwelkt war, wurde er von den beiden ausgegraben und an einer wohlgeschützten Stelle in die Erde versenkt. Ich habe den Baum nach meiner Rückkehr gefunden und durch meine Kunst zur Blüte gebracht. Wem gehört nun der Baum?’ Die sämtlichen Gäste entscheiden den Fall zugunsten ihres Gastgebers und geben ihm ihre Entscheidung auf seinen Wunsch schriftlich. Mathias führt dann seine Geliebte in den Saal und gibt sich zu erkennen.

[40] Die Einleitung dieses Volksbuches gehört zwar zu den selbständigen Versionen der überseeischen Fahrt, hat jedoch in dem Mordanschlag des Kaufmanns eine Anspielung auf das Schicksalskind. Die Reiseerlebnisse gleichen, trotz der wunderlichen Ausschmückung, den in den Märchen vorkommenden Städten mit dem welkenden Baum und dem versiegten Brunnen; die Erlösung der Prinzessin folgt der Überlieferung selbst in unbedeutenden Einzelheiten (das Verstecken unter dem Bett, das Wittern des Menschengeruches, die ‘Träume’).

Die beiden Volksbücher sind recht späte Nachklänge des ursprünglichen Märchenstoffes; würde man jedoch noch mehrere solche Volksschriften ausfindig machen, so könnten sie so manches Wunderbare in der Volksüberlieferung natürlich erklären.

     Prag.

[31]
Übersicht der Motive in den ältesten literarischen Fassungen.
Der Säugling Der Knabe Der Jüngling Der Gatte
Habis Uneheliche Geburt wiederholt ausgesetzt ins Meer geworfen Hirschherde
Boddhisattva Armes Kind wird ausgesetzt do. Todesbotschaft Todesbrief, das fremde Mädchen
Ghosaka Hurensohn wird ausgesetzt do. do. do.
Dâmannaka Königssohn eine Waise Mordanschlag Todesbrief, die Tochter des reichen Mannes Mordanschlag, der Sohn als Opfer
Čandrahâsa Kaufmannssohn eine Waise do. do. do.
Čampaka Die getötete Sklavin do. Mordanschlag, Warnung der Frau Mordanschlag, der reiche Mann als Opfer
Thalassion (Talâsôn, Bâhrân) Die Frau in Geburtswehen ins Meer geworfen do.
Talâfinos Die Witwe auf dem Felde do. do.
(Kêbal) Die getötete Sklavin einmal ausgesetzt ins Meer geworfen (der Knabe) do. Mordanschlag, die Warnung der Frau, der reiche Mann als Opfer
Konstantin Die Frau in Geburtswehen Mordanschlag (und Aussetzung) Anspielung auf das Werfen ins Meer do.
Heinrich do. do. Todesbrief (der Priester)

  1. Schon Jacob Grimm weist in einer hsl. Bemerkung über spanische Märchen (im Handexemplar der Märchen 3, 309. 1856) auf diese Geschichte hin: ‘Iberisches märchen von Habis (abea, gebüsch) Justinus 44, 4’ – (J. B.).
  2. Die zahlreichen finnischen handschriftlichen Aufzeichnungen, welche Aarne (F. F. Communications nr. 5. S. 38) anführt, sind nicht in selbständige und zusammengesetzte Texte eingeteilt, so dass sich dieselben für diese Übersicht nicht recht verwerten lassen.
  3. In einem deutschen Märchen bei Pröhle (Bolte-Polívka 1, 82) heisst der Vogel, zu welchem der Held geschickt wird, ‘Fabian’. In dem Gebirge Brdy im südwestlichen Böhmen waltet ein mächtiger Geist ‘Fabiján’ oder auch ‘Babí Jan’ (Der Altfrauen Johann) genannt, von welchem ähnliche Geschichten wie von Rübezahl erzählt werden. In demselben Gebirge wird auch häufig von der Hexe ‘Medulina’ oder ‘Paní Bába’ (Die alte Frau) erzählt. Siehe Jelínek, Mitteilungen der anthropol. Gesellschaft in Wien 26, 235 (1896).
  4. Vgl. Polívka und Bolte, oben 17, 410 u. 20, 353: ferner Chauvin 5, 134 nr. 1.

Anmerkungen (Wikisource)

  1. Vorlage: ververschiedenen