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Das Mädchen und der Sagebaum

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Titel: Das Mädchen und der Sagebaum
Untertitel:
aus: Deutscher Liederhort,
S. 110–111
Herausgeber: Ludwig Erk
Auflage:
Entstehungsdatum:
Erscheinungsdatum: 1856
Verlag: Th. Chr. Fr. Enslin
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Erscheinungsort: Berlin
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Quelle: Google und Wikimedia Commons
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[110]
33d. Das Mädchen und der Sagebaum.


Mäßig. Mündlich, aus Gramzow in der Ukermark.
Noten
Noten


1.
Es wollt ein Mädchen spazieren gehn,

gar schön war sie gezieret:
was fand sie da am Wege stehn?
ein Sagebaum sehr grüne.

2.
„Sag an, sag an, du Sagebaum,

wovon bist du so grüne?“
‚‚‚Sag an, sag an, du Mägdelein,
wovon bist du so schöne?‘‘‘

3.
„Wovon daß ich so schöne bin,

das will ich dir wol sagen:
ich esse Semmel und trinke Wein,
davon bin ich so schöne.“

4.
‚‚‚Wovon daß ich so grüne bin,

das will ich dir wol sagen:
es fällt der kühle Thau auf mich,
davon bin ich so grüne.

5.
‚‚‚Ein Mädchen die ihre Ehr will habn,

zu Hause muß sie bleiben;
sie muß sich fein ins Bettchen legn
mit ihrem zarten Leibe.

6.
‚‚‚Hin tanzen kann sie auch wol gehn,

das ist ihr unverwehret;
bei Sonnenschein dann wiedrum heim,
so hat sie Ruhm und Ehre.

7.
‚‚‚Bei finstrer Nacht und Mondenschein

ist keine Ehr vorhanden;
es giebt der falschen Knaben viel,
die setzen dich in Schanden.‘‘‘

8.
„Schön Dank, schön Dank, du Sagebaum,

für deine gute Lehre!
ich will meim Schatz entgegen gehn,
dann werd ich wieder umkehren.“

9.
‚‚‚Schweig still, schweig still, du Mägdelein,

du bist schon hingewesen;
du hast dein Rautenkränzelein
in seinem Arm gelassen.‘‘‘

10.
„Schweig still, schweig still, du Sagebaum,

ich thu dich nicht anschauen;
ich hab zwei stolze Brüderlein,
die sollen dich abhauen!“

11.
‚‚‚Und haun sie mich im Winter ab,

im Sommer grün ich wieder;
ein Mädchen, die ihre Ehr verliert,
die kriegt sie nicht mehr wieder.‘‘‘

1, 2. Sie hatt sich schön geschnüret – sie zog sich an gar schöne. – 1, 4. Sagebaum, Sadelbaum: vgl. S. 20. – 3, 3. ich esse Semmel, trink kühlen Wein, das alle meine Tage. – 4, 3. auf mich so [111] fällt der kühle Thau – allmorgens fällt ein Thau auf mich. – 7, 8. Trau du nur keinem Burschen nicht, sie bringen dich in Schanden. – 8. Schön Dank, schön Dank, Herr Salomon, für seine weise Lehren! ich wollt zu meinem Schatz hingehn, jetzt aber will ich umkehren. – 10. Schweig still, schweig still, du Sagebaum! ich hab zwei freche Brüder, und wenn ichs ihnen erzählen thu, so haun sie dich darnieder.