Das Mädchen ohne Hände (1837)
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Ein Müller war nach und nach in Armuth geraten, und hatte
nichts mehr als seine Mühle und einen großen Apfelbaum
dahinter. Einmal war er in den Wald gegangen Holz zu holen,
da trat ein alter Mann zu ihm, den er noch niemals gesehen
hatte, und sprach „was quälst du dich mit Holzhacken, ich will
dich reich machen, wenn du mir versprichst was hinter deiner
Mühle steht.“ „Was kann das anders seyn als mein Apfelbaum?“
dachte der Müller, sagte ja, und verschrieb es dem fremden
Manne. Der aber lachte höhnisch, und gieng fort. Als
der Müller nach Haus kam, trat ihm seine Frau entgegen, und
sprach „ei, Müller, woher kommt der plötzliche Reichthum in
unser Haus? auf einmal sind alle Kisten und Kasten voll, kein
Mensch hats hereingebracht, und ich weiß nicht wie es zugegangen
ist.“ Er antwortete, „das kommt von einem fremden Manne,
der mir im Walde begegnet ist, und mir große Schätze verheißen
hat: ich habe ihm dagegen verschrieben was hinter der
Mühle steht; den großen Apfelbaum können wir wohl dafür geben.“
„Ach, Mann,“ sagte die Frau erschrocken, „das ist der
Teufel gewesen: den Apfelbaum hat er nicht gemeint, sondern
unsere Tochter, die stand hinter der Mühle und kehrte den Hof.“
[188] Die Müllerstochter war ein schönes und frommes Mädchen,
und lebte die drei Jahre in Gottesfurcht und ohne Sünde. Als
nun die Zeit herum war, und der Tag kam, wo sie der Böse
holen wollte, da wusch sie sich rein und machte mit Kreide
einen Kranz um sich. Der Teufel erschien ganz frühe, aber er
konnte sich ihr nicht nähern. Zornig sprach er zum Müller „thu
ihr alles Wasser weg, damit sie sich nicht mehr waschen kann!
denn sonst habe ich keine Gewalt über sie.“ Der Müller fürchtete
sich, und that es. Am andern Morgen kam der Teufel[1]
wieder, aber sie hatte auf ihre Hände geweint, und sie waren
ganz rein. Da konnte er ihr wiederum nicht nahen, und sprach
wüthend zu dem Müller „hau ihr die Hände ab, sonst kann ich
ihr nichts anhaben.“ Der Müller entsetzte sich, und antwortete
„wie könnte ich meinem eigenen Kinde die Hände abhauen!“ Da
drohte ihm der Böse und sprach „wo du es nicht thust, so bist
du mein, und ich hole dich selber.“ Dem Vater ward Angst
und er versprach ihm zu gehorchen. Da gieng er zu dem Mädchen
und sagte „mein Kind; wenn ich dir nicht beide Hände abhaue,
so führt mich der Teufel fort, und in der Angst habe ich
es ihm versprochen. Hilf mir doch in meiner Noth, und verzeihe
mir was ich böses an dir thue.“ Sie antwortete, „lieber Vater,
macht mit mir was ihr wollt, ich bin Euer Kind.“ Darauf
legte sie beide Hände hin und ließ sie sich abhauen. Der Teufel
kam zum drittenmal, aber sie hatte so lange und so viel
auf die Stümpfe geweint daß sie doch ganz rein war. Da
mußte er weichen, und hatte alles Recht auf sie verloren.
[189] Der Müller sprach zu ihr „ich habe so großes Gut durch
dich gewonnen, ich will dich zeitlebens aufs köstlichste halten.“
Sie antwortete aber „hier kann ich nicht bleiben; ich will fortgehn;
mitleidige Menschen werden mir schon so viel geben als
ich brauche.“ Darauf ließ sie sich die verstümmelten Arme
auf den Rücken binden, und mit Sonnenaufgang machte sie sich auf
den Weg, und gieng den ganzen Tag bis es Nacht ward. Da
kam sie zu einem königlichen Garten, und beim Mondschimmer
sah sie daß Bäume voll schöner Früchte darin standen; aber sie
konnte nicht hinein, denn es war ein Wasser darum. Und weil
sie den ganzen Tag gegangen war und keinen Bißen genossen
hatte und der Hunger sie quälte, so dachte sie „ach, wäre ich
darin, damit ich etwas von den Früchten äße, sonst muß ich
verschmachten.“ Da kniete sie nieder, rief Gott den Herrn an,
und betete. Auf einmal kam ein Engel daher, der machte eine
Schleuße in dem Wasser zu, so daß der Graben trocken ward
und sie hindurch gehen konnte. Nun gieng sie in den Garten,
und der Engel gieng mit ihr. Sie sah einen Baum mit Obst,
das waren schöne Birnen, aber sie waren alle gezählt. Da trat
sie hinzu, und aß eine mit dem Munde vom Baume ab, ihren
Hunger zu stillen, aber nicht mehr. Der Gärtner sah es mit
an, weil aber der Engel dabei stand, fürchtete er sich, und meinte
das Mädchen wäre ein Geist, schwieg still und getraute nicht zu
rufen oder den Geist anzureden. Als sie die eine Birne
gegessen hatte, war sie gesättigt, und gieng und versteckte sich
in das Gebüsch. Der König, dem der Garten gehörte, kam am
[190] andern Morgen herab, da zählte er, und sah, daß eine der
Birnen fehlte, und fragte den Gärtner, wo sie hingekommen
wäre: sie liege nicht unter dem Baume und sey doch weg. Da
antwortete der Gärtner „vorige Nacht kam ein Geist herein,
der hatte keine Hände, und aß eine mit dem Munde ab.“ Der
König sprach „wie ist der Geist über das Wasser herein gekommen?
und wo ist er hingegangen, nachdem er die Birne gegessen
hatte?“ Der Gärtner antwortete „es kam jemand in schneeweißem
Kleide vom Himmel, der hat die Schleuße zugemacht,
und das Wasser gehemmt, damit der Geist durch den Graben
gehen konnte. Und weil es ein Engel muß gewesen seyn, so habe
ich mich gefürchtet, nicht gefragt und nicht gerufen. Als der Geist
die Birne gegessen hatte, ist er wieder zurückgegangen.“ Der
König sprach „verhält es sich wie du sagst, so will ich diese Nacht
bei dir wachen.“
Als es dunkel ward, kam der König in den Garten, und brachte einen Priester mit, der sollte den Geist anreden. Alle drei setzten sich unter den Baum, und gaben acht. Um Mitternacht kam das Mädchen aus dem Gebüsch gekrochen, trat zu dem Baum, und aß wieder mit dem Munde eine Birne ab; neben ihr aber stand der Engel im weißen Kleide. Da gieng der Priester hervor und sprach „bist du von Gott gekommen oder von der Welt? bist du ein Geist oder ein Mensch?“ Sie antwortete „ich bin kein Geist, sondern ein armer Mensch, von allen verlassen nur von Gott nicht.“ Der König sprach „wenn du von aller Welt verlassen bist, so will ich dich nicht verlassen.“ [193] Er nahm sie mit sich in sein königliches Schloß, und weil sie so schön und fromm war, liebte er sie von Herzen, ließ ihr silberne Hände machen, und nahm sie zu seiner Gemahlin.
Nach einem Jahre mußte der König über Feld ziehen, da befahl er die junge Königin seiner Mutter, und sprach „wenn sie ins Kindbett kommt, so haltet und verpflegt sie wohl, und schreibt mirs gleich in einem Briefe.“ Nun gebar sie einen schönen Sohn. Da schrieb es die alte Mutter eilig, und meldete ihm die frohe Nachricht. Der Bote aber ruhte unterwegs an einem Bache, und da er von dem langen Wege ermüdet war, schlief er ein. Da kam der Teufel, welcher der frommen Königin immer zu schaden trachtete, und vertauschte den Brief mit einem andern, darin stand daß die Königin einen Wechselbalg zur Welt gebracht hätte. Als der König den Brief las, erschrak er und betrübte sich sehr, doch schrieb er zur Antwort, sie sollten die Königin wohl halten und pflegen bis zu seiner Ankunft. Der Bote gieng mit dem Brief zurück, ruhte an der nämlichen Stelle, und schlief wieder ein. Da kam der Teufel abermals, und legte ihm einen andern Brief in die Tasche, darin stand sie sollten die Königin mit ihrem Kinde tödten. Die alte Mutter erschrak heftig als sie den Brief erhielt, konnte es nicht glauben, und schrieb dem Könige noch einmal, aber sie bekam keine andere Antwort, da der Teufel dem Boten jedesmal einen falschen Brief unterschob, und in dem letzten Briefe stand noch sie sollten zum Wahrzeichen Zunge und Augen der Königin aufheben.
Aber die alte Mutter weinte daß so unschuldiges Blut sollte [194] vergossen werden, ließ in der Nacht eine Hirschkuh holen, schnitt ihr Zunge und Augen aus, und hob sie auf. Dann sprach sie zu der Königin „ich kann dich nicht tödten lassen, wie der König befiehlt, aber länger darfst du nicht hier bleiben: geh mit deinem Kinde in die weite Welt hinein, und komm nie wieder zurück.“ Sie band ihr das Kind auf den Rücken, und die arme Frau gieng mit weiniglichen Augen fort. Sie kam in einen großen wilden Wald, da setzte sie sich auf ihre Knie, und betete zu Gott, und der Engel des Herrn erschien ihr, und führte sie zu einem kleinen Haus, daran war ein Schildchen mit den Worten „hier wohnt ein jeder frei.“ Aus dem Häuschen kam eine schneeweiße Jungfrau, die sprach „willkommen, Frau Königin,“ und führte sie hinein. Da band sie ihr den kleinen Knaben von dem Rücken, und hielt ihn an ihre Brust, damit er trank, und legte ihn dann auf ein schönes gemachtes Bettchen. Da sprach die arme Frau „woher weißt du daß ich eine Königin war?“ Die weiße Jungfrau antwortete „ich bin ein Engel, von Gott gesandt, dich und dein Kind zu verpflegen.“ Da blieb sie in dem Hause sieben Jahre, und war wohl verpflegt, und durch Gottes Gnade wegen ihrer Frömmigkeit wuchsen ihr die abgehauenen Hände wieder.
Der König kam endlich aus dem Felde wieder nach Haus, und sein erstes war daß er seine Frau mit dem Kinde sehen wollte. Da fieng die alte Mutter an zu weinen, und sprach „du böser Mann, was hast du mir geschrieben daß ich zwei unschuldige Seelen ums Leben bringen sollte!“ und zeigte ihm die beiden [195] Briefe, die der Böse verfälscht hatte, und sprach weiter „ich habe gethan wie du befohlen hast,“ und wies ihm die Wahrzeichen, Zunge und Augen. Da fieng der König an noch viel bitterlicher zu weinen über seine arme Frau und sein Söhnlein, daß es die alte Mutter erbarmte, und sie zu ihm sprach „gib dich zufrieden, sie lebt noch. Ich habe eine Hirschkuh heimlich schlachten lassen, und von dieser die Wahrzeichen genommen, deiner Frau aber habe ich ihr Kind auf den Rücken gebunden, und sie geheißen in die weite Welt zu gehen, und sie hat versprechen müssen nicht wieder hierher zu kommen, weil du so zornig über sie wärst.“ Da sprach der König „ich will gehen so weit der Himmel blau ist, und nicht essen und nicht trinken bis ich meine liebe Frau und mein Kind wieder gefunden habe, wenn sie nicht in der Zeit umgekommen oder Hungers gestorben sind.“
Darauf zog der König umher, an die sieben Jahre lang, und suchte sie in allen Steinklippen und Felsenhöhlen, aber er fand sie nicht, und dachte, sie wäre verschmachtet. Er aß nicht und trank nicht während dieser ganzen Zeit, aber Gott erhielt ihn. Endlich kam er in einen großen Wald, und fand darin das kleine Häuschen, daran das Schildchen war mit den Worten „hier wohnt ein jeder frei.“ Da kam die weiße Jungfrau heraus, nahm ihn bei der Hand, führte ihn hinein, und sprach „seyd willkommen, Herr König,“ und fragte ihn wo er her käme. Er antwortete „ich bin bald sieben Jahre umher gezogen, und suche meine Frau mit ihrem Kinde, ich kann sie aber nicht finden.“ Der Engel bot ihm Essen und Trinken an, er nahm es [196] aber nicht, und wollte nur ein wenig ruhen. Da legte er sich schlafen, und deckte sein Tuch über sein Gesicht.
Darauf gieng der Engel in die Kammer, wo die Königin
mit ihrem Sohne saß, den sie gewöhnlich Schmerzenreich nannte,
und sprach zu ihr „geh heraus mit sammt deinem Kinde, dein
Gemahl ist gekommen.“ Da gieng sie hin wo er lag, und das
Tuch fiel ihm vom Angesicht. Da sprach sie „Schmerzenreich,
heb deinem Vater das Tuch auf, und decke ihm sein Gesicht
wieder zu.“ Das Kind hob es auf, und deckte es wieder über
sein Gesicht. Das hörte der König im Schlummer, und ließ das
Tuch noch einmal gerne fallen. Da ward das Knäbchen ungeduldig,
und sagte „liebe Mutter, wie kann ich meinem Vater das
Gesicht zudecken, ich habe ja keinen Vater auf der Welt? Ich
habe das Beten gelernt, unser Vater, der du bist im Himmel;
da hast du gesagt mein Vater wär im Himmel und wäre der
liebe Gott: wie soll ich einen so wilden Mann kennen? der ist
mein Vater nicht.“ Wie der König das hörte, richtete er sich
auf, und fragte wer sie wäre. Da sagte sie „ich bin deine Frau,
und das ist dein Sohn Schmerzenreich.“ Und er sah ihre lebendigen
Hände, und sprach „meine Frau hatte silberne Hände.“
Sie antwortete „die natürlichen Hände hat mir der gnädige Gott
wieder wachsen lassen“; und der Engel gieng in die Kammer,
holte die silbernen Hände, und zeigte sie ihm. Da sah er erst
gewiß daß es seine liebe Frau und sein liebes Kind war, und
küßte sie, und war froh, und sagte „ein schwerer Stein
ist von
[197] meinem Herzen gefallen.“ Da speiste sie der Engel Gottes noch
einmal zusammen, und dann giengen sie nach Haus zu seiner
alten Mutter. Da war große Freude überall, und der König
und die Königin hielten noch einmal Hochzeit, und sie lebten
vergnügt bis an ihr seliges Ende.
Anmerkungen (Wikisource)
- ↑ Vorlage: Teufe