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Das Lotto-Spiel

aus Wikisource, der freien Quellensammlung
Textdaten
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Autor: Friedrich Hofmann
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Titel: Das Lotto-Spiel
Untertitel:
aus: Die Gartenlaube, Heft 48, S. 781–782
Herausgeber: Ernst Ziel
Auflage:
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Erscheinungsdatum: 1883
Verlag: Verlag von Ernst Keil
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Erscheinungsort: Leipzig
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Quelle: Scans bei Commons
Kurzbeschreibung:
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Das Lotto-Spiel.

Lotto und Lotterie sind Geschwister von gleichem Werth und nur verschiedenem Wirkungsboden. Leute, die aus böser Erfahrung sprechen, behaupten, sie seien Zwillinge von des Teufels Großmütter, von welchen letztere, die Lotterie, sich bei den sogenannten „besseren Ständen“ zur Pflege der menschlichen Freude an Wetten und Glücksspiel eingeschmeichelt habe, während das Lotto sich vorzugsweise des großen Haufens mit seinen kleinen ledernen Geldbeuteln erbarme, um demselben mit Hülfe des sinnreichen Aberglaubens der Traumdeuterei für gewinnverheißende Zahlenwahl das Leben im irdischen Jammerthal zu versüßen. Beide Geschwisterchen üben auf ihre nach Millionen zählende Anbeterschaft unumschränke Gewalt aus, denn sie verführen sie zu dem mühelosesten, aber auch kostspieligsten Unternehmen, ohne Arbeit Einnahmen zu erzielen, ja vielleicht mit einem Schlage steinreich zu werden, und vertrösten sie nach jedem Mißerfolg auf das nächste Mal.

Was die Lotterie ist und zu bedeuten hat, ist allbekannt; gehört sie doch auch im deutschen Reiche noch zu den staatlichen oder städtischen Einrichtungen zur Erzielung nicht unbeträchtlicher freiwilliger Steuern für Alle, welchen der ordentliche Steuerzettel nicht lang genug ist.

An Belehrungen über das Soll und Haben dieses Geschäfts läßt es keine der vielen Lotterien fehlen. Nur eine recht störende Auffälligkeit wartet noch auf Erklärung, und zwar die: warum das Lotteriespiel in einem Staate obrigkeitlich geübt und das Mitspielen im nächsten Nachbarstaate an den eigenen Unterthanen als Verbrechen bestraft wird. Zu den öffentlichen Ehren dieser Staatsinstitute kann dies unmöglich gerechnet werden.

Lotto-Schwestern.
Nach dem Oelgemälde von Karl von Blaas.

Das Lotto oder die Zahlen-Lotterie unterscheidet sich von der eigentlichen oder Classen-Lotterie dadurch, daß letztere den Spielern die Auswahl unter Tausenden von Nummern darbietet, die Loose in verschiedene im Preise aufsteigende Grade (Zehntel-, Viertel-, Halb- und Voll-Loose) eintheilt, die Ziehung in mehrere Classen (daher die Bezeichnung) trennt, um der Spielgier durch die immer höheren Gewinne stets neue Nahrung zu geben, und bedeutende Summen als Lockvögel an die Spitze ihrer Gewinnliste stellt – während das Lotto auf die Zahlen bis 90 beschränkt ist und nur 5 Nummern bei jeder Ziehung den Spielern zum Besten giebt. Während ferner die Classen-Lotterie im Jahre nur einige Mal zur Ausführung kommt, geschieht die Lotto-Ziehung allwöchentlich, sodaß der Spielteufel seine Opfer fortwährend in Athem erhält.

Das Lotto ist eine italienische Erfindung, die Geschichte der Lotterie reicht weiter zurück, denn die Lust an Glücksspielen ward mit dem Menschen geboren. Genua ist die Geburtsstätte des Lotto. Zu Zeiten der Republik pflegte man dort bei jeder Senatoren-Neuwahl die Namen von 90 Wählbaren in ein Glücksrad zu legen und aus demselben dann die fünf hervorzuziehen, die nun als gewählt galten. Natürlich begann man sehr bald, auf diese fünf Namen zu wetten. Von da war nur der eine Schritt nöthig, statt der 90 Namen Zahlen zu setzen, und das Lotto war fertig.

Das italienische Wort Lotto heißt Loos, und diese Bezeichnung erhielt der Zettel, welchen der Spieler für seinen Einsatz in Empfang nahm. Das Spiel selbst wurde von den Spielleitern, also von den dasselbe zu ihrem Vortheil treibenden Städten [782] oder Staaten, nach und nach bis zu der gewinnbringenden Mannigfaltigkeit entwickelt, als welche es lange Zeit als eine moralische und volkswirthschaftliche Pest in vielen Ländern wirkte und in einigen noch wirkt.

Das Spiel steigert sich in folgender Weise. Wählt der Spieler eine Nummer, ohne die Stelle zu bestimmen, welche sie unter den fünf gezogenen Nummern einnehmen soll, so gewinnt er, wenn sie „kommt“, einen „Auszug“, das heißt der Einsatz wird 15 Mal zurückbezahlt. In Süddeutschland betrug der Einsatz 1 Kreuzer, der Gewinn also 15 Kreuzer. Bei bestimmter Nummerstelle (z. B. 52 als dritte der fünf gezogenen Nummern) heißt der Gewinn „bestimmter Auszug“ und beträgt das 75-fache des Einsatzes. Bei dem Treffen oder Herauskommen von 2 Nummern, „Ambe“, wird der Einsatz 240 Mal, bei 3 Nummern, „Terne“, 4800 Mal, bei 4 Nummern, „Quaterne“, 60,000 Mal wieder bezahlt. Wenn bei diesen Amben, Ternen und Quaternen nicht alle Nummern „herauskommen“, wird für die herausgekommenen dem Spieler kein Gewinn zu Theil, wenn er sie nicht noch besonders als einfachen oder bestimmten Auszug gesetzt hat. Quinternen werden, wegen der Unwahrscheinlichkeit des Treffens, wohl höchst selten gesetzt, gewonnen wurden sie wenigstens, so viel bekannt ist, niemals.

Die verführerische Größe dieser Gewinnzahlen ist das Verderblichste für das Volk, und darum werden auch Amben und Ternen am meisten gesetzt; wie gering aber die Aussicht auf den Gewinn sich herausstellt, ergiebt eine Berechnung, von welcher wir für unsere Leser nur das Facit mittheilen, daß die Lotto-Unternehmung auf die Gewinnsumme, die sie dem Spieler zahlt, von der Ambe mit 1601/2%, bei der Terne um 1443/4%, bei der Quaterne sogar um 751% in Vortheil ist.

Diese Rechnung erklärt uns die Möglichkeit, daß Baiern in einem Jahre (1853) über 3 Millionen Gulden aus seinem Lotto gewann, daß in Oesterreich von 1868 bis 1876 die Rein-Einnahme des Lotto 51 und die Brutto-Einnahme 136 Millionen Gulden betragen konnte, und daß in Italien diese Spielsteuer dem armen Volke jährlich 70 Millionen Lire ohne die sehr bedeutenden Verwaltungsausgaben kostet.

Ueber die volkswirtschaftliche Schädlichkeit des Lotto wie der Lotterie, durch welche jährlich Millionen den Unternehmungen des Fleißes und dem Familienhaushalt entzogen werden, ist schon ebenso viel geschrieben worden, wie über den moralischen Verderb in ganzen Volksclassen. Ehe das Lotto in Deutschland (dem jetzigen deutschen Reiche) ausgehoben war, hatten wir dies in hohem Grade mit zu empfinden. Wie viel Familienglück ist damals zu Grunde gegangen, wenn der Mann oder die Frau, oder gar beide vom Lotto-Teufel besessen waren! Vergeblich rächte sich der Volkswitz an dem unheilvollen Institute. Der Verfasser hat in seiner Jugend das Lotto in seiner Vaterstadt noch in voller Blüthe gesehen. Jeden Montag kamen die Lotto-Boten, auch des nahen Auslandes, trotzdem dort das Spielen in diesem Lotto bei Zuchthausstrafe verboten war, stromweise in die Stadt und füllten, mit den einheimischen Spielern, von Nachmittags drei Uhr an den geräumigen Marktplatz. Die Ziehung geschah auf dem Rathhause. Unter einem Fenster des Lotto-Zimmers hing eine große schwarze Tafel zur Aufsteckung der fünf Nummern. Eine mächtige Erregung durchlief schon die Massen, wenn gegen vier Uhr der Waisenknabe, welcher die Nummern aus dem Glücksrade zu ziehen hatte, über den Markt zum Rathhause geführt wurde. Um vier Uhr begann die große Feierlichkeit. Ein Zeichen aus dem betreffenden Fenster des Rathhauses verkündete den Beginn derselben. Lautlose Stille auf dem ganzen Markplatze. Sobald der arme Junge, in ein weißes Gewand gehüllt und mit verbundenen Augen, die erste Nummer aus der vorher umgerollten Trommel des Glücksrades gezogen hatte, wurde diese aus dem Fenster erst ausgerufen und dann auf die Lotto-Tafel gesteckt. Ein Gemurmel ging durch die Menge; bei der zweiten Nummer wurden Ausrufe Einzelner laut, denen stets das Gelächter der Umstehenden folgte. Bei der dritten Nummer hörte man aus vielen Stellen zugleich den allzu lauten Stoßseufzer: „O, ich Ochs, hätte ich doch“ etc. Das Gelächter verschlang den selbstverständlichen Schluß. Diese Selbstverleugnung mehrte und verstärkte sich nun bis zum Ende, wo zahllose „O, ich Ochs, hätte ich die Nummer gesetzt“ zum Ausbruche kamen. Die auswärtigen Lotto-Boten rannten zuerst davon, dann leerte sich langsam der Platz. Im Volksmunde hieß aber diese allmontägliche Lotto-Brüder- und Schwestern-Versammlung der „Ochsenmarkt“.

Dem Aberglauben bot das Lotto das reichste Feld, besonders erhielten die Träume eine außerordentliche Wichtigkeit. Die alten Traumbücher, welche die Träume bildlich erklärten, indem z. B. von Dornen träumen soviel wie Hindernisse, von schmutzigem Wasser Schmerz und Kummer, von Schnee Krankheit, von hellem Feuer künftige Freude, von Todten Regenwetter etc. bedeuten sollte, wurden mit den neunzig Lottozahlen verbunden. In alphabetischer Ordnung füllten diese Traumangaben Hefte und Bücher und fehlten in keinem Hause. Die Traumauslegungen nahmen unzähligen Menschen den Geist die ganze Woche hindurch in Anspruch. Jetzt sind Traumbücher in Deutschland glücklicher Weise doch seltener geworden.

Unsere Illustration stellt unter der Weibergruppe vor der kaiserlich königlichen Lotto-Collectur uns eine solche Traumdeuterin in der Frau mit dem pfiffigen Gesicht dar, welche der dummen Alten an den Fingern her die Nutzanwendung ihres Traumes für die nächste Ziehung aus einander setzt. Diesem Schwindelgeschäft entgegenzuarbeiten und es mit der Zeit überall unmöglich zu machen, giebt es nur ein sicheres Mittel: wahre Volksbildung.

Die höchste Blüthe des Lotto besteht noch heute im Geburtslande desselben, in Italien. Wie vielfach und schamlos dort das Volk durch dieses heillose Institut ausgebeutet wird, haben wir unsern Lesern in einem besondern Artikel: „Die Schmarotzer des italienischen Lotto“, im Jahrgang 1879, S. 342 ausführlich geschildert.

Fr. Hfm.