Das Lied vom armen Kind
[116] Das Lied vom armen Kind
oder
Wer zuletzt lacht, lacht am besten
Es war einmal ein armes Kind,
Das war auf beiden Augen blind,
Auf beiden Augen blind;
Da kam ein alter Mann daher,
Auf keinem Ohre mehr.
Sie zogen miteinander dann,
Das blinde Kind, der taube Mann,
Der arme, alte, taube Mann.
Da kroch ein lahmes Weib herfür,
Ein lahmes Weib herfür.
Bei einem Automobilunglück
Ließ sie ihr linkes Bein zurück,
Nun zogen weiter alle drei,
Das Kind, der Mann, das Weib dabei,
Das arme, lahme Weib dabei.
Ein Mägdlein zählte vierzig Jahr,
[117] Noch keusche Jungfrau war.
Um sie dafür zu strafen hart,
Schuf Gott ihr einen Knebelbart,
Ihr einen Knebelbart.
Ihr Lieben, laßt mich mit euch gehn,
So wird noch Heil an mir geschehn!
Am Wege lag ein räudiger Hund,
Der hatte keinen Zahn im Mund,
Fand er mal einen Knochen auch,
Er bracht’ ihn nicht in seinen Bauch,
Ihn nicht in seinen Bauch.
Nun trabte hinter den anderen vier,
Das alte, räudige Hundetier.
Ein Dichter lebt’ in tiefster Not,
Er starb den ewigen Hungertod,
Den ewigen Hungertod.
Man druckt es nicht, man liest es nicht,
Und niemand kennt es nicht.
Sein Leib war krank, sein Geist war wund,
Drum schloß er mit dem räudigen Hund
[118] Und dann schrieb er zu Aller Glück
Ein wundervolles Theaterstück,
Ein wundervolles Stück,
In welchem die Personen sind
Das arme, blinde Kind,
Das lahme Weib, die Jungfrau zart
Mit ihrem langen Knebelbart,
Die Jungfrau mit dem Knebelbart.
Konnt’ Jeder seine Rolle schon,
Die ganze Rolle schon.
Verständnisvoll führt die Regie
Das alte, räudige Hundevieh,
Drauf ward das Schauspiel zensuriert
Und einstudiert und aufgeführt
Und ward ganz prachtvoll kritisiert.
Die Künstler fanden viel Applaus,
Und zieht ihn selbst nach Haus.
Da gab’s nun auch Tantièmen viel
Und hohe Gagen für das Spiel,
Das ungemein gefiel. –
Da reisten sie nach Amerika,
Nach Nord- und Südamerika.
Nun hört zum Schluß noch die Moral:
Gebrechen sind oft sehr fatal,
Frau Poesie schafft ohne Graus
Beneidenswertes Glück daraus,
Sie schafft das Glück daraus.
Dann schwillt der Mut, dann schwillt der Bauch,
So ist’s der Menschheit guter Brauch.