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Das Leben der Blumen

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Textdaten
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Autor: P. K.
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Titel: Das Leben der Blumen
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aus: Die Gartenlaube, Heft 38, S. 606–608
Herausgeber: Ernst Keil
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Erscheinungsdatum: 1869
Verlag: Verlag von Ernst Keil
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Erscheinungsort: Leipzig
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Quelle: Scans bei Commons
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Das Leben der Blumen

„Keine Pflanze ohne Seele“. – Blumenschlaf. – Die Blumengesichter der Dämmerung. - Verschiedene Schlafweisen. – Schlaf der Blumenglieder. – „Nun ruhen alle Wälder“. – Die Tagblumen. – Die Nachtblumen. – Die Königin der Nacht. – Die Nachtigall der Blumenwelt. – Die Blumenuhr.

Die Blumen verstehen uns nicht. Der Ausspruch des Aristoteles: „nulla planta sine anima“, „keine Pflanze ohne eine Seele“, hält nicht aus vor der besonnenen Untersuchung. Unser idealster Dichter selber, der „die Kinder der verjüngten Sonne“ preist, weil die Natur sie geliebt und „sie geschmücket mit der Farben Götterpracht“, weiß ihnen zum Schlusse doch nur zuzurufen:

Holde Frühlingskinder, klaget!
Seele hat sie euch versaget.

Indessen Züge lebendigen und nahezu seelischen Daseins sind doch unverkennbar an ihnen. Ja ihr Leben gleicht in mancher Beziehung dem unsrigen. An die Erde gebunden ringen sie doch dem Lichte nach, ganz wie das Menschenleben zwischen den Idealen und den dunklen Gebieten des materiellen Bedürfnisses schwankt. Sie haben gleich uns eine knospende Kindheit, entfalten sich zu jugendlicher Pracht und Kraft, bringen ihre Frucht zu ihrer Zeit und welken hin. Und wie ihr Leben zwischen dem ersten leisen Werden und ihrem Ende steigt und wieder sinkt, so wechselt ihre Lebensenergie auch periodisch an jedem einzelnen Tage. Wenn die Morgensonne aufgeht, erwachen sie wie wir; sie blühen dann lustig den Tag über, aber ihre Blumenaugen schließen sich traumhaft wieder zusammen, wenn die Dunkelheit hereinbricht.

Dieser mit dem periodischen Ebben und Fluthen des menschlichen Blut- und Nervenlebens übereinstimmende Zug ist der so genannte Blumenschlaf. Es ist das die Lebenserscheinung an ihnen, welche über ein blos mechanisches Geschehen hinauszudeuten und die Pflanze auf eine dem animalischen Leben gänzlich nahe stehende Stufe zu stellen scheint, so daß wir wirklich zustimmen möchten: „Keine Pflanze ohne eine Seele“. Es ist daher der Blumenschlaf, an dem sinnige Naturfreunde immer ihre Freude gehabt haben, auch eine für jeden Deutenden überaus interessante Seite des Pflanzenlebens.

Schon ein gedankenreicheres Bild wird uns bei dieser Beachtung der hereinbrechende Abend. In den Garten und auf die Wiese, die hinten an unsern Garten stößt, gehen wir hinaus, wenn die Schatten länger werden und die Luft des Tages sich abkühlt. Die ewige Mutter hat ihren weichen Dämmerschleier über alle ihre Kinder gebreitet, nachdem sie ihnen die Schale der Erquickung gereicht. Und nun schlafen sie Alle auf den Zweigen und im hohen Wiesengrase, in ihren Bauen und Nestern und Wohnungen mancherlei, – Alle, welche mit Gesang und Gesumme und tausendfältigem Leben, mit ihrer Unruhe und Leidenschaft den Tag erfüllten. Und auch über das Pflanzenreich hat weit und breit der Abend die erquickende Schale ausgegossen. Verschwunden sind die lachenden, schäkernden, aufgeschlossenen Blumengesichter, die in buntem Chore den Tag über durcheinander spielten und mit hellen Augen der Sonne, an der ihr Leben hing, zugekehrt waren. Hie und da nur lugt halboffen oder offen eine Blume noch in die braune Dämmerung hinaus. Aber die meisten schlafen schon, ehe die volle Nacht kommt. Hie und da ist auch ein müdes Insect, geschützt gegen den Thau der Nacht, in ihrem Blüthenkelche mit eingeschlossen.

Jede Pflanze hat dabei, was so seltsam, ihre eigene Weise.

Die farbige „Blume“ selbst begiebt sich zur inneren Ruhe; sie fällt in eine Art Schlaf, indem sie ihre bunten Fühlblätter einzieht und damit gegen die Außenwelt sich abschließt. Der Vorgang ist der, daß sie durch Einfaltung in den Knospenzustand zurückgeht, – ganz wie oft der Mensch im Traume in die Kindheit zurückkehrt.

Wie ferner sich das Haupt des Müden neigt, so giebt es wieder andere Blumen, die eine andere Weise belieben, indem sie ihr Blüthenköpfchen abendlich niedersenken. So das „Frühlingshungerblümchen,“ das im März und April alle Felder und Triften mit seinen kleinen weißblühenden Stengelchen überschleimt; eine Königskerzenart; Wolfsmilcharten; eine „Ranunkel“; die schlanken Rispen des hohen „Wald-Labkrautes“ hängen ruthenförmig übergebogen. Wieder bei anderen, z. B. bei dem gelben „Rühr-mich-nicht-an“, dieser bei uns wilden Balsamine, verstecken und schmiegen sich die zarten Blumen zur Nachtzeit unter die Blätter, wie sich die Kinder unter den trauten Schutz einer Mutter begeben.

Der Schlaf der Pflanze reicht aber über die Blumen hinaus und macht sich vielfach an allen ihren Gliedern geltend. Den Blüthen, die sich schließen oder neigen, folgt darin oft auch das Laubgeblätter. Die Blätter legen sich im Allgemeinen enger an den Stengel an. Oder auch, sie falten sich zusammen. Oder sich deckend legen sie sich über einander, ganz wie im Schlaf die Spannung unserer Muskeln aufhört und die Glieder malt sich strecken.

So legen sich, Jedermann bekannt, an einander die Fiederblättchen der Mimosen, Acacien und Cassien und aller denen ähnlichen Sträucher und Bäume aus der Familie der Leguminosen oder Schmetterlingsblüthler. Ihre Familienverwandten, unsere Wicken und Ginster und Erven und anderes Leguminosenkraut, thun mehr oder minder auf gleiche Weise, legen, wie wir es jeden Abend sehen können, ihre paarigen oder fiedrigen Blättchen an einander. Ebenso die dreizähligen Blätter des Klee und noch mehr des Sauerklee biegen sich zu einander auf, berühren sich mit ihren Rändern und verharren in dieser Ruhelage die Nacht über.

„Nun ruhen alle Wälder“, wie das christliche Abendlied sagt. Und diese dem Auge wirklich sichtbare Waldesruhe gilt besonders von den tropischen Ländern, wo die Mimosen mit ihren zartgefiederten Blättern, welche die Himmelsbläue effectvoll am Tage durchschimmern lassen, ganze ausgedehnte herrliche Waldungen ausmachen. Diese schönen Sensitiven folgen der Sonne in ihrem scheinbaren täglichen Laufe, wie kein anderes Wesen der Erde.

Aber nicht nur in und über allen Wipfeln ist Ruh, wie auch der Dichter es spürte. Nicht minder unten auf blumigem Grunde ist Alles in Schlaf versunken. Wir gehen, den Wald verlassend, den engen Pfad über die Wiese. Die ausgelassenen Ranunkeln, die schlichten Kreuzblüthler haben ihre Blumenkronen zur Knospenfaltung zusammengelegt. Das Gänseblümchen hat seine weißen Zungenstrahlen über die gelbe Blüthenscheibe gebogen, und ebenso hat die großblüthige Wucherblume, der Löwenzahn, die himmelblaue Cichorie, das ganz zahllose Völkchen der Vereins- oder Korbblüthler gethan. Nur die behelmten rothen und weißen Taubnesseln und Löwenschnäuzchen und Vergißmeinnicht, Schwarzwurz und Glockenblume bleiben offen Tag und Nacht, kurz alle die, deren Blumenkrone aus einem einzigen Stück besteht. Wir kommen einen Feldweg entlang. Alle die neckischen Feldgeistchen sammt der betäubenden Roggentrud, die, wie die Sage geht, am Tage zum Schrecken der Kinder über die Getreidefelder wacht, - alle die guten und bösen Geister des Blumenreiches sind in Schlaf verfallen. Die Kornblume hat ihre blaue Krone zugezogen, die lilae Rade steht geschlossen, die Winde hat ihren Silberbecker leise eingefaltet, die weißen Strahlen der Kamille umstehen aufrecht ihre gelbe Scheibe. Nur die schwellenden Roggenähren wogen unverzagt in die Nacht hinaus. Und wie auf Wiese und Feld und im Walde, so ist’s im Garten. Selbst auf dem Wasser taucht die schwimmende gelbe und weiße Seerose unter mit geschlossener Krone, um sich am Tage mehrere Zoll wieder über den Spiegel zu erheben und neu zu erschließen.

Der Morgen kommt und die Sonne geht auf. Und wenn die Strahlen aus der Höhe die Schlafenden treffen, dann wachen sie allmählich wieder auf. Sie erwachen nach der zeitlichen Ordnung, wie sie schlafen gingen, die einen früher, die anderen später. Und nun blühen die meisten den ganzen Tag über, wofern nicht die Sonne sich anhaltend verzieht und aus dem Gewölke ein derber Regen droht. In dem Falle halten freilich manche leicht den Tag schon wieder für anbrechende Nacht und machen sich leise zum Schlummer fertig. So habe ich eine Tulpe beobachtet, die sich an einem Tage mit recht unbeständigem Wetter fünf Mal schloß und fünf Mal durch die aus dem Gewölk hervortretende Sonne sich zum Oeffnen bringen ließ. Vom Lichte leben und am Lichte hängen die zarten Elfenwesen nun einmal und flüchten sich in sich selbst zurück, sobald diese Lebensquelle ihnen schwindet.

Man hat diese insgemein die Tagblumen genannt.

Es giebt unter diesen Tagblumen aber auch ephemere, deren Leben mit einem einzigen sich Oeffnen und sich Schließen abgelaufen ist. Gehen wir früh um die sechste oder siebente Morgenstunde über ein blaublühendes Flachsfeld, so lacht unser Herz vor [607] Freude, wie die tausend himmelblauen Krönchen geöffnet sind. Aber alle diese Herrlichkeit ist hin zur Mittagszeit und die nun geschlossenen Blümchen welken ohne Wiederkehr. Dasselbe gilt von allen den prächtigen Leinkräutern, die mit großen blauen, violetten, rothen Blumen als Zierpflanzen in unsern Gärten prangen. Ein gleiches kurzlebiges Schönheitsloos haben die Lichtrosen, ja es giebt solche Tagblumen die nur wenige Stunden, aber mitten am Tage, die Augen aufschlagen. Aber sie wiederholen dieses kurze Wachen mehrere Tage hindurch. So die als Siebenschläfer bekannte doldenblüthige Vogelmilch, die in Wäldern und auf Wiesen im Frühling blüht; früh um elf Uhr etwa blühen die perlenweißen Blumensterne auf, um etwa schon um drei Uhr sich wieder zu schließen. Viele Eiskräuter öffnen sich nur in den sonnigsten Mittagsstunden, andere schließen sich, wie die prächtige Tigerlilie, vor dem intensiven Licht der höher steigenden Sonne schon am Vormittage wieder.

Ein allzu gesteigertes Maß von Wärme bewirkt übrigens das Einschlafen bei einer jeden Blume. So hatte ich eine halbgeöffnete Eiskrautblume in einem dunkeln dreißig Grad warmen Raume zum vollen Aufblühen gebracht; bei sechsunddreißig Grad begann die Blume sich alsbald wieder einzuziehen. Das erklärt, weshalb manche sehr reizbare Blumen schon unter der Mittagsstunde sich wieder schließen. Ihr ganzes Sensorium ist eben zu zart für die Macht der senkrechten Strahlen.

Daß Blumen am Tage blühen, nimmt uns nun allerdings nicht Wunder. Es ist uns ja so selbstverständlich, daß mit dem Sonnenlichte die Blumenherrlichkeit zusammengehe. Und wenn wir alle Erscheinungen des Erdenlebens aus einem Gesetze begreifen, so finden wir es nur ganz natürlich, daß die Blumen sensitiv zur Nacht sich schließen. Entgegen den Tagblumen giebt es nun aber doch auch Nachtblumen, Aequinoctialblumen, welche den Tag zur Nacht und die Nacht zum Tage machen. So das „nachtblühende Eiskraut“, dessen Blüthe fast eine Woche währt, aber immer erst Abends etwa um sieben Uhr sich öffnet und die ambrosische Nacht hindurch, bis die Morgensonne sie wieder schließt, ihre großen Blumen entfaltet hält.

Die meisten Nachtblumen aber sind nur von kurzer Dauer, eintägig oder richtiger einnächtig. Nach dem berauschten Blühen eine Sommernacht hindurch welken sie für immer hin. Das gilt zum Theil von der „Wunderblume“, der bekannten weißen, gelben, rothen oder geflammtem Jalappa mirabilis und manchen andern, die in der Nacht aufblühen und, von den Strahlen der Morgensonne getroffen, bald hinwelken. Es gilt aber im höchsten Maße von der hehren „Königin der Nacht“, deren große, schneeweiße Blumenkrone Abends sich öffnet und ihren Vanilleduft ausströmt. Nun prangt sie in stiller Majestät, eine Schönheit ohne Gleichen, umfangen von allem köstlichsten Geheimniß der Natur. In einem aus neunzig gelben Schuppen bestehenden Kelche legen sich dreißig Blumenblätter auseinander; in zwei innere Kreise geordnet hängen vierhundert Staubgefäße heraus. Und das Alles bricht leise auf aus einem dickem blätterlosen Stamme. der wie eine mathematische Säule emporsteigt.

Nur gezählt sind die Stunden der überirdischen nächtlichen Königin: die Mitternacht ist eben heraufgekommen und schon beginnt sie zu welken und der Morgen sieht von ihr nur einem eingefallenen Blumenblätterklumpen.

Diese feierlichste Schönheit der Pflanzenwelt stammt aus Jamaica, und wenn sie auch häufig in unseren Gewächshäusern gezogen wird, so kommt sie bei uns doch nur sehr selten zur Blüthe. Um so unvergeßlicher aber ist Jedem, der ihr Blühen einmal erlebte, der feierliche Eindruck, den er empfand in schwüler Sommernacht bei ihrem Aufblühen, dem leisen und immer reicheren Ausströmen köstlichen Duftes, mit dem sich bald das Zimmer erfüllt, und dem nach kurzer Weile eintretenden Hinschwinden all’ der kaum aufgegangenen Pracht und Herrlichkeit.

Die Nachtblumen erblühen aber nicht blos unter dem Hauche der Nacht. Aehnlich der Nachtigall, die von dem Dämmer, der in die laue Nacht übergeht, berauscht wird und dann am ergreifendsten singt, so strömen jene da ihre reichsten betäubendsten Düfte aus. Sie sind die Nachtigallen der Blumenwelt. „Düfte aber sind,“ wie H. Heine bemerkt, „die Gefühle der Blumen, und wie das Menschenherz in der Nacht, wo es sich einsam und unbelauscht glaubt, stärker fühlt, so scheinen auch die Blumen sinnig verschämt erst die einhüllende Dunkelheit zu erwarten, um sich gänzlich ihren Gefühlen hinzugeben und sie auszuhauchen in süßen Düften.“ Bekannterweise übt aber das Dunkel etwas von der Gewalt auch über die Tagblumen aus. Ganz anders wehen Abends die blühenden Fliedergebüsche ihren süßen Geruch uns zu, und ganz anders muthet Abends die Jasminlaube uns an, wo ihr narkotischer Geruch uns viel stärker berührt. Selbst gebrochen und in’s Zimmer gestellt nehmen die Blumen durch ihre zur Nachtzeit ausströmenden Arome und Narkosen noch Rache an der Jungfrau, welche sie brach, wenn dieselbe schlafergossen und machtlos ruht und den Geistern nicht entfliehen kann.

Die Beobachtung, daß verschiedene Blumen zu verschiedenen Tagstunden sich öffnen und schließen, brachte schon Linné auf die Idee einer Blumenuhr. Den ganzen Tag über blühen Blumen auf und schließen sich zu. Ein blühender Stundenzeiger wandelt so auf einem Beete, wo die bestimmten Arten zusammengestellt sind, an uns vorüber und noch bis tief in die Nacht hinein. Nur für die ersten Mittagsstunden fehlen solche Blumen. Praktisch ist die sinnige Entdeckung freilich nicht, und ganz genau geht diese Uhr auch nicht. Aber liebenswürdig ist sie mindestens. Der Naturforscher fragt nun allerdings nicht sowohl nach der Liebenswürdigkeit. Ihn interessirt ganz anders die Frage, wie es denn zugehe, daß die Blumen sich öffnen und schließen und wieder öffnen; wie es wiederum zugehe, daß das bei verschiedenen Arten zu so ganz verschiedener Zeit geschehe. Viel Mühe und Zeit ist von der Forschung auf eine klare Beantwortung dieser Frage verwandt; aber so ziemlich ist die Sache nun auch in’s Klare gebracht.

Eine naturnothwendige Erscheinung, ganz wie der Schlaf von Mensch und Thier, ist der Blumenschlaf, nur daß er auf anderen physikalischen Ursachen beruht. Und es ist auch gut, daß die Blumen sich zum nächtlichen Schlummer schließen. Die Zeit der Blüthe ist ja auch die Zeit der Befruchtung, und gegen alle Nässe und so auch gegen allen Thau der Nacht hat sich da die Blume zu wahren, damit der zarte Vorgang im Blütheninnern nicht beeinträchtigt werde. Glockenförmig hängen daher manche Blumen, andere sind durch Helm- oder Flügel- oder Schnauzen- oder Baldachinform ihrer Bildung gegen den Regen von oben und gegen den fallenden Thau geschützt.

Die unmittelbare Ursache, daß manche Blumen in Schlaf verfallen, liegt an ihnen selber, liegt in der allen Körpern mehr oder minder theilhaftigen Eigenschaft der Elasticität. Es ist die Pflanzenfaser elastisch, besonders die an den Gelenktheilen der zarten Blumenblätter. Die elastische Faser verkürzt sich bei kalter Temperatur und verlängert sich und streckt sich, wenn sie erwärmt wird. In der Wärme ist eben der Stoffwechsel reger, die Thätigkeit der vegetabilischen Zellen steigert sich, es strömt die Flüssigkeit rascher zu, weil sie rascher verdunstet, und so sind die Gelenktheile dann immer strotzend von Safte erfüllt. In diesem lebenskräftigen Zustande sind daher die Zellen elastisch gespannt, und es strecken sich die Laub- und Blumenblätter mutig auseinander – die Blumen erwachen. Bei minderer Lebensthätigkeit vermindert sich die Elasticität der Gelenkfasern, die Blättchen ziehen sich ein, falten sich zusammen – die Blumen sind eingeschlafen.

Aber die anregende Ursache kommt von außen. Man hat dabei an die Feuchtigkeit gedacht, welche der hereinbrechende Abend mit sich bringt. Doch in den Gewächshäusern, wo die Luft eine unveränderte Feuchtigkeit hat, falten und öffnen die Schlafblumen sich in gleicher Weise. Landpflanzen, die man unter Wasser gesetzt hatte, blieben durch das nasse Element unbeirrt: sie folgten genau nur dem Tageslichte. Und wenn immerhin viele Blumen, die sogenannten „meteorologischen“ (besonders die Ringel- oder Todtenblume) vor oder bei Regenwetter sich schließen, so daß man dieselben sogar als Wetterpropheten betrachten kann, so ist das auch eine ganz besondere Eigenthümlichkeit bestimmter Pflanzen. Mit dem periodischen Blumenschlaf hat das nichts zu thun.

So scheint denn einzig der Einfluß des Lichtes das Phänomen des Pflanzenschlafes erklären zu dürfen. Folgen doch die Blätter und Blumen der Sonne wunderbar, und manche Blattspitze beschreibt den Tag über einen Bogen von hundert Grad. Schon Decandolle hatte die gelungensten Versuche selbst mit künstlichem Licht gemacht und gezeigt, daß eine Anzahl Argand’scher Lampen zur Nachtzeit die Sinnpflanzen zu erwecken vermag. Und dasselbe ist vielfach auch an anderen Pflanzen constatirt. Ebenso läßt sich in kühlen Räumen das Einschlafen auch am Tage durch künstliche Verdunkelung der Zimmer, in denen die Pflanzen stehen, hervorrufen. [608] Nur in warmen Zimmern gelingt es nicht. Ebenso ist das Einschlafen bei Gelegenheit von Sonnenfinsternissen beobachtet. Ob der Wegfall des Lichtes die Ursache war? Eine andere Art von Versuch bestand darin, daß man mehrere sensitive Pflanzen in einen warmen dunklen Keller stellte. Das Spiel der periodischen Bewegungen blieb unverändert, doch wurde es mit der Zeit etwas schwächer. In die Kühle gebracht hörte es sogleich auf.

Aus diesen und anderen Erfahrungen zu schließen, ist das ganze Licht, wie es auf die Augen wirkt und nach dem die Blätter und Blumen sich hinwenden, zum Oeffnen der sensitiven Grünblätter allerdings nöthig. Durchaus aber nicht auch zum Erwachen der Blumen. Diese sind noch feinfühliger. Sie brauchen nicht einmal den Reiz des ganzen ungetheilten Lichtes. Ist doch das Licht aus vielartigen Strahlen zusammengesetzt, aus chemisch wirkenden und wärmenden vor Allem. Es können ja die Wärmestrahlen auch künstlich isolirt werden, und bei Unterdrückung der anderen Strahlengarben wirken sie in der That im Dunkel so energisch, daß man Pulver mit ihnen anzünden kann. Diese sind es nach allen Betrachtungen allein, welche die traumhafte Faltung und das Oeffnen der Blumenkronen veranlassen. An die Wärmeschwankungen zwischen Tag und Abend und Nacht ist das Wachen und Schlafen gebunden, und das Licht von oben ist nur in soweit dabei betheiligt, als eben auch wärmende Strahlen von ihm ausgehen. Jede Blume entfaltet sich, gesetzt, daß die bestimmte Feuchtigkeit – diese ist der andere gleichzeitige Factor – vorhanden ist, bei einer gewissen Summe von Thermometergraden und ist somit allerdings von der Sonne, als der ausschließlichen Wärmespenderin unserer Erde, abhängig. Der Zustand der Sättigung findet bei den meisten Pflanzen des Morgens statt. Da blühen sie auf; nur an kühlen Tagen findet die Entfaltung nicht oder wenig statt. Wenn sie aber einmal entfaltet oder geschlossen sind, so beharren sie eine längere oder kürzere Zeit in diesem Zustande.

Jede Pflanze hat aber ihren eigenthümlichen Stoffwechsel, die Fasern jeder Art haben ihre eigene Elasticität. Dadurch löst sich auch das Räthsel, daß manche Blumen ihre eigene Weise und ihre besonderen Stunden des Wachens und des Schlafens haben. Dagegen wird der Satz aufgestellt: „Jene Pflanzen, welche ihre Blüthe dann erschließen, wenn bei uns der Abend zur ruhigen Verschlossenheit mahnt, sind alle dort heimisch, wo zu dieser Zeit erst der Tag beginnt. Auch sie folgen also dem allgemeinen Gesetze, daß sich dem Lichte alle Daseinsformen entgegendrängen; daß aber ihrem Zuge zum Licht die Heimath fehlt, und daß sie deswegen als Störer des Gesetzes auf einem Boden erscheinen, der ihnen doch nicht ursprünglich angehört – dafür können doch die armen Blumen gar nichts.“ Es läge hinter solcher auch unter anderen Längengraden der Erde fortbestehenden und sich fortvererbenden Heimathsnatur ein über alles Begreifen und Verstehen gehendes Geheimniß, wobei alle Naturwissenschaft aufzuhören hätte, welche ja durchgehends zeigt, daß alle Erscheinung von den äußeren Verhältnissen bedingt ist. P. K.