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Das Kreuz auf dem Friedhofe (Mühl)

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Textdaten
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Autor: Gustav Mühl
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Titel: Das Kreuz auf dem Friedhofe
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aus: Badisches Sagen-Buch II, S. 196–198
Herausgeber: August Schnezler
Auflage: 1. Auflage
Entstehungsdatum:
Erscheinungsdatum: 1846
Verlag: Creuzbauer und Kasper
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Erscheinungsort: Karlsruhe
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Quelle: Commons, Google
Kurzbeschreibung:
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[196]
Das Kreuz auf dem Friedhofe.
(Andere Version.)

Auflodert des Gewissens Qual –
Die Jungfrau sank getödtet!
Es hat die Eifersucht den Stahl
In ihrem Blut geröthet!

5
Da schleift der Henker schon das Schwert,

Der Künstler ringt die Hände:
„Des Lebens bin ich nimmer werth,
Wenn ich nur Frieden fände!“

Sein Blut ist starr, die Stimme bricht,

10
Nicht Thränen können rinnen; –

Sieh – plötzlich zuckt ein seltnes Licht
Durch gräßlich düstres Sinnen;
Wie milder Thau ihm auf’s Herz
Der Ruhe süße Labe,

15
Getröstet blickt er himmelwerts,

Lächelnd nach seinem Grabe.

Und als des andern Morgens kam
Der Kerkermeister frühe,
Des Mannes Hand der Jüngling nahm:

20
„Gott lohnt Euch einst die Mühe!
[197]

Ins Schloß hin zu dem Fürsten geht!
Hat er mich einst geehret,
Sein edler Sinn, der stets besteht,
Die Bitte mir gewähret.

25
„Ich fordre ja mein Leben nicht,

Nur meiner Seele Frieden;
Bevor mein sterbend Auge bricht,
Sey mir die Frist beschieden,
Ein Bild zu schaffen noch, – mir ist,

30
Als sollt’s mein bestes werden;

Das hehre Bild, wie Jesus Christ
Einst starb für’s Heil der Erden.“

Der alte Schließer weinend geht,
Der Fürst erhört die Bitte.

35
Ein hohes Felsenstücke steht

Bald in des Kerkers Mitte;
Am Stein der Meister niederkniet
Mit Meißel und mit Hammer,
Ein heil’ger Drang die Brust durchglüht,

40
Zum Tempel wird die Kammer.


Drauf täglich bis zum Dämmerschein
Sieht frisch man ihn sich regen,
Der Meißel brennt, es klirrt der Stein
Von seinen kräft’gen Schlägen;

45
„O friedensel’ges Wunderbild,

Im Felsen hier verborgen,
Bald stehst du da, verklärest mild
Dann meinen letzten Morgen!“

Wie rinnt der Schweiß die Stirn herab!

50
Da sinken Schuld und Fehle,

Als trieb auch sie sein Meißel ab,
Gleich Schlacken von der Seele;
Was unerkannt im Busen lag,
Fühlt mächtig er erstehen,

[198]
55
Des höchsten Friedens Weihetag

Erblüht in Christi Nähen. –

Und als nach raschen Monden war
Das Bild der Schmerzen fertig,
Froh küßt er’s, aller Sünde baar,

60
Des nahen Tods gewärtig.

Jetzt drängt sich’s durch die Kerkerthür,
Ist’s, ihn zum Grab zu leiten?
Da sieht an seinem Werk herfür
Den Fürsten selbst er schreiten.

65
Wohl alle Blicke sind gewandt

Bewundernd nach dem Bilde,
Doch Markgraf Karl reicht seine Hand
Dem Künstler voller Milde:
„Der jüngst verübt die blut’ge That,

70
Lag schon in Todesbanden,

Doch Der solch Bild geschaffen hat,
Den heiß’ ich auferstanden.

„Drum wo in solches Himmelslicht
Ein Geist sich durft’ erheben,

75
Tödt’ ich den ird’schen Leib auch nicht, –

Nimm frei zurück dein Leben!“
Lang schweigt der Jüngling, es entquillt
Dem Aug’ der Rührung Zähre,
Dann blickt voll Demuth er zum Bild:

80
„Dem Mittler dort die Ehre!“


Weit drang des großen Meisters Ruf;
In nah und ferne Gauen
Manch herrlich Werk der Künstler schuf,
Das heute noch zu schauen;

85
Doch keines hebt sich bis zu dir,

Umspielt von heil’gem Strahle,
O Kreuz, du ernste Friedhofszier,
In Badens Wunderthale!

Gustav Mühl.
(Zu Straßburg.)