Das Kind hat keine Mutter mehr
Auch dieses Kind hat Rosenwangen,
Und heiter lacht sein frischer Mund,
Doch giebt ein sehnendes Verlangen
Sich oft in seinem Auge kund.
Als laste ein Verhängniß schwer
Noch unbewußt auf seiner Seele:
Das Kind hat keine Mutter mehr.
An ihrem Sarg hat es gesessen,
Und bald die Todte schon vergessen,
Das Leben hat ihr Bild verstreut;
Nur wenn das Kind im Schlaf geborgen,
Stellt sie ein Traum verklärt ihm dar,
Daß seine Mutter bei ihm war.
Du armes Kind, es schlägt die Stunde,
Daß Du Dein Unglück ganz verstehst
Und an der aufgeriss’nen Wunde
Dann fühlst Du, daß in Deinem Leben
Die allerschönste Stelle leer,
Und tief macht Dich das Wort erbeben:
Ich habe keine Mutter mehr!
Dann tröste ihr Gedächtniß Dich,
Sie hat gefleht, daß ohne Klage
Das Glück der Kindheit Dir verstrich;
Als Deine Mutter Dich verlassen,
Denn könntest Du ihn schon erfassen,
Zerbrochen wär’ Dein kleines Herz.
Und Alles kommt mit warmem Triebe
Entgegen Dir an jedem Ort,
Sie wirbt für Dich bei Andern fort,
Nie soll ein rauhes Wort Dich schrecken,
Sie schwebt, ein Engel, um Dich her
Und flüstert, Mitleid Dir zu wecken: