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Das Königthum und die Demokratie in Frankreich

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Textdaten
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Titel: Das Königthum und die Demokratie in Frankreich
Untertitel:
aus: Das Ausland, Nr. 108 S. 430-431
Herausgeber: Eberhard L. Schuhkrafft
Auflage:
Entstehungsdatum:
Erscheinungsdatum: 1828
Verlag: Cotta
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Erscheinungsort: München
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Quelle: Scans bei Commons
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[430]

Das Königthum und die Demokratie in Frankreich.

[1]

Jene falsche Politik, welche Könige und Völker als zwei feindliche, einander gegenseitig mit Unterjochung oder Vernichtung bedrohende Elemente betrachtet, hat zwei Systemen des Absolutismus das Daseyn gegeben, die in ihren Prinzipien gleich verkehrt, in ihren Folgen gleich verderblich waren: sie hat die Könige mit dem Zauberspiel der absoluten Gewalt, die Völker mit dem Traumbild der absoluten Freiheit getäuscht. Aber jetzt, da beide Theile des gefährlichen Kampfes müde und nur das Errungene zu sichern oder das Gerettete zu erhalten bedacht sind, gewinnt die Frage neues Interesse, welches die geeignetsten Mittel seyen, jene Gegensätze aufzuheben oder zu versöhnen.

In einem aufgeklärten Zeitalter, wo das Volk nicht so wohl zu befürchten hat, vom Throne unterdrückt, als der Thron, der heilige Bewahrer der Ordnung und der Sitte, von der blind anwogenden Masse des Volks überwältigt zu werden, kommt vorzüglich die Sicherheit des Thrones in Betracht. Man hat zu dem Ende geglaubt, denselben mit aristokratischen Barrieren umgeben zu müssen; indem man aber Stände schuf, die man so aus dem Volk heraus riß, daß das Volk sie nicht mehr für seines Gleichen halten konnte, geschah es, daß man oft den Antagonismus der demokratischen [431] Kräfte, statt ihn, wie man beabsichtigte zu paralysiren, durch den vermehrten Widerstand nur verstärkte.

Frankreich, ungeachtet seiner aristokratischen Erinnerungen, vielleicht mehr als irgend ein Land in Europa entaristokratisirt, ist genöthigt, in der Demokratie Stützen für den Thron zu suchen.

„Man muß gestehen,“ sagt Herr von Segur, „daß der Geist der Gleichheit, lange ehe er sich unter dem dritten Stande verbreitete, im französischen Adel tiefe Wurzeln geschlagen hatte.“ Die Feudalhierarchie war vergessen. Man hatte Heinrich IV sagen hören, daß er unter allen seinen Titeln, die Ehre, ein französischer Edelmann zu seyn, für den schönsten halte. Um den französischen Adel mit Einem Worte zu bezeichnen, könnte man ihn eine privilegirte Demokratie nennen. Noch auffallender traf dieß bei der Geistlichkeit zu. Wie manche ihrer Mitglieder, die nicht nur zu den höchsten Würden der Kirche, sondern auch zu den ausgezeichnetsten Aemtern des Staats emporstiegen, waren Söhne von Bürgern und Bauern! Der Geschmack an den Wissenschaften und schönen Künsten hatte das Uebrige gethan. Talent und Verdienst machten hoffähig; Männer von Genie waren der Mittelpunkt der guten Gesellschaft; in vielen Fällen genossen literarische Titel den Vorzug vor Adelstiteln. Allmälig gewöhnte man sich, den Rang, statt nach Vermögen und Geburt, nach Verdienst, Charakter und Geist zu bestimmen. So wird es allein begreiflich, wie die Nationalversammlung in einem Zeitraum von kaum vier Monaten, unter der beredten Beistimmung der Montmorecy und der Barnave, der Clermont-Tonnere und der Bailly, alle alten Mißbräuche abschaffen und an die Stelle der Privilegien die Gleichheit setzen konnte. In dem französischen Reich gab es damals keine staatsbürgerlichen Existenzen, als die Demokratie, die Nationalversammlungen und den Monarchen, und die seit jener Periode verflossenen vierzig Jahre haben an diesem Stand der Dinge nichts geändert.

Indessen ist der in der ganzen Nation tief eingewurzelte Demokratismus nicht von der Art, daß er mit jeder Unterordnung, mit jedem Rangbegriff unverträglich wäre. Der Franzose liebt zumal Gleichheit und Auszeichnungen; seine Eitelkeit macht ihn zu einer wahren Proteusnatur: ohne daß er einen Obern leiden kann, sucht er immer der Obere von seines Gleichen zu werden; aber man würde sich eben so sehr täuschen, wenn man im Vertrauen auf seine Liebe zur Gleichheit eine republikanische Regierung errichten, oder wegen seiner Liebe zu Auszeichnungen Stände und Privilegien wieder herstellen wollte.

Insofern die Natur nicht alle Menschen mit Verstand, Tugend, Leidenschaft und Willenskraft zu gleichen Theilen ausgestattet hat, ergibt sich schon von selbst ein Uebergewicht der Stärke der einen über die Schwäche der andern, ein Uebergewicht, das sich auch auf die gesellschaftlichen Verhältnisse erstreckt.

Männer, die sich durch Energie des Charakters, durch eine schöne und nützliche Thätigkeit, durch Talente, durch weise Anwendung ihres Vermögens, durch ihre Verdienste um den Staat ausgezeichnet haben, hinterlassen ihren Erben immer auch ein günstiges Vorurtheil für sich, und man wird sich unwillkürlich beeifern, die den Vätern gezollte Achtung auch auf die Söhne überzutragen. Ein Volk wie das französische, das durch den Nationalruhm so sehr geschmeichelt ist, nimmt an der fortdauernden Verherrlichung der großen Namen seiner Geschichte ein bedeutendes Interesse. Unerträglich dagegen wäre dem Franzosen der Gedanke an künstlich gemachte Superioritäten, die nicht jeder auf dem natürlichen Wege sollte erreichen können, während dieselben an Einzelne, die von Natur keinen Anspruch darauf hätten, als Vorrecht verliehen würden.

Damit haben wir das Wesen einer in Frankreich allein möglichen Aristokratie angedeutet, die unmittelbar aus dem Schoose der Gleichheit hervorginge. Wenn die alte Aristokratie, die sich selbst zu beschützen hat, nur eine schwache Stütze für den Thron seyn kann, so würde diese Aristokratie des Bürgerthums, die Repräsentantin der Tugend, der Wissenschaft, des Reichthums und des Verdienstes, die in einer innig verbundenen Reihe, Stufe um Stufe, von den Notabeln der Dorfgemeinde zu den Notabeln des Königreichs [2] sich erhöbe, das Prinzip der Stätigkeit und der Beweglichkeit, und folglich der Sicherheit, in sich vereinen, und sie wäre das Ziel, welches die Demokratie zu erreichen strebte, und zugleich die Schranke, welche der Ehrgeiz nicht überschreiten könnte, so daß sie sich zu einem Vermittlungskörper zwischen dem Volk und dem Königthum trefflich eignen mußte.

  1. De la Démocratie dans la monarchie constitutionelle ou essai sur l’organisation municipale et départementale et sur la formation de notabilités politiques en France. Par Joseph Aubernon, Ex-prefèt. Paris, Mars 1828.
  2. Aubernon, am a. O. S. 95 folg. Notabeln des Königreichs wären die 15-20,000 Wahlmänner der großen Collegien, die Deputirten, die Pairs, die Minister, die hohen Hofchargen, die Staatsräthe, die Requetenmeister, die Gesandten, die Generale und Obersten, die Admirale und Schiffscapitaine, die Intendanten, die Präsidenten und Räthe der Gerichtshöfe, die Mitglieder des Instituts und der Akademien, so daß dadurch eine schöne Harmonie zwischen Bürgern und Beamten sich erzielen ließe.