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Das Jägerhaus

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Textdaten
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Autor: Friedrich Krug von Nidda
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Titel: Das Jägerhaus
Untertitel: Novelle
aus: Wünschelruthe - Ein Zeitblatt. Nr. 38–42
Herausgeber: Heinrich Straube und Johann Peter von Hornthal
Auflage:
Entstehungsdatum:
Erscheinungsdatum: 1818
Verlag: Vandenhoeck und Ruprecht
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Erscheinungsort: Göttingen
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Originaltitel:
Originalsubtitel:
Originalherkunft:
Quelle: Scans auf Commons
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[149]
Das Jägerhaus
Novelle, von Friedrich Krug von Nidda.




Ein stiller Frühlingsmorgen verklärte die Gipfel des Odenwalds, die wie mit dunkelsammtnem Mantel das reichste Buchendickig überzog, durchwirkt vom Farbenschmelz der nahen Wiesen, mit Schlössern und freundlichen Dörfern geschmückt, und von der geschwätzigen Mümmling durchschlungen. Zwei ohnlängst Verlobte ruhten auf der steilsten Felsenkuppe und sahen hinab ins blühende Thal, von wo herauf manch Hirtenhorn jauchzte, das muntre Getümmel der Heerden scholl und durch den Gesang des Friedens und der Freiheit ein fernes gewaltiges Hammerwerk dröhnte. Der Jüngling hielt das Mädchen mild umfaßt und spielte mit den Ringen ihres schönen Haares, das von den zarten Schultern niederfließend, wie goldne Schlangen sich in ihrem Schooß verlohr; die Jungfrau ruhte an des Jünglings Brust und indem sie die Schmerzen einer nahen Trennung verbarg, suchte sie sich am Blick des stärkern Lieblings aufzurichten, der, wie ein heitrer ungetrübter See, kein Wölkchen auf seiner Spiegelfläche trug, und nur den tiefblauen Himmel wiederstralte.

„Wär’st du nur nicht in Gedanken schon auf Reisen lieber Edmund!“ hub Marie ein wenig verlegen an – so möcht’ ich dir wohl was recht Eignes erzählen, worüber du auf deiner weiten Wanderung hinlänglich sinnen und grübeln könntest; doch dein heitrer, weltkluger Sinn verhöhnt wohl am Ende meinen Kinderglauben, wie er’s vielleicht auch nicht anders verdient!“ – „Seh ich denn so gar höhnisch aus, mein schönes Bräutchen?“ gab Edmund heiter lächelnd zurück „daß du so Feindliches von mir fürchtest? und mit der Reiselust geht’s auch wohl an, wenn nur der närrische Oheim nicht wäre, der von jeder Ruine, jedem Thurm der da drüben im Rheinthal prangt, ein treues Conterfey begehrt: – ich schiede nun und nimmer von dannen, bis mich Freund Hain einst gewaltsam entführt!“ – „Pfui, über den garstigen verwöhnten Oheim, der dir so Lästiges auferlegt: doch meine ich wohl, Ihr versteht Euch gut, und er weiß schon daß dir der Fußboden brennt, wenn du nur ein paar Wochen an einer Stelle dauerst – sollt’s auch in Arm deines Mädchens seyn, das ohne dich doch vor Sehnsucht stürbe!“ – Da staunte sie Edmund fast befremdet an und ließ ihre Hand aus der seinigen gleiten: „Bitterböses Mädchen“ sprach er ernst – „sind das deine tröstlichen Scheidegrüße? hat doch der Augenblick der Trennung ohnehin schon herbes genug, mußt du ihn noch mit Neßeln besäen.“ – „Ums Himmelswillen, lieber guter Mensch!“ fiel Marie heftig erschrocken ein „mach’ nur nicht Ernst aus meinen dummen Scherzen! So böse hatt’ ichs ja wahrlich nicht im Sinn und wollte dich gewiß, gewiß nicht kränken!“ – Und traulich schürzte sie ihren schönen Arm um seinen Nacken, sah ihn ein Weilchen recht sinnig an, und begann zu erzählen:

„Sieh, da drüben wo die schnelle Mümmling sich so jäh um die Waldspitze krümmt, und der uralte Forst zu beiden Seiten sich über ihr fast mit den Zweigen vereinigt, liegt ein recht nettes freundliches Häuschen, aus dessen Dach just die Sonne blinkt. Einst als das Gebirg noch viel wüster war und man recht viele viele Meilen weit nichts als Wald und Wildniß gewahrte, stand, wie man sagt, dort [150] ein Frauenkloster, woher der gewaltige Thurm noch rühren mag, den die Verwüster nicht zerbrechen konnten. Auch mag’s wohl ein besuchter Wallfahrtsort gewesen seyn, wenigstens hört man noch von Zeit zu Zeit Pilger nach Kloster Eichenzell fragen, doch wenn sie vernehmen daß an seiner Stelle jezt ein verödetes Jagdhaus steht, ziehn sie meist trüb und kopfschüttelnd weiter. Es mag nun bereits über zwanzig Jahre her seyn, als der lezte dort bestellte Förster – ein harter unbarmherziger Mann – daselbst recht unerwartet verstorben, und über die Art seines Todes gar schauerliche Gerüchte gingen, die ich unmöglich nachsagen kann. So viel ist aber wohl gewiß, daß er ein schreckliches Ende genommen, daß sein Leichnam furchtbar entstellt bei Nacht und Nebel eingescharrt ward, ja seine Gattin noch desselben Tages Haus und Gehöft und Gegend ganz verlassen. Er war der lezte Bewohner dieses Hauses, und so viel Jäger aus der Näh’ und Ferne kamen, so hat doch keiner mehr drinn ausgehalten, und alle schieden meist im ersten Monat, entweder körperlich oder geistig krank, und verschrieen das arme Häuschen so gewaltig, daß es seit einiger Zeit verlassen steht, umsonst von der Herrschaft feilgeboten wird, und nur am Tag von Mähern oder Hirten als Sonn- und Wetterdach aufgesucht, doch Nachts wie ein Kirchhof gemieden wird, – obschon sichs, alles Spukes unbeschadet, noch immer in baulichem Wesen erhalten. Was es dort giebt, und welch ein Geist drinn umgeht? weiß ich nicht; doch sollen nach der gemeinen Sage zwei feurige Schlangen nächtlich Wache stehn und jeden Ungeweihten verscheuchen; und werdens, wie man sagt, so lange treiben, bis ein recht treues geprüftes Paar das nur sich selbst und der Liebe lebt, einst über die schaurige Schwelle tritt, wo denn ein recht himmlisches Glück auf die Beiden herabkommen und so den Zauberbann lösen werde!“

Marie hielt hier leis erröthend inne, doch Edmund faßte zärtlich ihre Hand, besorglich fragend: „und hättest du wohl, Geliebte, Muth genug, mit mir jenes furchtbare Haus zu beziehn? da wir uns ohnehin einmal ansiedeln müssen wenn uns dein Vormund nicht mehr aufnehmen kann!“ Sie besann sich keinen Augenblick: „Wie du auch wunderlich fragen kannst! Zög’ ich dir doch bis ans Weltende nach, warum nicht auch in die harmlose Hütte! Glaube mir Freund: wer nur den Wurm nicht selbst in sich trägt, kann dort gewiß recht ungestört wohnen!“

Der schöne fromme Muth Mariens hatte auch Edmund wunderbar bewegt, wiewohl er sich keineswegs ganz furchtlos fühlte. Er zog sie überwältigt an sein Herz, nannte sie mit den süßesten Namen, und Beide hielten sich schon für das erwählte Paar, im selbst entzauberten Paradiese; da hörten sie plötzlich ein seltsames Geräusch, und fuhren vor einer Matrone zusammen, die in lange Tücher gehüllt, einer heidnischen Drude gleich, sich vorwärts auf den Krückenstab lehnte: „was schwazt Ihr da für ungereimte Dinge“ hub sie mit pfeiffender Stimme an „wozu Ihr Beide noch viel zu kindisch seyd; von Dingen, die selbst Unsereins nicht ohne Entsetzen auf die Zunge brächte! – was gilts: ehe der Herbstwind durch die Stoppeln rauscht, seyd Jhr entweder andern, klügern Sinns, oder bereits dem Versucher erlegen!“ Marie war einer Ohnmacht nah, Edmund umfing sie mit starkem Arm, indem er der Alten ungestüm zurief: „Zurück alte Hexe, zurück, zurück! willst du meine Braut denn zum Tod erschrecken?“ – „Braut!“ grinzte die Alte, hämisch spottend, indem sie sich singend im Gebüsch verlohr.

„Es zog ein Knappe wohl über Feld,
Da ward seiner Treue manch Netz gestellt;
Er kehrte wieder, doch nicht allein: –
Mag, falscher Ritter, dein Lieb nicht seyn.“

Und Edmund fuhr, hoch entrüstet, auf und wollte der Sängerin den Mund verstopfen, doch weit und breit vernahm er nichts mehr, als nur den Nachhall seiner eignen Stimme.

[153] Marie war schon längst wieder heim und saß an der Seite ihrer jüngern Schwester über einer zierlichen Stickerey die sie für Edmund angelegt, doch immer noch in trübem Sinnen in den Begegnissen des Vormittags versenkt, wo, was die Liebe ihr kaum verhieß, der tödtendste Schrecken ihr entrissen hatte. Ihre Arbeit gelang ihr heute nicht, es war als verhängte ihr ein Flor die Augen; sie glaubte es sey ihr aufgelöstes Haar, das voll und schwer seinen Flechten entfallen, doch als sie dies ordnend vor den Spiegel trat, erschrack sie vor ihrem bethränten Blick und ihrer ungewöhnlichen Blässe. Lieber Gott, dachte sie, indem sie ihr Geschäft bei Seite legte, kömmt denn der Liebe Quaal schon so früh, ja früher als ihre schuldlosen Freuden? – „Komm Agnes“ sagte sie drauf laut zu ihrer Schwester – „es ist hier so [154] bänglich so heiß im Gemach; komm mit in den Garten!“ Und als sie an der Hand der Unschuld durch die schwankenden Gräser schritt, und ein milder schmeichelnder West ihr über Wange und Busen streifte, wards ihr um ein Bedeutendes leichter, und sie verwieß sich nun die trübe fast unwillkührliche Seelenstimmung, ward wieder heiter und unbesorgt und widmete sich ihrem häuslichen Walten.

Indessen hatte sich Edmund aus seiner Wanderung nicht gesäumt und war eh der Mittag vorherging schon über den höchsten Gebirgsgrad hinaus und bereits weit gegen Süden geschritten. Seltsame Bilder umgaukelten ihn; Zauberer, Schlangen und böse Greiffe, die er bald siegend bald fallend bekämpft, doch Marien treulich im Auge behalten, sah auch ein fremdes Frauengesicht ihn dabei recht verführerisch an und winkte ihn vertraut in ihre Nähe. Dann fiel ihn auch wohl ein, daß er als junger unerfahrner Mann sich doch recht früh schon versprochen habe, und eine weibliche Stimme neckte ihn: Du kennst ja andre Mädchen nicht einmal und hast dich schon ganz an eins gebunden? - Doch schlug er sich Alles bald aus dem Sinn, gedachte nur Mariens tadelloser Liebe, ja sezte sich vor, so schnell als möglich in ihre Arme zurückzufliehn, um sich dann niemals mehr von ihr zu trennen.

So träumte er sich dem Rheinthal immer näher. Veredelte Kastanien umrauschten ihn, und der Duft des blühenden Weins der sich hier malerisch an Geländern ringelt, nicht wie im Norden an Stäben rankt, gab ihm ein neues heimliches Gefühl, im Schatten der eigenen Reben zu wohnen, die rings umher manch niedres Winzerdach mit ihrem grünen Geflecht überstrickten. Auf einmal wich die Rebenumschattung; er trat auf die meergleiche Ebne heraus, und wie einst Gottfried das heilige Land, sah er entzückt den gewaltigen Rhein sich vorwärts mit dem Neckar verbinden; stand er in Mitte eines Rundgewäldes, das von der Bergstraße stolz basirt, in endlose Fernen überging, - von den Thürmen von Speper bis nach Worms manch’ paradiesische Landschaft öffnend - und von den Höhen des Hundsrück und des Taunus in duftig weiche Schatten gehüllt. „Das ist der herrliche deutsche Rhein!“ rief er in überwallender Freude, warf alle Sorgen der Zukunft hinter sich, und wandelte lustig nach Heidelberg hin, das er in kurzer Zeit auch erreichte.

Er fand diese Stadt in voller Bewegung. Eine reiche Erleuchtung, zu Ehren des anwesenden Landesherrn, kämpfte bereits mit dem scheidenden Tage, und als kaum der Abendstern sichtbar ward entzündeten sich die zahllosen Kerzen und stiegen bis in die Zinne der Burg die wie ein eherner Riese niedersah und die neue mit der ältesten Zeit in eine seltne Verbindung brachte. Der Strom nahm das majestätische Glanzbild auf und gabs dem Beschauenden doppelt wieder, und auf der dunkeln Tiefe spielten Lichter und flammten und funkelten wunderschön in die unendliche Sternenklarheit; und der Schlagschatten des Gebirgs umfing das Ganze schauerlichromantisch, - ja auf den Höhen der Templerburg ließen sich schweifende Lichter schaun, als deuteten sie die Hieroglyphen der Vorzeit.

Solch einen Abend, in solchem Maaßstab und Charakter hatte Edmund noch nie erlebt - die gewaltigste Rührung wuchs in seiner Seele, und wie sich der Mensch in solchen Augenblicken meist nach dem gleichgestimmten Herzen sehnt, um seinen Gefühlen irgend Raum zu geben, ging auch ihm eine schmerzliche Sehnsucht auf, irgend ein treues Gemüth zu umfangen dem er sich inniglich anvertraun, an seiner Brust sich ausweinen könne. Da fühlte er einen leisen Schlag auf seiner Schulter, und einer seiner frühsten Jugendfreunde am Arm einer hohen Brünette stand neben ihm, der ihn mit Innigkeit an sich drückte. Nach der ersten Begrüßung ergab sich bald, daß Baron Holm, - so hieß der Freund - mit Antonien seiner schönen Schwester auf einer Schweizerreise begriffen, Heidelberg nur flüchtig berührt, doch von der herrlichen Umgebung hingerissen, noch einige Tage hier verweilen werde, bevor er längs dem Oberrhein weiter zu gehn und in ein paar Monaten wieder heim zu reisen gedenke. Man kam zu dem nähern Reisedetail und Holm bot seinem Freunde einen ledigen Platz im Wagen an, recht dringend um seine Begleitung bittend, da ihm noch sehr erinnerlich sey, daß Edmund einst keinen regeren Wunsch gehabt, als dieß Idyellenland kennen zu lernen. Dieser fühlte sich freudig überrascht, seinen Lieblingsplan so unerwartet nah gerückt zu sehen, und nichts in der Welt außer seinem Verhältniß zu Marien, konnte ihm irgend in Wege stehn. Als daher Holm immer dringender ward, ja auch Antonie ihr unterstüzte, schlug Edmund mit dem Vorbehalt ein, Mariens Zustimmung einzuholen, die er jedoch, ihrer Nachgiebigkeit gewiß, schon unbezweifelt verheißen könne. Holm scherzte über den zärtlichen Bräutigam, widerstrebte jedoch seinem Pflichtgefühl nicht und bat nur um schnelle Absendung des Schreibens, um bald zu erfahren woran man sey.

Am folgenden Tage schon erhielt Marie Edmunds Brief und erschrak sehr als sie vernahm, welche lange Trennung ihr entgegen drohe, die überdem durch die Gesellschaft einer jungen Dame, mit der Edmunds Reise vor sich gehen solle, noch um ein Großes an Besorgnissen wuchs. Jedoch ein ungewöhnlich tiefer Friede kam in dem Augenblick in ihr Herz, und eine Stimme flüsterte ihr zu: So eben hat sichs gestalten müssen um [155] deine Liebe siegend zu bewähren, und nur in diesem Opfer liegt der Zauber, der Edmund innig mit dir vereint! Und ihre Antwort war so ganz im Geist der edelsten Hingebung, so fromm und vertrauend abgefaßt, - denn indem sie dem Wunsch des Geliebten zart entgegen kam, vermied sie durch kaltes Bejahen seiner Frage sein Herz im leisesten zu verwunden. Zugleich erfolgte manches Reisegeräth, alles von ihrer Hand gewählt und geordnet, und mit einem Sinn für Häuslichkeit gedacht, der Edmunds Gemüth nicht verfehlt haben würde, wäre nicht, eh alles dieß ihm behändigt ward, manches Störende vorhergegangen.

[158] Man hatte während dieser Unterhandlung zwei müßige unbeschäftigte Tage. Antonie schlug eine Neckarfahrt vor und die Männer gaben ihr Beifall, da in der That eine Parthie längs diesem Fluß ins Gebirge zurück, eine sehr genußreiche Abwechslung bietet. Mehrere Fremde schlossen sich an; das Wetter war über Erwartung schön und eine heitre italische Luft umfing die stolze romantische Landschaft und schien aus dem freundlichen Neckar zurück. Man verließ die Hochstraße bald und suchte auf dem rechten Stromufer die weichern elastischen Wiesengründe; man paarte sich ganz nach Neigung und Wahl und ließ der Freude vollen Zügel, und als der Morgen höher herauskam, nahm man im Schatten eines Erlenbusches dicht unter Steinach eine Ruhestelle.

„Liegen wir doch hier wie ächte Wegelagerer, im Bereich der gewaltigen Burg auf einen tüchtigen Fechterstreich lauernd!“ hub Holm mit schallender Stimme an: „Oder“ fiel Edmund sanfter ein „wie ein Zug fahrender Pilgerleute, einem stralenden Gnadenbild folgend, und - ohne Unterschied des Rangs und Geschlechts - uns hier zu weiterer Wanderung stärkend!“ - „Nur mit dem Unterschiede“ sezte ein Dritter hinzu: „daß wir das Heiligenbild nicht lange suchen dürfen, da es in Fräulein Antoniens Gestalt sich schon recht tröstend vergegenwärtigte!“ - Antonie verbeugte sich demüthig stolz und all’ ihre eigenthümliche Herrlichkeit, die Edmund früher wenig bemerkt, trat ihm auf einmal zauberisch entgegen, ja er gestand sich unverhohlen, daß es außer seiner Braut doch noch viel weibliche Schönheiten gebe, ja daß Antoniens seltner Reiz gleich hoher Huldigung würdig sey. Er suchte sich diese Idee zwar auszureden, ward jedoch nach und nach immer befangener und ließ sein Auge sinniger als eh auf all den üppigen Formen ruhn, die seine Phantasie immer heißer entzündeten. Wie zwei thauende Sterne sah’n ihre großen schön geschnittenen Augen aus dem Gewölk dunkler Brauen vor, glitten zur Erde wenn er auf sie traf doch huben sich wieder stillvertrauend höher, wenn er befriedigt von ihnen ließ und auf dem herrlichen Ganzen weilte. - Man hatte schon zu lange geruht, und zog nun vollends das Thal hinauf, bis dahin wo es am lieblichsten prangt und das Schloß des freundlichen Hirschhorn aus grünen Waldungen niederleuchtet. Auf einem der einladendsten Punkte der Höhe ward die Mittagstafel gedeckt, und der Blick auf die zurückgelegte Gegend, Musik und Tafelfreuden wirkten mächtig zu einem Frohsinn der an Leichtsinn grenzte, und dem Moment zu viel Vorrechte lieh.

Es hatte sich gefügt daß Edmund Antoniens Nachbar wurde, und wie auf Reisen überhaupt die Vertraulichkeit wächst, so kam’s auch hier, daß Edmund dem Fräulein immer näher rückte und ihr - so verrätherisch verbirgt sich die Liebe! - indem er ihr sein Gefühl für Marien schilderte, die Neigung zu ihr unwillkürlich verrieth.

So schwand der Nachmittag, ja beinah der Abend; denn erst als die Sonne zur Rüste ging ward der bevorstehenden Heimfahrt gedacht, wozu man zwey räumliche Neckarkähne dingte, und so einem neuen Genuß entgegen ging, der Alle mit gleichem Verlangen erfüllte. Man kam ans Gestad, die Nachen wurden flott, die Gesellschaft stieg ein, und ohne einigen Gebrauch der Ruder, glitten die Kähne durch die laue Fluth, wechselten die Umgebungen magischer beleuchtet, wuchs die allgemeine Sorglosigkeit. Es war als entbände die tiefre Dämmerung jede letzte hemmende Fessel. Edmund und Holm vor Allen wurden laut, scherzten und jubelten ächt akademisch [159] und neckten sich mit dem Echo des Thals, das am Tag überhört, jetzt um so lauter erwachte. „Ei, wofür hast du denn die lustigen Hörner mit herausgenommen, wenn du so karg und geizig damit bist,“ sagte Antonie zu ihrem Bruder - „was gilts, sie gäben die schönste Serenade in diesem reizenden Berggeländ, wo sonst manch zärtliche Klage, mancher Minnesang zu all den stolzen Burgen auffliegen mochte!“ - Holm stimmte ein und die Musik im folgenden Nachen fing nun mit klagenden Rufen an, die wehmühtig mild zurückgegeben aus den Gebirgsgründen wiederkamen, und immer gewaltiger schwoll die Fluth der Töne, und schauriger klangs aus der Ferne zurück; und alte längst versunkene Erinnerungen keimten und sproßten in jeder Brust, ja ein trunkener phantastischer Geist kam über die ganze Reisegesellschaft.

Jezt beugte der vorderste Kahn um eine Krümmung und zog nun leis, fast unbeweglich, unter der schroffen Raubzinne hin, die vormals von den Landschaden bewohnt, mit mächtigem Wallring niederdrohte, als wolle sie sich im nächsten Monat vernichtend in den Stromspiegel stürzen; da riefen die Hörner recht ausfordernd hinan, den Burgherrn aus dem Todesschlummer weckend - und blitzschnell kam ein Ton zurück, der Allen das Haar auf dem Haupte sträubte, den Pulsschlag im Herzen stocken ließ. Kein leeres Echo, kein Wiederhall: „Ich komme, Ich komme!“ riefs vernehmlich wieder und plötzlich erschien in schwarzer Waffentracht eine drohende Mannsgestalt am Ufer und stieß die riesige Lanze in die Fluth, mit grausigem Ton seinen Stromzoll begehrend. „Wir sind verloren“ - jammerte der Schiffer, indem er das Zeichen des Kreuzes schlug - „Ich kenne den furchtbaren Mahner schon!“ und, alle Kraft seines Arms aufbietend, stieß er den Kahn noch vom Ufer los, wo Alles dem Unhold verfallen wäre. Doch alsbald schrie auch Antonie auf, schwankte vom Sitz in die Fluth hinaus und versank in der Tiefe. Gräßlich lachend, seiner Beute gewiß, war auch der Nachtspuk verschwunden, - doch Edmund warf sich Antonien nach und als sie zum erstenmal wieder sichtbar wurde, ergriff er sie mit liebender Kraft und rettete sie vom sichern Verderben. Lange lag sie starr und bleich im Kahn, als sey sie bereits hinüber geschlummert und Edmunds Schmerz erreichte den Gipfel: „Ach sie ist tod, sie ist tod!“ rief er zerknirscht „Mein Leben gegen ihr’s, wenn sie erwachte!“ - Und kaum war dieser Laut von seinen Lippen, so zuckt’ es um der Erblichenen Mund, sie schlug die herrlichen Augen auf, seufzte noch einmal recht aus Herzens Tiefe und, als habe sie Edmunds leztes Wort gehört, schlang sie die Arme traut um seinen Nacken und weinte recht schmerzlich an seiner Brust. Lautauf jauchzte Holm, der wie vom Schlag getroffen bisher in der Tiefe des Kahn gelehnt, - laut auf jauchzte die ganze Gesellschaft und rühmte und priest ihres Retters Muth, sein Leben für ihr’s in die Schanze schlagend; doch stumm und zerstreut und wie aus tiefem Traume sah dieser lange die Umstehenden an, - drauf sprach er langsam in sich hinaus: „Dankt mir nicht, ich konnte nicht anders!“

[163] Die Schauer und Gefahren dieses Abends waren besiegt, zum Theil selbst von Antonien vergessen, obschon sie noch einige Tage lang an den Folgen der Erkältung litt und, um größeren Uebeln vorzubaun, selbst ärztlicher Hülfleistung bedurfte. Nichts desto weniger bestand sie auf der vorgesezten Schweizerreise – so wie sie überhaupt alles kindisch festhielt was einmal ihre Begierde erfaßt – und Edmund und ihr Bruder durften nicht ruhn, alle Vorkehrungen so zu treffen, daß, sobald der Arzt es erlaubte, die Fahrt ohne Aufenthalt vor sich gehn könne. Nur schwer gewann es Erstrer über sie, sich mindestens noch acht Tage zu gedulden, und während dieser Frist flog er zu Marien, ihr noch sein leztes Lebewohl zu bieten und durch den Anblick ihrer Engelmilde der zehrenden Flamme endlich obzusiegen, die Antoniens irdischer Reiz in seinem heißen Herzen geweckt, und die verführerische Neckarreise so unaufhaltsam angefacht hatte. Er fand seine Braut mit der Harfe im Garten und hörte schon in ziemlicher Entfernung indem er vom Gebirge niederstieg, ihren Gesang mit der Abendluft ringen. „Welch eine Unschuld liegt in diesen Klängen!“ rief er in freudigem Liebeswahn: „welch Paradies, – welcher Sehnsuchtshimmel!“ – und wie der Blitz war er über Geheck und Wiesenland bis hinter die Geisblattlaube gedrungen, wo Marie eben mit Innigkeit sang:

„Er trat mir hold entgegen,
     Bot mir den treuen Arm,
     Von seines Herzens Schlägen
     Wards mir im Herzen warm;

5
Und mild, mit allen Zeichen

     Sittiger Mädchenhuld,
     Thät ich mich zu ihm neigen,
     Dem Reinen, sonder Schuld.

[164]

Da trieb es ihn von hinnen.

10
     Da zog es ihn mit Kraft

     Zu fernen Bergeszinnen,
     Zu fremder Wanderschaft.

Wer weiß, welch schönre Lichter
     Aus Augen still und lind,

15
     Welch schönere Gesichter

     Ihm dort erschienen sind?

Doch kehrt er auch im Leben
     Nie wieder an mein Herz:
     Der Wonne mir gegeben,

20
     Dem dank' ich auch den Schmerz!“

„O du unaussprechlich treue Seele, wie lohn’ ich dir für so viel Liebeshuld!“ rief Edmund, in ihre Arme sinkend. Es war ein seliger Augenblick: des Mädchens süßes Weh, des Jünglings Entzücken - und der hereinstralende volle Mond, und die Goldsäume der Abendröthe! - Da kam auch Mariens Vormund hinzu, sich über Edmunds unversehne Heimkehr und den herzinnigen Willkomm freuend; und indem er langsam näher trat, sprach er in humoristischer Laune. „Gott sey gelobt, daß du nur wieder unser bist, ja auch dein Bräutchen noch lebendig findest, die fast vor Liebeswehen verging! Bleib nun aber auch für immer hier und laß die Schweiz bereisen wer da wolle. Verliebten blüht allerwärts ein Friedensthal und du mir deinem heißen Blut hättest ja ohnehin alle Seen vertrocknet, und alle Gletscher zu Strömen gemacht!“ Er drückte schweigend Edmunds Hand, doch ehe dieser - bey dem der Moment entschied - sich seinem Wunsch gemäß äußern konnte, trat Marie gleichsam begeistert auf, und bestand mit ungewöhnlichem Ernst auf Edmunds einmal beschlossner Reise. „Wir sind uns Beide diese Prüfung schuldig“ sprach sie mit klarer Besonnenheit - „denn unsre Liebe ist noch zu neu und kann sich nur in Versuchung läutern! Wie sie in meinem tiefsten Wesen liegt fühle ich wohl, ja wollte darauf wohl die Hostie nehmen, - doch Edmunds Gemüth bedarf der Trennung, soll es erfahren wie es zu mir steht, und zu sich selber Vertrauen gewinnen. Widersprecht mir nicht ihr Männer! ich habe, schnell zwar, doch ruhig geprüft und fühle mich nun zu jedem Opfer fähig. Auch, dünkts mir, giebts Verhältnisse im Leben die nur ein Frauenherz still durchschaut, indeß die Vernunft des Weisesten strauchelt!“ Sie schwieg. In Edmunds Seele stürmten Gefühle von selten widerstrebender Art, doch Leichtsinn und Unkenntniß seiner selbst, ließen ihn nicht zu Erklärungen kommen, und statt dem Bekenntniß seiner Schuld, warf er sich schmeichelnd in Mariens Arme und verhieß ganz nach ihrem Willen zu thun. Doch wollt’ er ihr wiederholt Liebe geloben. „Schwöre nicht“ unterbrach sie ihn mild „nur Freiheit ist der Talisman der Liebe, und frey wie ein Vogel must du wiederkehren, wenn dein Herz meines beglücken soll!“

[166] Sie gab nicht zu, daß er länger als einen Tag bei ihr blieb, so viel sie sich Beide auch zu sagen hatten. Sie selber gab ihm, wie neulich, das Geleite und führte ihn weinend aus dem Thale hinaus. Es steht ein uralter Bildstein im Gebirge, der Eginhards und Emma’s treue Liebe und ihre Versöhnung mit dem Kaiser Karl, in tiefverwitterten Schriftzügen kündet, und wohl noch von Reisenden aufgesucht wird. An diesem Stein - dem rührendsten Monument im deutschen Vaterlande - gab sie dem Geliebten den Scheidekuß und konnte sich lange nicht von ihm trennen. "Wie es auch immer mit uns enden möge" sprach sie mit fast erlöschendem Laut "erhalte mir nur dein stetes Vertraun, das ich gewiß treu um dich verdiente; und was du der Braut nicht verrathen magst, laß ja der liebenden Freundin wissen!" Edmund stand wie geblendet. Er wollte ihr Alles, auch das Geringste gestehn, was bei der Neckarfahrt vorgefallen, - doch sein Mund war gelähmt, seine Lippen versagten. "Laß mich nicht von dir" sprach er noch zulezt: "mir ahnets, wir sehen uns so nicht wieder!" - "Wir werden uns wiedersehn um uns nie zu trennen!" erwiederte sie, kehrte sich schnell und muthig ab, und verschwand im Gebirge. - Unwillkürlich, fast gedankenlos, schritt Edmund aus der Waldstraße weiter.

Seit dem Morgen war schon mancher Tag, mancher Monat vergangen, doch Edmund noch immer nicht zurückgekehrt, ja auch Marie ohne alle Nachricht. Da ritten eines Abends, schon im Herbst, zwei hohe männliche Gestalten neben einer Dame die beinah prächtig gekleidet war und einen stattlichen Zelter trabte, in das schöne Mümmlingthal nieder. Der eine der Männer der voran ritt sah ziemlich mürrisch in sich hinein und schien fast des endlosen Treibens müde, jedoch das hinter ihm folgende Paar hatte sich gar vieles mitzutheilen, und der Ritter erwieß der Dame so unendliche Artigkeit, daß man gar leicht erachten konnte, daß mehr als Galanterie hier im Spiele sey, und Amor sehr blutige Pfeile versende. Als nun das Städtchen Neustadt in der Rosenau und drüber der ehrwürdige Breuberg erschien, und man von hier aus die Neigung des Thals tief [167] gegen Süden einsehen konnte, war’s, als werde der Paladin ein wenig still, und alte, einst liebe Erinnrungsbilder zögen ihm noch einmal durch die Seele; doch sah man auch deutlich wie die schöne Dirne ihn dieser Veränderung wegen höhnisch neckte, und immer trauter und zärtlicher that, ja, ihm so manches scherzend auszureden suchte, was wie eine Last aus seinem Herzen lag. Da klärte sich denn sein Gesicht wieder auf, er fiel in die vorige Liebesthorheit, umfaßte die Schöne heißer als zuvor und Alle trabten froh und guter Dinge auf der steinigten Straße fort. - Sie waren noch nicht weit gekommen, da scheute sich plötzlich des Verliebten Pferd und that einen mächtigen Sprung zur Seite, - denn eine alte Zigeunerin richtete sich in einer nahen Verzäunung auf und hielt ihm die dürre Hand bettelnd entgegen. „Verdammte Drude“ rief er ergrimmt, und hieb ihr mit der Ruthe über den Rücken: „wer heißt dir so unverschämt wegelagern?“ - „Kennt ihr mich denn nicht mehr?“ gab sie heulend zurück „wir standen uns doch schon einmal ganz nahe!“ und Edmund sah mit Entsetzen jene Alte, die ihm am Morgen seiner Heidelberger Reise, fast wie sein böses Schicksal erschien. „O weh, was willst du mir!“ rief er bestürzt „nimm dieses Goldstück, nur fluche mir nicht, - denn beten mochtest du wohl niemals lernen!“ Er wandte sein Pferd um davon zu jagen, doch warf ihm die Alte seine Gabe nach und schrie durch die Fistel: Treuloser Bube, deine Fahrt ist aus: Gedenke meiner im Todesgraus!“ - Er hatte die furchtbaren Worte nicht gehört, und war den übrigen wieder nachgekommen, die ritten nun still und gemächlich fort, er aber flog eilend an ihnen vorüber, bedeutete sie ihm langsam zu folgen und verschwand bald in der Krümmung des Thals.

[171] Zur selben Stunde wandelte auch Marie neben ihrer Schwester, die Wiesen entlängst durch die wehenden Pappeln, und näherte sich unbewust dem Jägerhause, deß ich im Beginn der Erzählung gedacht. Man sah es an ihrem zögernden unsteten Gang, daß sie mit schmerzlichen Ahnungen kämpfte; oft blieb sie stehn und sah zurück und breitete die Arme nach der Abendferne, - dann neigte sie sich wieder zu den Blumen und flocht ihrer Schwester einen Asternkranz, den sie mit großen Thränen benezte. Ihr Gesicht war bleicher als jüngst, jedoch ihr Blick um vieles bedeutender, und ihre zarte Gestalt erschien fast schwebend, ja beinah überirdisch verklärt. Lange war sie so in sinnendem Vergessen vor sich hingeschritten und unter dem Ordnen der gepflückten Blumen, nahm sie das drohende Wetter wenig wahr, das, im Gebirge bereits heftig blitzend, jezt plötzlich einen reißenden Sturm gleich einem Herold vor sich niedersandte. Gar sehr erschrocken, sah sie auf, - einen Augenblick lang auf Umkehr denkend - doch da es hinter ihr schon wie Hagel brauste, das Jagdhaus aber dicht vor ihr lag, wohin auch Agnes ängstlich verlangte, floh sie mit einiger Scheu dahin, und eilte durch die offenstehende Pforte. Drinnen fand sie einige Bäuerinnen die ebenfalls hier Zuflucht gesucht, und während sie von einem Fenster zum andern ging um ihre steigende Beklemmung zu verbergen, zog das Gewitter immer finstrer an und schleuderte immer röthere Blitze. Auf einmal schlug Agnes freudig in die Hände, und rief aufhüpfend: „Schwesterchen sieh! Edmund, auf einem wunderschönen Pferde!“ - Und wirklich zog er in raschem Galopp auf dem Thalweg heran, doch hatte der Sturm sein Haar und seinen Mantel so widerwärtig empor gesträubt, daß Marie, ihn erkennend, beinah aufschrie und einen stechenden Schmerz am Herzen fühlte. Doch augenblicklich sammelte sie sich, und wie er vorübersprengte, rief sie ihm zärtlich seinen Namen zu, worauf er überrascht vom Sattel flog, und ungesäumt ihr entgegen eilte.

Sie war schon halbbewustlos hinausgestürzt und über die Schwelle des Hauses getreten, und eben wollte sie ihn, der noch zweifelhaft anstand, an ihren bebenden Busen ziehen: da geschah ein furchtbarer Schlag, - ein Blitz fiel verzehrend vom Himmel herab und schleuderte Edmund tod zur Erde. - Marie sank lautlos über ihn hin und man muste glauben sie sey mit erschlagen, so innig hatte sie ihn im Fall umfaßt, so war ihr Pulsschlag und Leben vergangen. Ehe jedoch die Frauen und das arme Kind, das weinend in einem Winkel knieend die kleinen Hände zum Himmel erhob, die beiden Gefallnen aufrichten mochten, sprengten auch Holm und Antonie - die Edmund vorsätzlich zurück gelassen, um seine Braut auf ihre Nebenbuhlerin vorzubereiten - vom Tode verfolgt am Jägerhause an, und Edmunds bäumendes Pferd an der Pforte findend, stürzten Beide sorglos berein, den Freund und Geliebten lebend zu umarmen. Doch mit krampfhaftem Schrei wich Antonie zurück als sie die beiden Todten erblickte, und Holm der stürmisch hinter ihr eintrat, wendete sich dumpfstöhnend ab, als ahne auch er die Nähe des Rächers. Dies Geräusch weckte Mariens Bewustseyn. „Zurück, ihr feindlichen Gestalten!“ rief sie mit herzzerschneidendem Ton und einem Blick der fast an Wahnsinn grenzte: „Seht her, das ist aus meinem Bräutigam geworden, und dahin habt ihr Beiden es gebracht - denn schuldlos und rein, hätt’ er so nicht geendet! Ich kenne Euch wohl; zumahl dich, falsche Dirne, die mir so oft in Träumen erschien, sich höhnisch zwischen mich und Edmund drängend. - Nun ist er tod - nun läßt du mir ihn doch? da du ihn lebend mir entwendet, ist’s doch wohl billig daß seine Asche mir bleibt!“ - Sie schwieg und sank aus den Todten zurück. Zermalmt von Schuld stand Antonie vor ihr. Sie hatte kein Wort auf diesen Grus; ihr Auge war starr und ihre Lippen zuckten, indeß ihre Brust wie im Fieber flog. „Rette mich Bruder“ - stammelte sie endlich: „ist Edmund hin, was soll mir die Thörin!“ Und Beide gingen wie Verräther davon, als ein Wagen herankam und Mariens Pflegvater aus dem Schlage sprang, um seine verirrten Schützlinge zu suchen.

„Ach du arme Fürchterlichgetäuschte!“ sprach er tief bewegt, indem er sie dem Leichnam entwand und eilend über die Schwelle getragen: „Nur hieher hättest du dich nicht flüchten müssen: - der alte Fluch war noch nicht versöhnt, und Edmunds wohlverdientes Geschick hat dich Unglückliche [172] mit zerschmettert.“ - „Ja wohl!“ - gab Marie verwildert zurück: „die Schlangen hielten fürchterlich Wort, und haben mit einem zwei Herzen gebrochen!“

So weit meine Kunde! Was aus Marien geworden, hab’ ich nicht erfahren können; doch dünkt mir’s immer, ein Gemüth wie dieß, kann nach solchem Verlust nur die Erde heilen. Jedoch das Jägerhaus ist nunmehr bewohnt, und seitdem der Rächer sichtbar erschienen, der darauf ruhende Zauber aufgelöst.