Das Historische Museum der Völkerschlacht bei Leipzig
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Das Historische Museum der Völkerschlacht bei Leipzig.
Wenn man die alte Lindenstadt Leipzig, dem Schienenstrang der elektrischen Bahn folgend, nach Südosten zu verläßt, gelangt man auf eine weite Ebene. Hier verkündete Geschützdonner in den Oktobertagen des Jahres 1813 den Beginn der großen Völkerschlacht, die Europa von der französischen Fremdherrschaft befreite. Außer etlichen einfachen Gedenksteinen erinnert nur wenig noch an das blutige Drama, das sich hier auf dieser Riesenbühne abspielte. Die alten Coulissen, die Häuser und Mauern von damals, sind fast sämtlich erneuert worden oder stehen überhaupt nicht mehr. Aber dafür hat man schon lange sein Augenmerk all den Dingen zugewendet, die sich hinter diesen Coulissen und in den Versenkungen des großen Kriegstheaters, den Massengräbern in der kühlen Erde, vorfanden, und bewahrt sie nun pietätvoll als kleine Denkmäler großer Zeit auf.
Einem fleißigen Sammler ist es gelungen, vielerlei davon an sich zu bringen und mit anderen stummen und doch so beredten Zeugen aus jenen Tagen zu einem Museum zu vereinen. Gegenüber dem Napoleonsteine, welcher die Stelle bezeichnet, von der aus der bleiche Korse die denkwürdige Schlacht am 18. Oktober 1813 leitete, hat dicht an der Landstraße der Wirt des dort gelegenen Gasthauses, Herr Bertsch, sein „Historisches Museum der Völkerschlacht und Zeit Napoleons I.“ errichtet. Große Lettern auf Front- und Giebelseite des zweistöckigen Baues, der im Stile eines einfachen Landhauses gehalten ist, verkünden seine Bedeutung, hinter der friedlichen Außenseite desselben mit den grünen Jalousien würde man sonst kein Kriegsgerät, keine Schlachtendokumente vermuten.
In zehn zur Verfügung stehenden Räumen sind hier etwa 4500 Gegenstände untergebracht.
Wir betreten zuerst die Waffenkammer, deren Inhalt wohl am unmittelbarsten auf uns einwirkt. Waffen der verschiedensten Truppenteile von Freund und Feind bedecken die Wände, neben europäischen die der asiatischen Völker, welche im Gefolge Rußlands fochten, Tscherkessensäbel, Kosaken- und Kirgisenlanzen, und selbst der Bogen der Baschkire, jenes tatarischen Volksstammes vom Südural, fehlt nicht. Hier gekrümmte Mameluckensäbel der Napoleonischen Leibgarde, dort Degen mit der heraldische Biene am Griffe, mit der Napoleon nicht nur die Wappendecke des [158] Kaiserwappens und den Krönungsmantel besäte, sondern auch Waffen schmückte, die er an hervorragende Offiziere verlieh. Ein Paar künstlerisch mit Perlmutter ausgelegter Pistolen, welche die Inschrift Palais Royal à Paris auf dem Feuerschloß tragen und von französischen Offizieren nach der Schlacht zurückgelassen wurden, stammt noch aus dem Besitz des unglücklichen Königs Ludwig XVI., der 1793 hingerichtet wurde. Auch ein Stück jener Brandraketen ist hier vorhanden, wie sie die nach dem Erfinder derselben benannten Congreveschen Raketenbatterien führten. Eine solche Batterie erzielte unter dem Kommando des englischen Kapitäns Bogue in dem wütenden Kampf um den Besitz von Paunsdorf am 18. Oktober 1813 einen unbestrittenen Erfolg. Der verheerenden Wirkung ihrer Geschosse war es hauptsächlich zuzuschreiben, daß die Reiterei der französischen Garde unter dem Befehl Nansoutys zurückweichen mußte. Der Säbel eines preußischen Husaren, auf dessen Klinge mit zitternder Hand in Blut das Datum der Schlacht vermerkt ist, die für ihn verhängnisvoll geworden war, erweckt unser ganzes Mitgefühl für die, denen dieser letzte Gruß gelten sollte.
In einem anderen Kabinett stimmt uns der Anblick einer auf dem Schlachtfelde aufgefundenen Tabakspfeife, deren Rohr und Kopf mit Perlen umstickt ist – gewiß das Liebeszeichen einer Soldatenbraut! – nicht minder wehmutsvoll.
Als Zeugen dafür, daß auch Frau Musica im Gefolge der Kriegsgöttin am Kampfgewühl stark beteiligt war, können wir wohl den alten preußischen Schellenbaum sowie das zerborstene Schlachthorn der Freischärler ansehen, welche im Verein mit anderen Gegenständen – darunter eine tscherkessische Feldflasche – unser Anfangsbildchen darstellt.
In den Bekleidungsschränken sind es neben allerlei bunten Uniformen vor allem die vielgestaltigen Kopfbedeckungen, die uns Bewunderung abnötigen; mächtige Bärenmützen der Garden (siehe die Illustration am Schluß), Helme der Lanciers mit ihrem phantastischen Schmuck (vgl. unser Initialbildchen), die typische Blüchermütze und die Hutform Napoleons. Am meisten aber spricht uns der schwarze Tschako der deutschen Freiwilligen an, wissen wir doch, daß unter einem solchen Patrioten wie Theodor Körner, Jahn (der Turnvater), Fröbel und andere für die Freiheit des Vaterlandes stritten. Und wie aus weiter Ferne hören wir es leise im Ohre klingen: „Das ist Lützows wilde verwegene Jagd!“
Interessant lesen sich die gedruckten Befehle und Erlasse hoher Militärpersonen sowie die Bekanntmachungen des damaligen Rats der Stadt Leipzig. Nach diesen ist es der Pleißenstadt vor allen ihren Schwestern im Reiche zu jener Zeit oft recht schlecht ergangen. Schon 1806 soll sie 45 000 Stab feines Offizierstuch „zum Bedürfniß der Kaiserlich Französischen Armee“ beschaffen. Am 21. September 1807 erlegt der Kaiser der Franzosen dem „Leipziger Creyße“ eine Kontribution von 2 896 740 Franken auf. Und zu diesen und anderen Forderungen kamen dann die Verluste des großen Kriegsjahres 1813 mit den Opfern, die Einquartierung und Pflege zahlloser Verwundeter forderten – fürwahr ein hartes Los für die arme Bevölkerung!
Einen wertvollen Schatz des Museums bildet die Autographensammlung, die an 300 seltener Dokumente, Briefe, Generalstabsberichte, Ordres etc. enthält. Die hervorragendsten Personen jener Zeit, Napoleon, Blücher, Theodor Körner, Königin Luise, sind in mehrfachen Nummern vertreten, Handschriften des Diostuprenpaares Goethe und Schiller sind vorhanden. Ergötzlich liest sich eine Ordre des „Marschall Vorwärts“, die sich gegen Bernadotte, den von den Ständen zum Kronprinz von Schweden erwählten nachmaligen König Karl XIV., wendet, weil er, obschon einer der Hauptführer der alliierten Armeen, durch seine zögernde zweideutige Kriegführung gegründeten Verdacht geheimer politischer Pläne erregte. Der alte Haudegen, der schlecht mit Feder und Tinte umzugehen wußte und seine Befehle mit dem Schwert an der Faust zu diktieren gewohnt war, schreibt in unbeholfener verkleckster Handschrift und mit eigener Orthographie am 16. Oktober 1813 auf der Höhe von Möckern bei Lindenthal:
„Wenn der Hund von zigeuner nicht sofort erscheint, so muß in daß heilig kreuz granaden bomben Donnwetter klein schlachen. Blücher“
Zahlreiche Bilder schmücken die Wände, in Oel- oder Wasserfarben gemalt, Kupferstiche und Holzschnitte. Fürsten schauen hoheitsvoll, Heerführer grimmigen Angesichts auf uns herab, Schlachtenscenen und Ansichten brennender Ortschaften erregen unsere Phantasie, wecken unser Mitleid. Wir sehen Napoleons Schwager Murat, den an seinem theatralischen Aufputz kenntlichen König von Neapel, im Kampfe mit einem Preußischen Dragoneroffizier, vor dessen Todesstoß ihn einer seiner Reiter schützt. Hier ist der jähe Untergang des polnischen Fürsten Poniatowski dargestellt, der auf der Flucht durch Leipzig in der Elster ertrank, nachdem die Brücke deren Zerstörung die französische Armee vor der Verfolgung des Feindes schützen sollte, durch diese selbst zu früh in die Luft gesprengt worden war. Dort wird uns die Ernennung Blüchers zum Feldmarschall am 19. Oktober 1813 auf dem Leipziger Marktplatze vorgeführt.
Auch der Humor kommt in einer Reihe von Bildern zum Ausdruck, die sich mit beißendem Spott gegen Napoleon richten. Karikaturen sind es, die nach des Korsen Besiegung und Abdankung (April 1814) sowie auf seine Verbannung nach Elba hin in Deutschland, Frankreich und England wie Pilze aus dem Boden hervorschossen.
Auf dem einen Blatt streckt Napoleons Sohn mit dem Rufe: „Vater, wo bist Du?“ die Arme verlangend nach dem Vater aus. Und das Bild giebt gleich auch die Antwort: Napoleon selbst sitzt in einem großen Fasse – „in der Tinte!“ Ein anderes Bild, in Oel ausgeführt, zeigt uns den Oestereicher, Preußen, Russen und Schweden, wie sie zusammen einen Napoleonshut emporhalten; unter diesem erscheint, von den Umrissen der Männer gebildet, deutlich des Korsen Kopf; im Hintergrunde erkennt man die Türme Leipzigs. Die nachstehenden Verse erläutern das Ganze:
„Ein Hut allhier ein Haupt bedeckt:
Alle sollten werden darunter gesteckt,
Für alle war er eine schwere Last –
Drum weg mit ihm, weil er nunmehr keinem jetzt paßt!“
Diese und andere Karikaturen aus jener Zeit sind auch in dem Werke „Napoleon I. in Bild und Wort“ von Dayot-Bieberstein (Verlag von Schmidt u. Günther, Leipzig) abgebildet.
Durchaus nicht humoristisch wirkt dagegen ein höchst origineller Kupferstich deutscher Herkunft. Er giebt das Porträt [159] Napoleons wieder, in dem die Gesichtszüge durch Leichen dargestellt sind, die wohl an die Opfer der Schlachten gemahnen sollen. An Stelle des Herzens webt eine Spinne inmitten ihres Netzes. Das Epaulett wird von starker Hand gebildet, die das Netz zerreißt. Auf dem Waffenrock sind die Namen der von dem Korsen verlorenen Schlachten eingezeichnet.
Eine Anzahl teilweise recht lebenswahrer Büsten berühmter Persönlichkeiten jener Geschichtsepoche und eine Totenmaske Napoleons mit ihren ernsten Zügen ergänzen die umfangreiche Bildergalerie.
An anderer Stelle finden wir Ordenszeichen, Geldstücke und Denkmünzen aus damaliger Zeit von mehr oder weniger künstlerischer Prägung vor uns ausgebreitet.
Unser Gang durch das Museum führt uns weiter an Bibliotheksschränken vorüber, in denen die einschlägige Litteratur in alten und neuen Werken untergebracht ist, und endet in einem Gemach des zweiten Stockes, in dem es uns wie der Odem stiller Häuslichkeit entgegenweht und Reliquien freundlicheren Aussehens allerlei intime Dinge ausplaudern. Zwar fallen auch hier ein paar haarscharfe Klingen auf, aber sie sind friedlichen Zwecken gewidmet. Bartmesser mit dunklen geschnitzten Griffen sind es, deren sich Napoleon einst bediente und die ihm so lieb waren, daß er sie testamentarisch seinem Sohne vermachte. Eine Tasse mit dem Bilde „Werther, vor Lotte knieend“, die der große Korse mit gewohnter Hast oft geleert haben mag, ist wohl geeignet, die Ueberlieferung der Geschichte zu bestätigen, daß der Franzosenkaiser ein warmer Verehrer unseres Dichterfürsten gewesen ist.
Auf den Platz dicht daneben fällt ein Sonnenstrahl und läßt eine auf silbernem Grund in Gold und blauem Schmelz gestickte Morgenhaube aufleuchten, und vor unserem Geiste taucht das edle Antlitz der Königin Luise von Preußen auf, das von derselben einst umrahmt ward. Das Auge der Königin, das so mild blickte, hat sich freilich allzufrüh – schon 1810 – geschlossen und die Befreiung des deutschen Volkes von schmachvoller Tyrannei nicht mehr schauen können, und die Haarwelle, die hier hinter Glas und Rahmen verwahrt ist, hat nicht das Alter, sondern wohl die Sorge um das geliebte Vaterland gebleicht. Aber was diese seltene Frau in der kurzen Spanne Zeit ihres Wirkens als Königin gethan hat, das ist mit goldenen Lettern in die Tafeln der Geschichte eingezeichnet. Sie war es, die den König, ihren Gemahl, als er in den schweren Zeiten der Not und Erniedrigung, die über die deutschen Lande gekommen waren, fast verzagen wollte, aufrichtete und an die seiner harrende große Aufgabe zurückführte. Und als es an den für die Lösung derselben nötigen Geldmitteln gebrach, opferte sie ihr kostbares Geschmeide auf dem Altare des Vaterlandes und ward ein leuchtendes Vorbild für die deutschen Frauen und Mädchen jener Zeit, die später sämtlich kamen und mit rührendem Opfermut ihren Schmuck darbrachten. Allen denen, die in hochherziger Weise damals ihre Trauringe spendeten, wurden – welch’ sinnige Gegengabe! – Ringe von Eisen mit der Inschrift „Gold gab ich für Eisen 1813“ eingehändigt. Wir gedenken mit Stolz dieser einmütigen Opferwilligkeit und verkennen nicht, welch’ großen Anteil auch die Frauen an der völkerbefreienden That von 1813 gehabt haben.
Das letzte Stück der umfangreichen Sammlungen ist besichtigt, und uns ist, als hätten wir das letzte Blatt eines reich illustrierten Geschichtswerkes umgeblättert, dessen Inhalt uns begeistert hat und uns gar viel zu denken giebt. Und unter diesem Eindruck nehmen wir uns innerlich das Versprechen ab, die große Zeit der Befreiungskriege über den Erfolgen der neuesten Geschichte nie vergessen, sondern ihr immerdar ein dankbares Gedenken bewahren zu wollen.
Und wenn wir uns dann in weihevoller Stimmung wieder ins Freie begeben, auf den weiten Schlachtenplan hinaus, da muß es uns um so mehr befremden, daß man der großen, der gewaltigen Zeit, die uns die Achtung vor uns selbst wiedergegeben, der wir Ordnung und Wohlstand unser liebes teures Vaterland und mit ihm alles, alles verdanken, noch kein sichtbares Zeichen der Dankbarkeit errichtet hat! Doch man hat sich neuerdings dieser Pflicht besonnen. Ein Preisausschreiben für deutsche Künstler zur Beschaffung von Plänen eines Völkerschlachtdenkmals hat die Angelegenheit wesentlich gefördert, und für die im Reiche wie unter den Deutschen im Auslande ins Werk gesetzte Geldsammlung sind schon früher namhafte Beiträge eingegangen. (Sammelstelle bei Clemens Thieme in Leipzig, An der Pleiße Nr. 12, wohin alle Geldspenden zu senden sind.) Aber sie reichen noch bei weitem nicht aus, um etwas Ganzes, der großen Sache Würdiges zu schaffen. Und so wenden wir uns an alle, die ein deutsches Herz in der Brust schlagen fühlen: bringe jeder sein Scherflein herbei, so klein es auch sei, damit wir endlich die alte Dankesschuld abtragen können!
Vom Niederwald ragt ein mächtiges Wahrzeichen zur Erinnerung an das Jahr 1870 gen Himmel auf! Sorgen wir dafür, daß auch die denkwürdige That von 1813, ohne die es kein 1870 gäbe, kein Reich, keine deutsche Kaiserkrone – auf Leipzigs Schlachtgefilde ein weithin erkennbares Denkmal deutschen Dankes, deutscher Treue und Einigkeit erhalte!