Das Haus des Präsidenten
Zwar ist auch in Europa die Zeit vorüber, wo im Frohndienst Stein auf Stein zu kolossalen Bauten aufgethürmt wurde, um der Laune oder den bizarren Einfällen eines Großen zu genügen, der vielleicht, wie in Spanien kaum ein Eskorial mit seinen 36,000 Fenstern und 14,000 Thüren für würdig genug fand, seine Person zu beherbergen. Jene Zeit ist dahin, selbst so sehr dahin, daß in unsern Tagen vergleichsweise bescheidene Regentensitze, wie z. B. das herzogliche Schloß in Braunschweig aus lauter Sparsamkeit zur Hälfte unvollendet blieben. Allein die stolzen, auch jetzt noch benutzten Hallen, die sie uns übrig ließ, mahnen stets an ein Stück Geschichte, von welchem der Amerikaner nichts weiß, wenn er vor dem weißen Hause in Washington steht.
Die Geschichte vom weißen Hause ist kurz! Es ist die Amtswohnung des Präsidenten der großen Republik, und erhielt seinen Namen von der Farbe seiner Mauern. So steht es in der Bundesstadt Washington an den Ufern des Potomak, still und reizend gelegen zwischen Busch und Baum als bescheidener Sitz des Erwählten der freien Männer, die von Long Island bis zur Bai von St. Franzisko wohnen. Die Wohnung des Präsidenten ist so bescheiden wie sein Gehalt von 25,000 Dollars, womit das Maaß von Glanz angegeben ist, mit welchem die Amerikaner den Ersten im Staate umgeben wissen wollen. Den Republikanern der neuen Welt stand es wohl an, daß sie das Kapitol, wo der Kongreß tagt, der die Hauptsumme aller politischen Gewalt umschließt, in gewaltigen Umrissen errichteten, eine sinnbildliche Darstellung der Oberherrlichkeit des Volkes; – für die Wohnung des Staatsoberhauptes konnte man sich so genügsam erweisen, wie man sich erwies!
Schmucklos wie von Außen ist es auch innen im weißen Hause; schmucklos – nicht geschmacklos! Einen Ceremonienmeister giebt es dort nicht, von Antichambriren ist keine Rede und keine Wache ruft Dir irgendwo Halt entgegen oder wehrt hierhin oder dorthin den Eintritt. Auch wird das Auge nicht von Glanz geblendet; keine golddurchwirkten Tapeten schmücken die Wände und keine orientalischen Teppiche bedecken den Boden. An und in dem weißen Hause ist Alles fein bürgerlich und sittig. So aber will es der Amerikaner und Keinem kommt es in dem Sinn, sich deshalb mit weniger Achtung (Ehrfurcht kennt der Amerikaner Menschen gegenüber nicht) der Wohnung seines Präsidenten zu nahen. Außerdem hat die Leichtigkeit, mit welcher man Zutritt beim Präsidenten erlangt, nicht gerade zur Folge gehabt, daß davon übermäßiger Gebrauch gemacht wird; die Amerikaner wissen, daß bei ihnen das Staatsoberhaupt der müßigen Stunden nicht zu viele hat und so kommen nichtssagende Audienzen im weißen Hause nicht vor. Die Arbeitszeit des Präsidenten hat eine Art Unverletzlichkeit erlangt, und fast immer geht es still in seiner Wohnung her.
Fast immer, – denn bisweilen herrscht doch auch reges Leben im weißen Hause. Der 4. Juli, an welchem Tage im Jahre 1776 die vereinigten Staaten ihre Unabhängigkeit erklärten, ist einer jener Tage, wo sich das weiße Haus füllt und die Amerikaner ihren Präsidenten sehen wollen. Die Toiletten sind dann nicht so bunt wie bei der großen Cour eines Monarchen in Europa, indem der schwarze Frack allein von Galla ist, jedoch die Würde, welche herrscht, ist nicht geringer, wenn es jedenfalls auch freier und ungezwungener hergeht und man sich weniger tief bückt, als in der alten Welt. Zur Zeit des Kongresses ist es der Brauch, daß der Präsident die Repräsentanten des Volkes einige Mal in der Woche gesellig um sich vereinigt, wobei dann auch die fremde Diplomatie, überhaupt die Elite Washingtons und die feinere Damenwelt hinzugezogen wird. Es fehlt den Raouts des Präsidenten nicht an Würze, und wenn auch nicht so und so viel Ahnen erforderlich [318] sind, um zutrittsfähig zu sein, so muß man doch so und so viel Geist besitzen; die Dummheit macht nirgends weniger Glück als in Amerika.
Die Gesellschaften bei dem ersten Beamten der großen amerikanischen Republik bieten in Bezug auf Nationalität der Gäste ein Gemisch, wie es bunter kaum irgend anderswo vorkommen kann. Neben allen Völkern Europa’s, die man daselbst durch ihre stehende Gesandtschaften vertreten findet, begegnet man dort sämmtlichen reinen und gemischten Typen des nordamerikanischen Kontinents, die rothhäutigen Ureinwohner des Landes und die frommen Quäker von Philadelphia; die echten Yankees aus den östlichen und nördlichen Staaten neben den Kreuzlingen französischen und spanischen Blutes aus den Küstenpflanzerstaaten; den unerschrockenen Hinterwäldler, der halb Indianer, halb Yankee ist, Arm in Arm mit dem Sohne deutscher Eingewanderter. Das Alles wogt in den Gesellschaftszimmern des weißen Hauses auf und ab, plaudert in den hundert Dialekten, welche in dem ungeheuern Ländercomplex der vereinigten Staaten gesprochen werden, und denkt mitten unter den geselligen Vergnügungen an die Geschäfte des Landes, zu deren Besorgung sich die Meisten in Washington befinden. Sei es in öffentlichen oder eigenen Angelegenheiten, ganz bei Seite setzt der Amerikaner die Geschäfte zu keiner Zeit.
Das weiße Haus hat in den letzten fünfundzwanzig Jahren regelmäßig alle vier Jahre seine Bewohner gewechselt, da während dieses Zeitraums keiner der stets nur auf vier Jahre erwählten Präsidenten wiedergewählt wurde. Seit dem 4. März vorigen Jahres hat es Franklin Pierce inne, dessen Ernennung, in heftigem Kampfe von der demokratischen Partei durchgesetzt, manche Befürchtung in Europa aufsteigen ließ. Der praktische Sinn aller, auch der entschieden demokratischen Amerikaner, bewahrte jedoch den Präsidenten Pierce und seine Partei vor Fehlgriffen, und diejenigen, welche von den gegenwärtigen Tonangebern im weißen Hause handwerksmäßiges Demagogentreiben erwartet hatten, sahen sich getäuscht. Wir wollen damit nicht sagen, daß alle Geheimnisse bekannt sind, welche in dem Arbeitskabinet des Präsidenten verhandelt werden, wenn die sämmtlich in der Nähe des weißen Hauses wohnenden Minister sich zur Berathung daselbst einfinden. Die Sklavenfrage, dieser wunde Fleck der Union, hat erst in den letzten Monaten wieder die ganze Gewandtheit der amerikanischen Staatsmänner in Anspruch genommen, um den unheilvollen Zwiespalt zwischen den freien und sklavenhaltenden Staaten, der schon mehr als einmal einen Bruch zwischen den nordöstlichen und südwestlichen Staaten herbeizuführen drohte, zu beseitigen. Der weite Gebietsstrich Nebraska, der zum Territorium erhoben wurde, mußte die Erlaubniß Sklaven einzuführen erhalten, so sehr sich auch die Abolitionisten dagegen sträubten. Dem Frieden, vielleicht dem Bestand der Union zu lieb, mußte diese Concession gemacht werden.
Bezüglich der auswärtigen Politik hat der Mann im weißen Hause einen leichtern Stand. Die Erwerbung Cuba’s, welche dabei zunächst in’s Spiel kommt, ist eine Herzensangelegenheit aller Amerikaner. Von Zeit zu Zeit, so erst vor Kurzem wieder, wird immer ein Vorwand gefunden zu Händeln mit Spanien um die köstliche Insel; durch Nachgiebigkeit von Seiten Spaniens beigelegt, tritt dann gewöhnlich wieder scheinbare Ruhe ein, darunter gährt und schürt es aber fort, bis das Gelüst nach der Königin der Antillen (s. Gartenlaube Nr. 39 v. J.) jedes Mal heftiger erwacht. Spanien sendet jetzt Truppen über Truppen nach der bedrohten Insel, und doch wird diese voraussichtlich ihrem Schicksal nicht entgehen. Cuba kann sich übrigens ein solchen Schicksal gefallen lassen. Eine andere, ebenfalls seit Jahren reife Erwerbung steht den Amerikanern im stillen Ocean bevor, wo der König der Sandwichsinseln (s. Gartenlaube Nr. 8 d. J.)[WS 1] des Regierens müde ist und sein ganzes Land der Union einzuverleiben gedenkt. Das durch die Wirren im Orient beschäftigte Europa wird zur Stunde weniger als je den jungen Riesen in seinem Anwachsen aufhalten, und Alles wird mit ein Paar scheelen Gesichtern der englischen und französischen Minister abgemacht sein, wenn die im weißen Hause gehegten und gepflegten Pläne reif an’s Sonnenlicht hervortreten.
Anmerkungen (Wikisource)
- ↑ Vorlage: v. J.