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Das Gold der Najade

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Autor: W. Belka
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Titel: Das Gold der Najade
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Erscheinungsdatum: 1919
Verlag: Verlag moderner Lektüre G.m.b.H.
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Erscheinungsort: Berlin
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Quelle: Commons
Kurzbeschreibung: Ein utopischer Abenteuerromanzyklus, welcher die Bändchen 105–110 umfaßt.
Band 106 der Romanreihe Erlebnisse einsamer Menschen.
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[I]
Band 106 Erlebnisse einsamer Menschen Preis 20 Pf.
Band 105 Erlebnisse einsamer Menschen Preis 20 Pf.


Das Gold der Najade.
„Ich hätte sofort geschossen …“


[1]
Nachdruck, auch im Auszuge, verboten. – Alle Rechte vorbehalten. – Copyright by Verlag moderner Lektüre G. m. b. H., Berlin 26. 1919.


Das Gold der Najade.
Von
W. Belka.


1. Kapitel.
Schritte auf Deck.

Graue Nebelschwaden, im leichten Südwind ihre wunderlichen Formen dauernd ändernd, bald anzusehen wie dicke Dampfwolken, die einem unsichtbaren Riesenkessel entströmen, bald dahinziehend wie ein Chor schwebender, schleierumwallter Gespenster, dann wieder ungeheure Wogen bildend, die wie Mauern schwer und wuchtig weiterstrebten, – graue Nebelschwaden lagerten schwer über der Insel Kerguelenland und den sie einschließenden, zahllosen Eilanden und Klippen.

Kerguelenland – das ist der geographische Name der Gesamtheit dieser 131 Inseln und 160 größeren Klippen, die im südlichsten Teile des Indischen Ozeans gelegen, mancherlei Ähnlichkeit mit dem ebenso unwirtlichen, rauhen und düsteren Feuerland, der Südspitze Südamerikas haben.

Der Morgenwind, nur eine schwache Brise, nahm den Kampf gegen die den einsamen Archipel verhüllenden Nebelwolken immer kräftiger auf, je höher die Sonne stieg. Brausend brandete das Meer gegen die Klippen, mischte seinen weißen Gischt mit den grauen, feuchten Schleiern, bis diese sich mehr zerteilten, sich lösten und zunächst die äußeren Klippenreihen freigaben.

[2] Selten nur verirrt sich ein Schiff in diese Gegend. Die Zeiten, wo Kerguelenland eine beliebte Station für die Walfischfänger war, sind längst vorüber. Die sinnlose Habgier der Menschen, die den Riesensäugetieren des Meeres mit allen Mitteln, schließlich sogar mit Harpunengeschützen, nachstellten, um den begehrten Tran zu tausenden von Tonnen zu gewinnen, diese Habgier hat die Wale auch in den Südpolargebieten so gut wie ausgerottet. Jetzt erscheinen in den Gewässern um den Archipel jährlich nur für wenige Monate einige Fischdampfer, die einer französischen Gesellschaft gehören, der ihre Regierung die Fanggründe um Kerguelenland verpachtet hat. Während dieser Monate beleben sich die Kanäle zwischen den Inseln und Klippen mit Booten, die riesige Netze schleppen oder auf denen geübte Leute mit Harpunen oder Büchsen, die mit Explosivkugeln geladen sind, den hier heimischen, mächtigen Vertretern des Robbengeschlechts, besonders den Seeelefanten, zu Leibe gehen. Sind die Fischdampfer nach zumeist nur zweimonatiger Anwesenheit, während der Laichzeit der Fische Mai und Juni, wieder verschwunden, dann liegt die Inselgruppe, die eine Fläche von rund 4000 Quadratkilometer bedeckt, abermals einsam und verlassen wie früher da. Nur das Geschrei der Vögelschwärme, die auf den Uferfelsen nisten, erfüllt die Luft, nur das Toben der Brandung mengt sich in dieses mißtönende Konzert und das klagende Brüllen der dem großen Morden entgangenen Seeelefanten, die die Gestade nach ihren Verwandten, den Opfern menschlicher Gewinnsucht, absuchen. –

Die Brise hatte gegen die siebente Morgenstunde aufgefrischt und die Nebelmassen ins Innere von Kerguelenland zurückgedrängt, wo die grauen Gebilde jetzt um die gletscherstarrenden Gipfel des Richards-Berges hingen, als wollten sie sich hier in letzter Abwehr an den zackigen Schroffen und weißleuchtenden Eisgebilden anklammern.

Von Nordwest her war diese langsame Entschleierung des Archipels von Bord eines großen Dampfers [3] mit Hilfe eines Fernglases genau verfolgt worden. Dieser Dampfer, der zu beiden Seiten des Bugs in goldenen Buchstaben den Namen Najade trug, schlich schneckengleich durch die mäßig bewegten Wogen dahin, als sei die Kraft seiner Maschinen im Schwinden begriffen. Der Mann aber, der für Kerguelenland ein so lebhaftes Interesse bezeigte, daß er, auf der Kommandobrücke stehend, das Glas kaum von den Augen ließ, dieser breitschultrige Hüne mit dem finsteren, verschlossenen Gesicht, war der zweite Steuermann der Najade, ein Deutscher namens August Wend, und einer der vier Leute der Besatzung, die einer unterwegs ausgebrochenen Gelbfieber-Seuche als einzige entgangen waren.

Der Steuermann murmelte jetzt eine Verwünschung vor sich hin. „Verd… Nebel! Wir könnten uns längst in einem der Kanäle in Sicherheit befinden, wenn nicht diese scheußlichen grauen Wolken die Aussicht so völlig versperrt hätten! Ich muß ja vorsichtig sein! Die Najade darf nicht gesehen werden! – Ah – jetzt endlich! – der Nebel verzieht sich. Nirgends ein anderes Fahrzeug. – Ich glaube, ich darf es wagen –“

Nach diesem halblauten Selbstgespräch schickte er durch den Maschinentelegraphen einen Befehl in den Raum hinab, wo zwei Matrosen im Schweiße ihres Angesichts notdürftig das Feuer unter einem der Kessel unterhielten und gleichzeitig all die Verrichtungen ausführten, die zur Bedienung der Maschine gehörten.

Die Najade bewies bald, daß sie doch noch leichtfüßiger war, als ihr Schneckentempo vorhin hatte vermuten lassen. Am nächsten Vormittag lag sie dann an einem Ankerplatz, der für ein Schiff recht ungewöhnlich war. Der Steuermann hatte in einem Boot erst lange suchen müssen, ehe dieses vortreffliche Versteck gefunden wurde. Es war eine riesige Grotte, die sich in die turmhohe, steile Uferwand einer kleinen, schmalen Bucht hineinerstreckte und deren Zugang durch Klippen in Gestalt von kolossalen Felsnadeln so gut [4] verdeckt wurde, daß lediglich ein Zufall einen Unberufenen hierher führen konnte. Das Wasser der Bucht füllte auch die Grotte weit genug an, um selbst ein Schiff von dem Tiefgange der Najade aufnehmen zu können.

In dieser gewaltigen Felsenhöhle, deren rückliegende Teile in stete Finsternis gehüllt waren, hatte Wend mit seinen beiden Helfershelfern den Dampfer glücklich nach vielen Anstrengungen verankert.

Mit seinen beiden Helfershelfern! Denn der vierte Überlebende der Besatzung, Wends Neffe, der Schiffsjunge Karl Wend, lag seit Tagen gefesselt in einem engen Verschlage, den er dann nur verlassen sollte, um von seinem mitleidslosen Verwandten nach der noch öderen, noch unwirtlicheren Heard-Insel geschafft zu werden. Dies geschah in der Motorpinasse der Najade, und Jakobsen und Schulk, die beiden Matrosen, mußten diese Fahrt mitmachen, die dann für sie mit einer furchtbaren Überraschung endete. Der Steuermann verstand es, sie ebenfalls auf der Heard-Insel auszusetzen und kehrte mit der Pinasse allein in die Grotte und an Bord der Najade zurück.

So war ihm auch dieser neue Schurkenstreich geglückt! Und all das des Goldes wegen, das unten im Laderaum des Dampfers in Gestalt von Barren in festen Kisten lag! Nun erst war das Gold sein, nun erst durfte er sich sagen, daß sein Plan geglückt war. Die drei, die jetzt in den Eiswüsten der Heard-Insel zurückgeblieben waren, würden dort bald elend zu Grunde gehen. Dann hatte er keine Mitwisser mehr, dann konnte er ungehindert und ohne Scheu daran denken, auch den letzten Teil seines teuflischen Vorhabens zu verwirklichen! (Vergl. hierzu das vorhergehende Bändchen: „Das Tagebuch des Steuermanns“)

Nachdem er die Pinasse sicher vertäut hatte, begab er sich beim Scheine einer hellbrennenden Handlaterne in die Kajüte des Kapitäns, die im mittleren Deckaufbau lag und die er bereits seit dem Tode des Schiffsführers bewohnt hatte. Er zündete hier die [5] Deckenlampe an und ließ sich dann mit einem kurzen, höhnischen Auflachen, das dem Schicksal der drei Gefährten galt, in eine Ecke des bequemen Sofas fallen.

Nochmals überlegte er nun die nächste Zukunft. Er wollte zunächst auf den Kerguelen noch längere Zeit in der Verborgenheit leben und dann erst in bewohnte Gegenden zurückkehren, um das Märchen, das er ersonnen und das er notwendig für die Behörden und auch für seine Verwandten daheim über seine Erlebnisse bereithalten mußte, glaubwürdiger erscheinen zu lassen.

Nach einer Weile stand er auf und holte aus einem Wandschrank eine dickbauchige Flasche. Sie enthielt einen starken Likeur. Der Steuermann war sonst kein Freund von Spirituosen. Aber jetzt empfand er doch plötzlich das Bedürfnis, sich etwas zu betäuben. In seiner Sofaecke hatte ihn nämlich ganz unvermittelt ein seltsames Gefühl beschlichen, erst nur wie ein seelisches Unbehagen, dann wie Angst vor etwas Unbekanntem, Unnennbarem, dem er keinen Namen geben konnte. War’s das Bewußtsein, nun ganz allein an Bord des großen Schiffes zu sein, allein auf dieser weiten Inselgruppe? War’s das Gewissen, das sich bei ihm regte? Stiegen vor seinen Augen die Gestalten all derer wie Gespenster auf, die er auf wahrhaft teuflische Weise hier auf der Najade beseitigt hatte?

Er füllte mehrmals ein Gläschen, goß den Inhalt hinab, spürte sehr bald sein Hirn sich umnebeln, spürte, wie der Druck auf seiner Seele nachließ. Ja – er vermochte jetzt wieder laut zu lachen in Erinnerung an die entsetzten Gesichter der beiden Matrosen, die zu spät seine Absicht durchschaut und ihm dann wilde Flüche nachgesandt hatten, als er die Heard-Insel in dem knatternden Motorboot verließ.

Er lachte abermals laut auf. Der dicke Jakobsen war’s gewesen, der hinter ihm drein gebrüllt hatte: „Gott wird uns rächen. Mörder, Verführer, Schandbube. – Gott, der uns gnädig sein wird, wenn wir [6] uns auch von Dir haben zu Schlechtem bereden lassen.“

Gott?! – Er glaubte nicht an Gott, der Steuermann der Najade, glaubte nur an seine eigene verruchte Schlauheit und Verwegenheit, nur an den Götzen Gold, der alle Genüsse dieser Welt, Macht und Ansehen verschaffte.

Ganz plötzlich verstummte dieses sein Hohngelächter. Er fuhr zusammen; sein Kopf schnellte hoch; sein Gesicht wurde blaß, zeigte einen Ausdruck des Schreckens und gespanntester Aufmerksamkeit.

Hatte er sich getäuscht? Waren das wirklich Schritte auf Deck gewesen, die er soeben zu hören geglaubt hatte?

Regungslos stand er am Tische vor dem Sofa, wie versteinert. All seine Sinne waren wach; sein Herz klopfte laut, und die Faust, mit der er sich auf die Tischplatte stützte, zitterte leicht.

Alles still. Also doch eine Täuschung! Wie sollte denn auch ein Mensch hier an Bord der Najade, hier in dieses Versteck gelangen?! Ausgeschlossen. – Er war allein auf dem Schiff, ganz allein.

Und dennoch selbst diese beruhigenden Gedanken vermochten die lähmende Wirkung des ersten Schrecks nicht zu bannen. Noch immer verharrte er in dieser Stellung, behielt er lauschend den Kopf gehoben, hafteten seine Augen auf dem kleinen vergitterten Fenster, das auf das Hinterdeck hinausging.

Feigling! schalt er sich. Altes Weib, das sich durch eine Sinnestäuschung ängstigen läßt! – Und wieder langte er nach der Flasche, nahm das Gläschen, ließ die dicke, gelbe Flüssigkeit hineinrinnen.

Da – das Gläschen entglitt seinen Fingern, schlug auf den bunten Teppich auf, zersplitterte.

Schritte über ihm – kein Zweifel, – schwere Männerschritte – auf der Kommandobrücke oben, – tapp – tapp – tapp –

Nun wieder nichts – nichts. Lautlose Stille ringsum.

August Wend, der Steuermann der Najade, stierte aus kalkweißem Gesicht geradeaus; dicke [7] Schweißperlen standen ihm auf der Stirn; Eiseskälte lief ihm über den Rücken hin.

Diesmal wußte er’s genau: Es war keine Täuschung gewesen! Ein Mensch war da oben die Kommandobrücke entlanggegangen, von Steuerbord nach Backbord langsamen, wuchtigen Schrittes.




2. Kapitel.
Wer ist’s?

Aus dem Tagebuch August Wends. – 10. November 1895.

„Daß ich all das, was ich hier erlebe, ganz für mich behalten muß und mich mit niemandem darüber aussprechen kann, ist vielleicht am schwersten zu tragen. Ich sagte soeben: „All das!“ Und dies klingt so, als ob ich Einsamer hier an Bord der Najade die mannigfachsten Abenteuer zu bestehen hätte! Das trifft nicht zu. Mein Erleben dreht sich stets um eine einzige Tatsache: die schweren Schritte auf Deck! Also sehr einseitige Geschehnisse! Und doch trifft der Ausdruck „all das“ zu, soweit es sich auf die Wirkungen dieser Tatsache auf meinen Gemütszustand bezieht.

Vier Tage sind es heute her, als ich die Schritte zum ersten Male kurz nach meiner Rückkehr von der Heard-Insel hörte. Vier Tage – eine kurze Spanne Zeit für die Glücklichen, Zufriedenen, eine Ewigkeit für mich den Ruhelosen, von Gedanken Gefolterten.

Und wie verschieden und wiederum wie gleichbleibend sind diese Gedanken?! Blasse Furcht, Wut auf mich selbst meiner Feigheit wegen, dumpfes Grübeln über die Frage, ob es sich vielleicht doch nur um Gehörtäuschungen handelt, ob diese Gehörtäuschungen die Vorzeichen nahenden Wahnsinns sind, dann wieder eine bis aufs höchste gesteigerte, jeder ängstlichen Regung entbehrende Tatkraft, die diesen unheimlichen Schritten durch List und kühles Überlegen auf den Grund zu kommen sucht, – das sind so meine Stimmungen.

[8] Nein – ich will all dies nicht in meinem Innern verschließen! Daher führe ich jetzt dieses mein Tagebuch weiter. Die letzte Eintragung darin ist die vom 7. November. Ich schrieb sie, nachdem ich mich von dem ersten Schreck über die Schritte an Deck erholt und den Dampfer so sorgfältig abgesucht hatte (ohne etwas zu finden), das ich mir als vernünftiger Mensch sagen mußte, es könne nur eine Selbsttäuschung gewesen sein – dieses schwere, langsame tapp, tapp auf der Brücke; ich schrieb, um mich abzulenken, trank dann zwei Flaschen ganz alten Rotwein aus den Vorräten des Kapitäns, legte mich auf das Sofa und schlief fest und traumlos bis zum nächsten Morgen. Es war genau 7 Uhr, als ich aufwachte. Die Deckenlampe brannte trübe. Es ist nur die Ersatzlampe für den Fall des Versagens des elektrischen Lichtes. Auf dieses muß ich verzichten, da ich allein die Maschinen nicht in Gang halten kann und da die Akkumulatoren verbraucht sind. Die Kajüte war mit eklem Petroleumdunst gefüllt Ich riß Tür und Fenster auf, ging dann mit meiner Laterne (ohne diese kann ich in dieser Dunkelheit nichts unternehmen) in die Vorratskammer, kochte in der Kombüse (Schiffsküche) Kaffee und deckte mir in der Kajüte eine leckere Tafel.

Um halb neun war’s so weit, daß ich mich an meinen Frühstückstisch setzen konnte. Die Deckenlampe hatte ich frisch gefüllt und gesäubert. Sie leuchtete freundlich auf all die Delikatessen herab. Tür und Fenster standen noch offen.

Es war so weit. Und da, gerade als ich auf dem Sofa Platz nehmen wollte, da – hörte ich abermals wie schon gestern, über mir das tapp – tapp – tapp – tapp.

Wozu soll ich’s verheimlichen: Jeder Blutstropfen wich mir aus dem Gesicht. Ich stand wie gelähmt da; nur meine Ohren waren für äußere Eindrücke sozusagen eingeschaltet; ich war tot; nur mein Gehörsinn lebte.

So vergingen Minuten. Und da oben die [9] Schritte – unermüdlich von einer Seite der Kommandobrücke zu anderen, – auf und ab, auf und ab, als ob eine Wache bei völliger Windstille im Halbschlaf sich Bewegung macht.

Dann gab ich mir einen Ruck. War’s nur eine Gehörtäuschung, dann mußte ich diese Geräusche auch vernehmen, wenn ich mir die Ohren verstopfte.

Ich tat’s, drückte die Zeigefinger so fest ein, daß es mich schmerzte. Und – ich hörte nichts als das Singen und Summen des rasch pulsierenden Blutes in meinen Adern – nichts weiter. Und doch war ja dieses Nichts wie eine Erlösung! Die Schritte waren jetzt verstummt – scheinbar, das tapp – tapp – tapp – tapp schwieg.

Schwieg aber nur so lange, als ich die Finger in den Ohren hatte! Welche Überwindung kostete es mich, diese Pfropfen zu entfernen! Kaum war’s geschehen, als das alte Spiel begann: tapp – tapp – tapp – tapp –

Eine Schweißperle rann mir zwischen den Augenbrauen die Nase entlang. Angstschweiß – wie gestern. Und ich bin’s der ihn vergossen hat, ich, August Wend, dem man die Körperkräfte eines Bären nachsagt, der seiner Zeit als einziger in den brennenden Laderaum der Artemisia eindrang und die Dynamitkiste herausholte, der in San Franzisko allein in die chinesische Spielhölle sich Eintritt verschaffte und seinen Kameraden Palkerton unter einem Hagel von heimtückischen Revolverkugeln auf die nächtliche Straße schaffte – etwas – das nur ein ganzer Trupp von Polizisten gewagt hätte!

Und ich bebte vor diesen Schritten.

Ein schrecklicher Fluch leitete meine wiedererwachende Energie ein. Ich riß den Revolver aus der Jackentasche, wo er entsichert steckte, und war mit drei langen Sätzen durch die Tür auf dem Achterdeck. In meiner Hast hatte ich die Laterne vergessen. Meine Augen bohrten sich in das Dunkel ein, das da oben auf der Brücke herrschte. Doch der Lichtschein aus Tür und Fenster der Kajüte blendete mich. Sonst hätte [10] ich vielleicht doch etwas gesehen, denn jetzt am Tage, wo durch den Grotteneingang wie aus der Linse eines Riesenscheinwerfers blendende Helle in das weite Gewölbe fiel, war’s keine undurchdringliche Finsternis mehr, nein, nur noch ein starkes Halbdunkel, das immerhin genügte, um die hellgestrichenen Teile auf der Brücke zu erkennen.

Nur das sah ich nicht, was ich sehen wollte: eine menschliche Gestalt, den Urheber der Schritte.

Ich stand und starrte nach oben. Augen und Ohren waren gleich bereit, meinem Hirn irgend etwas zuzuleiten.

Ich bemerkte nichts, hörte nichts.

Endlos lange blieb ich ohne jede Bewegung auf demselben Fleck, die rechte Hand mit dem Revolver halb erhoben. Ich hätte sofort geschossen. Und ich schieße gut. Seeleute sollen schlechte Schützen sein. Ich bilde da eine Ausnahme.

Nichts – nichts.

Dann zurück in die Kajüte; ein Griff nach der Laterne, die noch von dem Zusammensuchen der Mahlzeit her brannte. Und wieder an Deck, – ein paar Sprünge die eiserne Treppe hinan. Dann tanzte der Laternenschein über die Brücke hin, bohrte sich in jeden Winkel, tat, als suche er ein Mäuslein.

Nicht einmal dieses war da, geschweige denn ein Mensch.

Da habe ich mich an das Geländer gelehnt und gefühlt, wie mein Mut dahinschwand – schnell wie Wasser aus einem geborstenen Gefäß; da habe ich mir gedacht: Wenn dieser Unbekannte auf der Brücke war, hätte er sie unbemerkt nicht verlassen können, da du keine drei Meter von der Treppe standest! Und selbst wenn er den Sprung von der Brücke auf das Vorderdeck gewagt hätte, würdest du dies gehört haben! Wo also ist er geblieben, wo in aller Welt?!

Und wieder kroch mir der Eiseshauch über den Rücken. – Ich – ich fürchtete mich.

Dann kehrte ich in die Kajüte zurück – wie ein Besiegter. Der Alkohol mußte helfen. Halb trunken [11] fing ich an, die Najade ganz planmäßig zu durchsuchen – noch sorgfältiger als bisher. Ich habe die Haupteingänge in die unteren Decks vernagelt, damit der verd… Urheber dieses tapp – tapp mir in den weiten Räumen nicht entschlüpfen konnte; ich habe alles getan, was in meiner Macht stand, ihn abzufassen.

Wieder nichts! Vier Stunden habe ich umsonst geopfert. Müde und mutlos gab ich die Sache schließlich auf, trank ein paar Gläser Likeur, machte die Jolle (kleines Schiffsboot) klar und umruderte die Najade, fuhr dann aus der Grotte in die schmale tiefe Bucht hinaus – hinaus in den Sonnenschein.

Ich atmete auf. Wie freundlich wirkte die glänzende Helle der Mittagszeit, wie friedlich lächelte dort droben das zarte Blau des Himmels, wie erfrischend war die kühle, kräftige Luft, wie wohltuend das Kreischen der Seevögel. Ein Schwarm von Pinguinen befand sich gerade in der Bucht. Pfeilschnell schossen die seltsamen Vögel davon, wie winzige Dampfer, hinter sich richtiges, pfeilförmig auseinanderstrebendes Kielwasser zurücklassend.

Ich ruderte die Bucht entlang. Sie windet sich in vielfachen Krümmungen. häufig Seitenarme ausschickend, bis zu einem breiten Kanal, der die Grotteninsel von einer weit größeren Insel trennt, die, wie ich schon festgestellt habe, die Howe-Insel ist, eines der wenigen zu Kerguelenland gehörigen Eilande, das einen Namen trägt.

Die Howe-Insel liegt nördlich der vielfach gezackten, nach Osten zu sich erstreckenden Bismarck-Halbinsel. Ich bin dann auf diesem Eiland ausgestiegen, habe die Jolle ein Stück auf das Ufer gezogen und die Felsenwildnis stundenlang durchstreift.

Felsenwildnis – diese Bezeichnung trifft am besten zu für dieses Landschaftsbild, das die Howe-Insel darstellt. Schauerlich ist diese schweigende, zu Stein erstarrte Einöde. Nur hie und da sind die Lavamassen, aus denen der Boden zumeist besteht, so weit verwittert, daß sich ein spärlicher Pflanzenwuchs [12] angesiedelt hat.

Erst als es dunkelte, ruderte ich nach der Grotteninsel zurück. Wie zögernd und unlustig zog ich die Riemen (Ruder) durch! Ich sollte ja nun wieder an Bord der Najade. Und die Najade hatte eine Brücke, auf der –

Ich wünschte, ich hätte den jetzt vor mir, der dort oben umhertappt, um mich zu ängstigen. Es sollte ihm – gut ergehen.

Ich kam an Bord. Die Deckenlampe in der Kajüte hatte ich brennen lassen. Ich vernagelte das Fenster mit Brettern, befestigte an der Tür einen starken Riegel, aß dann zur Nacht, trank wieder eine Flasche Burgunder und legte mich in die Pendelkoje.

Ich schlief auch ein. Aber es dauerte lange, ehe der Schlaf sich meiner erbarmte. Wer daliegt und auf jedes Geräusch achtgibt, wird nur noch munterer.

Am folgenden Tage geschah nichts. Aber – ich hoffte deswegen nicht etwa, daß nun das Tapp – tapp ganz ausbleiben würde! Und – ich tat recht daran. Am nächsten Morgen beim Frühstück meldete sich der Spuk wieder. Doch – ich hatte mich inzwischen zu seinem Empfang gerüstet, hatte die Akkumulatoren frisch gefüllt und konnte durch einen Hebeldruck von der Kajüte aus zwei Bogenlampen an Deck einschalten.

So fand ich denn die Najade strahlend erleuchtet, als ich hinaus und geradeswegs auf die Brücke hinaufeilte. Ich hätte mir die Hast sparen können!

Nichts – keine Spur eines lebenden Wesens, nicht einmal eine der vielen Ratten, die den Dampfer bevölkerten und die jetzt von Tag zu Tag frecher wurden.

Ich durchsuchte zum dritten Male das Schiff aufs sorgfältigste. Natürlich ergebnislos. Aber die Lichtfülle an Deck, die auch der Riesengrotte sich mitteilte, gab mir Mut. Ich gedachte den Unbekannten zu überlisten, spannte auf der Brücke kreuz und quer starke Drähte, daß kein Mensch sich dort frei bewegen konnte, und befestigte an den Drähten hie und da Eisenstücke, die klirren mußten, sobald jemand gegen die dünnen, [13] starken Hindernisse stieß.

Heute ist nun, wie gesagt, der vierte Tag nach meiner Rückkehr von der Heard-Insel. Ich habe Ruhe gehabt vor dem gräßlichen tapp – tapp. Und doch – wie sieht es in meinem Innern aus?! Meine Stimmung wechselt wie die Launen eines nervösen Weibsbildes. Allen Ernstes frage ich mich: Hast Du Dich nicht von einer Sinnestäuschung narren lassen, die die Folge all der Aufregungen der letzten Wochen ist, dieser Zeitspanne, die mit dem Ausbruch des Gelbfiebers an Bord begann und die einen vorläufigen Abschluß mit der Aussetzung der drei Mitwisser auf der Heard-Insel fand? – Eine Sinnestäuschung?! Ob’s etwa das Gewissen ist, das sich meldet, und ob etwa der tote Kapitän der Najade dort oben herumstampft?!

Tote Kapitäne dürften jedoch ausgespannte Drähte und ein hell erleuchtetes Deck kaum meiden, wie dies mein ungebetener Gast tut, der mir jetzt Ruhe gönnt!

Ich beginne schon wieder zu grübeln. Wer ist’s, den ich höre, was ist’s, das mich schreckt?!

Fort mit den Gedanken! Ich werde die Schrotflinte nehmen und auf der Howe-Insel Möwen schießen. Ich werde ein Blutbad unter den lärmenden Vögeln anrichten. Ich hasse sie, denn sie sind froh und unbekümmert. Und ich?!




3. Kapitel.
Der Spuk bleibt.

12. April 1896.

Mein Tagebuch weist seit Monaten keine Eintragung mehr auf. Der unheimliche Gast scheint sich für immer verabschiedet zu haben.

Am 4. März tauchten die französischen Fischdampfer hier auf, begannen das Meer und seine Bewohner durch Riesennetze zu beunruhigen, ließen die Gestade der Insel den Knall ihrer Feuerwaffen vielfach [14] wiedergeben, daß es wie Lärm von Gefechten klang und zwangen mich zur größten Vorsicht in meinen Bewegungen – mich, den Robinson von Kerguelenland. Meine Jagdausflüge stellte ich ein, wagte mich nur abends ins Freie. Und doch wäre ich einem Boote, in dem ein einzelner Mann den Howe-Sund, die Wasserstraße zwischen meiner und der Howe-Insel, bei Mondlicht befuhr, beinahe in die Arme gelaufen – besser – „gerudert“. Ich konnte ihm noch ausweichen, ohne daß er mich bemerkte. Sein Boot glitt keine drei Meter entfernt an mir vorüber, der ich in der Jolle im Schatten einer einsamen Klippe hockte.

Es war ein mittelgroßer, magerer Kerl, wie ich feststellen konnte. Er trug eine dunkle Schirmmütze einen dunklen Anzug und um den Hals ein helleres, offenbar seidenes Tuch. Ich kann nur annehmen, daß er eine Art Gelehrter ist, der die Fischdampfer zu irgend welchen Forschungen begleitet hat. Nach einem Seemann sah er nicht aus.

Nur einmal hatte ich eine solche Begegnung. Und trotzdem bewies sie mir, daß ein unglücklicher Zufall mein Geheimnis und den Ankerplatz der Najade einem Fremden sehr wohl verraten kann.

Deshalb werde ich jetzt, nachdem die französischen Dampfer gestern nachmittag früher, als ich gehofft hatte, diese Gewässer wieder verlassen haben, das Gold der Najade anderswo an Land verbergen. Sicher ist sicher! Entdeckt man das Schiff in seinem merkwürdigen Hafen, so soll man nichts darin finden als eine zwar wertvolle, aber nicht goldene Ladung!

30. April. – Das Versteck ist gefunden – auf der Grotteninsel selbst, dicht am Gestade einer Abzweigung der Bucht. Es ist eine Höhle, ähnlich dem Riesendom aus Fels, in dem die Najade liegt, nur bedeutend kleiner, kaum zehn Meter im Durchmesser und mit einem Eingang versehen, der knapp meine Jolle durchläßt. Dort lagert nun das Gold, lagern die schweren goldenen Barren, deren schwacher Rotglanz mein Herz immer wieder schneller schlagen läßt, der mich berauscht, der mich aussöhnt mit meiner Einsamkeit, [15] die drückender als die eines von allen Hilfsmitteln entblößten Robinsons ist, da ihr die Anregung der Sorge um den Lebensunterhalt und um die Beschaffung kleiner Bequemlichkeiten fehlt. Eigentlich beneide ich alle Schiffbrüchigen, die gezwungen waren, aus dem Nichts sozusagen ihre Lebensbedürfnisse zu befriedigen. Ich habe ja alles, was ich brauche, im Überfluß. Und die Langeweile hockt jetzt oft neben mir und grinst mich schadenfroh an, scheint zu fragen: Wie lange wirst Du es noch aushalten in Deinem freiwilligen Exil?

Dann flüchte ich mich stets zu meinen goldenen Schätzen. Die rotglänzenden Barren, die ich so gern mit einem Tuche blank reibe, träufeln mir Geduld ins Herz. –

2. August. – Ich habe nicht geglaubt, daß ich über den unheimlichen Gast diesen Blättern noch etwas Neues anzuvertrauen haben würde.

Neues?! – Nein – Altes! „Es“ ist wieder da, das verfl… Tapp – tapp!

Gestern nacht wachte ich plötzlich auf. Die Ursache? Oben auf der Brücke rasselten und klirrten die freihängenden Eisenstücke mit einem solchen Lärm, daß jeder darüber munter geworden wäre. Und zwischenein vernahm ich auch wieder Schritte, – nicht gerade Schritte, aber doch zuweilen das leise Dröhnen der Planken über mir.

Ich fuhr in die Kleider. Die Deckenlampe in der Kajüte brannte wie stets. Nur die daneben befindliche elektrische Birne war ausgeschaltet. Das fiel mir sofort auf. Ich hatte sie ja genau so wie die Bogenlampen an Deck, stets brennen lassen.

Sollten die Akkumulatoren von mir gestern doch nicht genügend nachgefüllt worden sein?! Ich schob den Türriegel zurück, schloß die Tür auf, öffnete sie ganz leise.

In demselben Augenblick erstarb der Lärm auf der Brücke. Und ich – ich sah mich tiefer Dunkelheit gegenüber. Auch die beiden Bogenlampen an Deck versagten.

[16] Wozu noch erwähnen, daß ich abermals nichts entdeckte?! Und – es mußte doch ein Mensch auf der Brücke gewesen sein – mußte! Einer, der absichtlich die Drähte schüttelte, der absichtlich diese höllische Musik veranstaltete.

Immerhin war ich froh, nunmehr die Gewißheit erlangt zu haben, daß von Sinnestäuschung keine Rede war und daß ein Wesen von Fleisch und Blut mit mir, August Wend, zu spielen wagte.

Ich untersuchte die Akkumulatoren Sie waren in Ordnung. Aber: Die Leitungsdrähte hatten sich aus den Klemmschrauben gelöst – richtiger: waren losgeschraubt worden.

Warte, werter Gast, ich werde schon noch mit Dir abrechnen! Du mußt Dich an Bord befinden, mußt! Ich werde Dich in Deinem Versteck aufstöbern, und dann –!

Soeben habe ich mir nochmals überlegt, ob der Unbekannte nicht doch vielleicht in einem Boot mir diese Besuche abstattet, also kein blinder Passagier der Najade ist, sondern ähnlich wie ich selbst hier auf Kerguelenland irgend wo[1] in einem Versteck haust. Sehr genau habe ich diese Frage geprüft und bin zu demselben Ergebnis gelangt: Der Mensch befindet sich auf der Najade, nährt sich wie ich von deren Proviant, trinkt das Wasser aus dem Patentbehälter, in dem es stets frisch bleibt, beobachtet mein Tun und Lassen und – hat mit diesem ganzen Spuk wohl nur das eine Ziel im Auge gehabt: mich von Bord der Najade zu verscheuchen! Natürlich lediglich deshalb, um das Gold – mein Gold – sich aneignen zu können!

Er muß dauernd auf der Najade sich aufhalten! Ein Boot hätte ich bemerken müssen, ebenso auch einen Menschen, der schwimmend sich entfernt hätte. Ich habe ja genau genug achtgegeben – mehr als genau, habe meine Sinne verdoppelt!

Wer ist nun dieser Fremde – wer nur?! Hier stehe ich vor einem vollkommenen Rätsel. – Wann kam er an Bord? Etwa schon vor der Abreise von [17] Valparaiso? Hat er sich so lange unten im Laderaum verborgen gehalten, hat er die Gelbfieberseuche glücklich überstanden? Schlich er sich erst unterwegs in einem der Häfen, die wir anliefen, auf den Dampfer? – Ich vermag keine dieser Fragen zu klären. Aber – ich werde es von ihm selbst erfahren! Er wird es mir sagen müssen – müssen!

Merkwürdig nur, daß dieser Unbekannte, falls wirklich das Gold der Najade ihn dieses Spiel mit mir treiben ließ, mich nicht einfach beseitigt hat. Gelegenheit dazu hatte er ja genugsam.

Je eingehender ich mich mit der Person dieses Menschen beschäftige, desto rätselhafter wird er mir, desto lebhafter wünsche ich auch, ihm von Angesicht zu Angesicht gegenüber zu treten, Ich weiß, wie ich dies erreiche. Ich werde die Bogenlampen nicht mehr einschalten, werde mich nachher auf der Brücke auf die Lauer legen, während in der Pendelkoje so etwas wie eine Puppe meine Stelle einnehmen wird. Die Bretter, die ich vor das Fenster genagelt habe, entferne ich wieder, lasse auch einen Spalt in den Vorhängen offen, damit der Herr Geist sich überzeugen kann, ob ich im Bett liege.

15. August. – Beinahe zwei Wochen sind wieder verstrichen, seit ich die letzte Eintragung machte und so zuversichtlich von meinem Plane der nächtlichen Wachen auf der Brücke in diesen Blättern schrieb. Die Nachtwachen hätte ich mir schenken können. Nachdem ich erst fünf Tage hintereinander, dann nach eintägiger Unterbrechung abermals drei Nächte auf den Unbekannten gewartet hatte, mußte ich einsehen, daß dem Manne so nicht beizukommen war. Dann habe ich, bis zum Platzen angefüllt mit Wut und Rachedurst, auch den letzten Zugang nach den Innenräumen der Najade vernagelt. Vorher schaffte ich so viel Proviant in meine Kajüte, daß ich davon gut zwei Monate leben kann. Auch einen Petroleumkocher fand ich, so daß ich die Schiffsküche nicht mehr brauche. Trinkwasser hole ich mir von der Grotteninsel aus einer Quelle mit der Jolle. So habe ich denn den [18] Herrn Geist unten in der Najade eingesperrt. Heraus kann er nicht, wenigstens nicht auf eine Weise, die mir verborgen bliebe. Er hat sich dann auch bisher nicht wieder gemeldet. Ich schlafe wieder ruhiger, obwohl es kein angenehmes Gefühl ist, zu wissen, daß unter einem in dem großen Schiffe ein Fremder sein Wesen treibt. Niemals höre ich in den Räumen unten auch nur das geringste Geräusch, das auf die Anwesenheit eines Menschen schließen läßt. Nur die Ratten, diese lästigen Nager, sind sehr lebendig, dringen sogar schon in meine Kajüte ein.

Übrigens wird es jetzt hier auf Kerguelenland etwas weniger ungemütlich. Man merkt, daß dieser Archipel bereits durch die Nähe der Südpolargebiete in seinen klimatischen Verhältnissen stark beeinflußt wird. Die täglichen Nebel verlieren sich jetzt schneller. Die Abhänge der beiden höchsten Berge der Hauptinsel sind unterhalb der Gletschergrenze nur noch mit wenig Schnee bedeckt. Nachts friert es noch regelmäßig. Aber tagsüber zeigt das Thermometer 3-5 Grad Wärme. Der Sommer steht also vor der Tür. Dann kommen die langen Tage, denn von Oktober bis März geht die Sonne hier kaum unter, und die Nächte sind erfüllt von einem bleigrauen, seltsamen Zwielicht.

Ich muß jetzt so häufig an die drei auf der Heard-Insel denken. Ob sie noch leben mögen? – Es war doch eine Dummheit von mir, sie dort auszusetzen. Etwas Halbes war’s! Ich hätte sie ganz unschädlich machen sollen! Das kommt davon, wenn man sich einmal von sogenannten weicheren Gefühlen leiten läßt! Nun muß ich in dauernder Angst schweben, ein Schiff könnte zufällig die Heard-Insel anlaufen, die drei Leute finden und dann – mir hier einen Besuch abstatten! Wahrscheinlich ist diese Sorge ja überflüssig. Ich glaube fast, es sind nur meine etwas überreizten Nerven (daran ist der Unbekannte schuld), die mir jetzt alle möglichen ungünstigen Ereignisse vorgaukeln.




[19]
4. Kapitel.
Ein neuer Streich des Unbekannten.

12. September. – Endlich wieder an Bord der Najade, endlich! Schreckliche Wochen liegen hinter mir. Der Tod hat mich in dieser Zeit in vielfacher Gestalt umlauert. Ein Wunder, daß ich noch lebe.

Und – wieder ist dieser entsetzliche Mensch, den ich bisher nicht einmal gesehen habe, der Urheber dieses Monats des Unheils, den ich auf Kerguelenland selbst, auf der großen Hauptinsel der Gruppe, zubringen mußte.

Es ist besser, daß ich für spätere Zeiten dieses mein gefährliches Abenteuer ausführlicher in diesen Blättern schildere. Wenn mein Plan vollständig geglückt ist, wenn der Goldschatz der Najade mir ein Leben voller Freude ermöglicht, werde ich sicherlich oft genug diese meine Aufzeichnungen zur Hand nehmen und beim Überlesen dieser Zeilen erkennen lernen, daß meine Reichtümer mir nicht ohne Gefahr und ernste Aufregungen in den Schoß gefallen sind. Und diese Erkenntnis wird mir die schimmernden Goldbarren noch wertvoller machen und die Freude an den Genüssen, die sie mir vermitteln, ohne Zweifel noch verdoppeln.

Am 17. August – der Unbekannte hatte sich ja in letzter Zeit nicht mehr gemeldet – unternahm ich in der Jolle bei klarem, sonnigem Frostwetter einen gut vorbereiteten Ausflug nach der Hauptinsel. Ich wollte drei Tage fortbleiben, hatte alles Nötige im Boote verstaut und verließ morgens in bester Stimmung meine Insel, steuerte durch den Kanal, der die Howe-Insel von der Grotten-Insel trennt, nach Osten zu, dann weiter mit Hilfe einer recht genauen Karte des indischen Ozeans durch zahlreiche andere Kanäle hindurch, gelangte in die Rhodes-Bucht und landete in deren südwestlichster Ecke in einer kleinen, flachen Bai, die wie ein Kessel in den steilen Uferfelsen eingebettet lag. Den Richards-Berg mit seinen im Sonnenlicht gleißenden Gletschern und verschneiten Abhängen [20] hatte ich keine drei Meilen entfernt im Osten vor mir. Ich wandte mich nun, nachdem ich die Jolle halb auf den Strand gezogen und sorgfältig mit einer Kette festgelegt hatte, nach Süden, um den bisher ganz unerforschten mittleren Teil von Kerguelenland eine Strecke weit zu durchwandern. In einem bequemen Rucksack trug ich den Proviant und manches andere auf dem Rücken.

Gegen 6 Uhr nachmittag hatte ich die felsigen Höhen überwunden, die, in zahlreichen parallelen Ketten angeordnet, mir den Weg versperrten. Eine traurige Felseneinöde ist’s, in der man immer wieder auf kennzeichnende Spuren früherer vulkanischer Vorgänge stößt; auf Lavafelder, Bimssteinanhäufungen und mächtige Steine, die zur Hälfte mit einer Lavakruste umgeben sind. Kein Baum, kein Strauch, keine Pflanze außer einigen grauen, armseligen Flechten gibt es in dieser Steinwildnis; kein Tier ist vorhanden, das der menschliche Eindringling aufscheuchen könnte. Totenstille ringsum. Und in dieser Einsamkeit, die selbst mich schwer bedrückte, wanderte ich stundenlang dahin, mich lediglich nach der Nadel meines Taschenkompasses richtend, – immer nach Süden zu.

Endlich wurde das Land ebener. Ich sah jedoch vor mir – ich schätzte die Entfernung auf fünf Meilen – abermals einen Gebirgszug aufsteigen, bis zu dessen Fuß ich vorzudringen beschloß.

Das Landschaftsbild war jetzt ein weniger trostloses als bisher, aber immer noch eintönig genug, trotz der zahlreichen Seen und Flüsse und Bäche, die ich antraf und die mich oft zu großen Umwegen zwangen. Diese Eintönigkeit wird durch das gänzliche Fehlen von Bäumen hervorgerufen. Nur eine einzige Pflanze, der Kerguelenkohl, erreicht hier eine solche Höhe, daß sie einen Baum vortäuschen könnte. Dieser Kerguelenkohl ist ein naher Verwandter unseres deutschen Kohles, was er dadurch beweist, daß seine Blätter sich kohlkopfartig zusammenschließen. Im übrigen weicht sein Äußeres aber vollständig von dem seines mitteleuropäischen Vetters ab. Seltsam genug [21] nimmt sich dieses Riesengewächs aus, das ich Exemplaren bis zu drei Meter Größe antraf. Besonders eigenartig sind die länglich, zylindrischen Früchte, die in Form von Ähren angeordnet sind. Der Kerguelenkohl ist ein bekanntes Mittel gegen Skorbut, diese Krankheit, die stets die Folge einer allzu wenig abwechslungsreichen Ernährung ist und die hauptsächlich in jenen Zeiten, als man auf den Segelschiffen lediglich Salzfleisch als Dauerproviant kannte, viele Opfer forderte.

Die Pflanze kam hier in der Ebene stellenweise in förmlichen Wäldern vor. Wie hätte ich mich gefreut, wenn ich in einem dieser Wälder einem Tiere begegnet wäre, nur um doch ein Lebewesen zu erblicken. Doch – auf Kerguelenland – das hatte ich in einem Buche des Kapitäns der Najade gelesen – gibt es von Säugetieren lediglich die Hausmaus, und diese ist auch erst durch die Seefahrer hierher gekommen. Selbst Vögel sind äußerst selten, abgesehen von den Seevögeln. Ich bemerkte nur ein paar entenähnliche Tiere und einen kleineren Vogel, der mit unserem deutschen Sperling einige Ähnlichkeit hatte. Ja, sogar Insekten sind auf dieser entlegenen Insel recht spärlich vertreten. Es scheint, als ob das rauhe Klima und das Niederdrückende dieser so wenig farbenfrohen Landschaft auch die Käfer, Fliegen und Spinnen abschreckt.

Gegen acht Uhr abends schlug ich mein Lager in einem Gestrüpp auf, das mir leidlich Schutz vor dem eisigen Nachtwind gewährte. Ich kochte Tee, wärmte eine Büchse Fleisch und aß dazu Schiffszwieback. Meine Ruhe wurde bis zum Morgen durch nichts gestört. Gut erfrischt setzte ich meine Wanderung fort, fand gegen Mittag hart am Fuße des Gebirgszuges, meines Zieles, einen See mit vielen Inseln, von denen mehrere wie Steinwürfel sich ausnahmen, und machte gegen 1 Uhr kehrt. Der Rückweg bot nichts Bemerkenswertes. Eigentlich hatte ich erst am Morgen den Ankerplatz der Jolle erreichen wollen. Jedoch eine von Stunde zu Stunde sich steigernde Unruhe [22] trieb mich, obwohl es bereits Abend war, als ich die Hügelketten passiert hatte, immer noch vorwärts. Richtig dunkel wurde es ja nicht mehr. Der Einfluß der Nähe des Südpols machte sich immer mehr geltend, wo ja vom 23. September bis zum 20. März beständiger Tag ist und die Sonne überhaupt nicht untergeht.

Gegen Mitternacht glaubte ich die Bucht gefunden zu haben, wo die Jolle liegen mußte.

Mußte! – Daß sie verschwunden sein könnte, – dieser Gedanke hatte mich zuletzt dauernd gequält, und – nicht zu Unrecht, wie sich nun herausstellte, nachdem ich mich überzeugt hatte, daß ich mich wirklich in der richtigen Bucht befand. Meine Jolle war nicht mehr da. War – entführt worden, wie ich aus verschiedenen Anzeigen schloß; entführt ohne Zweifel von meinem alten Feinde, dem Unbekannten!

Ich war über diese niederschmetternde, folgenschwere Entdeckung so entsetzt, daß ich kraftlos auf ein Felsstück sank. In meinem Hirn raste eine wilde Jagd von allerlei angstvollen Gedanken, deren quälendster der war, daß der Unbekannte von dem Versteck des Goldes in der kleineren Grotte sich Kenntnis verschafft haben und meine Schätze rauben könnte.

Ich will hier nicht weiter ausmalen, was ich damals gelitten habe. Bis zum Morgen saß ich unbeweglich da und grübelte und grübelte. Dann wieder dachte ich, ich müßte mich geirrt haben, und dies sei gar nicht die Bucht, in der ich vor zwei Tagen gelandet war. Ich untersuchte daher die Uferstelle nochmals, wo die Jolle von mir – vielleicht – an Land gezogen worden war. – Nein – nicht „vielleicht“! Ich sah die Spuren des Bodenanstrichs des Bootes auf den Steinen, sah auch, wo die rostige Kette von mir um eine Felsnase geschlungen worden war. Ich war also an der richtigen Stelle.

Eine Woche lang hauste ich nun zunächst in einer nahen, höhlenartigen Vertiefung einer Steilwand. Dann war mein Proviant aufgezehrt. Bei dem Versuche, Vogeleier auf den Randfelsen des Ufers zu [23] sammeln, stürzte ich etwa fünf Meter tief ab, lag einen halben Tag bewußtlos und konnte mich dann nur mühsam bis zu meiner Höhlenwohnung schleppen, wo ich starkes Fieber bekam als Folge der Gehirnerschütterung. Wie lange meine Krankheit dauerte, wußte ich damals nicht. Erst nach meiner Rückkehr auf die Najade stellte ich an der kunstvollen, ein halbes Jahr gehende Uhr des Kapitäns, die auch Tage und Monate zeigte, zu meiner Überraschung fest, daß ich volle acht Tage ohne jegliche Nahrung im Fieberdelirium gelegen haben mußte.

Ich war nachher auch so schwach, als sollte ich meine einstigen Kräfte niemals wiedererlangen. Ich kroch auf allen Vieren zum Strande hin, aß Muscheln und Schnecken, trank Regenwasser aus Felsmulden, – und merkte doch bald, daß meine eiserne Körperbeschaffenheit selbst diesen schweren Angriff auf meine Gesundheit schnell überwinden würde.

Kaum leidlich zu Kräften gekommen, verließ ich den Küstenstrich und wandte mich dem Innern der Insel zu, wo ich meines Erachtens günstigere Lebensbedingungen haben mußte. Am Gestade eines großen Binnensees baute ich mir eine Reisighütte, nährte mich von Kerguelenkohl und dem Fleisch der Enten, die ich mit meiner Büchse erlegte. Je mehr ich nun wieder die frühere Zähigkeit in meinem Körper verspürte, desto hartnäckiger verfolgten mich die Gedanken an das Gold der Najade! Wie nur konnte ich zurück an Bord – wie nur?! – Oft habe ich stundenlang regungslos dagesessen und mir den Kopf zergrübelt darüber, auf welche Weise ich mir wohl ein Floß bauen könnte, das mich nach der Grotten-Insel tragen sollte.

Ein Floß! – Leicht gesagt! Woher das Material dazu bekommen? Die Sträucher eigneten sich nicht für diesen Zweck, da das Floß, um mich über Wasser zu halten, zu groß und zu schwerfällig geworden wäre.

Endlich brachte mir dann eine glückliche Stunde die Erleuchtung.

[24] Ich hatte mir von Bord eine große Schlafdecke mitgenommen. Diese gedachte ich durch Bestreichen mit einem Harz, das sich tropfenweise auf der Rinde eines niedrigen, unserer Krüppelkiefer ähnlichen Strauches vorfand, wasserdicht zu machen und dann über ein bootsähnliches, aus Zweigen geflochtenes Gestell zu spannen.

Es gelang! Und eines Morgens setzte ich dann mein an den Meeresstrand übergeführtes Fahrzeug mit Hilfe zweier primitiver Ruder in Richtung Nordost in Bewegung. – Was geschah dann kaum zehn Minuten später? Unglücklicherweise traf ich auf eine Herde von Seeelefanten, gut dreißig Stück, die offenbar auf der Wanderung nach der Enderby-Insel begriffen waren, wo während der Sommerzeit (diese fällt ja mit den Monaten beständiger Tageshelle im antarktischen Gebiet zusammen) diese Tiere ihre Jungen großzuziehen pflegen. Was die Seeelefanten zum Angriff auf mich gereizt haben mag, weiß ich nicht. Jedenfalls konnte ich mir die riesigen Tiere selbst mit der Büchse nicht vom Leibe halten und – lag sehr bald im Wasser, konnte mich noch glücklich preisen, daß es mir gelang, mein Stoffboot in arg zerfetztem Zustand schwimmend zu bergen. Die Büchse war dahin, ebenso die Sachen, die ich nicht gerade bei mir getragen hatte.

Mehrere Tage dauerte es, ehe ich mein Boot notdürftig ausgeflickt hatte. Dann machte ich den zweiten Versuch, die Najade wieder zu erreichen: jetzt mit Erfolg.

Nicht weniger als neun Stunden brauchte ich, um die Strecke von ungefähr zehn Meilen zurückzulegen, die mich von der Grotten-Insel trennten. Ich war jedoch vorsichtig und steuerte zunächst in die enge Bucht hinein, in der die Felshöhle lag, wo ich die Goldbarren versteckt hatte.

Fiebernd vor Ungeduld tastete ich mich im Dunkeln zu der Stelle hin – zu meinen Schätzen! Sie waren noch da – und alles Ungemach war für den Augenblick vergessen.

[25] Am Morgen fuhr ich dann wieder unter allen nur erdenklichen Vorsichtsmaßregeln, nach der großen Grotte hinüber, fand auch die Strickleiter am Heck der Najade scheinbar unverändert hängen, kletterte lautlos an Deck und schlich nach der Kajüte hin, die ich aber erst betrat, nachdem ich wohl eine halbe Stunde lang mich regungslos verhalten und gelauscht hatte.

Ich zündete die Lampe in der Kajüte an, schaute mich dann gespannt um. Nirgends bemerkte ich etwas Auffälliges. Wenigstens zunächst nicht. Dann aber, als ich an den Schreibtisch ging, den ich verschlossen und dessen Schlüssel ich gut versteckt gehabt hatte, erkannte ich an verschiedenen Kratzern an den Schlössern der Schubladen, daß man diese mit einem Hilfsinstrument in meiner Abwesenheit geöffnet hatte.[2] Ich sage: Man hatte die Schublade geöffnet – man! Wer anders konnte es denn getan haben als der Unbekannte, mein Feind?! Er allein kam hier in Betracht.

Kaum hatte ich die Wahrnehmung gemacht, daß jener Mensch den Schreibtisch durchsucht haben mußte, als mich auch schon ein eisiger Schreck durchzuckte.

Mein Tagebuch! Es lag ja in einem Geheimfach, das ein findiger Kopf unschwer entdecken konnte. Hatte ich selbst es doch ebenfalls aufgespürt, indem ich die Abmessungen der Innenfächer des Möbelstücks mit der Gesamtgröße verglich und so herausrechnete, daß ein Raum von 30 Zentimeter im Geviert fehlte.

Ja – mein Tagebuch! Wenn es der Unbekannte hatte, dann – dann wußte er gerade genug von mir, um mir ungeheuren Schaden zufügen zu[3] können.

Meine Sorge erwies sich jedoch als überflüssig. Ich[4] hatte das Tagebuch in eine alte Zeitung eingesiegelt gehabt und als Petschaft eine indische, seltene Goldmünze benutzt, die ich in Platin gefaßt als Ring an der linken Hand trug. Die Siegel waren unverletzt. Ich atmete auf.

Erst mittags wurde ich dann, nachdem ich die Akkumulatoren gefüllt und die beiden Bogenlampen an Deck eingeschaltet hatte, zu meinem nur zu berechtigten [26] Erstaunen gewahr, daß das Großboot des Dampfers fehlte. Der Unbekannte hatte es also allein ohne Hilfe fertiggebracht, das schwere Boot zu Wasser zu bringen. Wahrlich, eine beachtenswerte Leistung, die ich nur einem ebenso kräftigen wie erfahrenen Seemann zutraute. Eine Landratte hätte dies nie ausführen können.

Und weiter überlegte ich mir folgendes: Wenn der Unbekannte nicht die Absicht gehabt hätte, Kerguelenland zu verlassen und in bewohnte Gegenden zurückzukehren, dann wäre ihm die Jolle, die er nur entführt hatte, zur Fahrt hier innerhalb des Inselgebiets doch groß genug gewesen. Mit der Jolle freilich durfte er sich nicht auf das Meer hinaus wagen. Das Großboot dagegen war völlig seetüchtig, hatte Kuttertakelage und sonstige Einrichtungen, die es für weitere Reisen auf offenem Meer geeignet machten. Ohne Frage also: Mein Feind befand sich aller Wahrscheinlichkeit nach nicht mehr auf dem Archipel! Ich war ihn los. Und wenn ich jetzt noch einige Zeit hier ausharre ohne daß man mich in meiner Verborgenheit heimsucht, dann kann ich mit Sicherheit annehmen, daß der Unbekannte auf seiner Fahrt verunglückt und somit nicht in der Lage gewesen ist, jemandem mitzuteilen, wo die fraglos als verschollen geltende Najade zu finden sei. Hätte er hierzu Gelegenheit gehabt, mußte ja ohne Zweifel bald ein Schiff hier erscheinen, das von einer französischen Behörde zur Untersuchung der Angelegenheit ausgeschickt werden würde. Frankreich ist ja die Besitzerin dieser enormen Steinhaufen, – denn etwas Besseres ist Kerguelenland nicht.

Es mußte sich also in kurzem entscheiden, ob der Unbekannte mich verraten würde. Und während dieser Zeit habe ich wiederum alle Ursache, recht vorsichtig zu sein, da ich jeden Tag mit dem Eintreffen ungebetener Gäste rechnen kann.

Aus diesem Grunde werde ich jetzt auch mein Quartier nach der anderen Grotte verlegen, also ganz in nächster[5] Nähe meiner Schätze.




[27]
5. Kapitel.
Noch einmal der Unbekannte.

Wir wollen hier mit der Wiedergabe der Eintragungen aus dem Tagebuch August Wends aufhören.

Ereignisse, die sich im Herbst 1896 abspielten, beweisen, daß der verbrecherische Steuermann offenbar die Überzeugung gewonnen hatte, jener Unbekannte, der ihm so böse Stunden bereitet hatte, sei auf See umgekommen. –

Am 25. September sichtete der erste Offizier des Dampfers City of London, eines nach England bestimmten Australienfahrers, südlich der Insel Saint Paul im Indischen Ozean ein größeres Boot, das scheinbar führerlos auf der trägen Dünung schaukelte. Der Dampfer änderte sofort den Kurs und hielt darauf zu. Bald erkannte man, daß man eine Motorpinasse vor sich habe, auf der jedoch keine lebende Seele zu bemerken war.

Der Kapitän ließ ein Boot zu Wasser bringen und befahl seinem zweiten Offizier, das Motorfahrzeug zu untersuchen. Das Boot legte sich bald längsseit der Pinasse. Man fand in dieser auf der Treppe zu der kleinen Kajüte einen bewußtlosen Seemann, der nachher dem Kapitän der City of London etwa folgendes berichtete:

„Ich bin der zweite Steuermann des Dampfers Najade, auf dem während der Reise nach Sydney das Gelbfieber die gesamte Besatzung bis auf mich hinwegraffte und der dann durch Strömungen und Stürme um Australien herum an der Südküste entlang getrieben wurde, bis er auf den Riffen einer kleinen Inselgruppe scheiterte, die wahrscheinlich zu den kleinen Sunda-Inseln gehört haben dürfte. Auf einem dieser Eilande habe ich viele Monate, wie lange, weiß ich nicht, als Robinson gehaust, bis ich mich dann zu dem Wagnis entschloß, mit der bei dem Schiffbruch unversehrt gebliebenen Motorpinasse in See zu stechen und zu versuchen, bewohntes Land zu erreichen. [28] Infolge Mangels an Lebensmitteln und Trinkwasser[6] wurde ich immer schwächer, konnte die Pinasse nicht mehr bedienen, ließ sie treiben und erwartete den Tod. Dann bemerkte ich vorhin, aus einer Ohnmacht erwachend, den Dampfer und wollte mich aus der Kajüte mit letzter Kraft an Deck schleppen, um ein Notsignal zu geben. Ich sank jedoch auf der Treppe bewußtlos um.“

So ungefähr lautete in knapper Form wiedergegeben, August Wends größtenteils gut erfundener Bericht.

Der Kapitän des Dampfers hatte keine Veranlassung, dem Deutschen zu mißtrauen, glaubte ihm vielmehr alles wörtlich und nahm über die Begegnung mit der Pinasse ein Protokoll auf, das nachher die Grundlage für die amtliche Feststellung des Sachverhalts über den Untergang der Najade gab.

Die City of London erhielt in Kapstadt noch neue Fracht für Plymouth, setzte dann ihre Reise fort und brachte den angeblich so hart geprüften Schiffbrüchigen wohlbehalten nach England.

In London kleidete sich August Wend, der es verstanden hatte, sechs Goldbarren mit auf den Australienfahrer zu schmuggeln, neu ein, ließ sich von Zeitungsberichterstattern gegen gute Bezahlung über seine Abenteuer ausfragen, log immer mehr Einzelheiten über den „Schiffbruch“ der Najade hinzu und genoß das Großstadtleben wochenlang in vollen Zügen.

Als er eines Abends in einer Singspielhalle allein an einem Tische saß und sich bei den mäßigen Künsten einiger Negersänger langweilte, kaufte er einem kleinen, zerlumpten Zeitungshändler eine alte Nummer einer englischen Zeitschrift ab, die hauptsächlich auf grobe Sensationen zugeschnitten war.

Eine Photographie in diesem Blatte, besser die Unterschrift, rief ihm die langen, einsamen Monate auf den Kerguelen urplötzlich mit aller Lebendigkeit ins Gedächtnis zurück.

Unter dem Bilde stand:

Die Flucht des deutschen Mörders Peter [29] Strupp, eines früheren Unteroffiziers der französischen Fremdenlegion, von dem Transportschiff „Präsident Loubet“. Aufgenommen an Bord des Motorrennbootes, das den in einem anderen Boote der gleichen Art Flüchtenden bis unter die Felsgestade von Kerguelenland verfolgte, wo der Verbrecher spurlos verschwand. Vergl. auch den nebenstehenden Artikel.“

Der Steuermann überflog diesen Artikel sofort mit gierigen Augen. Eine seltsame Vermutung war in ihm aufgestiegen.

Der Artikel hatte folgenden Inhalt:

Eine verwegene Flucht.

Im Jahre 1893 hatte sich ein Deutscher, der sich Peter Strupp nannte, in die französische Fremdenlegion einreihen lassen, um, wie er sagte, das Leben bei dieser Truppe aus eigener Erfahrung kennen zu lernen. Er zeichnete sich sehr bald durch eine beispiellose Tollkühnheit aus und wurde schnell befördert, obwohl er seinen Vorgesetzten gegenüber kein Hehl daraus machte, daß er die Legion für eine höchst verwerfliche Einrichtung halte. Im Herbst des Jahres 1894 wurde Strupp in Algier plötzlich ins Gefängnis geworfen unter der Beschuldigung, einen eingeborenen Händler ermordet und beraubt zu haben. Das Gerichtsverfahren gegen ihn stand sichtlich unter dem Einfluß eines Winkes von höherer Stelle, die offenbar den Deutschen für immer unschädlich zu machen trachtete, weil er wahrscheinlich der Verfasser einer Reihe von Aufsätzen war, die in deutschen Zeitungen erschienen und die Fremdenlegion rücksichtslos in allen ihren Krebsschäden bloßstellten. Die Beweise gegen Strupp waren mehr als lückenhaft. Trotzdem wurde er zum Tode verurteilt, kurz vor der Hinrichtung aber zu lebenslänglicher Verschickung nach Neu-Kaledonien begnadigt. Im August 1895 verließ das Transportschiff Präsident Loubet den Hafen von Marseille mit 150 für Neu-Kaledonien bestimmten Verbrechern. Darunter befand sich auch Peter Strupp. [30] Der Dampfer hatte außerdem 6 Motorrennboote an Bord, die von einer französischen Firma nach Sydney verkauft waren. Im Indischen Ozean überraschte ein schwerer Sturm den Dampfer und trieb ihn sehr weit südlich. Ein Maschinenschaden zwang das Schiff dann nach Abflauen des tagelangen Unwetters zu längerem Stilliegen. Eine vollkommene Windstille, die die See in einen glatten Teich verwandelte, erlaubte es den an Bord befindlichen französischen Offizieren, mit zweien der Rennboote, die ohnedies zu Wasser gebracht werden mußten, um ein Leckspringen infolge der Hitze zu vermeiden, eine Wettfahrt zu unternehmen. Peter Strupp, der sich auf dem Dampfer durch seine Anstelligkeit, Dienstwilligkeit und seinen trockenen Humor schnell beliebt gemacht hatte, erbot sich zur Bedienung des Motors des einen Bootes, das er auch allein für die Wettfahrt in Ordnung gebracht hatte. Er schien eben alles zu verstehen. Das Rennen verlief ohne Zwischenfall. Das Boot, dessen Motor der deutsche Sträfling bedient hatte, siegte. Nachdem die Offiziere wieder ausgestiegen waren, sollten die beiden Boote an Deck gehißt werden. Strupp machte sich nun absichtlich in seinem Boote noch etwas zu schaffen, und ganz unversehens warf er den Motor wieder an und jagte mit höchster Geschwindigkeit davon. Seine Absicht wurde sofort durchschaut. Die Wachen eröffneten auf das flüchtende Rennboot ein lebhaftes, aber erfolgloses Gewehrfeuer. Ein paar Offiziere machten sich in dem zweiten Boot an die Verfolgung des kühnen, schlauen Deutschen, der inzwischen einen recht großen Vorsprung gewonnen hatte. Die Jagd zog sich mit einer Geschwindigkeit von durchschnittlich 38 bis 40 Knoten (etwa die Schnelligkeit eines Expreßzuges) drei Tage lang hin, da es Strupp selbst nachts nicht glückte, die Entfernung zwischen seinem und dem zweiten Boot derart zu erweitern, daß der an Bord des Verfolgers aufgestellte Scheinwerfer ihn nicht erreichte. Wie sich später zeigte, hatte das Gewehrfeuer der Wachen den Motor doch ein wenig beschädigt, sonst wäre das andere [31] Boot wohl kaum fähig gewesen, den Flüchtling in Sicht zu behalten und bis an die Nordküste von Kerguelenland zu verfolgen. Hier steuerte Strupp in eine breite Bucht hinein, stieg aus und verschwand im Inneren der Insel, die bekanntlich unbewohnt ist und so viele Verstecke bietet, daß ein Wiedereinfangen des Sträflings als aussichtslos aufgegeben werden mußte. – Unsere photographische Aufnahme zeigt den Moment der Verfolgung, wo Strupps Boot gerade in die Bucht einbiegt. Am Heck erkennt man eine Flagge, die der Sträfling gehißt hatte, um seine Feinde zu verhöhnen. Ihn selbst sieht man aufrecht am Steuer stehen mit erhobener rechter Hand, mit der er den Offizieren ein „Lebewohl – auf Nimmerwiedersehen!“ zuwinkte. – Die Kergueleninseln dürften also jetzt für längere Zeit einen einzelnen Bewohner gefunden haben, denn es dürfte Peter Strupp trotz all seiner Findigkeit schwerfallen, die unwirtlichen Gestade ohne fremde Hilfe zu verlassen. Die französische Regierung hat im übrigen für die Wiederergreifung des – angeblichen – Mörders eine sehr hohe Belohnung ausgesetzt. Wer wird sie sich verdienen?! Ganz Kerguelenland zu durchsuchen hieße einen Stecknadelkopf in einem Sandberg suchen! –

August Wend legte das Blatt beiseite. Sinnend starrte er vor sich hin. Er dachte über Peter Strupp nach. Die Daten stimmten: Der Sträfling war bereits auf Kerguelenland, als die Najade dort in der großen Grotte ein vorzügliches Versteck fand.

Sollte etwa dieser Peter Strupp der geheimnisvolle Feind gewesen sein? Eigentlich sprach alles dafür.

Der Steuermann lächelte rachsüchtig. Mochte er’s gewesen sein! Jedenfalls war dieser Mensch gerade als Sträfling und Flüchtling recht ungefährlich, falls er wirklich noch am Leben sein sollte. Denn als entflohener Deportierter hatte er allen Grund, nicht über Kerguelenland und seine dortigen Erlebnisse zu reden. Im Gegenteil: er mußte sorgsam verschweigen und zu verheimlichen trachten, wer er war, da ihm [32] sonst die Auslieferung an Frankreich drohte.

August Wends Lächeln wurde jetzt anders – recht zufrieden und vergnügt. Ein wenig hatte ihn doch der Gedanke an seinen unheimlichen Störenfried stets beunruhigt, der ja das Geheimnis der Najade zu leicht hätte der Öffentlichkeit preisgeben können.

Acht Tage später war er daheim in seiner Vaterstadt, einem kleinen Ostseehafen, den wir hier Heilmünde nennen wollen.

Die Familie seines einzigen verheirateten Bruders, dem er bereits brieflich mitgeteilt hatte, daß der älteste Sohn Karl gleichfalls dem Gelbfieber zum Opfer gefallen sei, fand er in tiefer Trauer um diesen Verlust und auch sonst in recht gedrückter Stimmung vor, da geschäftlicher Niedergang die Vermögenslage des strebsamen Ehepaares sehr ungünstig beeinflußt hatte.

Karl Wends, des Schiffsjungen der Najade, jüngerer Bruder Heinrich, war damals noch ein kleines Bürschchen, wuchs aber während der Zeit, die der einstige Steuermann nun seinem verbrecherischen Plane gemäß in Heilmünde als bescheidener Rentner und Rosenzüchter zubrachte, zu einem kräftigen Knaben heran, obwohl der plötzliche Tod seiner Eltern ihn in das Haus seines Oheims geführt hatte, wo er recht trübe, liebeleere Jahre durchmachen mußte, die seinen Charakter stark nach der ernsten, nachdenklichen Seite hin umwandelten.

Inwiefern Heinrich Wend dann noch in der abenteuerlichen Geschichte, die mit den Schätzen der Najade verknüpft ist, eine Rolle spielt, wie ferner das Walten der ausgleichenden Gerechtigkeit auch Peter Strupp, den unschuldig Verurteilten zur rechten Zeit auftauchen läßt, wird in dem folgenden Bändchen:



ausführlich geschildert.



Druck: P. Lehmann G. m. b. H., Berlin 26.



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