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Das Gift des Speichels

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Titel: Das Gift des Speichels
Untertitel:
aus: Die Gartenlaube, Heft 1, S. 20
Herausgeber: Ernst Ziel
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Erscheinungsdatum: 1882
Verlag: Verlag von Ernst Keil
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Erscheinungsort: Leipzig
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Quelle: Scans bei Commons
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[20] Das Gift des Speichels. In der Auffassung vieler Naturvölker hat das Gift der Schlangen bekanntlich die ganze Thierclasse, in welcher es doch auch harmlose und mit ehrlichen Waffen kämpfende Glieder giebt, in Verruf gebracht und sie so gewissermaßen zur Personification des bösen Princips gemacht. Bis auf unsere Tage war es seither ein geheimnisvoller Saft geblieben, dessen Mysterium die Wissenschaft nicht zu entschleiern vermochte. Durch die Bemühungen einiger französischen Aerzte und Naturforscher ist jedoch bezüglich dieses Giftes in den letzten Monaten einige und zum Theil sehr überraschende Aufklärung erzielt worden. Das Gift der Schlangen ist bekanntlich die Absonderung mehrerer Drüsen des Oberkiefers dieser Thiere, und jene Drüsen entsprechen nach Lage und Bau den Speicheldrüsen. Neuere Untersuchungen von Pasteur, A. Gautier und Anderen haben nun ergeben, das keineswegs nur der Speichel der Schlangen, wenn er in eine Wunde geräth, giftig wirkt, sondern daß der Speichel der meisten anderen Thiere, z. B. des Hundes, des Kaninchens, ja sogar der des Menschen ganz ähnlich wirkt.

Ein aus dem menschlichen Speichel bereitetes wässeriges Extract tödtete einen kleinen Vogel, wenn es in den Blutumlauf gebracht wurde, beinahe ebenso schnell, wie Schlangengift. Die von aller Welt in die Acht erklärten Giftschlangen bilden also in dieser Beziehung nur insofern eine Ausnahme, als sie vor den Mündungen der betreffenden Drüsen mit offenen oder geschlossenen Rinnen versehene Zähne besitzen, durch welche eine ungewöhnlich große Quantität des Speichelgiftes in die Wunde befördert werden kann. Und wie das Gift einer und derselben Schlangenart unter verschiedenen Himmelsstrichen verschieden stark wirkt, so wird der menschliche Speichel ebenfalls den Umständen nach von sehr verschiedener Giftigkeit befunden, und zwar am stärksten der Morgens bei nüchternen Personen, wo er noch nicht durch Ausgaben verdünnt worden ist.

Was nun die eigentliche Ursache der Giftigkeit dieser sonst die Verdauung befördernden Absonderung betrifft, so besteht sie nach A. Gautier wahrscheinlich nicht, wie man wohl früher glaubte, in einer Art von organisirtem Ferment, welches das Blut in Gährung versetzt, sondern vielmehr in einem starkgiftigen Alkaloide; denn man kann z. B. das Gift, welches man einer Brillenschlange entlockt hat, indem man sie wiederholt in einen Bausch Baumwolle beißen ließ, mit Wasser verdünnen, bis zum Sieden erhitzen, filtriren, mit Alkohol behandeln, vollständig eintrocknen lassen etc., ohne daß es seine Wirksamkeit einbüßt, während man durch ähnliche Behandlung jede Art Hefe lösen und unwirksam machen würde.

Wenn aber der Speichel anderer Thiere dem Schlangengifte ähnlich wirkt, so steht andererseits das Schlangengift nach den Untersuchungen von De Lacerda dem gewöhnlichen thierischen Speichel und besonders dem Safte der sogenannten Bauchspeicheldrüse in seiner[WS 1] verdauenden Eigenschaft nahe; es löst unlösliche Nährstoffe und verwandelt Fettstoffe in Emulsion. Als wichtigstes Ergebniß der Untersuchungen des letztgenannten Naturforschers dürfte die Entdeckung eines Gegengiftes von der wunderbarsten Wirkung zu bezeichnen sein. Zwei bis drei Centimeter einer filtrirten einprocentigen Auflösung von übermangansaurem Kali in Wasser mittelst einer Pravaz’schen Spritze in die Bißwunde eingeführt, verhinderten in der Mehrzahl der Fälle nicht nur jede Entzündung der Wunde, sondern retteten selbst solche Thiere, bei denen das Gift bereits unter den bedenklichsten Symptomen in den Blutumlauf eingetreten war.

Die Versuche wurden in Gegenwart des Kaisers von Brasilien mit einer sehr giftigen Schlangenart (Bothrops) angestellt, der gegenüber sich alle sonst empfohlenen Gegengifte (Eisenchlorid, Borax, Tannin etc.) völlig unwirksam erwiesen. Fast alle Thiere, bei denen das Gegengift nicht in Anwendung gebracht wurde, gingen zu Grunde, dagegen starben von dreißig Stück, denen es eingespritzt wurde, nur zwei schwächliche Versuchsthiere.



Anmerkungen (Wikisource)

  1. Vorlage: seinen