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Das Geheimniß der Reminiszenz, an Laura

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Textdaten
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Autor: Friedrich Schiller
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Titel: Das Geheimniß der Reminiszenz
Untertitel: An Laura
aus: Anthologie auf das Jahr 1782, S. 137–146
Herausgeber: Friedrich Schiller
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Entstehungsdatum:
Erscheinungsdatum: 1782
Verlag: J. B. Metzler
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Erscheinungsort: Stuttgart
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[137]
Das Geheimniß der Reminiszenz.
An Laura.


Ewig starr an Deinem Mund zu hangen,
Wer enträzelt dieses Wutverlangen?
Wer die Wollust, Deinen Hauch zu trinken,
In Dein Wesen, wenn sich Blike winken,

5
     Sterbend zu versinken?


Fliehen nicht verrätherisch, – wie Sklaven,
Weggeworfen faigen Muths die Waffen, –
Meine Geister, hin im Augenblike,
Stürmend über meines Lebens Brüke,

10
     Wenn ich Dich erblike?
[138]

Sprich, warum entlaufen sie dem Meister?
Suchen dort die Heimat meine Geister?
Oder küssen die getrennten Brüder,
Losgeraft vom Kettenband der Glieder,

15
      Dort bei Dir sich wieder? –


Laura? träum’ ich? ras’ ich? – die Gedanken
Ueberwirbeln des Verstandes Schranken –
Sieh! der Wahnsinn ist des Räzels kunder,
Staune Weisheit auf des Wahnsinns Wunder

20
     Neidischbleich herunter.


Waren unsre Wesen schon verflochten?
War es darum, daß die Herzen pochten?
Waren wir im Stral erloschner Sonnen
In den Tagen lang begrabner Wonnen,

25
     Schon in Eins zerronnen?
[139]

Ja wir warens – Eins mit Deinem Dichter
Warst du Laura – warst ein Weltzernichter! –
Meine Muse sah es auf der trüben
Tafel der Vergangenheit geschrieben:

30
     Eins mit deinem Lieben!


Aber ach! – die sel’gen Augenblike
Weinen leiser in mein Ohr zurüke –
Könnten Grolls die Gottheit Sünder schelten,
Laura – den Monarchen aller Welten

35
     Würd’ ich Neides schelten.


Aus den Angeln drehten wir Planeten,
Badeten in lichten Morgenröthen,
In den Loken spielten Edens Düfte,
Und den Silbergürtel unsrer Hüfte

40
     Wiegten Mayenlüfte.
[140]

Uns entgegen gossen Nektarquellen
Tausendrörigt ihre Wollustwellen,
Unserm Winke sprangen Chaosriegel,
Zu der Wahrheit lichtem Sonnenhügel

45
     Schwang sich unser Flügel.


Unsern Augen riss’ der Dinge Schleyer,
Unsre Blike, flammender und freyer,
Sahen in der Schöpfung Labyrinthen,
Wo die Augen Lyonets verblinden,

50
     Sich noch Räder winden –


Tief o Laura unter jener Wonne
Wälzte sich des Glükes Nietentonne,
Schweifend durch der Wollust weite Lande
Warfen wir der Sätt’gung Ankerbande

55
     Ewig nie am Strande –
[141]

Weine Laura – dieser Gott ist nimmer,
Du und ich des Gottes schöne Trümmer,
Und in uns ein unersättlich Drängen
Das verlorne Wesen einzuschlingen,

60
     Gottheit zu erschwingen.


Darum Laura dieses Wutverlangen,
Ewig starr an deinem Mund zu hangen,
Und die Wollust, deinen Hauch zu trinken,
In dein Wesen, wenn sich Blike winken,

65
     Sterbend zu versinken.


Darum fliehn, verrätherisch, wie Sklaven,
Weggeworfen faigen Muts die Waffen,
Meine Geister, hin im Augenblike!
Stürmend über meines Lebens Brüke,

70
     Wenn ich Dich erblike!
[142]

Darum nur entlaufen sie dem Meister,
Ihre Heimat suchen meine Geister,
Losgeraft vom Kettenband der Glieder,
Küssen sich die langgetrennten Brüder

75
     Wiederkennend wieder.


Töne! Flammen! zitterndes Entzüken!
Wesen lechzt an Wesen anzurüken –
Wie, beim Anblik einer Freundsgaleere,
Friedensflaggen im Ostindermeere

80
     Wehen lassen Heere;


Aufgejagt von froher Pulverweke,
Springt das Schiffsvolk freudig auf’s Verdeke,
Hoch im Winde schwingen sie die Hüte,
Posidaons woogendes Gebiete

85
     Drönt von ihrem Liede. –
[143]

War es nicht dis freudige Entsezen,
Als mir’s ward an Lauren mich zu lezen?
Ha! das Blut, voll wütendem Verlangen,
Drängte sich muthwillig zu den Wangen,

90
     Lauren zu empfangen –


Und auch Du – da mich dein Auge spähte,
Was verrieth der Wangen Morgenröthe? – –
Floh’n wir nicht als wären wir verwandter,
Freudig, wie zur Heimat ein Verbannter,

95
     Brennend an einander? –


Sieh, o Laura, deinen Dichter weinen! –
Wie verlor’ne Sterne wieder scheinen,
Flimmen öfters, flüchtig, gleich dem Blize,
Traurigmahnend an die Göttersize,

100
     Stralen durch die Rize –
[144]

Oftmals lispeln der Empfindung Saiten
Leise Ahndung jener goldnen Zeiten –
Wenn sich schüchtern unsre Augen grüsen,
Seh ich träumend in den Paradiesen

105
     Nektarströme fliesen. –


Ach zu oft nur waffn’ ich meine Mächte,
Zu erobern die verlornen Rechte –
Klimme kühner bis zur Nektarquelle,
Poche siegend an des Himmels Schwelle, –

110
     Taumle rük zur Hölle!


Wenn dein Dichter sich an deine süsen
Lippen klammert mit berauschten Küssen,
Fremde Töne um die Ohren schwirren,
Unsre Wesen aus den Fugen irren

115
     Strudelnd sich verwirren,
[145]

Und verkauft vom Meineid der Vasallen
Unsre Seelen ihrer Welt entfallen,
Mit des Staubs Tyrannensteuer pralen,
Tod und Leben zu wollüstgen Qualen

120
     Gaukeln in den Schaalen.


Und wir beide – näher schon den Göttern –
Auf der Wonne gähe Spize klettern,
Mit den Leibern sich die Geister zanken,
Und der Endlichkeit despotsche Schranken –

125
     Sterbend – überschwanken –


Waren, Laura, diese Lustsekunden
Nicht ein Diebstal jener Götterstunden?
Nicht Entzüken, die uns einst durchfuhren?
Ineinanderzukender Naturen,

130
     Ach! nur matte Spuren?
[146]

Hat dir nicht ein Stral zurükgeglostet?
Hast du nicht den Göttertrank gekostet? –
Ach! ich sah den Purpur deiner Wangen! –
War es doch der Wesen die sich schlangen

135
     Eitles Unterfangen! – –


Laura – majestätisch anzuschauen
Stand ein Baum in Edens Blumenauen;
„Seine Frucht vernein’ ich eurem Gaume,
„Wißt! der Apfel an dem Wunderbaume

140
     „Labt – mit Göttertraume.“


Laura – weine unsers Glükes Wunde! –
Saftig war der Apfel ihrem Munde – – –
Bald – als sie sich Unschuldsvoll umrollten –
Sieh! – wie Flammen ihr Gesicht vergoldten! –

145
     – Und die Teufel schmollten.


Y.